Job: Go's und NoGo's mit psychischer Beeinträchtigung

Was Sie in Bezug auf Ihre eigene Zukunft, oder auch die gegenwärtige Entwicklung der Gesellschaft beschäftigt oder nachdenklich macht.
Benutzeravatar

diesoderdas
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 80
Beiträge: 3694

Beitrag Fr., 04.12.2020, 08:46

No Twist hat geschrieben: Fr., 04.12.2020, 06:08 Andere Leute übernehmen in Branchen Jobs, wo sie nie mit zu tun hatten. Das ist für mich echt immer beeindruckend.
Das kenne ich so gut. Würde ich auch gern können - einfach losrennen und etwas Neues ausprobieren. Andere machen das und bekommen es hin.

Was die Ansichten von Anna-Luisa angeht, empfinde ich das schon sehr als Ellenbogenmentalität.
Wir reden auf Arbeit so oder so untereinander. Oft gibt es auch gar keine klare Einteilung, wer was zu tun hat. Wir machen das gemeinsam und sprechen uns vorher ab. Da kann es dann auch passieren,dass umgekert ich Sachen freiwillig übernehme, die aus verschiedenen Gründen für die anderen schwierig wären.

So hilft man sich eben gegenseitig.

Dass es ein gegenseitiges Geben und Nehmen sein sollte, versteht sich von selbst.
Was mich selbst angeht, würde ich es meinem Arbeitgeber auch nicht wirklich krumm nehmen, würde er mich vor die Tür setzen. Bei mir geht es eindeutig einen Ticken weiter, daher würde ich Verständnis für aufbringen. Dennoch passiert es seit Jahren nicht.

Ansonsten bin ich der gleichen Ansicht wie listbeth. Über körperliche Sachen lässt es sich reden und da finden sich Lösungen. Bei psychischen Sachen sollte das (sofern in vertretbarem Ausmaß) auch möglich sein.

Werbung

Benutzeravatar

Kellerkind
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
anderes/other, 44
Beiträge: 3551

Beitrag Fr., 04.12.2020, 08:47

Zur Eigenverantwortung eines psychisch Betroffenen gehört auch, dass er zu seiner Erkrankung quasi steht und/oder für sich selbst einsetzt. Aber sie hört da auf, wo derjenige über Gebühr Rücksicht verlangt und Verantwortung auf die Kollegen überwälzt.

Zu sagen:"Hey, ich hab psychische Probleme, da kann ich nichts dafür, deswegen müsst ihr Rücksicht nehmen", egal wie subtil und diplomatisch ausgedrückt, ist KEINE Eigenverantwortung, sondern nur ein verquerer Versuch, die Verantwortung an die Kollegen abzugeben.

Die Schwierigkeit liegt aber vor allem darin, dass sich hier die Katze selbst in den Schwanz beißt: wenn psychisch Betroffene in diesem Maß zur Eigenverantwortung und Selbstreflektion fähig wären, wären sie vermutlich deutlich weniger psychisch erkrankt. Es ist und bleibt eine Gratwanderung.

Ich für meinen Teil nehme weder mehr Rücksicht noch mehr Verantwortung für psychisch belastete Kollegen wie ich es ohnehin normalerweise tun würde. Dabei halte ich mich für teamfähig, hilfsbereits, kooperativ, rücksichtsvoll usw., aber eben nicht mehr als bei allen Anderen auch. Mir anderen Worten: ich setze normale Maßstäbe an. Für alles andere ist der Betroffene selbst verantwortlich und soll es doch bitte "mit sich selbst" ausmachen. Es gibt keinen Psycho-Bonus von mir...

... und das sage ich als jemand, der selbst Betroffen ist.

Wenn jemand wegen einer Persönlichkeitsstörung im Team aneckt, dann wird er behandelt wie jeder andere Teamunfähige ebenfalls.
Wenn jemand wegen psychischer Beschwerden nicht voll belastbar ist, dann wird er behandelt wie jemand, er nicht belastbar ist.
Wenn jemand völlig überfordert ist, dann muss derjenige damit genauso umgehen wie jeder andere Überfordete auch und nach Gesprächen mit dem Vorgesetzen, Lösungen suchen oder sich krankschreiben lassen.
Wenn sich jemand im Team wie ein A****loch aufhört, dann ist es mir ziemlich egal, ob er das tut, weil er einfach NUR ein A*** ist oder ein A**** mit Persönlichkeitsstörung.
Wenn jemand private Probleme hat, ja, da kann man mal Rücksicht nehmen oder im Kollegenkreis drüber reden und auch mal ein Auge zudrücken, wie man das eben so macht, aber auch das darf kein Dauerzustand sein.

