Erkennt der Therapeut die Übertragung?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

mio
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Beitrag Do., 01.09.2016, 20:58

Lockenkopf hat geschrieben:Mutterübertragung ist wieder Fachsprache. Und bisher hat noch kein Psychotherapeut mit mir in Fachsprache gesprochen, wie ich oben schon schrieb. Genau so wenig spreche ich mit meinen Pat. in Fachsprache.

Meinem alten Psychotherapeuten habe ich in Alltagssprache Übertragungen mitgeteilt. Wie ich schon schrieb, nahm er sie schweigend zur Kenntniss.

Mein aktueller Psychotherapeut kommuniziert in Alltagssprache Übertragungen, wenn ich sie anspreche und er nicht das Objekt der Übertragung ist. Jedenfalls war es bis zur letzten Sitzung so.
Ist er das Objekt der Übertragung, versucht er diese durch Realitätsprüfung aufzulösen und geht nicht auf den biographischen Hintergrund ein. (Was mich aber nicht abhält, auf die Vergangenheit hinzuweisen.)
Irgendwie beschleicht mich der Verdacht, dass es dafür einen Grund gibt der mit Dir zu tun hat.

Meine Thera redet sehr wohl in "Fachsprache" mit mir, wenn sie weiss, dass ich sie da verstehe. Ich rede auch mit "Kunden" in Fachsprache, wenn ich weiss dass sie mich verstehen bzw. falls ich davon ausgehe, dass nicht, dann "übersetze" ich die Termini.

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Lockenkopf
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Beitrag Do., 01.09.2016, 21:39

Es macht keinen Sinn, Anweisungen in Latein auf dem Punkt zu geben, wenn diese nicht verstanden werden. Daher spreche ist deutsch, wenn ich verstanden werden will. Latein verstehen nur wenige Menschen.

Ich bin sicher, das das mein Psychotherapeut genau so sieht.
Liebe Grüße
Lockenkopf


mio
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Beitrag Do., 01.09.2016, 21:46

Na ja, zwischen "verstanden werden wollen" und einen fachlich geläufigen und korrekten Terminus zu benutzen (und gleichzeitig das dem zu Grunde liegende "Wissen" zu erklären) besteht ja ein großer Unterschied.

Ich käme mir ein wenig "klein" gehalten vor, so mir jemand so begegnet. Für mich zeichnest Du da "zwei" extreme Positionen, was mir in einer therapeutischen Beziehung eher nicht liegt.

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Lockenkopf
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Beitrag Do., 01.09.2016, 22:07

Sicher kann man erklären. Nur, was ist wichtiger? Einen für Pat. fremden Terminus zu gebrauchen und erklären oder sich um das zur Lösung stehende Thema zu kümmern? Mir als Pat. ist mein Thema viel wichtiger, als Kommunikation in Fachsprache. Sie ist mir keine Diskussion wert. Zudem bin ich in der Lage, medizinische Berichte lesen zu können. Verärgert reagiere ich, wenn man mich für doof verkaufen will. Das macht ein Th. oder Arzt nur einmal mit mir.

Wenn ich auf der anderen Seite stehe, übersetze ich Fachsprache wenn Pat., z.B. mit einem Bericht oder Verordnung kommen, mich um Übersetzung bitten.
Liebe Grüße
Lockenkopf

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mio
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Beitrag Do., 01.09.2016, 22:11

Kommt darauf an, was gewünscht wird, würde ich sagen. Mir ist da schon Augenhöhe wichtig. Und ich möchte Dinge gerne selbst verstehen und mich auch selbst informieren können, was ich nur über "Alltagssprache" eben nicht kann, wenn es um was geht, was sich eher unter Fachbegriffen finden lässt.

(Und da meine ich jetzt gar nicht mal sowas wie Übertragung. Das ergibt sich für mich eh ein bisschen aus der allgemeinen Wortwahl. Aber es gibt andere Termini, die für mich sehr hilfreich waren, weil ich da dann nochmal selbst auf die Suche gehen konnte, um zu kucken, was das denn generell und auch für mich bedeutet.)

