Indivualisierung in der PT - Fluch oder Segen?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Beitrag Do., 02.07.2009, 20:05

Ein Therapeut gibt keinen Rat und dazu gehört auch, dass er nicht von sich aus vorschlägt mit Angehörigem X zu sprechen. [...] geht es darum, das der Klient sein leben und seine Umwelt aktiv angeht. Im Grunde ist ein guter Therapeut sehr passiv.
Ah, jetzt ja. Das meinst zu. Ich gebe zu, dass ich mit dem selbst AKTIV angehen = keinerlei Rat geben so nicht in Zusammenhang brachte. Man kann ja auch zu Aktivität animieren indem man Ratschläge gibt, wie der Patient seinen eigenen Weg findet.

Wobei ich mich jetzt - ernstgemeint - frage, ob es da nicht Unterschiede gibt von der Therapieform. Verhaltenstherapie ganz ohne Ratschläge? Kann ich mir schwer vorstellen. Bei Gesprächstherapien oder Tiefenanalyse ist es wohl wieder anderes. Was ist mit dem Begriff sich "coachen" lassen? Ist das wieder ein ganz eigenständiger Bereich?

Bitte, das nicht wieder als "Uneinsichtigkeit" abtun. Zum Beispiel solche Empfehlungen (oder Nachfragen) wie "Widmen Sie sich doch mal wieder ihren Hobbies, Sport etc." ist ja auch ein Ratschlag. Wäre das - deiner Meinung nach - schon wieder zu viel?

Als ich das letzte Mal mit meinem Ex geredet habe (VT), ist der von seinem Therapeuten aber ganz sicher u.a. gecoacht worden (= konkrete Verhaltensratschläge für eine Situation). Im positiven Sinne.
Es ging sogar so weit, dass Zitat Ex: "Mein Therapeut hat mir in Ars** getreten, auf dass..."
Auch bei der Stelle, wo ich mehre Monate regelmässig, bekam ich Ratschläge.

Gut, ich verstehe jetzt, was du meinst. Bis auf ein paar Details a la wo etwas anfängt ein RATSCHLAG zu sein und wo nicht. Denke, die Grenze ist da sehr schwammig. Ein paar Grundsatzfragen habe ich noch dazu, aber ich lasse jetzt erst mal gut sein.
Aber jeder auch nur ansatzweise therapiefähige Mensch wird keine Betreuung benötigen und auch von keinem Richter bekommen.
Nein, das kann ich nicht bestätigen.

1. Gibt es mehre Bereiche von Betreuerschaft. (Gesundheitsfürsorge, psychische Angelegenheiten, Finanzen etc.) Soweit ich (nach müheseligen Kampf) mittlerweile herausgefunden habe, ist der Betreuer NUR für die Finanzen, Papierkram eingesetzt, hat aber mit seinen guten Ratschlägen erheblich seine Kompetenzen überschritten. Ja, er hat sogar meinen Ex mehr oder weniger gegen dessen Therapiewunsch abgeraten... ...

2. Es gab überhaupt damals keinen Therapieversuch und die Betreuerschaft wurde trotzdem bewilligt. Mein Ex wollte dies ja auch. Unbewusst als Therapie-ERSATZ. Leider konnte erst sein aktueller Therapeut ihm nach zig Jahren von dem Unterschied Betreuer-Therapeut überzeugen.
Und auch weil die Klientin, meine liebe Oma also, nicht in der Lage war ihre Problem zu kommunizieren, das war ganz eindeutig. Sobald ein klient sich halbswegs Ausdrücken kann, wird man ihn natürlich hören.
Verstehe. Ist im (eher seltenen?) Einzelfall aber schwierig zu unterscheiden. In meinem Beispiel: Mein Ex kann sich artikulieren und sehr plausible Erläuterungen führen. Aber er kann seine Probleme nicht kommunzieren, weil er in dann in Scheinwelten lebt, diese aber wirklich recht plausibel und artikulierbar sind. Deswegen gilt er (mittlerweile!) als "schwer therapierbar". (Der Betreuer war aber schon 3 Jahre vorher da)
Will man mit solchen leuten sprechen, muss man sich melden.
Ja.

Ich finde es schön, wenn du so gute Erfahrungen hast. Nun ja, als Betreuerin und nach entsprechenden Seminaren hattest du ja aber auch einen ganz anderen Startpunkt.

