Ich beziehe mich mal wieder auf mein Verständnis des Büchleins:Bezieht sich dieses "oder" auf die Zeit oder die Person(en)? Bei mir war (und ist) durchaus beides vorhanden, aber natürlich nie zeitgleich *g*Der Narzisst nimmt sich vielmehr entweder als grandios oder minderwertig wahr ...
Und zwar wird unterschieden zwischen dem "wahren" Selbst und dem "falschen" Selbst. Das "falsche" Selbst umfasst dabei das Erleben (= eigenen Wahrnehmung) von Minderwertigkeits- bzw. Grandiositätsgefühlen.
Was das Erleben der Minderwertigkeit bzw. Grandiosität angeht ("falsches" Selbsterleben), ist jeweils nur ein Gefühl zugänglich, da das andere Gefühl abgewehrt wird (=> Abwehrmechanismus) bzw. kein Kontakt zu dem Gefühl hergestellt werden kann. Klingt abstrakt... ist es aber eigentlich nicht:
"Im Gefühl der Grandiosität existieren für die Betroffenen nur ihre Größenvorstellungen, ohne Erinnerung an die Minderwertigkeit. Wird sie kritisiert, schlägt ihre Stimmung in Depression um, sie fühlt sich klein, schlecht, minderwertig und spürt in diesem Zustand nichts mehr von ihrer Grandiosität. Sie hat einfach keine bewusste Erinnerung mehr daran, wie es ist, sich groß und überlegen zu fühlen. *) Die Grandiosität wird in diesem Moment also verleugnet. Das heißt, die Betreffende erlebt sie innerlich wie zwei Personen, die nichts miteinander zu tun haben: eine selbstbewusste und eine hilflos-minderwertige. ... Wir finden bei diesen Menschen keine "Mitte", sondern ein ständiges Schwanken zwischen den Polen. In Beziehungen sind sie zuerst sehr offen und zugewandt, ziehen sich aber ohne Vorwarnung zurück oder brechen den Kontakt ab, wenn sie sich gekränkt fühlen. Für das Gegenüber ist dieses Verhalten meist nicht nachzuempfinden, vor allem, weil die Reaktion mit einer Heftigkeit einsetzen können, die der Situation nicht angemessen ist. Unverständlich für andere wirkt auch der Gegensatz zwischen äußerer Selbstsicherheit und innerer Unsicherheit."
*) "Wenn nur eine von zehn Kritiken negativ ist, dann sieht sie nur diese eine kritische und übersieht die restlichen neun positiven. Auf diese Weise entstehen Minderwertigkeitsgefühle. ... Selbstwertschwache Frauen fürchten die Ablehnung durch die anderen, merken aber nicht, dass sie Mühe haben, sich selbst zu akzeptieren. Statt sich bewusst zu machen, dass sie sich selbst nicht mögen, unterstellen sie es den anderen, denen sie sich dann anpassen."
=> Ich würde das "entweder-oder" auf die Zeit beziehen (sprich: Grandiosität und Minderwertigkeit können nicht gleichzeitig erlebt werden... auf eine Mitte, in der man sich realistisch mit Stärken UND Schwächen wahrnimmt, besteht also kein Zugang) . Beide Erlebensbereiche sind ja (in einer Person) grundsätzlich vorhanden, aber es ist jeweils nur ein Pol zugänglich. Problematisch ist dabei, dass der Narzisst im eigenen Erleben nicht nur zwischen diesen beiden Polen pendelt, sondern auch, dass das "wahre Selbst" (= "wer bin ich wirklich") nicht zugänglich ist:
"Das "wahre" Selbsterleben ist bei narzisstischen Menschen in großem Maße unzugänglich geworden. Die Person selbst ist mit ihm kaum in Kontakt und erlebt sich hauptsächlich im Wechsel zwischen den beiden Polen des "falschen" Selbsterlebens. Oft wird das von den Betroffenen folgendermaßen beschrieben: "Warum fühle ich mich so klein und schlecht, obwohl ich doch auf andere einen selbständigen und erfolgreichen Eindruck mache? Wer und was bin ich nun wirklich? Der mickrige Zwerg meiner Angst oder der große Held meiner Allmachtsphantasien?
Sie sind weder nur das eine noch das andere. Sie sind beides ein wenig, aber auch noch etwas anderes. Wer sie wirklich sind, ahnen sie bestenfalls. ... Das "wahre" Selbsterleben umfasst bei narzisstischen Persönlichkeiten neben den "wahren" Gefühlen und Bedürfnissen auch jene kindlichen, die unerfüllt blieben oder unerwünscht waren. Wie wir bereits sahen, handelt es sich um unerfüllte Wünsche nach Sicherheit, Geborgenheit, Angenommensein, Vertrauen und Bindung. Des weiteren um ..."
Persönlich finde ich die Begrifflichkeiten "wahr" und "falsch" etwas blöd. Aber ich vermute damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass bei einer narzisstischen Person, der Kontakt zu sich selbst (="wahres" Selbst) eingeschränkt ist und mithin der Zugang zu den eigenen Gefühlen, Bedürfnissen, Wünschen, etc. versperrt ist. Stattdessen wird einem Ideal/Standard gefolgt ("was erwarten andere von mir"), das man als sein "grandioses Selbst" ("falsches Selbst") adaptiert, um Anerkennung zu erhalten. Und wenn Kritik erlebt wird oder Zurückweisung schlägt das Erleben ins andere Extrem um, sprich: Dann fühlt sich der Narzisst minderwertig und die grandiose Seite ist nicht mehr zugänglich.