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Lockenkopf
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Beitrag Do., 01.09.2016, 22:21

Meine Meinung nach ist Therapie nur in Augenhöhe möglich. Das ist aber nicht an Fachsprache gebunden.

Ich persönlich habe mir viele Termini angelesen, nachgeschlagen, mich mit Psychotherapeutischer Fachliteratur beschäftigt, weil mein alter Psychotherapeut ja rein garnicht erklärte und ich mir in der ersten Psychotherapie bei ihm vollkommen hilflos vorkam. Die Psychotherapie damals hat mir mehr geschadet, als genutzt.
Liebe Grüße
Lockenkopf


mio
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Beitrag Do., 01.09.2016, 22:26

Lockenkopf hat geschrieben:Die Psychotherapie damals hat mir mehr geschadet, als genutzt.
Seltsam, dass Du es dennoch für ok und "normal" zu halten scheinst, dass das so zu funktionieren hat. Und es auch selbst Deinen Patienten gegenüber so praktizierst.


Alyssa
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Beitrag Fr., 02.09.2016, 01:38

Fitte hat geschrieben:@ Alyssa: Man kann sich so, wie du es beschreibst, sicherlich die Therapie versauen. Ich habe mich über die Therapieform erkundigt und was dabei passiert, weil ich von meiner ehem. Thera nicht sehr umfangreich informiert wurde. Sie hat mir z.B. nie das Wort Übertragung oder Projektion erklärt.
Meine jetzige hat mich gleich in der ersten Stunde darüber und alles, was mich betrifft aufgeklärt, damit ich verstehe, was und warum passiert. Das gibt mir Sicherheit, weil ich mich nicht mehr ausgeliefert fühlen muss. Es ist verstehbar geworden. Dass ich früher Dinge in der Therapie hinterfragt habe, mich informiert und mich selbst versucht habe, aufzuklären, habe u.a. aus diesem Grund gemacht, weil ich verstehen wollte.
Also, ich bin ganz froh, dass mein Therapeut mir erklärt was los ist, wenn es denn soweit ist. Nicht vorher, und nicht hinterher. Hätte der gleich am Anfang mit solchen Fachbegriffen und deren Bedeutung (und Tragweite für mich) um sich geworfen - ich wäre verschreckt und zutiefst erschüttert davon gelaufen.
Es ist aber so, dass ich auch immer fragen kann, wenn ich etwas wissen will. Mach ich aber nicht so oft, da ich einfach nicht den Bedarf danach habe.
Fitte hat geschrieben:Ich hatte eine wildfremde Person vor mir, der ich einfach so vertrauen soll? Es tut mir leid, aber ich glaube nicht, dass es jedem nach bestimmtem Erfahrungen leicht fällt, einfach so einem Fremden zu vertrauen.
Nun ja, Vertrauen zulassen zu fremden Personen hat ja nicht unbedingt damit zu tun, dass der Therapeut dir gleich zu Anfang was von Übertragung und Projektion erzählt
Mir ist das Vertrauen unheimlich schwer gefallen (tut es mmer noch in bestimmten Augenblicken), aber ich habe inzwischen doch so viel Vertrauen in meinen Therapeuten, dass ich glaube, dass er richtig arbeitet und mich gut führt.
Ich kann inzwischen akzeptieren, dass er seine Arbeit macht, ich kann mich auf ihn einlassen, und ich weiss jetzt auch, dass er mir nicht schadet. Und alles andere lasse ich einfach auf mich zukommen (das Auf-sich-zukommen-lassen musste ich erst lernen, und das geht nur, wenn genug Vertrauen besteht).
Fitte hat geschrieben:Da mag Experte auf seiner Stirn stehen, da können Diplome und Urkunden an seiner Wand hängen, da mag der Mennsch noch so verständnisvoll und freundlich sein, aber für mich geht das nicht so einfach.
absolut verständlich und nachvollziehbar.
Fitte hat geschrieben:Und ich hatte sogar von Anfang an das Gefühl, dass das die richtige Therapeutin ist, dass es einfach passt. (Auch wenn es widersprüchlich klingen mag, aber das war sie in der Zeit auch für bestimmte Themen.) Wenn man jedoch begreift, was für eine Macht/ Einfluss dieser Mensch über einen haben kann, wenn er will (ich habe mich nach einer der ersten Stunden gefühlt, als wäre mein Köper in tausend Stücke zerfetzt, als würden alle meine Einzelteile von mir wegschweben, als wäre ich nicht mehr eins, mir desssen bewusst, aber nicht mehr richtig lebendig) und einen manipulieren kann, wie er will (ich habe ihr mehrmals gesagt, dass ich bei bestimmten Themen nicht mehr erzählen möchte, als ich ihr bereits erzählt habe. Ich weiß nicht, wie sie es gemacht hat, aber irgendwie hat sie mich dazu gebracht, zu erzählen, was ich leider immer erst nach der Stunde begriffen habe. Es hat mich so wütend gemacht, mich so hilflos und ohnmächtig fühlen lassen. Das war fies und eklig!) Dass ich da anfange misstrauisch zu werden und anfange zu hinterfragen, finde ich nur nachvollziehbar.
Hätte ich in so einem Fall auch gemacht. Habe ich bei meinem auch mal, da war ich mit allem - ihm als Person, ihm als Therapeut, seiner Arbeitsweise, seiner Gestaltung der Stunden - unzufrieden und fühlte mich nicht ernstgenommen und überrannt. Ich habe das damals zum Thema gemacht (dafür ging eine ganze Stunde drauf), er ist der Konfrontation nicht ausgewichen, hat seine Macht nicht ausgenutzt, hat ehrlich geantwortet. Wärs anders gelaufen, wäre ich nicht mehr bei ihm.