Meine Ersuche wurden ja auch nicht "abgelehnt" (außer: Betreuer!), wobei es ja nur selten zu einer langfristigen Situation kam. Es war dann manchmal so, dass wir über den Ex kommunziert haben, und das waren dann Momente der sehr fruchtbaren Zusammenarbeit, aber indirekt. Das hat mir ja auch gereicht! Der Unterschied in der Wirkung war enorm!

Aber ich gebe zu, dass ich ein Problem habe oder mittlerweile besser gesagt hatte, mir vorzustellen, wie es ganz ohne das funktionieren soll... wenn er einige seiner Symptome gar nicht kommunzieren kann und durch PSEUDO-Zeugs verdeckt sind. Und es gibt ja niemanden außer mir, denn man sonst hätte fragen können.

Dabei hat mir eines der Argumente weiter vorne schon etwas geholfen, nämlich dass es völlig egal sei, ob etwas der Realität entspricht, sondern es nur um die Wahrnehmung des Patienten geht. Muss aber erst mal meine Gedanken ordnen. Zumindest sind da jetzt zwei bis drei Sachen dabei, über die ich nachdenken kann.

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candle
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Beitrag Do., 02.07.2009, 20:16

Gothika hat geschrieben: Wobei ich mich jetzt - ernstgemeint - frage, ob es da nicht Unterschiede gibt von der Therapieform. Verhaltenstherapie ganz ohne Ratschläge? Kann ich mir schwer vorstellen. Bei Gesprächstherapien oder Tiefenanalyse ist es wohl wieder anderes.
Die Therapieform ist nicht ausschlaggebend, also es gibt hier kein An/raten "machen sie dies oder das". Es soll ja aus der eigenen Energie des Klienten kommen.

Ja, "coachen" ist wieder was ganz anderes.

candle
Es ist besser ein Kerze anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen.
Sommer-Stumpenhorst

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Flugente
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Beitrag Do., 02.07.2009, 20:24

Gothika hat geschrieben: Zum Beispiel solche Empfehlungen (oder Nachfragen) wie "Widmen Sie sich doch mal wieder ihren Hobbies, Sport etc." ist ja auch ein Ratschlag.
Sowas würde von meiner Therapeutin nie niemals kommen.
Eisberg voraus!

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kamikatze
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Beitrag Do., 02.07.2009, 21:06

Liebe Gothika,
beim Lesen bin ich immer wieder über dieses Wort Fremdanamnese gestolpert. ein grosses wort. wenn ich es mir auf der zunge zergehen lasse merke ich erst, was bei mir dermassen irritation verursacht:
der begriff insinuiert eine objektive einbeziehung einer fremden sicht.
ein familienmitglied etc. (also direkt involvierte person) kann aber nie objektiv dem entsprechenden menschen gegenüberstehen. das ist mM nach immer subjektiv gefärbt. also ist für mich persönlich der begriff auch irgendwie absurd-

zum anderen:
vallée mir gefallen deine ausführungen sehr.

Gothika:
Probleme in der Asymmetrie (Betroffene resp. Angehörige vs. Helfersystem etc) sind nicht von der hand zu weisen und immer eine Gratwanderung. Ich denke, da gibt es immer nur eines:
Sich informieren über Möglichkeiten und Kontakte suchen zu Menschen die sich "meine Sicht der Objektivität" als Massstab nehmen. aber alleine steht man auf verlorenem posten. Der Fluch ist hier also die Segmentierung der Hilfe in die einzelnen Akteure einer "Familie". Der Segen dabei kann sein, dass so Kommunikation dich wieder in Gang gebracht werden kann. Aber es ist sicher gefühlsmässig eine Art psychologisches Aufrüsten, wenn auch gut cachiert. Sozialdarwinistisches hat auch in der PT nicht Halt gemacht...

P.S. ich hoffe zrotz meiner ironie am schluss kannst du was raus ziehen...
LG,kaka
Ich rotiere höchstens,
wenn ich Opfer des Rotationsprinzips werde...

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nemesis
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Beitrag Sa., 04.07.2009, 22:52

Hallo zusammen!

Also ích kann das, was Gothika kritisiert, sehr gut verstehen und nachempfinden, weil ich selbst ziemlich schlechte Erfahrungen mit einer Therapie gemacht habe, bei der Angehörige völlig außen vor geblieben sind. Und diese Erfahrung habe ich nicht als Angehörige, sondern als "Klientin" gemacht...

