Therapiesitzung macht Rast- und Ratlos

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Sadako
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Beitrag Fr., 21.08.2020, 15:26

Jenny Doe hat geschrieben: Fr., 21.08.2020, 14:40
Das Problem an diesem Thread ist, dass keiner von uns wissen kann, wie ihre Therapie abläuft. Wir haben nur Kenntnis von einem einzigen Satz, den der Therapeut in einem uns unbekannten Kontext geäußert hat, nämlich "Trotzdem bleibt aus seiner Sicht, der rote Flamingo als normalste Sache der Welt." Keiner von uns kann wissen, wie die restlichen 49 Minuten der Therapie ablaufen, welche Methoden der Therapeut sonst noch anwendet, wie er Selbsthilfe vermittelt, ... und warum und in welchem Kontext der Therapeut diesen Satz geäußert hat.
Das stimmt, aber Somnia schildert ihre Reaktion auf seine therapeutische Intervention sehr ausführlich. Und da wird für mich doch ziemlich deutlich, dass es für sie zu viel ist und sie das von ihm Gesagte nicht mehr sinnvoll verarbeiten kann.
Wenn das passiert, ist es im Grunde egal, was sich hinter den rosa Flamingos verbirgt, die Vorgehensweise des Therapeuten ist nicht hilfreich.
Zumindest mir geht es auch nicht darum einen Keil zwischen Somnia und ihren Therapeuten zu schieben. Ich möchte ihr vermitteln, dass sie ihre Therapie mitgestalten darf und dass sie das Recht hat das Tempo zu bestimmen und Grenzen zu setzen, wenn sie durch ein Thema so aus der Kurve gehauen wird. Ich hoffe, dass sie im Dialog mit dem Therapeuten eine Verbesserung der Situation schafft. Erst wenn das gar nicht möglich ist, würde ich die Frage aufwerfen, ob sie da gut aufgehoben ist .

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Jenny Doe
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Beitrag Fr., 21.08.2020, 15:47

Sadako: Und da wird für mich doch ziemlich deutlich, dass es für sie zu viel ist und sie das von ihm Gesagte nicht mehr sinnvoll verarbeiten kann.
Ich verstehe durchaus was du meinst. Aber es ist nicht ungewöhnlich, dass Klienten auch in der Therapie genauso reagieren wie im Realleben. Wenn Somnia Bewältigungsstrategie "Verschwinden" ist , dann wird sie auch in der Therapie erst mal so lange "verschwinden", bis sie etwas anderes gelernt hat. Wenn ihr Problem ist, dass ihr Dinge zu viel werden, dann wird es ihr auch in der Therapie erst mal zuviel, so lange bis sie gelernt hat, damit umzugehen. Wenn ihre Bewältigungsstrategie Angst ist, dann wird sie auch in der Therapie erst mal auf Konfrontation mit Angst reagieren, bis sie etwas anderes gelernt hat. Ich habe noch nie gelesen oder gehört, dass ein Patient Juhu schreit, wenn er mit traumatischen Inhalten oder Angstreizen konfrontiert wird.

Wie gesagt, ich kann es nicht beurteilen. Das kann nur Somnia selbst.
Ich halte es jedoch zum jetzigen Zeitpunkt für verfrüht ihren Therapeuten zu kritsieren. Wir wissen alle aus eigener Erfahrung, dass Psychotherapie auch bedeutet sich dem zu stellen, wo man am liebsten verschwinden möchte. Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, dass wir auch in der Therapie erst mal so reagieren, wie wir es gelernt haben und dass es Zeit braucht, bis man "Verschwinden" nicht mehr braucht.
Ob der Therapeut falsch handelt oder ob Somnia sich so verhält, wie sie sich immer verhält, wenn sie konfrontiert wird, kann ich auf der Basis der wenigen Informationen nicht beurteilen.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.


montagne
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Beitrag Fr., 21.08.2020, 16:16

@Somnia
Ich kan dir nur dazu gratulieren, dass du deine Grenzen so gut wahrnimmst. Ich denke, du solltest sie entsprechend vertreten.

Meine persönliche Erfahrung mit Therapie ist so, dass sich Tempo und Ziele nach mir richten, nicht nach dem was gesellschaftlichen normal ist oder was die Therapeutin dafür hält. Ich brauche auch Minischritte und ich gönne sie mir.
Und damit bin ich bisher ziemlich gut gefahren, habe objektiv viel erreicht.
Wichtig ist doch die Therapie und das Leben aktiv zu gestalten.
amor fati

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Somnia
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Beitrag Fr., 21.08.2020, 17:17

Ihr Lieben, da hatte ich jetzt einiges zu lesen und durchweg interessant!

Zuerst möchte ich gerne sagen, dass ich nicht das Gefühl habe, dass ein Keil zwischen mir und dem Therapeuten geschoben wird. Ich nehme es wahr, als ein beleuchten von verschiedenen Seiten und mir ist bewusst, dass jeder aus seinen eigenen Erfahrungen und Wissensschatz heraus kommentiert. Und das nichts davon wirklich 1 zu 1 übertragbar ist.

Ich finde es erstmal erleichternd zu lesen, dass ich mit meiner "Flucht" nicht alleine bin und dass es einen Grund dafür gibt und einen Namen hat.
Jetzt muss ich nur herausfinden, wie ich das mit dem overload und den zu großen Schritten, dem Therapeuten so vermittle, dass es für ihn greifbar wird. Denn so geht es auf Dauer nicht. Ich habe gemerkt, wie sehr es mich zusätzlich im Alltag belastet, wenn ich es nicht schaffe, meine Grenzen zu waren. Ich bin an dem Tag ziemlich ersoffen und am nächsten Tag gefühlt, auf Autopilot durch meinen Tag marschiert.

Ich glaube schon, dass der rote Flamingo wichtig ist, so wie auch Spinnen wichtig sind. Ich weiß dass es sie gibt, muss aber weder mit Vorsatz hin um sie anzufassen noch darüber reden.
Natürlich kann es auch eine Vermeidungstechnick sein, aber in Moment und unter den Umständen mich selbst nach der Sitzung da nur sehr schlecht selbst wieder rauszubekommen, hat es für mich keinen Sinn.
Denn ich habe keine Bewältigungsstrategien. Wir reden, aber mehr als das, ist es nicht.
Trauma und all die genannten Begriffe, da fühle ich mich nicht sehr informiert. Da besteht also noch Nachholbedarf.

Ich komme mir gerade doch recht unwissend vor. Vielleicht sollte ich mir mal eine Liste machen, die er vielleicht sogar schriftlich beantwortet, damit ich nicht ins vergessen komme.

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Sadako
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Beitrag Fr., 21.08.2020, 17:32

Jenny Doe hat geschrieben: Fr., 21.08.2020, 15:47 Aber es ist nicht ungewöhnlich, dass Klienten auch in der Therapie genauso reagieren wie im Realleben. Wenn Somnia Bewältigungsstrategie "Verschwinden" ist , dann wird sie auch in der Therapie erst mal so lange "verschwinden", bis sie etwas anderes gelernt hat. Wenn ihr Problem ist, dass ihr Dinge zu viel werden, dann wird es ihr auch in der Therapie erst mal zuviel, so lange bis sie gelernt hat, damit umzugehen. [...] Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, dass wir auch in der Therapie erst mal so reagieren, wie wir es gelernt haben und dass es Zeit braucht, bis man "Verschwinden" nicht mehr braucht.

Na klar wird sie in der Therapie so reagieren wie im realen Leben. Sonst wären ihre Probleme nicht bearbeitbar.
Aber der Unterschied ist, dass der Therapeut Somnia unterstützen sollte einen neuen konstruktiven Weg mit den belastenden Situationen zu finden.
Ich bin da vielleicht ein bißchen angefasst, weil das Verschwinden und Aussteigen auch für mich ein zentrales Problem war (und ist) und es lange gedauert hat, bis ich eine Therapeutin gefunden habe, die es mitbekommt und benennt und mich darin unterstützt die Situation so zu gestalten, dass sie aushaltbar bleibt und ich somit nicht völlig rausfliege.

Es brauchte bei mir nicht „nur“ Zeit um da weiterzukommen sondern das Fachwissen und die Erfahrung einer Therapeutin, die mit mir daran arbeitet. Für mich war es eine Versagenserfahrung auch in Therapien aus dem Muster nicht raus zu kommen. Ich habe mich quasi als untherapierbar deklariert und es 10 Jahre vermieden, mir noch mal Hilfe zu suchen.

Ich weiß (wie wir alle) nicht, wie Somnias Therapeut da aufgestellt ist. Ich finde es aber absolut okay und superwichtig, wenn Somnia ihre Schwierigkeiten als Problem in der Therapiesituation formuliert und nicht als ihre Macke oder sogar ihre Unfähigkeit einsortiert.

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Vivy
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Beitrag Fr., 21.08.2020, 17:47

Sadako hat geschrieben: Fr., 21.08.2020, 17:32
Ich bin da vielleicht ein bißchen angefasst, weil das Verschwinden und Aussteigen auch für mich ein zentrales Problem war (und ist) und es lange gedauert hat, bis ich eine Therapeutin gefunden habe, die es mitbekommt und benennt und mich darin unterstützt die Situation so zu gestalten, dass sie aushaltbar bleibt und ich somit nicht völlig rausfliege.

Es brauchte bei mir nicht „nur“ Zeit um da weiterzukommen sondern das Fachwissen und die Erfahrung einer Therapeutin, die mit mir daran arbeitet. Für mich war es eine Versagenserfahrung auch in Therapien aus dem Muster nicht raus zu kommen. Ich habe mich quasi als untherapierbar deklariert und es 10 Jahre vermieden, mir noch mal Hilfe zu suchen.
Kann ich gut verstehen, so ging’s mir auch, incl. dem sich selbst als untherapierbar zu bezeichnen.
Inzwischen frag ich mich, wie es sein kann, dass da noch nie jemand was kapiert hat.
»Man versteht nur die Dinge, die man zähmt«, sagte der Fuchs.
aus: Der kleine Prinz, Antoine de Saint-Exupéry


Jenny Doe
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Beitrag Fr., 21.08.2020, 17:58

Somnia: Denn ich habe keine Bewältigungsstrategien. Wir reden, aber mehr als das, ist es nicht.
Wie lange bist Du bei ihm in der Therapie und in welchem Therapieverfahren?
Sadako: Aber der Unterschied ist, dass der Therapeut Somnia unterstützen sollte einen neuen konstruktiven Weg mit den belastenden Situationen zu finden.
Da bin ich ganz bei Dir.
Wie die Therapie ansonsten abläuft, also außer der "Normal" Aussage, darüber haben wir in diesem Thread bisher sehr wenig erfahren, weshalb es für mich zum jetzigen Zeitpunkt zu früh ist den Therapeuten zu kritisieren. Die Frage ist ja auch, welches Therapieverfahren sie macht. Vielleicht ist einfach das Verfahren für Somnia ungeeignet. Tiefenpsychologische Verfahren fordert mehr Eigeninitiative als eine Lösungsorientierte VT. Wie lange ist sie in Therapie? Auch das finde ich wichtig zu wissen. Außerdem finde ich die Frage wichtig, ob das, was in der Therapie gelernt wird, auch vom Klienten angewandt wird.
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Somnia
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Beitrag Fr., 21.08.2020, 18:23

Ich bin seid 20 Monaten in einer Tiefenpsychologischen Therapie.
Für mich ist aber der Begriff "erarbeitet" in der Therapie nicht greifbar. Ich sitze, erzähle und verstehe, was er mir sagt. Durcharbeiten ist verstehen warum ich wie reagiere oder?
Mir fehlt aber der Zugang, wie ich Sachen abstellen kann, wie zb das "Verschwinden" oder die überflutenden Gefühle, die nicht nur, aber vor allem nach den Sitzungen aufkommen. Ich bin dann teilweise für 2/3 Tage "out of order", wenn ihr versteht was ich meine.
Er meinte mal, ich könne es mal mit Yoga versuchen. Aber das ist so gar nicht meins.
Und in wiefern gelernt? Wie Aufgaben lernen?


Jenny Doe
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Beitrag Fr., 21.08.2020, 18:41

Somnia: Durcharbeiten ist verstehen warum ich wie reagiere oder?
Platt gesagt "ja", auch wenn da so verallgemeinert gewiss nicht gilt. Es gibt inzwischen durchaus auch TP-Psychotherapeuten, die beides in ihrer Therapie integrieren, also sowohl "Verstehen" als auch Problemlösung. Das Problem muss somit nicht zwangsläufig dein Therapeut an sich sein. Das ist das TP-Modell, nach dem arbeitet er. Es fordert mehr von Dir als eine VT, die Dir die Lösungen Deiner Probleme "servieren" würde.
Die Idee dahinter ist grob gesagt, dass man, nachdem man verstanden hat, seine Probleme selbst lösen kann und sich die Symptome auflösen.
Alternative dazu ist die VT, die mehr lösungsorientiert ist, dafür aber nicht so sehr in die Verstehenstiefe geht. Die Frage ist, was Du brauchst, was dir mehr helfen würde?

Naja, warum reagierst du so? Stellt sich diese Frage wirklich, nach einem Ereignis wie von einem Flamingo angegriffen werden? Ich würde sagen, du reagierst so, wie viele Menschen nach einem solchen Ereignis reagieren würden.
Ich bin seid 20 Monaten in einer Tiefenpsychologischen Therapie.
Vielleicht ist jetzt ein günstiger Zeitpunkt Bilanz zu ziehen, was Dir deine Therapie bisher gebracht hat. Konntest du Deinen Zielen näher kommen?
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

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Sadako
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Beitrag Fr., 21.08.2020, 21:21

Meine Therapeutin macht auch tfp - aber sie ist zusätzlich fortgebildet bzw ausgebildet als Traumatherapeutin. Die Techniken in den meisten Traumakonzepten sind eher lösungsorientiert oder ressourcenorientiert. Da werden erstmal Dinge eingeübt, wie man sich aus unangenehmen Zuständen rausholen kann. Wie man sich wieder beruhigen kann,... Erst wenn diese Skills sicher verfügbar sind, und man einigermaßen stabil im Alltag ist, ist ( zumindest bei ihr) Traumaarbeit dran.
Da werden Elemente der VT zusätzlich mit eingesetzt. Wir machen manchmal auch ganz praktische Übungen oder probieren Sachen, die gegen Dissoziation helfen (können) zusammen aus.
Mir gibt das viel Sicherheit mich meinen rosa Flamingos zu nähern, weil ich weiß, dass sie mich in einer Sitzung nicht absaufen läßt. Sie wird mich, wenn ich den Boden unter den Füßen verliere unterstützen, dass ich wieder in der Jetzt-Welt ankomme. Wenn es ganz schwierig ist, machen wir notfalls eine Krisensitzung zeitnah in der gleichen Woche aus.
Das was ich mit ihr erarbeitet habe zusammen mit dem Wissen, dass sie mich nicht in ganz elenden Zuständen hängen lässt, ist eine Art Fangnetz, was mir die Arbeit an schwierigen Themen erst ermöglicht.
Eventuell brauchst du auch mehr Sicherheitsnetz...
Frag doch deinen Therapeuten, ob er sich vorstellen kann, ganz konkrete Strategien mit dir zu entwickeln, wie du aus so unangenehmen Zuständen herauskommst.
Wenn er so ein „lupenreiner“ TFPler ist, der streng nach Richtlinie therapiert, macht er es vielleicht nicht, aber was hast du zu verlieren?


Waldschratin
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Beitrag Sa., 22.08.2020, 07:51

Mal noch was zu den Verfahren an sich:

Ich hab ne TfP gemacht, übertragungsfokussiert. (Geht in der Haltung des Theras in Richtung Analyse, also so, dass er sich als "Projektionsfläche" für alles, was in mir ist an Ungelöstem, mir selber aber im Moment noch weder bewusst oder zugänglich ist. Was heißt, im Miteinander mit dem Thera zeigen sich dieselben Probleme, die ich auch sonst mit mir in Beziehungen und mit Beziehungen an sich habe und dann kann man anhand dieser "Modellbeziehung" zum Thera dran arbeiten, und wenn man einen fähigen Thera erwischt hat, hält der das Seinige möglichst raus bzw. reflektiert das möglichst ehrlich mindestens vor sich selber und seinem Supervisor. Das nur zur Erklärung, liebe Somnia, dass du nachvollziehen kannst, was ich meine)

Die Therapie war zu nem großen Teil retraumatisierend für mich.
Wohlgemerkt : Nicht das, was sich da gezeigt hat bei mir, hat mich retraumatisiert.
Sondern der Umstand, dass besagter Thera in eben derselben Art abwehrend, verachtend, mich demütigend, da drauf reagiert hat wie diejenige, der ich diesen inneren Zustand "verdanke". Empört bis beleidigt, dass ich "so etwas" auf ihn zu übertragen wage.
Und ich hab mir den Mund fusselig geschwätzt und die Seele wund dran, hab nix unversucht gelassen, mich ihm zu vermitteln.
Das Problem war aber nicht, dass ich mich nicht "adäquat" zu verständigen wusste, sondern dass er nicht "hören" wollte, weil es zu nah an seinen eigenen "blinden Flecken" war.

Das, was ich in der TfP nicht bearbeiten konnte, aber definitiv "TfP-Arbeitsinhalt" gewesen ist, habe ich in der anschließenden VT bearbeitet.
Und DA ging das!
Weil mein stinknormaler VT-Thera mit Zusatzausbildung Traumatherapie weitaus mehr und differenzierter tiefenpsychologisch "mitgearbeitet" hat, als ichs bei nem TfP-ler mir hätte erträumen können.

Der wesentliche, ausschlaggebende, mir tatsächlich zu meiner eigenen Selbstständigkeit im Umgang mit Meinem verhelfende Umstand war, dass er einfach genommen hat, was sich gezeigt hat.
Was ICH gezeigt hab.
Zu MEINER Zeit.

Und dann : Durfte das erstmal ausgiebig sein!

In aller Dramatik und Tragik und Verzweiflung und sogar die Resignation.

Und : Er hats mit ausgehalten, ohne dran "rumzudoktern".
Selbst wenn das sein ureigenster "Auftrag" ja ist als Thera.

Er war so bei mir (und nicht bei der "Technik" seines Verfahrens oder irgendwelcher kognitiven Hintergründe, wissenschaftlicher Erkenntnisse und dergleichen "Verkopftes"), dass er einzig drauf guckte:
- Was ich grade im Moment zu brauchen schien seiner Meinung nach von ihm.

Und, noch wichtiger in meinem Fall :
- Wie es ihm selber damit erging, auch in diesen Momenten unseres Miteinanders.

Ohne "Gefälle" dabei : Ich Thera, du kleines Klient oder sowas in der Art.
NICHT "besserwisserisch", was ich seiner Meinung nach zu brauchen "habe".
Und halt auch nicht ausgerichtet auf die gesammelten bisherigen Erkenntnisse und Erforschtes, was in Therapieverfahren abzugehen "habe" im "Normalfall".

Dabei hat er mich immer für "normal" genommen. Kein Mitleid, kein "Bedauern" meiner "gescheiterten Existenz" und ohne Drama drumrum.
Was für mich bedeutet: Er hatte es einfach nicht nötig, sich vor mir und Meinem zu schützen, weil er sich als sein "Hauptmanual" ausgesucht hatte, in sich selber ins Reine zu kommen und den "Stand" zu finden und zu bewahren, dass er sowas eben nicht nötig hat.

Dazu seine Ehrlichkeit mir gegenüber.
Wenn er was nicht sagen wollte, was ich ihn gefragt habe, hat er das eben klar so gesagt. Ohne "Was WAGST du da, Unberufene??!", wie das der TfPler durchaus nötig hatte und "lebte".

Dieses "Mitaushalten" und Draufgucken, ohne abzuhauen, sich schützen und mich abwehren zu müssen (und ein "Lass uns dir schnellschnell raushelfen aus deinem Leid, das hält ja keiner um dich aus!!" ist da nix anderes für mich :!!:), war für mich DER tragende Boden, den ich brauchte für meinen eigenen "Anfang" mit dem, was sich da gezeigt hatte. Und ich da dran mich selber rausentwickeln konnte (und ja nach wie vor dabei bin, obwohl die Therapie ja nicht mehr läuft).

So, "Roman", aber grade ein Herzensanliegen von mir, das mal ein bissl "lebendiger" zu vermitteln und weg vom "Theoretisieren". :heart:

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Vivy
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Beitrag Sa., 22.08.2020, 08:04

Ich unterschreibe doppelt und dreifach und noch öfter.

Ich hab das haargenau so auch erlebt.
Sowohl eine retraumatisierende Vortherapie durch nicht anerkennen wollen, was da ist, durch wegmachen wollen, durch „ich will auf keinen Fall, dass du von mir abhängig wirst“, durch am „langen Arm verhungern“ lassen.
Mit dem Unterschied, ich hab nicht kapiert, was da abgeht und hab mich sehr angestrengt, genauso zu sein, wie er mich haben wollte (das kann ich gut)

Und genau das, was Wald von ihrem stinknormalen VTler beschreibt, GENAU DAS erlebe ich jetzt bei einem Gestalttherapeuten, von dem ich nicht weiß, ob er irgendeine Trauma Zusatzausbildung hat.
Und es ist auch völlig egal.

Es darf alles so sein, wie es ist. Er hält alles, was sich zeigt, einfach erst mal mit mir aus, ohne dass das gleich „weg“ sein soll.
Er hält es einfach aus.


Er zeigt sich, als Mensch, nicht als jemand auf dem Sockel, der alles besser weiß.
Er redet darüber, wie er sich jetzt damit fühlt.
Und wenn er erschüttert ist über das, was sich zeigt, dann sagt er das und er scheut auch nicht davor zurück, dass ihm mal die Tränen kommen.

Er fragt mich, was ich brauche. Und er gibt mir, was ich brauche, wenn das für ihn auch passt.
Er ist authentisch und er würde niemals irgendwas machen, wenn es ihm damit nicht gut geht.
Er hat mir mal gesagt, dass er mir nicht alles geben kann, was ich von ihm will, aber dass er mir versprechen kann, dass er immer ehrlich zu mir ist.

Ich kann mich drauf verlassen, dass stimmt was er sagt und dass es da keine Doppeldeutigkeiten oder anderes fieses gibt.
Und wenns mal schief läuft zwischen uns, dann können wir das klären. Dann versucht er zu sehen, was er dazu beigetragen hat.
Und wenn ich irgendwelche „schrägen“ Verhaltensweisen zeige, die er nicht versteht, dann schiebt er die nicht mir zu und weil ich halt so gestört bin, sondern er fragt und fragt und fragt. Er fragt so lang, bis er es verstanden hat.

Oh ... ich konnte jetzt auch nicht anders.
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Beitrag Sa., 22.08.2020, 21:42

Etwas OT , ich hoffe, es darf hier trotzdem stehen bleiben:

Dickes Danke, Waldschratin und Vivy, an Euch für die letzten Beiträge und das Teilen Eurer retraumatisierenden
Therapieerfahrungen. Bin gerade sehr aufgewühlt.
Ihr gebt mir Worte für etwas, was ich auch erleben musste und womit ich nach fast zwei Jahren immer noch nicht gut
zurecht komme - einfach, weil ich kaum ausdrücken kann, WAS da mit meinem Thera damals so schlimm für mich war.
Mir hilft das Ausdrücken-Können sehr, das zu verarbeiten.
Auch habe ich das Glück - auf meiner damals sehr verzweifelten Suche nach jemandem, der mir glaubt, was in der alten Therapie passiert - einen Thera gefunden zu haben, wo ich Raum habe, zu sein wie ich bin. Das entdecke ich jetzt Stück für Stück: wer ich eigentlich bin, im Kern.
Also: Danke!

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Beitrag So., 23.08.2020, 09:03

Somnia hat geschrieben: Do., 20.08.2020, 22:25 Beim letzten Mal, als er es benutze und ich es ablehnte, wurde seine Stimme lauter. Da dachte ich: "Hör hin, hör genau hin, dann vergisst du nichts." Aber ich habe es vergessen. Es ist so surreal.
Wenn du ablehnst und seine Stimme wurde lauter, dann könnte schon das eine Überschreitung deiner Grenzen gewesen sein. Du hast nein gesagt, und er overpowered dich mit seiner Stimme? So klingt das, aber mir fehlt jetzt natürlich der Kontext, siehe auch die Beiträge von @jenny doe.

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Beitrag So., 23.08.2020, 09:28

Somnia hat geschrieben: Do., 20.08.2020, 22:25 Es gibt eine Alternative zum Aussteigen? Kann man die bewusst nutzen?
Ja, die gibt es!
Das Aussteigen ist wie den Stecker ziehen.
Aber wenn das ein Radio wäre, könntest du natürlich auch den Ausschaltknopf benutzen.

Stell dir mal vor, da kommt ein Lied über rosa Flamingos im Radio, das du gar nicht magst.
Du könntest die Lautstärke runterdrehen.
Du könntest auf einen anderen Radiosender umstellen.
Du könntest auch kurz den Raum verlassen.
Du könntest zu deinem Kollegen sagen: Du, können wir was anderes hören?

Vielleicht ist das Aussteigen sogar nicht nur wie "den Stecker ziehen" sondern wie wenn der FI-Schalter fliegt.
Du weisst schon, wenn auf einmal der Strom in der ganzen Wohnung weg ist und man muss dann im Sicherungskasten nachschauen, ob der Hauptschalter geflogen ist. Das passiert z.B. wenn ein defektes Gerät angeschlossen worden ist und schützt den Stromkreis (=Nervensystem) vor Überlastungen (Elektrotechniker mögen mir diesen Vergleich verzeihen). Oder falls du das nicht kennst, wie wenn eine App am Handy einfriert und crasht.
Jetzt ist es natürlich mehr als unpraktisch, wenn jedes Mal, wenn ein rosa Flamingo in der Konversation fällt, gleich der ganze Stromkreis abschaltet oder die app crasht, es wäre doch wesentlich eleganter, wenn man einige andere Verhaltensweisen beherrscht. Und genau das sollte einem ein Therapeut auch beibringen, nicht nur mit dir drüber reden, dass du rosa Flamingos schrecklich findest und warum das so ist.

Das beginnt schon damit, dass man Dissoziationen bei sich wahrnimmt. Häufig ist es so, dass man erst hinterher merkt, dass man "weg war", und man weiss auch gar nicht warum. Also manchmal muss man überhaupt erstmal die Auslöser suchen/kennen lernen, und kann dann lernen, vorher zu spüren: Achtung, rosa Flamingo im Anflug, jetzt bin ich gleich weg - und kann dann noch reagieren - indem man eine der alternativen Verhaltensweisen anwendet, zB. Raum verlassen.

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