Ich kann dich also sehr gut verstehen.
Es ging mir aber darum, auch darauf hinzuweisen, dass man sich mit zuviel Hintergrundinfos, zuviel Fachwissen und zuviel Fragen selber ein Bein stellen kann, was Therapie angeht.

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Lockenkopf
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Beitrag Fr., 02.09.2016, 19:33

mio hat geschrieben:
Lockenkopf hat geschrieben:Die Psychotherapie damals hat mir mehr geschadet, als genutzt.
Seltsam, dass Du es dennoch für ok und "normal" zu halten scheinst, dass das so zu funktionieren hat. Und es auch selbst Deinen Patienten gegenüber so praktizierst.
Ich lege sehr viel wert darauf, das der Pat. versteht was zu tun ist um sein Problem zu bessern. Dieses Verständnis ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie.
Liebe Grüße
Lockenkopf

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Fitte
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Beitrag Sa., 03.09.2016, 07:22

Hallo Alyssa,

ich denke, dass ich verstehe, was du meinst und vielleicht ist es so, dass mir die Infos, die ich mir angelesen habe, in Bezug auf die therapie nicht gut getan haben. Ich habe aber auch hier im Forum (wenn auch eher selten) gelesen, dass andere von ihren Therapeuten bereits zu Anfang darüber aufgeklärt wurden, was im Laufe einer Therapie passieren kann. Es muss ja nicht mit dem Fachbegriffen benannt werden, aber mir hätte es gut getan, ebenso, wenn sie mir gesagt hätte, dass es wichtig ist, wenn ich das anspreche, weil sie dadurch Informationen bekommt, mit denen wir dann arbeiten können. Das hätte mir einfach nochmal klarer gemacht, dass es zu dem therapeutischen Prozess dazugehört, dass das normal ist, wenn und was ich übertrage. Hätte ich gewusst, dass es etwas ist, was für sie und ihre Arbeit mit mir relevant ist und dass das bestimmten Anteilen in mir zuzuordnen ist, hätte ich vielleicht einfach besser die Distanz zu meiner Übertragung hinbekommen und hätte leichter darüber reden können. Ich kann mich leider nicht einfach fallen und führen lassen, auch nach einer gewissen Zeit nicht, wenn man sich öfter gesehen hat.
Die Übertragung hat sich auch nicht gleich von Anfang an eingestellt, sondern erst später. Auch später war sie mir in gewisser Hinsicht noch wildfremd, auch wenn ich schon mehrere Sitzungen bei ihr hatte. Sie hat kaum etwas von sich erzählt. Und das, was ich von ihr in den Sitzungen mitbekommen habe, hat mir weiterhin gezeigt, dass sie mir einfach wildfremd ist bzw. dass sie mir sogar von mal zu mal, nach anfänglicher Annäherung wieder fremder wurde. Ich hatte infach den Eindruck, dass sie für bestimmte Themen ein offenes Ohr hatte, verständnisvoll war und eine gewisse Wärme zeigte. Bei anderen Themen empfand ich sie jedoch eher kühl, abweisend und distanziert, so dass auch ich mich distanzierte, weil oder wodurch sie mir eben wieder fremder wurde.
ICh finde es aber schön zu lesen, dass es auch anders geht, wie bei dir und einigen anderen hier.