Wenn wir davon sprechen, für sich selbst einzustehen, dann gehört auch dazu, dass man auf einen "Krankheitsbonus" verzichtet, bei dem man die Verantwortung für die eigene Stimmung/Macken auf die Kollegen abwältz, die (gefälligst) Rücksicht zu nehmen haben.
Wenn man langfristig gesund bzw. gesünder werden will, dann sollte man sich versuchen, an die normale Anforderungen unserer Gesellschaft anzupassen, und nicht zu versuchen, das Umfeld an sich anzupassen.
"Auch andere Wege haben schöne Steine. "

Benutzeravatar

lisbeth
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 80
Beiträge: 4023

Beitrag Fr., 04.12.2020, 08:54

Anna-Luisa hat geschrieben: Fr., 04.12.2020, 07:45 Ich würde nie einem Betroffenen die Schuld geben! Oder als verantwortlich für seine Erkrankung. Ich habe bereits mit Kollegen gearbeitet, die gelernt haben "öfter mal einen Gang zurückzuschalten" und "rückzumelden, wenn sie sich durch manche Aufgaben überlastet fühlten". Diese waren in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass es insgesamt eher unliebsame Aufgaben waren.
Es ist genau diese Gleichsetzung von psychischer Erkrankung mit "Drückebergertum" die ich absolut unterirdisch finde. Oder die Annahme, dass das auf "Kosten" der anderen "Gesunden" ginge.

Es ist genau so eine Haltung, die dazu führt, dass über solche Dinge nicht offen geredet werden kann und nach Lösungen gesucht werden kann mit den Vorgesetzten oder Personalverantwortlichen. Und zwar Lösungen, von denen *alle* etwas haben, auch die nicht unmittelbar Betroffenen. Es können alle davon profitieren, wenn es möglich ist, mal einen nicht so guten Tag zu haben, ohne gleich Angst haben zu müssen, dass man dafür an den Firmen-Pranger gestellt wird oder von den Kollegen gedisst wird. Ganz sicher wirst auch du Tage haben, Anna-Luisa, an denen du weniger als 100% leistest.

Ich sehe es übrigens als Kompetenz an, dass ich über meine Grenzen besser Bescheid weiß, und dass ich inzwischen auch weniger Scheu habe, das im Teamkontext zu thematisieren. Meine Erfahrung ist ähnlich wie No Twists: Durch längere AU war ich mehr oder weniger "zwangsgeoutet". Und es gab viele Rückmeldungen von Kollegen, die froh und dankbar darüber waren, dass durch meinen Ausfall das Thema "psychische Be- oder Überlastungen am Arbeitsplatz" mal überhaupt besprochen werden konnte. Nicht ständig und überall. Aber es war nicht mehr länger ein Tabuthema. Und dadurch haben sich im Teamkontext tatsächlich Dinge verbessert. Für alle.

Klar werde ich als psychisch Kranke auch Dinge machen (müssen), die mir nicht so liegen, das ist auch nicht das Thema. Und es ist auch meine Verantwortung, dass ich mir einen Arbeitszusammenhang suche, der mich nicht von Anfang an komplett überfordert. Es geht auch nicht darum, die Erkrankung als Freibrief zu nutzen, um unliebsame Arbeit auf die Kollegen abzuwälzen, wie du es hier immer implizierst.

Für mich hat deine Haltung etwas krass Darwinistisches. Ich hoffe für dich, dass das von dir propagierte "Survival of the fittest" dir nicht mal irgendwann auf die Füße fällt.

PS neue Beiträge noch nicht gelesen.
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott

Benutzeravatar

diesoderdas
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 80
Beiträge: 3694

Beitrag Fr., 04.12.2020, 09:06

Ich finde da ein gutes Beispiel einen Arzt.
Stellen wir uns einen Krankenhausarzt vor, der nicht operieren kann. Der vielleicht sogar an sich ein guter Operateur ist, der die tollsten Nähte hinkriegt und die kompliziertesten Brüche wieder zusammenflickt. Der aber bei einer realen OP so unter Druck steht, dass er das nicht kann.

Würde der Arzt sich dazu zwingen, OPs durchzuführen, würde er damit eventuell das Leben von Patienten gefährden. Verantwortlich zu handeln würde also bedeuten, dass er das klar und offen kommuniziert und es eben NICHT tut. Damit niemand zu Schaden kommt.

