Wie lassen sich Psychotherapieschäden verhindern?

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StefanM
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 11:37

Hi Saul,
Saul hat geschrieben:
StefanM hat geschrieben:Also überspitzt gesagt der Patient eigentlich genauso gut den Therapeut therapieren könnte.
Dieser Aussage würde ich aus eigener Erfahrung sogar zustimmen. (...)

Diese Therapie damals hat sehr an Professionalität eingebüßt. Dafür wurde es von Sitzung zu Sitzung menschlich "wärmer". Dennoch bekam ich von Zeit zu Zeit das Gefühl, ihm in mancherlei Hinsicht überlegen zu sein. Ich mochte ihn wirklich sehr - als Mensch. Doch er war aus meiner Sicht selbst ein Häuflein Elend und ich hätte damals tatsächlich einen selbstsicheren, professionellen Menschen an meiner Seite gebraucht.
Ich finde, das ist eine spannende Erfahrung, die Du da beschreibst.

Weil ich in genau dieser Situation meine "Erstgespräche" mit Therapeuten wiedererkenne, spinn ich das mal weiter... Was wäre, wenn genau die Situation, die Du da beschreibst, das frühkindliche Trauma des Patienten ist? Der Wunsch, einen "selbstsicheren Menschen an seiner Seite zu haben"? Man stattdessen aber eine "Struktur" (Therapie-Setting) vorgesetzt bekommt, die hohl bleibt, weil derjenige, der für die Ausfüllung dieser Rolle zuständig ist, überfordert ist, schwach ist. Und dann womöglich noch jede Regung des Patienten, die sich gegen diesen Missstand wendet, mit Rationalität, Argumenten, Schuldzuweisungen gekontert wird, so wie in Deinem zweiten Beispiel (und anderen Erfahrungen, die hier berichtet wurden).

Zugleich aber diese Form des "Diskutierens" der einzige Weg des "Patienten" ist, mit dem Therapeuten in Kontakt zu kommen? Weil er dann endlich emotional wird und in der Verteidigung nun doch in irgendeiner Form zu dem Patienten Stellung bezieht.

Wieder mal nur so ins Blaue hinein. Ich bin wie gesagt immer noch am Rumbroten darüber, was mich an diesem Konzept der PT eigentlich selbst so bewegt, dass es mich nicht loslässt, die Gedanken sind sozusagen erst im Werden begriffen. Ich stelle allerdings fest, dass da "irgendwas dran sein muss". Denn auf die paar "Erstgesprächs-Erfahrungen", die ich habe, habe ich persönlich immer so emotional reagiert, dass das rein rational nicht zu erklären ist...

LG, Stefan
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münchnerkindl
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 11:39

Saul hat geschrieben:
Flugente hat geschrieben:Das gleiche wie in der Medizin, wir lachen heute über die Methoden von vor über hundert Jahren und denken: man waren die doof damals, die haben mit Aderlass gearbeitet und im Wohnzimmer operiert, aber die damals waren auf dem neuesten Stand der Wissenschaft.
Sicher, in der Psychologie wird sich noch viel tun. Wäre ja auch ein Jammer, wenn sie bereits an ihre Grenzen gestoßen wäre. Schon alleine neue Erkenntnisse der Hirnforschung werden die Psychologie stark beeinflussen.
Das Problem hier ist nur daß sehr viel an der persönlichen, menschlichen Qualifikation des Therapeuten liegt, und nur ein Teil an dieser oder jener therapeutischen Methode.

Die besste therapeutische Methode wird nichts bringen wenn der Mensch der sie ausübt egozentrisch motiviert und unempathisch ist.

Und diese "soft skills" kann man weder so einfach lehren, noch bei der Prüfung zur Zulassung testen. Und da der Haken der Psychotherapie daran liegt wird sich an der Qualität der Therapie auch nichts ändern.

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kamikatze
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 11:39

ja, das verstehe ich. bei dir ists das sicherheitsbedürfnis.
mag aber sein, dass sich dies mit einem anderen ziel nicht vereinbaren lässt, je nach dem.

das beispiel mit seelöwe kann ich gut nachvollziehen.
Ich rotiere höchstens,
wenn ich Opfer des Rotationsprinzips werde...