Viel Einbeziehung meiner Angehörigen habe ich mir damals zu Beginn meiner Therapie gar nicht gewünscht, nur eine gewisse Aufklärung über das Wesen meiner Krankheit und ein paar Verhaltensregeln für die "lieben" Angehörigen, damit sie nicht alles noch schlimmer machen. Ich selbst konnte damals keine Krankheitsaufklärung betreiben und auch keine Verhaltensregeln aufstellen, weil mir gar nicht wirklich bewusst war, was ich eigentlich brauchte: Ruhe und Zeit für mich. Meine Angehörigen waren zu einem solchen Gespräch auch bereit, nur leider hat sich mein damaliger Therapeut strikt geweigert, ein solches Gespräch zu führen. Und ich dusselige Kuh habe auch noch darauf vertraut, daß er dafür schon wichtige Gründe haben würde.

Es kam dann so, wie es kommen musste: Meine Angehörigen machten (unwissenderweise) so ziemlich jeden Fehler, den sie machen konnten und verschlimmerten damit alles in erheblichem Maße, während ich selbst die ganze Zeit über nicht in der Lage war zu sagen, was ich wirklich brauchte, weil der Stress, den meine Angehörigen veranstaltet haben, mich immer weiter davon abhielt, mich mal wirklich nur mit mir selbst zu beschäftigen. Ein Teufelskreis...

Auch in der Therapie kam da nicht wirklich was zustande, es drehte sich immer nur um meine frühe Kindheit, für die ich aber angesichts der akuten Familienprobleme so rein gar keinen Sinn hatte. Es folgte ein jahrelanger Kampf im Nebel: Angehörigenterror auf der einen Seite, Sigmund Freuds tolle Theorien auf der anderen Seite und ich - ohne jeden Bezug zu mir selbst und meinen eigentlichen Bedürfnissen - mittendrin. Eigentlich hätte ich nur ein klein wenig Ruhe und Zeit für mich gebraucht, was mir aber noch immer nicht wirklich bewusst war. Dieses Bewusstsein kam erst, als dann nach einigen Jahren ein Angehöriger wegen Trennung "ausfiel" und damit der alltägliche Druck auf mich abnahm...

Heute frage ich mich nun, ob das so wirklich nötig war. Eine zerstörte Ehe, ein noch immer extrem schwieriges Verhältnis zu meinen Eltern und vor allem: Ich brauche jetzt wohl noch eine Therapie, um die Folgen der ersten Therapie zu bewältigen - zusätzlich zu den Problemen, wegen denen ich ursprünglich die Therapie begann, die sind nämlich noch immer eine Baustelle... Und das alles nur wegen irgendwelchen dämlichen psychotherapeutischen Prinzipien, die aus der Zeit um 1900 stammen. Sorry, aber da komme ich nicht hinterher... Ein klein wenig Aufklärungsarbeit meines damaligen Therapeuten hätte mir und meinen Angehörigen mit ziemlicher Sicherheit eine Menge Leid erspart.

LG

Nemesis
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Beitrag Sa., 04.07.2009, 23:30

Hallo Nemesis,

danke auch an dich für deinen Erfahrungsbericht. Genau das ist es ungefähr, was ich befürchte. Wobei da sicherlich mehr schief gelaufen ist. Mich interessierte daher also u.a. ob das so eher die Norm ist, oder eher "schlechte Ausnahmen". Ich kann ja nur auf meine eigenen Erfahrungen (und Ängste) zurück blicken.

Du sprichst sehr schön einen Punkt an: Dass der/die Betroffenen zwar vielleicht "reden" können, aber keinen Bezug zu sich haben, also von selbst oft gar nicht darauf kommen. Wenn also der Therapeut stets wartet, bis der Klient von sich aus... bis dahin hat sich manchmal (je nach Einzelfall) schon das eine oder andere verschlimmbessert.

Valeé machte recht deutlich, dass die Angehörigen quasi
a) für sich alleine verantwortlich sind
b) sich selbst darum bemühen müssen

Nur, wer hat schon Ahnung davon? Und welche Angehörige sind schon "gesund" und "stabil" oder "aufgeklärt" genug? Abgesehen von der Bereitschaft, die ja schon angesprochen wurde.
Nicht selten geht die Situation schon ziemlich lange, bevor jemand zur Therapie geht, nicht selten sind die Angehörige EBENSO HILFLOS wie die Betroffenen selbst. Aber erst wenn sie wirklich selbst krank genug sind, um selbst einen eigenen Therapeuten zu suchen... wird ihnen geholfen. Also, erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.