mio
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Beitrag Sa., 03.09.2016, 13:34

Hallo Fitte,
Fitte hat geschrieben:Es muss ja nicht mit dem Fachbegriffen benannt werden, aber mir hätte es gut getan, ebenso, wenn sie mir gesagt hätte, dass es wichtig ist, wenn ich das anspreche, weil sie dadurch Informationen bekommt, mit denen wir dann arbeiten können. Das hätte mir einfach nochmal klarer gemacht, dass es zu dem therapeutischen Prozess dazugehört, dass das normal ist, wenn und was ich übertrage. Hätte ich gewusst, dass es etwas ist, was für sie und ihre Arbeit mit mir relevant ist und dass das bestimmten Anteilen in mir zuzuordnen ist, hätte ich vielleicht einfach besser die Distanz zu meiner Übertragung hinbekommen und hätte leichter darüber reden können. Ich kann mich leider nicht einfach fallen und führen lassen
mir geht es da ähnlich, je mehr ich "weiss" (und klar gesagt bekomme) was da passiert bzw. warum es gemacht wird oder stattfindet, desto mehr kann ich mich darauf einlassen. Wird mir das nicht mitgeteilt, dann finde ich es schwieriger.

Ich habe ja lange bevor ich meine jetzige Therapie anfing mal einen (damals noch sehr diffusen) Therapieversuch mit einer "alternativen" Therapieform gemacht in der auch viel über den Körper laufen sollte. Mein damaliger Therapeut hat mich auch nur selten "informiert" was für mich ein riesen Hindernis war. Entweder dachte ich mir: Willst Du mich verarschen? (War mal bei einer Übung so, als er immerzu wollte, dass ich den Namen des Mannes ausspreche in den ich zu dem Zeitpunkt verliebt war. Mir war schon klar, was er damit bezwecken wollte - mich mit einem bestimmten Gefühl in Verbindung bringen - aber ich kam mir einfach mega verarscht vor und hielt ihn für unglaublich blöd, dass er meint, dass er mich einzig und allein darüber, dass ich dauernd diesen Namen wiederhole in Verbindung mit meinem Gefühl bringt. Hätte er mir das klar erklärt, hätte ich mich eher darauf einlassen können, so: NULL.) oder aber ich dachte mir: Wenn Du wüsstest... Beides nicht sehr hilfreich. Einmal hat er mir vorher erklärt, warum er eine bestimmte Übung (war sowas wie eine Psyeudofamilienaufstellung) mit mir machen will, auf die konnte ich mich dann auch super einlassen und die hat mir echt was gebracht, im Gegensatz zu dem ganzen anderen Kram, den er mir eben nicht erklärt hat, bei dem ich aber eben schon wusste, was er damit bezweckt (wenn auch vielleicht nur "instinktiv"). Endgültig aus war es dann, als er statt nach "meinem Empfinden" zu fragen mal mit "seinem Empfinden" daherkam und mir mitgeteilt hat, wie "traurig" ich ihn mache....no go.

Ich finde auch, je transparenter die Vorgänge sind, desto besser kann ich mich drauf einlassen. Für mich wird damit auch die Beziehung mehr zur Beziehung.