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münchnerkindl
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 11:43

MinaM hat geschrieben: Kommen wir zurück zur Therapie, wie viel Schadensquote hält die Psychotherapie gerade noch für vertretbar? Hat sie sich jemals überhaupt mit dieser Frage beschäftigt?
Hier ist eben das Problem daß es hier um die Schadensquote einzelner Therapeuten geht und ich nicht glaube daß ein generell empathisch gesinnter und menschenfreundlicher Therapeut einem Klienten schadet. Weil so eine Person hat so viel persönliche Anteilnahme daß sie es bemerkt wenn etwas der Verfassung des Klienten schadet und wird es unterlassen.

In den Händen der falschen Person ist immerhin auch ein Brotmesser eine gefährliche Waffe. Von daher denke ich daß jede psychotherapeutische Methode in den Händen einer verdreht motivierten Person Schaden anrichten kann.

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Flugente
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 11:53

kamikatze hat geschrieben:ja, das verstehe ich. bei dir ists das sicherheitsbedürfnis.
Hm, leider hast du es nicht verstanden

Mir persönlich ist das egal, ich weiß, dass ich mich selber wehren kann und mich von einer schädlichen Therapie einfach trennen würde

Und ich persönlich poche immer noch auf die Eigenverantwortung eines jeden. Aber stets wenn ich in diesem Forum das böse E-Wort benutze wird mir (meist leicht agressiv) entgegengehalten, ob ich es mir vorstellen kann, dass es Menschen gibt, die auf Grund ihrer psychischen Verfassung nicht in der Lage sind, sowas wie Eigenverantwortung zu ergreifen.

Nun, auf diese und weitere Empfindungen, z.B. warum sich manche trotzdem es ihnen schlecht geht nicht von ihrem Thera lösen können, bin ich mit meinem Vorschlag eingegangen.
Eisberg voraus!

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münchnerkindl
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 11:54

Flugente hat geschrieben:
Wenn das wirklich so wäre, dann wäre die Psychotherapie ausgestorben, denn nochmal, es ist immer noch eine freiwillige Sache und die Mehrheit der Klienten würde sowas nicht lange mitmachen. Es ist nicht so wie bei der Schulpflicht.
Anders als bei der Schule treibt aber in den meisten Fällen ein verzweifelter Leidensdruck die Leute zum Therapeuten, weil ich mal vermute daß die Hemmschwelle sich wegen psychischen Problemen Hilfe zu suchen immer noch recht hoch ist.
Und wenn Psychotherapie der einzige Strohhalm ist der auf diesem grossen Ozean rumschwimmt der sowas wie Hoffnung verheisst und die Klienten durch ihr Leiden auch in ihrer Fähigkeit die Sache erstmal von allen Seiten zu betrachten eingeschränkt sind.

Wenn ich Kopfweh habe und der Arzt sagt mir, "hey, nimm eine Aspirin, das hilft" und ich schlucke die, dann glaube ich doch auch erstmal an den Arzt und an die Medizin, oder? Und erst wenn die nicht hilft, oder wenn mir kotzübel wird davon fange ich an mich zu fragen ob das wirklich hilfreich war.


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Jenny Doe
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 11:55

Hallo Fugente,
Bei euch hört sich das meistens so an, als wäre für euch der Standard, dass Therapeuten stur, schemahaft und über den Individualismus des Klienten drüberfahrend, nur um ihr Programm durchzuziehen, vorgehen.
Bei mir war es genauso. Trotz meiner Rückmeldung, dass sie mir schadet, machte sie stur weiter mit denselben Methoden.
So einfach ist das oft nicht, die Therapie einfach zu beenden. Warum ich geblieben bin, habe ich ja bereits ausführlich in diesem Thread (Teil 1) erklärt.
Dieser Therapeut war noch in Ausübung unter Supervision. Wie kommt es, dass der Therapeut diese Spielchen spielen kann und keiner bekommt es mit, außer der Patientin?
Vielleicht, weil der Supervisior das selbe Spielchen spielt oder den Therapeuten gar erst dazu anleitet? Ich habe ja die Supervisorin (+ PA-Ausbilderin) meiner Therapeutin kennen lernen "dürfen" und sie fuhr die selbe Schiene, wie meine Therapeutin (siehe mein Erfahrungsbericht). Meine Therapeutin kam mehrmals an und erklärte ihr, ihre Supervisorin (die mich bis dato nicht einmal persönlich kennen gelernt hatte) hätte dies und jenes gesagt. Und sie tat, was ihr Supervisorin ihr gesagt hatte, trotz meiner Rückmeldung, dass ich das nicht möchte oder, dass mir das nicht gut tut.
Was spräche dagegen, dass ein Klient regelmäßig z.B alle ein oder zwei Monate zu einer Art Therapiestatusgespräch ginge?
Für mich spräche nichts dagegen. Bedenken habe ich z.B. bei klienten, denen es ohnehin schon schwer fällt, ihrem Haupttherapeuten zu vertrauen. Wenn die dann zu noch einem müssten, ..