Dann gibt es da viele Möglichkeiten zu reagieren, finde ich.
Vielleicht ist der Arzt auch so ein schlechter Arzt, dann wird er wahrscheinlich gefeuert.
Vielleicht ist er aber ein brillianter Diagnostiker und man will ihn deshalb dennoch in der Klinik halten, setzt ihn aber nicht mehr für OPs ein.
Oder aber er operiert (eigentlich, wenn der Druck nicht da wäre) auf Weltklasseniveau und man tut irgendwas, um ihm den Druck zu nehmen. Stellt zum Beispiel einen Operateuer mit dazu, der übernehmen könnte zur Not.

Finde, da gibt es sehr viele Varianten. Und Verantwortung haben da beide Parteien. Der Arbeitgeber muss schauen, wie weit will er da mitgehen. Hat er insgesamt gesehen einen Nutzen vom Arbeitnehmer oder nicht. Kann man dem Arbeitnehmer entgegenkommen, weil er dennoch einen Gewinn fürs Unternehmen ist? Oder nicht?

Pauschal kann man da gar nichts sagen, finde ich.

Werbung


Thread-EröffnerIn
No Twist
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 33
Beiträge: 546

Beitrag Fr., 04.12.2020, 09:11

Das kenne ich so gut. Würde ich auch gern können - einfach losrennen und etwas Neues ausprobieren. Andere machen das und bekommen es hin.
Ja! Genau, weil die das Selbstbewusstsein haben und den Mut (auch zu scheitern). Bei mir scheitert es an Angst und Perfektionismus. Wobei mir das auch etwas im Job abgewöhnt wurde, weil ich da in manche Dinge einfach reinspringen muss und siehe da, es funktioniert auch irgendwie.
Was die Ansichten von Anna-Luisa angeht, empfinde ich das schon sehr als Ellenbogenmentalität.
Wir reden auf Arbeit so oder so untereinander. Oft gibt es auch gar keine klare Einteilung, wer was zu tun hat. Wir machen das gemeinsam und sprechen uns vorher ab. Da kann es dann auch passieren,dass umgekert ich Sachen freiwillig übernehme, die aus verschiedenen Gründen für die anderen schwierig wären.
Eben. Ich sollte letztens auch was erledigen, wo mir der Kopf schon sonstwo stand und es musste schnell gehen. Da hab ich auch gefragt, ob nicht jemand anders mehr Kapazitäten hat. Allerdings hab ich nicht auf meine Psyche hingewiesen. Aber ganz ehrlich: Falls mich mal ein Interviewpartner antriggert, ich in komische Zustände gerate, würde ich das auf Arbeit tatsächlich sagen und darum bitten, das jemand anders das übernimmt. Und da würde ich das auch mit der Psyche begründen. ISt mir glücklicherweise noch nicht passiert, aber ich kann heftig auf Verhaltensweisen reagieren und befürchte das immer. Außerdem fallen manche Interviews und Selbsterfahrungen für mich aus- ich möchte keine Experimente ausprobieren, wo es zum Beispiel um Kognition geht und dann darüber berichten. Und das kann ich auf ARrbeit auch thematisieren. Das ist hilfreich. Ich will mir nicht beweisen, dass ich eingeschränkt bin und mich vor meinem Interviewpartner outen müssen. Dafür übernehme ich eben andere Interviews.
Ansonsten bin ich der gleichen Ansicht wie listbeth. Über körperliche Sachen lässt es sich reden und da finden sich Lösungen. Bei psychischen Sachen sollte das (sofern in vertretbarem Ausmaß) auch möglich sein.
Ich stimme da zu. Aber ich denke, dass es grundsätzlich eine Behindertenfeindlichkeit gibt. Es ist schwer für Menschen mit anderer Leute Einschränkungen zurecht zu kommen. Und es kommt da schon die Frage, warum der jetzt zum Beispiel einen ASsitenten bekommt, um einen Job zu machen. Das wird dann als Geldverschwendung gesehen. Fazit: Eigentlich dürfen, aus Sicht der Nichtbehinderten bevölkerung, behinderte Menschen nicht arbeiten gehen. Aber andere Baustelle.
Ich hab an Gestern nicht gedacht und nicht an Morgen
Es ist Nacht, ich steh am Fenster
Und für einen Augenblick leb ich im Jetzt

von: Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen


Thread-EröffnerIn
No Twist
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 33
Beiträge: 546