Ich habe oft den Eindruck, dass es mir noch ZU GUT geht oder ging, als dass ICH Anspruch auf Hilfe gehabt hätte.

Eine weitere Befürchtung ist oder war für mich stets die: Wie sinnig ist es, wenn Mann und Frau zu getrennten Therapeuten geht, jeder sich UM SICH KÜMMERT, und am Ende möglicherweise der eine Therapeut in die richtig "zieht", der andere "in die Richtung".
Ich stellte mir dann immer zynisch folgende Situation vor: Ein streitendes Ehepaar auf dem Sofa.
SIE: "MEIN Therapeut sagt, dass du vermutlich..." ER: "Aber MEIN Therapeut sagt, dass DU..."
Wäre doch "super", gell? Und das kann mir keiner weißmachen, dass Therapeuten nicht ihre Einschätzung der Situation abgeben. Und Klienten nicht vertrauensvoll dazu neigen, dies als "absolute Wahrheit" anzusehen. Das ganze Forum hier quillt über vor solchen Beispielen.

---

Noch ein persönliches Beispiel:
Dem aktuelle Thera (VT) meines Ex scheint daran gelegen zu haben, meinen Ex darin zu unterstützen mit mir wieder "in Kommunikation zu geraten." Was ich schön finde. Ganz klar. Zitat Ex: "Er hat mir in den A*** getreten." Dummerweise kamen dann aber bei dem Gespräch so typische Thera-Sprüche von meinem Ex, ich sag mal Floskeln, die sicherlich absolut gut gemeint waren und im normalen Fall auch angemessen... aber bei uns völlig fehl am Platz. Kurz gesagt: Der Schuss ging völlig nach hinten los! Hat die Situation nur noch verschlimmert!
Absolut bedauerlich, wenn alle Beteiligten wollen, aber AUS VERSEHEN mangelns fehlendem Infos/Input es genau das Gegenteil bewirkt.Am Ende steigt nur der Therapiefrust, und ich gehe mal davon aus, dass es für einen Therapeuten auch nicht gerade befriedigend ist, wenn man sich ewig lang um den Klienten bemüht, aber alles, was man macht aus "irgendeinem komischen Grund" falsch ist...

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nemesis
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Beitrag So., 05.07.2009, 03:50

Hallo Gothika!

Aus meiner heutigen Sicht ist die psychische Erkrankung eines Familienmitglieds - von akuten, schweren Traumatisierungen wie Geiselnahmen, Vergewaltigungen, plötzlichen Todesfällen oder dergleichen abgesehen - in den meisten Fällen ein Zeichen dafür, daß das ganze Familiensystem krank ist, jedenfalls in Bezug auf die Herkunftsfamilie. Es ist nie so, daß nur der, der zuerst eine Therapie anfängt, "krank" ist und alle anderen sind völlig gesund. Er muss nicht mal "am kränksten" sein, er hat nur als erster begriffen, daß er was tun muss. Leider fördert aber die übliche "Isolationstherapie" genau diese Sichtweise bei den Angehörigen: Der "Kranke" wird als Projektionsfläche benutzt, um die eigenen Probleme nicht sehen zu müssen und die "heile" Familienwelt bleibt unangetastet. Von daher kann man davon ausgehen, daß die wenigsten Angehörigen aus der Herkunftsfamilie "gesund", "stabil" und "aufgeklärt" genug sind, um sich für sich selbst um die richtige Hilfe zu kümmern. Wären sie das, dann wäre der "Haupt-Patient" gar nicht erst krank geworden. Kein Mensch wird in einem gesunden und stabilen Familienumfeld einfach so aus heiterem Himmel psychisch krank.

Bei Partnerinnen und Partnern denke ich, daß diese Projektion auch bestehen kann: "Wenn ich mich um Dich kümmere, dann brauche ich mich nicht mit mir auseinanderzusetzen." - manche Menschen suchen sich (un-)bewusst Menschen mit Problemen, um die dann anstelle von sich selbst zu "heilen". In meiner Beziehung war das definitiv so. Aber das ist wohl eher die Ausnahme, meist ist es wohl so, wie Du schon geschrieben hast: "Mir geht es ja gar nicht so schlecht (wie meinem Partner), also habe ich gar keinen Anspruch auf Hilfe.".