Meine Vorstellung geht in die Richtung, dass nicht nur der Therapeut einen Bericht an den Gutachter schreiben muss, sondern auch der Klient (dasselbe beim Verlängerungsantrag) und einen Abschlussbericht. So ließen sich Diagnosen, Therapiemethoden, Therapieerfolge usw. besser überprüfen.
Ich habe das mit dem Gutachter meiner derzeitigen Therapeutin gemacht. Ich habe meine Therapeutin gebeten, den Gutachter auf meinen Bericht zu verweisen, was sie auch getan hat. Meine Therapeutin hat mir stets ihre Berichte und die Rückmeldungen des Gutachters kopiert und ist sie mit mir durchgegangen. So konnte ich sie im Falle von Missverständnissen korrigieren oder ihr einiges näher erklären, ... Der Gutachter konnte so konstruktive Anregungen geben, ... Fand ich eine sehr gute Sache, die allen Beteiligten zum gegenseitigen Verstehen weiter geholfen hat.

Gruß
Jenny
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

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münchnerkindl
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 11:57

Flugente hat geschrieben: Nun, auf diese und weitere Empfindungen, z.B. warum sich manche trotzdem es ihnen schlecht geht nicht von ihrem Thera lösen können, bin ich mit meinem Vorschlag eingegangen.
Hm, und warum können sich dann viele Menschen nicht von ihrem Partner oder Job der ihnen schadet trennen?

Die dependente Persönlichkeitsstörung ist immerhin eine anerkannte psychische Krankheit....

Ich gehe also wegen dieser Persönlichkeitsstruktur zum Therapeuten und anstatt daß mir der da raushilft bleibe ich wieder in einer unheilsamen Beziehung kleben...

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Flugente
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 11:58

Münchnerkindl, ich hab das Gefühl, du liest immer einen Beitrag, antwortest darauf, dann liest du den nächsten Beitrag, antwortest darauf usw. Dadurch entgeht dir zeitweise, dass die Diskussion dann weiterging und gehst auf Aussagen ein, die bereits zwei Beiträge weiter schon konkretisiert wurden

Also wenn du weiterliest, dann siehst du, dass ich auf das Thema "was könnte Menschen helfen, die so fertig sind, dass sie sich nicht selbst helfen können" eingegangen bin.
Eisberg voraus!

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Flugente
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 12:05

münchnerkindl hat geschrieben:Hm, und warum können sich dann viele Menschen nicht von ihrem Partner oder Job der ihnen schadet trennen?
Es gibt eine Liste von Kontraindikationen für eine ambulante Psychotherapie. Liegt dann in diesem Fall wieder an dem jeweiligen Psychotherapeuten, einen Patienten, der z.B. schwere Abhängigkeitstendenzen aufweist dementsprechend weiterzuleiten. Bzw. ist es bei Patienten, die eine schwere Abhängigkeitstendes aufweisen angezeigt, die Therapie so zu gestalten, den Patienten zur Eigenständigkeit zu führen.

Aber du hast ja schon richtig gesagt, was helfen uns hier unsere schlauen Erkenntnisse und Vorschläge, wenn es letztendlich allein an dem MENSCH Therapeut liegt, ob eine Therapie gut oder schlecht verläuft.