Lieben Gruss,

mio


ziegenkind
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Beitrag Sa., 03.09.2016, 13:41

vielleicht ist das alles ganz einfach? unterschiedliche menschen brauchen unterschiedliches - um vertrauen zu können, um sich auf augenhöhe und in beziehung zu fühlen? ein guter therapeut, eine gute therapeutin erkennt dies und verhält sich entsprechend?

ich z.B. habe überhaupt keine angst davor, als unter- oder überlegen empfunden zu werden. das ist nicht mein thema, nie gewesen. ich brauch deshalb auch keine eingemeindung in die psycho-slang-community. ich hab eher angst davor, zu sehr nach schema, zu technisch behandelt zu werden. deshalb war es goldrichtig, dass meine herapeutin nie das wort übertragung in den mund genommen hat, obwohl wir beide wussten, dass die grad überlebensgroß im raum steht. sie hat sich die mühe gemacht, gemeinsam mit mir eine sprache dafür zu finden. ach ja, ich hab mir deiselbe mühe gemacht und tatkräftig geholfen bei der erarbeitung unseres wörterbuchs. das hat mitunter sogar spaß gemacht und damit den schrecken erträglicher.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.


mio
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Beitrag Sa., 03.09.2016, 13:57

ziegenkind hat geschrieben:vielleicht ist das alles ganz einfach? unterschiedliche menschen brauchen unterschiedliches - um vertrauen zu können, um sich auf augenhöhe und in beziehung zu fühlen? ein guter therapeut, eine gute therapeutin erkennt dies und verhält sich entsprechend?
Absolut, weshalb sich ja auch nicht sagen lässt: So oder so hat es zu sein, sondern nur schauen, was individuell hilfreich sein könnte.
ziegenkind hat geschrieben:ich z.B. habe überhaupt keine angst davor, als unter- oder überlegen empfunden zu werden. das ist nicht mein thema, nie gewesen. ich brauch deshalb auch keine eingemeindung in die psycho-slang-community. ich hab eher angst davor, zu sehr nach schema, zu technisch behandelt zu werden. deshalb war es goldrichtig, dass meine herapeutin nie das wort übertragung in den mund genommen hat, obwohl wir beide wussten, dass die grad überlebensgroß im raum steht. sie hat sich die mühe gemacht, gemeinsam mit mir eine sprache dafür zu finden. ach ja, ich hab mir deiselbe mühe gemacht und tatkräftig geholfen bei der erarbeitung unseres wörterbuchs. das hat mitunter sogar spaß gemacht und damit den schrecken erträglicher.
Das wiederum würde ich nicht so sehen, also dass "ich lasse mich auf Deine Sprache ein und bin bereit sie zu lernen" was mit Über- oder Unterlegenheit zu tun hat. Zumal ja beides gleichzeitig passieren kann, also sowohl ein gewisses "Wissen" mitteilen über die "fachlichen" Prozesse, als auch eine gemeinsame, individuelle Sprache zu entwickeln, dass ist für mich kein Ausschlussprinzip, im Gegenteil, eher gegenseitige Verständigung. Sie sagt mir ihrs, in ihren Worten. Ich sage ihr meins, in meinen Worten. Und so finden wir zu einer gemeinsamen Sprache.

Während ich den dringenden Wunsch nach einer "ausschließlich individuellen" Sprache eher als Bedürfnis die Beziehung zu kontrollieren und "einzigartiger" zu machen als sie ist empfinden würde, was für mich wiederum bedeuten würde, dass ich nicht wirklich vertraue. So ist jeder eben anders, von seinen Empfindungen her...


ziegenkind
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Beitrag Sa., 03.09.2016, 14:12

mio, das "dringend" und sogar der wunsch kommen von dir. ich schrieb über das, was passiert, einfach so. dass das auch passiert ist, weil meine angst vor schema F im raum stand, haben meine analytikerin und ich erst im nachhinein begriffen. bei der gemeinsamen rückschau. gemacht haben wir beide erst einmal unbewusst und ungewusst um warum und weshalb, wenn auch sicher aus dem gefühl heraus, so kann es gehen.

ach so: und beim gemeinsam machen ist ja das aufgeben von kontrolle bereits vorausgesetzt.