Aber auch wenn Angehörige sich selbst Hilfe suchen, kann das voll daneben gehen, denn:

Deine Befürchtung in Bezug auf getrennte Therapeuten für (Ehe-)Partner kann ich absolut unterschreiben. So richtig chaotisch wurde hier alles erst, als wir beide einen "eigenen" Therapeuten hatten. Auf einmal wurde ich von zwei Seiten "therapiert"... Am Ende war es so schlimm, daß bei mir sogar übereinandergeschlagene Beine oder verschränkte Arme "gedeutet" wurden: "Jetzt nimmst Du wieder eine abwehrende Haltung ein und ziehst Dich zurück!". Da hatte wohl jemand den Sinn seiner Therapie etwas falsch verstanden... Das schlimmste war aber, daß echte Kommunikation untereinander immer unmöglicher wurde, trotz intensiver Bemühungen meinerseits, dies zu verhindern. Am Ende sprach jeder nur noch mit seinem Therapeuten. Und wenn ich meine Erfahrungen aus meinen Therapiegesprächen mit all den unqualifizierten Unterstellungen meines Therapeuten in Bezug auf meinen Partner mal auf die andere Seite übertrage, dann ahne ich, warum die Beziehung kurze Zeit später total in die Brüche ging und ich sozusagen "kurzfristig ersetzt" wurde.

Mich lässt heute der Eindruck nicht mehr los, daß meine "Ehe" mit tatkräftiger Unterstützung zweier Therapeuten (tiefenpsychologischer Ausrichtung übrigens) zu einer Art Ersatzkriegsschauplatz für verdeckte Konflikte in den Herkunftsfamilien auf beiden Seiten gemacht wurde. Es spricht jedenfalls 'ne ganze Menge dafür. Und letztlich sind (Ehe-)Partner ja auch immer tolle Sündenböcke... Leider ist dieser Eindruck recht einseitiger Natur.

LG

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Gärtnerin
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Beitrag So., 05.07.2009, 07:59

nemesis hat geschrieben:Aus meiner heutigen Sicht ist die psychische Erkrankung eines Familienmitglieds (...) in den meisten Fällen ein Zeichen dafür, daß das ganze Familiensystem krank ist, jedenfalls in Bezug auf die Herkunftsfamilie.
Mein Therapeut bezeichnete mich einmal als "Symptomträger" für das kranke Familiensystem. Das fand ich ganz aussagekräftig.
Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe.

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Valentine
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Beitrag So., 05.07.2009, 08:38

nemesis hat geschrieben:... Ersatzkriegsschauplatz für verdeckte Konflikte in den Herkunftsfamilien auf beiden Seiten gemacht wurde.
Sollte eine Therapie nicht dabei helfen genau das bewußt zu machen und zu vermeiden?
Um im Partner 'den Feind aus der Kinderzeit' zu sehen brauche ich keinen Therapeuten, das konnte ich immer schon. Wichtig wäre doch zu sehen, dass der 'Kampf' doch einem anderen gilt als dem Partner, bzw. der ja gar nichts tut dieses extreme Kriegspielen heraus zu fordern. Mir jedenfalls hat das 'hinschauen lernen' was ich da tue geholfen. Dazu musste der Partner sich nicht ändern und auch sonst nichts dazu tun.
LG Valentine

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nemesis
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Beitrag Mo., 06.07.2009, 12:49

Gärtnerin hat geschrieben: Mein Therapeut bezeichnete mich einmal als "Symptomträger" für das kranke Familiensystem. Das fand ich ganz aussagekräftig.
Ja, "Symptomträger" ist gut, das trifft genau das, was ich meine.
Valentine hat geschrieben::neutral: Sollte eine Therapie nicht dabei helfen genau das bewußt zu machen und zu vermeiden?
Eigentlich sollte eine Therapie dabei wohl helfen... Leider (aus heutiger Sicht) war mein Ex-Therapeut ein total überzeugter "Freudianer", der mir bestenfalls irgendwelche "abgefahrenen" triebtheoretischen Deutungen lieferte, mit denen ich aber absolut nichts anfangen konnte, weil ich diese ganze Triebtheorie sehr fragwürdig finde. Das wiederum deutete mein Therapeut als "Abwehr", weshalb er nur noch mehr versuchte, mir seine triebtheoretischen Deutungen "einzuimpfen". Daß nebenbei mein reales Leben kaputt ging, störte ihn nicht weiter... Gemerkt habe ich das leider erst viel zu spät, weil ich immer dachte, daß an dem, was er sagt, ja doch wohl irgendwie was dran sein muss und daß nur ich irgendwie "bockig" bin.