Jenny, an deinen Beitrag, warum du dich nicht lösen konntest hab ich auch gedacht bei meinem Modell "Supervision für den Patienten". Du schreibst, du hast im Grunde selbst erkannt, dass diese Therapie dir schadet und wurdest mit den Gegenargumenten der Therapeutin gestoppt. Wie wäre es für dich gewesen, wenn du eine (von deiner Therapeutin unabhängige) Anlaufstelle gehabt hättest, bei der du dich austauschen hättest können, deine Bedenken vorbringen und dir eine Rückmeldung holen hättest können? Könntest du dir vorstellen, dass du dann nicht so derartig weit in den Sumpf hineingeraten wärst?
Eisberg voraus!

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MinaM
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 12:11

Hallo Petra,
Von daher denke ich daß jede psychotherapeutische Methode in den Händen einer verdreht motivierten Person Schaden anrichten kann.
Das sehe ich anders und ich sehe das Problem nicht hauptsächlich personenabhängig (am Therapeuten liegend), sondern schon in den Methoden (die letztlich bislang ungeprüft sind) liegend. Das eine u.U. falsche Methodik auch noch von einer verschrobenen und ungeeigneten Person angewandt wird, setzt dem ganzen natürlich noch die Krone auf.
Die besste therapeutische Methode wird nichts bringen wenn der Mensch der sie ausübt egozentrisch motiviert und unempathisch ist.
Umgekehrt gilt das auch, der beste, einfühlsamste Therapeut wird nichts bringen, wenn die Methodik die er anwendet letztlich falsch ist und kontrainduziert.

Als Alternative scheinen sich Viele vorzustellen, es gibt gar keine Methoden mehr, jeder Therapeut agiert individuell und der jeweiligen Situation entsprechend verschieden, und diese unterliegt wiederum der subjektiven Einschätzung des Therapeuten.
Aber da stellt sich doch die Frage, was man daran dann noch als Therapie bezeichnen kann? Das könnte genauso gut ein Freund oder eine andere Person der Vertrauens bewerkstelligen, sich individuell auf mich einstellen und mir in der spezifischen Situation entsprechend Ratschläge geben.


Und Jennys Argument, Therapie hilft dann halt jemanden, der keine Vertrauenspersonen im Leben hat, da könnte man auch Fragen, ob sich diese Person nicht genauso gut mit seinem Problem an die Seelsorge wenden könnte?

lg
MinaM
Zuletzt geändert von MinaM am Sa., 24.01.2009, 12:23, insgesamt 1-mal geändert.
Nichts bereuen ist aller Weisheit Anfang.
- Ludwig Börne

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Flugente
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 12:23

Jenny Doe hat geschrieben:Für mich spräche nichts dagegen. Bedenken habe ich z.B. bei klienten, denen es ohnehin schon schwer fällt, ihrem Haupttherapeuten zu vertrauen. Wenn die dann zu noch einem müssten,
Darf ich fragen, wie du zu dieser Therapeutin kamst? Bei mir z.B. war es so, dass ich mir ein paar Therapeuten angesehen habe. Als ich mich für eine entschieden habe, haben sie mich in der Klinik gefragt, wer ist das, was macht sie etc. Letztendlich habe ich dann das unverbindliche OK bekommen, dass ich zumindest mal in die richtige Richtung gehe. Vielleicht sollte man einen gewissen Teil von Patienten schon bei der Therapeutensuche nicht alleine lassen.
Eisberg voraus!

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Saul
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 13:40

Hi Stefan,
StefanM hat geschrieben:Was wäre, wenn genau die Situation, die Du da beschreibst, das frühkindliche Trauma des Patienten ist? Der Wunsch, einen "selbstsicheren Menschen an seiner Seite zu haben"?
Mir ist leider nicht ganz klar geworden, auf was du hinauswillst. Würde mich freuen, wenn du hier noch etwas mehr in die Tiefe gingest! Inwiefern glaubst du eine Korrelation zwischen "frühkindlichem Trauma" und dem Wunsch nach einem "selbstsicheren und professionellen Menschen" zu erkennen?
StefanM hat geschrieben:Wieder mal nur so ins Blaue hinein. Ich bin wie gesagt immer noch am Rumbroten darüber, was mich an diesem Konzept der PT eigentlich selbst so bewegt, dass es mich nicht loslässt,
Vielleicht bewegt dich das Konzept der Psychotherapie vor allem aus dem Grund, daß du mit jemandem sprichst - anders als mit einem Freund - der schon allein aus Berufsgründen (im Normalfall) ein weitaus höheres persönliches Abgrenzen anstrebt. Dieses Wechselspiel zwischen Menschlichkeit und Professionalität ist jedenfalls für mich das Bewegende, wenn ich an Psychotherapie denke. Denn im Idealfall mutet so eine Therapie an, wie eine völlig abstrakte soziale Situation, die im Alltagsleben so nicht vorkommt. Wenn der Therapeut professionell ist (und bleibt), dann muß der Klient den Eindruck haben, eher einen Spiegel als einen Menschen vor sich sitzen zu haben. Ich denke, das Besondere an dieser speziellen Face-to-Face-Situation ist, daß der Klient wenigstens gerne mit dem Therapeuten auf Augenhöhe wäre - dies aber in den seltensten Fällen wirklich sein kann.