eins verstehe ich nicht: wie kann man etwas, das einzigartig ist, einzigartiger machen? (einzigartig ist es übrigens nur deshalb, weil ich und meine therapeutin etwas zusammen entwickelt haben. mit anderen patientinnen entwickelt sie anderes, genau so, wenn auch anders einzigartig. das weiß ich. du siehst, der komparativ kommt auch wieder von dir)

ich glaub, du hast weiter vorne irgendwas von fachtermini und augenhöhe geschrieben. deshalb meine assoziation mit unter- und überlegen.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.


mio
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Beitrag Sa., 03.09.2016, 14:33

Wir reden aneinander vorbei wie es scheint. Ich meinte im Grunde den Kern davon:
ziegenkind hat geschrieben:ach so: und beim gemeinsam machen ist ja das aufgeben von kontrolle bereits vorausgesetzt.
Wenn ich etwas GEMEINSAM mache, dann entwickle ich auch eine gemeinsame Sprache bzw. bin bereit mich auf die Sprache meines Gegenübers (in dem Falle gewisse Fachtermini, aber auch die individuelle Sprache des Patienten) einzulassen, ohne, dass ich es ungehörig oder bedrohlich finde, wenn diese Sprache gebraucht wird/ich sie gebrauche. Weshalb für mich in dem Moment, wo nur eine Sprache "zulässig" ist (egal von wessen Seite aus) ein Ungleichgewicht = Kontrolle besteht, je nach Situation eben von einer gewissen Partei ausgehend.

Wenn ich beispielsweise mit Kunden spreche, mache ich es in der Regel so, dass ich Fachtermini benutze, sie aber gleichzeitig auch erkläre. Umgekehrt machen meine Kunden das auch so. Und so wird gegenseitig voneinander gelernt.

Wenn mein Kunde mir sagt: Ne, also Deine Fachtermini kannst Du für Dich behalten, dann akzeptiere ich das natürlich. Aber es ist dann nicht im Sinne meiner "Sprache" denn in der Regel benutze ich diese Fachtermini ja dann, wenn ich glaube, dass es für den Kunden hilfreich sein könnte, wenn er da ein Wissen hat. Zu seinem eigenen Besten.

In meinem Bereich gibt es zB. den Begriff "Raw" für ein bestimmtes, mit besonderen Merkmalen ausgestattetes Datenformat, der ist mittlerweile recht geläufig, aber es gibt immer noch Kunden, die nicht wissen, was das bedeutet. Denen erkläre ich das dann, unter anderem auch deshalb, weil es Sinn macht dieses Datenformat zu speichern, selbst dann, wenn es im Moment vielleicht gar nicht benötigt wird. Würde ich das nicht tun, dann würden die Kunden das meist löschen, ohne die Konsequenzen zu kennen.

Ähnlich kannst Du mit Übertragungsgefühlen umgehen, Du kannst sagen: Oh, wenn sowas vorkommt, dann sagen sie mir das bitte! Das ist für mich ein hilfreiches Instrument, damit ich ihnen helfen kann. Das ist nix "komisches" das sind einfach Übertragungsgefühle, die ein Hinweis auf etwas autobiografisches von Ihnen sind. Damit können wir dann gemeinsam arbeiten.

Sage ich das nicht, behält der Patient eventuell was für sich, weil er weiss/denkt, dass es unsinnig ist (so rational betrachtet) ohne ein Wissen darüber zu haben, dass auch so "unsinnige" Gefühle für die Therapie hilfreich sein können.

Da teile ich die Auffassung, dass nicht jedes "Übertragungsgefühl" immer "errochen" wird vom Therapeuten. Weshalb es eben wichtig und hilfreich sein kann, das/den Vorgang dann zu erklären und zu benennen. Denn darüber benennt auch der Patient dann vielleicht eher Gefühle die ihm unsinnig erscheinen, weil so nicht begründ oder erfüllbar.

Umgekehrt kann ein Patient, der sagt: Das ist aber echt! Das gilt aber Ihnen! Sie sind meine MUTTER! einen Realitätscheck vornehmen und sagen: Nein, stimmt, es ist eigentlich das, was ich mir immer gewünscht habe aber nie hatte. Und es bearbeiten oder betrauern. Je nachdem um was es eben geht.

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