LG

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Beitrag Mi., 08.07.2009, 16:30

Nochmals herzlichen Dank für die vielen Antworten. Vielleicht sollte man den Threadtitel ändern in "Einzeltherapie - Fluch oder Segen?"

Hab so manche Argumente erstmal setzen lassen.
Im Endeffekt steht es ungefähr 50 zu 50 mit den Meinungen und Erfahrungen. Ich bin mir nun recht sicher, dass nicht nur der Einzelfall entscheidend ist, sondern auch die Therapieform.

Ich würde also spontan meine Eingangsthese dahin korrigieren, dass ich vor allem die (freudianische) Tiefenanalyse als Riskiofaktor in diesem Zusammenhang betrachte.
Aber das ist nur eine erste Annäherung, noch weit von einem endgültigen Fazit entfernt.

So ganz kann ich das Thema noch nicht loslassen, obwohl ich ja offiziell seit ca. 18 Monate keine "Angehörige" mehr bin. Wäre schön, wenn es so einfach wäre: Schalter umlegen und alles weg. So ist es aber nicht.

Eine Sache haben mir die Beiträge hier auf jeden Fall klar gemacht, trotzdem gelingt es mir nicht, meine Befürchtungen abzuschalten. Diese Befürchtungen sind mittlerweile nicht mehr von Sorge um den Ex motiviert, sondern aus puren Selbstschutz. Und sie ist ganz konkret, dass ich große "Furcht" (?) davor habe, dass dem aktuellen Therapeuten der Mißstand doch noch auffallen könnte und ich eines fernes Tages doch noch kontaktiert würde. Diese Befürchtung hat bisweilen fast das Niveau von Zwangsgedanken, aber nur fast.
Jetzt weiß ich, dank der Argumente hier, dass dies ganz sicher nicht geschehen wird. Danke.

Trotzdem erlebe ich heute wieder so einen Tag, wo ich völlig in dem Gedankenkarusell gefangen bin, ich mich frage: "Wie würde ich reagieren, wenn ich JETZT direkt oder indirekt gefragt würde?" Eigentlich ist vollkommen klar, dass ich jetzt definitiv nicht mehr bereit dafür bin, keinerlei Sinn darin sehe und es mich selbst zu sehr belasten würde. Trotzdem kann ich nicht aufhören, im Geiste immer wieder die Argumente durchzugehen.

Ein Grund könnte ein "schlechtes Gewissen" sein. Ich bin immer noch überzeugt, dass in diesem speziellem Fall (mein Ex) es so nicht wirklich was werden kann, egal wie bemüht alle Beteiligten sind. Dass - so wie es jetzt geht - einiges schief geht, ohne dass es irgendeiner Böse meint. Gut, das geht mich nichts mehr an. Sollen sie doch allen lächelndes Augen in die Kreissäge laufen. Nicht mein Bier. Oder so ähnlich.

Es erübrigt sich, wenn man sich daran erinnert, dass mein Ex einmal als "nicht therapierbar" und einmal als "sehr schwer therapiebar" diagnostiziert wurde. Jemand ist, der eine ständige Einnahmequelle ist und der es einem einfach macht. Ist also völlig wurscht, mit welcher Therapie und aus welchen Gründen es scheitert. Eigentlich könnte man es auch ganz sein lassen. Die Option "Heilung" scheint nicht im Raum zu stehen... Ob mit oder ohne Angehörigen, er übersteigt die Grenzen diesse Systems, fällt durch die Maschen durch.

Dennoch erhöht es eben nicht gerade mein Vertrauen in das psychotherapeutische-psychologische Hilfsnetzwerk. Das ist EINER der Punkte, die mich also quasi selbst betreffen. Das Mißtrauen wächst, die Hoffnung sinkt.

Das andere ist eben das schlechte Gewissen. Ich bin also einerseits überzeugt, so wird niemals ein Schuh draus und dass meine Mithilfe unbedingt erforderlich gewesen wäre. (Man beachte die Vergangenheitsform!). Aber ich habe eben immer noch diese wohl unberechtigte Angst, dass doch noch mal die Nachfrage kommt, und wenn ich dann nach aktuellem Stand der Dinge eiskalt meine Mithilfe verweigere (mitterweile!!!! Nach x Jahren!), käme ich mir vermutlich ziemlich schäbig vor.

Ja, ihr habt mich überzeugt, dass dies eine völlig unberechtige Befürchtung ist.
Aber offenbar nagt das Gewissen immer noch an mir. Zumal ich ja durchaus JETZT vielleicht noch etwas bewirken KÖNNTE, wenn ich mich wirklich darum bemühen würde... aber schon aus Selbstschutzgrunden kommt dies nicht mehr in Frage. Aus. Vorbei. Soll er sich doch sein eigenes Grab schaufeln. Geht mich nichts mehr an. So zumindest denke ich, möchte ich es mit aller Gewalt sehen. Und hab mir das auch mühsam eingeredet. Aber dass dem noch nicht wirklich so ist, ist eindeutig, wenn man sieht, wie oft dieses Gedankenkarusell noch angestoßen wird.

Letztendlich versucht ein Teil von mir immer noch zu verstehen, was da für ein Film gelaufen ist, wieso man nie wirklich die "richtige Hilfe" fand. Dass man einfach so oft "Pech gehabt" haben sollte, das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Und das führt eben zu generellen Zweifeln am System.

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Beitrag Di., 21.07.2009, 17:44

Nochmals ich.

Gestern hörte ich die Geschichte vom engen Arbeitskollegen meiner Freundin. Nachdem er einen Nervenzusammenbruch hatte und in einer Entgiftungskur wegen Alkohol kam, hat er

...einen Betreuer, der sogar in die Firma kommt und mit den Arbeitskollegen redet

... eine Thera, die zu ihm nach Hause kommt um ein klärendes Gespräch mit seinen Eltern zu führen, und als dies nicht half, half sie tatkräftig mit, dass er eine eigene Wohnung findet

... eine Thera, die sogar zum gemeinsamen Gespräch mit den Arbeitskollegen einlädt

Kurz: Da wird man doch richtig neidisch, oder? Aber es scheint ja die absolute Ausnahme zu sein. Und da man selbst Hilfe sucht, lautet ein möglicher Schluss wohl erneut: Man ist wohl nicht krank genug, als dass man solche Hilfe bekommt. Jemanden, der man dafür bezahlt, dass er nur zuhört, ist alles, was möglich ist? *Zynismus*

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wetterwax
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Beitrag Di., 21.07.2009, 18:26

Gothika hat geschrieben:Nochmals ich.

Gestern hörte ich die Geschichte vom engen Arbeitskollegen meiner Freundin. Nachdem er einen Nervenzusammenbruch hatte und in einer Entgiftungskur wegen Alkohol kam, hat er

...einen Betreuer, der sogar in die Firma kommt und mit den Arbeitskollegen redet

... eine Thera, die zu ihm nach Hause kommt um ein klärendes Gespräch mit seinen Eltern zu führen, und als dies nicht half, half sie tatkräftig mit, dass er eine eigene Wohnung findet

... eine Thera, die sogar zum gemeinsamen Gespräch mit den Arbeitskollegen einlädt

Kurz: Da wird man doch richtig neidisch, oder? Aber es scheint ja die absolute Ausnahme zu sein. Und da man selbst Hilfe sucht, lautet ein möglicher Schluss wohl erneut: Man ist wohl nicht krank genug, als dass man solche Hilfe bekommt. Jemanden, der man dafür bezahlt, dass er nur zuhört, ist alles, was möglich ist? *Zynismus*
Na, ich würde mich schön bedanken, wenn meine Therapeutin in die Firma maschiert und meinen Chef über meine Depression und meine sonstigen Probleme aufklärt - das kann ja nicht wahr sein
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Beitrag Di., 21.07.2009, 19:06

Das war selbstredend nach Absprache und Wunsch des Klienten, das versteht sich natürlich von selbst!

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wetterwax
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Beitrag Di., 21.07.2009, 20:32

Gothika hat geschrieben:Das war selbstredend nach Absprache und Wunsch des Klienten, das versteht sich natürlich von selbst!
ok, na dann ... ich habe aber den Eindruck, dass es dir nicht immer um die "Freiwilligkeit" bzw "Einwilligung" des Patienten ging.. sondern mehr um die prinzipielle Einbeziehung und Information des Umfeldes wie Familie, ect. in eine Therapie

derartige Interventionen auf Wunsch des Patienten sind wohl in Ordnung, auch wenn ich es nicht goutieren würde

lg
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