Mein damaliger Therapeut war zur Zeit meiner Therapie gerade in einer schwierigen Phase der Trennung von seiner Frau. Weil ich das wußte, und um ein Gleichgewicht zu schaffen, habe ich diesen Angriffspunkt damals wohl ausgenutzt. Wenn er am Anfang der Sitzung fragte, wie es mir denn heute so ginge, so fragte ich zurück. Er erwartete von mir Ausführlichkeit bei der Antwort und auch ich wollte mich nicht mit einer knappen Antwort zufrieden geben - gerade weil ich ihm anmerkte, daß es ihm nicht gut geht. Deshalb erwartete ich im Gegenzug auch Ausführlichkeit von ihm. Mir war klar, daß ich ständig seine professionellen Grenzen überschreite - aber er hatte sich darauf eingelassen. Im Endeffekt kam ihm das vielleicht mehr zugute als mir.

Er war für mich einfach ein unprofessioneller Mensch. Nicht selten kamen seine beiden Töchter in den Gesprächsraum und erzählten ihrem Vater erstmal fünf Minuten lang, wie es in der Schule war. Die Sitzungen wurden auch immer wieder unterbrochen, weil er telefonierte. Das Telefon stand direkt zwischen uns auf dem Tisch, und wenn es klingelte, unterbracht er, auch dann, wenn kurz vorher ein besonders sensibler Punkt berührt war.

Ich wußte bald, daß der Zweck der Therapie nicht erfüllt werden wird. Trotzdem, weil ich diese besondere Beziehung schätzte, bin ich weiter hingegangen. Die Krankenversicherung hatte ja die Kosten übernommen. Eine effektive Therapie hatte ich mir für einen späteren Zeitpunkt vorgenommen.

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StefanM
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 16:50

Hi Saul,
Saul hat geschrieben:
StefanM hat geschrieben:Was wäre, wenn genau die Situation, die Du da beschreibst, das frühkindliche Trauma des Patienten ist? Der Wunsch, einen "selbstsicheren Menschen an seiner Seite zu haben"?
Mir ist leider nicht ganz klar geworden, auf was du hinauswillst. Würde mich freuen, wenn du hier noch etwas mehr in die Tiefe gingest! Inwiefern glaubst du eine Korrelation zwischen "frühkindlichem Trauma" und dem Wunsch nach einem "selbstsicheren und professionellen Menschen" zu erkennen?


Es liegt irgendwie an der Rollen-Zuweisung im Therapie-Setting. Wenn man mal von der Arbeitshypothese ausgeht, dass vor allem diese Rollenzuweisung wirksam ist und die Beziehung zwischen Patient und Therapeut dynamisiert, dann hast Du sofort den Bezug zur frühkindlichen Ebene. Denn der erste Bezugsrahmen, in dem Du klare Rollenverteilung lernst, ist ja die eigene Familie. Selbstsicher ist allerdings insoweit vielleicht tatsächlich nicht klar ausgedrückt. Besser müsste man formulieren: In seiner Rolle sicher (auch deswegen finde ich den Vergleich Therapeut/Schauspieler sehr interessant und erhellend).
StefanM hat geschrieben:Wieder mal nur so ins Blaue hinein. Ich bin wie gesagt immer noch am Rumbroten darüber, was mich an diesem Konzept der PT eigentlich selbst so bewegt, dass es mich nicht loslässt,
Vielleicht bewegt dich das Konzept der Psychotherapie vor allem aus dem Grund, daß du mit jemandem sprichst - anders als mit einem Freund - der schon allein aus Berufsgründen (im Normalfall) ein weitaus höheres persönliches Abgrenzen anstrebt. Dieses Wechselspiel zwischen Menschlichkeit und Professionalität ist jedenfalls für mich das Bewegende, wenn ich an Psychotherapie denke. Denn im Idealfall mutet so eine Therapie an, wie eine völlig abstrakte soziale Situation, die im Alltagsleben so nicht vorkommt.
Das hast Du sehr gut formuliert, meine Überlegungen gehen auch in die Richtung. Was immer "Therapie" im Sinne der PT ist, sie ist vor allem mal ein menschlicher Kontakt, der über bloße Zweck-Notwendigkeiten des Alltags hinausgeht. Danach scheinen wir Menschen eine unendliche Sehnsucht zu haben. Es ist so, als ob wir ein ziemlich genaues Gespür dafür hätten, dass wir in unserem Wesenskern nur bewegt werden durch eine solche Form der Kommunikation. Die PT wäre - wenn man sich auf diesen Begriff der "Zweckfreiheit", oder der "Situation, die im Alltagsleben so nicht vorkommt", wie Du formulierst einmal einlässt - verwandt mit der Liebe, auch mit der Religion. Möglich, dass auch das die Wirkungsmacht des Therapie-Szenarios mitbestimmt, in der konkreten therapeutischen Beziehung wie als abstraktes Konzept. Besonders dann, wenn es sich beim analysierenden Gespräch um ein erlerntes Ausdrucksmuster der Liebe handelt, das hierdurch getriggert wird.

Hoffe, ich drücke mich nicht zu abgespaced aus...
Ich denke, das Besondere an dieser speziellen Face-to-Face-Situation ist, daß der Klient wenigstens gerne mit dem Therapeuten auf Augenhöhe wäre - dies aber in den seltensten Fällen wirklich sein kann.
Das sehe ich anders. Ich denke, dieses "Auf-Augenhöhe sein wollen" ist häufig zunächst einmal nur Ausdruck des Sicherheits- und Kontrollbedürfnisses des Patienten in der therapeutischen Situation. Dahinter steht aber möglicherweise gerade der Wunsch, nicht auf Augenhöhe sein zu müssen, sondern der Wunsch, der Therapeut möge der ihm zugedachten Rolle gerecht werden, also so eine Art archetypischer Heiler sein. Je mehr Du aber die Rollen-Verteilung als brüchig durchschaust - so wie in Deinem Fall, wo Du ja eher den Therapeuten stützen musstest - desto mehr willst Du selbst wieder die Kontrolle über die Therapie-Situation. Weil Du ja spürst: Der Thera hats nicht im Griff. Ein echtes Dilemma...

LG, Stefan
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Jenny Doe
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Beitrag Sa., 24.01.2009, 17:24

Hallo Flugente,
Wie wäre es für dich gewesen, wenn du eine (von deiner Therapeutin unabhängige) Anlaufstelle gehabt hättest, bei der du dich austauschen hättest können, deine Bedenken vorbringen und dir eine Rückmeldung holen hättest können?
Optimal wäre das für mich gewesen. Ich hatte ja mehrere dieser Anläufe gestartet, hatte aber jedes Mal Schuldgefühle meiner Thera gegenüber. Am Ende habe ich es dann aber doch geschafft, und hatte mir woanders Hilfe geholt, wo ich mal über diese Therapie reden konnte.
Darf ich fragen, wie du zu dieser Therapeutin kamst?
Vermittelt wurde sie mir von einer Therapeutin, die mich nicht nehmen konnte. Sie gab mir dann die Adresse von der Thera.
Ich mochte diese Thera nicht, aber das war mir egal, weil ich ja nur an einem Problem arbeiten wollte und nur eine Kurzzeittherpie machen wollte. Die Beziehung zur Thera spielte für mich keine Rolle. Man sagte mir, sie wäre kompetent, und genau das wollte ich, eine kompetente Therapeutin, die mir bei diesem Problem hilft.
Und so schlitterte ich in das alles hinein.

Gruß
Jenny
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