Beitrag Fr., 04.12.2020, 09:31

@ Kellerkind: Ich habe Beispiele aufgeführt, wo ich tatsächlich auf Grund meiner PSyche mit Kollegen reden würde. Und ich finde das total berechtigt. Es klingt aber auch bei dir so, als ob jemand mit psychischer Störung grundsätzlich andere belasten würde. Und das sehe ich so überhaupt nicht. Es mag Menschen geben, die diese Erkrankung benutzen (und ich erinnere mich, dass du dich gefragt hast, welche Freunde/Bekannte zu einbeziehst, damit die mehr Kontakt halten...), aber aus meiner Perspektive ist das nicht so. Ich finde aber, dass man offen darüber reden können muss, wenn es wirklich eine Situation gibt, die man auf Grund der eigenen Problematik nicht meistern kann. Ich finde das wichtig und ich finde man muss da auch ressourcenorientiert gucken, was Menschen mit psychischer Beeinträchtigung an mehr Fähigkeiten haben. Sie sind oft wesentlich reflektierter, kennen ihre Belastungsgrenze genauer. Ich denke nämlich im Gegensatz zu dir nicht, dass psychisch erkrankte Menschen weniger reflektiert sind und die Erkrankung deshalb haben...
Ich hab an Gestern nicht gedacht und nicht an Morgen
Es ist Nacht, ich steh am Fenster
Und für einen Augenblick leb ich im Jetzt

von: Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen

Benutzeravatar

diesoderdas
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 80
Beiträge: 3694

Beitrag Fr., 04.12.2020, 09:47

No Twist hat geschrieben: Fr., 04.12.2020, 09:31 Ich denke nämlich im Gegensatz zu dir nicht, dass psychisch erkrankte Menschen weniger reflektiert sind und die Erkrankung deshalb haben...
Das glaube ich auch mitnichten, dass es da unbedindt um weniger Selbstreflektion gehen muss. Ich würde eher denken, dass psychisch Angeschlagene oft (nicht immer und in allem) mehr Selbstreflektion haben als andere "Normale". Wobei ich auch denke, dass viele Normale eigentlich psychisch krank sind. Die kommen einfach damit besser durchs Leben und halten sich für Normal, obwohl sie Verhaltensweisen haben, die nicht so wirklich normal sind.
Das wären dann die mit weniger Selbstreflektion, finde ich.


Thread-EröffnerIn
No Twist
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 33
Beiträge: 546

Beitrag Fr., 04.12.2020, 10:54

@diesoderdas: Ich weiß nicht; in einer akuten Depression bist du nicht besonders selbstreflektiert,. Im Wahn gleich gar nicht. Aber mit der Zeit lernt man sich einfach anders und besser kennen als jemand, der es ohne diese Art von Erkrankungen geschafft hat. Ich bin ein großer Fan davon, dass Symptome auch ein Schutzmechanismus sind und man eben durch die Erkrankung schon viel über eigene Grenzen lernen kann.

Ich bin nicht so ein Fan davon Menschen in gesund und psychisch erkrankt einzuteilen, weil dass einfach dem Mensch an sich nicht gerecht wird, der eben auch eine PErsönlichkeit hat- ob die einem gefällt oder nicht. Hier passiert hier gerade eine starke Abgrenzung - sogar durch Menschen, die selbst eine PSychodiagnose haben (ansonsten gibts ja keine kassenfinanzierte Therapie), weil da wirklich Stigmatisierungen vorhanden sind, auf die dann Bezug genommen wird (Drückbergertum zum Beispiel). Ich denke schon, dass es Schnittmengen gibt, wie sich Menschen allgemein ihren ARbeitsplatz wünschen und ich denke, dass psychisch erkrankte Menschen nicht viel anderes brauchen als andere Leute, die vielleicht trotzdem in einem desolaten Umfeld länger bestehen können. Und die Diskussion geht jetzt in die Richtung, dass psychisch erkrankte Menschen eine Extrawurst wollen. Eigentlich war mein Ansinnen mal wirklich herauszuarbeiten, dass da normale Bedürfnisse vorherrschen, die eigentlich jeder (auch gesunde) Arbeitnehmer hat. Ich hab hier bisher von niemandem etwas gelesen, was nicht auch gesunde Menschen vom Job erwünschen. Es gibt natürlich dann immer ein paar Dinge, die für jeden spezifisch sind, auch mit den einzelnen Jobs zu tun haben, aber mir gings eher um das Grundsätzliche. Und ich finde es erschreckend, wie stigmatsierende Stereotype sogar von Menschen mit eigener Psychodiagnose unreflektiert weiterverbreitet werden.
Ich hab an Gestern nicht gedacht und nicht an Morgen
Es ist Nacht, ich steh am Fenster
Und für einen Augenblick leb ich im Jetzt

von: Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen

Benutzeravatar

Sadako
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 50
Beiträge: 733

Beitrag Fr., 04.12.2020, 11:24

Es gibt immer Drückberger und wenn ein Drückeberger eine psychische Erkrankung hat, wird er die wahrscheinlich nutzen sich aus unangenehmen Pflichten herauszuziehen. Da werden dann auch ebenso körperliche Erkrankungen oder familiäre Verpflichtungen „genutzt“. Es gibt sicherlich auch Menschen mit einer psychischen Erkrankung, die ihr Leistungsvermögen nicht einschätzen können, die sich selbst unter Druck setzen und dann dekompensieren. Das ist dann für die Kollegen, die das auffangen müssen, oft nicht lustig.
Aber... es gibt auch ganz viele Menschen mit psychischen Problemen, die ihre Belastbarkeit gut einschätzen können und die auch wissen, wo sie nicht gut funktionieren können. Je nach Studie schätzt man, 25% und mehr aller Arbeitnehmer eine psychische Erkrankung haben. Viele von denen machen einen guten Job und werden durch Vorurteile, Misstrauen und Stigmatisierung zusätzlich unnötig belastet.
Dieser Thread bzw. viele (nicht alle) Beiträge hier, sind doch das beste Beispiel, wie reflektiert und verantwortungsbewusst Menschen mit psychischer Erkrankung mit der Situation am Arbeitsplatz umzugehen. Wer sich aktiv Gedanken macht, welche Bedingungen am Arbeitsplatz hilfreich oder eher belastend sind, der will Krisen am Arbeitsplatz mit entsprechenden Fehlzeiten verhindern.
Mit Kommunikation und guter Planung kann es für viele super funktionieren.
Ich fände es befremdlich, wenn man z.B. wie hier gefordert, die essgestörte Sekretärin mit dem Catering betraut wird.
Ich bin Rollifahrerin und fände es auch daneben, wenn man mir z.B. aufträgt etwas aus einem Materiallager im Keller, der nur über Treppen erreichbar ist, zu holen.

Edit: Tippfehler
Zuletzt geändert von Sadako am Fr., 04.12.2020, 11:28, insgesamt 1-mal geändert.

Benutzeravatar

Sadako
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 50
Beiträge: 733

Beitrag Fr., 04.12.2020, 11:26

No Twist hat geschrieben: Fr., 04.12.2020, 10:54 Und ich finde es erschreckend, wie stigmatsierende Stereotype sogar von Menschen mit eigener Psychodiagnose unreflektiert weiterverbreitet werden.
Da reicht der Dankebutton nicht. Das möchte ich mal dick und rot unterstreichen.

Benutzeravatar

diesoderdas
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 80
Beiträge: 3694

Beitrag Fr., 04.12.2020, 11:28

Ich finde einfach, es ist ein aufwiegeln von Vor/Nachteilen für den Arbeitgeber.
Wenn etwas nicht tragbar ist, keine Frage, dann ist es das gute Recht und nachvollziehbar, dass Menschen gekündigt werden. (Soll aber sogar Arbeitgeber geben, die sich da bewusst menschlicher verhalten als andere und die bewusst solche Menschen unterstützen und nicht gleich absäbeln, selbst wenn nicht alles rostig läuft)

Vielleicht bieten manche psychisch Erkrankte hingegen auch besondere Qualitäten, die andere Mitarbeiter nicht so haben und werden deshalb (und trotz ihrer Einschränkungen in einem Bereich) wertvoll fürs Unternehmen. Alles ist möglich.

Ich denke da zum Beispiel an Erzieher, die vielleicht aufgrund eigener schlechter Erfahrungen sehr bewusst und respektvoll mit Kindern umgehen. Oder die durch ihre Art vielleicht sogar besser als andere das Vertrauen von z.B. sehr schüchternen Kindern gewinnen können.
Würde ich einen Kindergarten leiten und würde sowas mitbekommen, würde ich diesen wertvollen Mitarbeiter nie und nimmer hergeben wollen und würde eben jemand anderen den Elternabend leiten lassen (wenn das zum Beispiel das Problem wäre).

Oder man denke an Autisten , die besondere Begabungen haben.

Ich fände es im Übrigen auch völlig okay, wenn sich dieses "was kann jemand leisten" auch im Gehalt spiegelt. Kann eine Person etwas nicht leisten, was sie eigentlich leisten können sollte, dann gäbe es auch folgende Option: der Arbeitgeber zahlt etwas weniger Lohn (wegen dem weniger Leistung erbringen). Dafür zahlt er einem anderen Mitarbeiter etwas mehr, der diese Arbeit übernimmt. Da hat dann eigentlich keiner einen Nachteil. Der Vorteil wäre, dass jemand seinen Job nicht verloren hat.

Sowas wird natürlich nicht immer möglich und gewünscht sein. Aber manchmal bestimmt eine Option.


Thread-EröffnerIn
No Twist
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 33
Beiträge: 546

Beitrag Fr., 04.12.2020, 11:43

Ich weiß nicht, ob ein Arbeitgeber unbedingt gleich kündigen muss? Es gibt da auch andere Möglichkeiten, die man in Fürsorgegesprächen zur Sprache bringen kann, wenn jemand gerade wirklich angeschlagen ist. Teilzeitregelungen, Versetzung... Kündigung finde ich gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer Schaden anrichtet.
Ich hab an Gestern nicht gedacht und nicht an Morgen
Es ist Nacht, ich steh am Fenster
Und für einen Augenblick leb ich im Jetzt

von: Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen

Benutzeravatar

diesoderdas
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 80
Beiträge: 3694

Beitrag Fr., 04.12.2020, 11:45

No Twist hat geschrieben: Fr., 04.12.2020, 11:43 Ich weiß nicht, ob ein Arbeitgeber unbedingt gleich kündigen muss? Es gibt da auch andere Möglichkeiten, die man in Fürsorgegesprächen zur Sprache bringen kann, wenn jemand gerade wirklich angeschlagen ist. Teilzeitregelungen, Versetzung... Kündigung finde ich gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer Schaden anrichtet.
So meinte ich das auch. Kündigung finde ich gerechtfertigt, wenn es eben dauerhaft für den Arbeitgeber zum Nachteil wäre und der das nicht tragen will/kann. Es muss ja schließlich jedem mal schlecht gehen dürfen. So wie ein anderer sich auch mal das Bein bricht

Benutzeravatar

Anna-Luisa
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 40
Beiträge: 2908

Beitrag Fr., 04.12.2020, 13:29

diesoderdas hat geschrieben: Fr., 04.12.2020, 11:28 Ich denke da zum Beispiel an Erzieher, die vielleicht aufgrund eigener schlechter Erfahrungen sehr bewusst und respektvoll mit Kindern umgehen. Oder die durch ihre Art vielleicht sogar besser als andere das Vertrauen von z.B. sehr schüchternen Kindern gewinnen können.
Würde ich einen Kindergarten leiten und würde sowas mitbekommen, würde ich diesen wertvollen Mitarbeiter nie und nimmer hergeben wollen und würde eben jemand anderen den Elternabend leiten lassen (wenn das zum Beispiel das Problem wäre).
Offensichtliche Beeinträchtigungen als Vorteil zu deklarieren, finde ich sehr schräg.

Jemand, der außerstande ist einen Elternabend zu leiten hat in diesem Beruf nichts verloren. Er müsste ja auch imstande sein, Elterngespräche zu führen (auch wenn die Eltern Choleriker sind), mit dem Jugendamt zusammenarbeiten, usw.
Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von den anderen. So wird dir Ärger erspart bleiben.
(Konfuzius)

Benutzeravatar

Anna-Luisa
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 40
Beiträge: 2908

Beitrag Fr., 04.12.2020, 13:32

diesoderdas hat geschrieben: Fr., 04.12.2020, 09:06 Ich finde da ein gutes Beispiel einen Arzt.
Stellen wir uns einen Krankenhausarzt vor, der nicht operieren kann. Der vielleicht sogar an sich ein guter Operateur ist, der die tollsten Nähte hinkriegt und die kompliziertesten Brüche wieder zusammenflickt. Der aber bei einer realen OP so unter Druck steht, dass er das nicht kann.
Ich finde das Beispiel eher verunglückt. Dieser Arzt wird ja wohl kaum Operateur sein...
Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von den anderen. So wird dir Ärger erspart bleiben.
(Konfuzius)

Werbung

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag