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Do., 09.03.2017, 20:22
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Zu den hier stattfindenden Analyseansätzen am "Objekt Möbius": Ich wäre sehr vorsichtig dabei. Das Rationalisieren ist eine sehr wichtige Stütze für eine tief traumatisierte Gesamtpersönlichkeit. Und die so gerne verwendete Phrase, alias "Du musst es (nur/auch) spüren" ist keineswegs ein Allheilmittel, sondern vielmehr oftmals das Direktticket zur totalen Höllenfahrt und zwar ohne Rückfahrkarte. Das Gehirn abzukoppeln und ins Spüren zu gehen, mag bei gewissen Traumata, die nicht mit massivem Gewaltpotential einhergehen, durchaus ein Mittel sein um Zugang zu sich selbst zu erlangen. Bei vollkommenem Kontrollverlust mit Aggressionsschub dazu, kann einen das jedoch zum Mörder machen. Ich weiß das, ich habe es an mir selbst erlebt, als mir der Gaul mal durchgegangen ist und ich (zum Glück nur) fast jemanden ins Jenseits befördert hätte.
Insofern würde ich hier nicht vollmundig ein blumiges "Spüren" anempfehlen, was der Aufforderung gleichkommt, einen Tiger in einem Gehege zu besuchen und das "Kätzchen" nur lange genug streicheln zu müssen, dann wird er ganz lieb. Das wird er nicht, darauf darf man sich verlassen. Ich habe oft das Gefühl, dass viele Menschen gewisse Abgründe nicht wirklich nachvollziehen können, weil sie ihnen so fern sind. Eine tiefe Perversion scheint dazu zu zählen. Insofern könnte man mal versuchen, das Gegenüber in seiner Selbstbetrachtung einfach so (wie es sich eben sieht) zu respektieren, denn schließlich ist es der Experte für sich selbst. Es kommt nie gut, besser wissen zu wollen, was das Gegenüber braucht, als es selbst das vermeintlich weiß.
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Zum Thema und damit @RoboCat -> meine Großmutter verbot mir das Duschen, zog mir gruselige Klamotten an, schnitt mir die langen Haare ab und tat noch so einiges andere. Wobei sie stets Stein und Bein geschworen hätte, von einem Missbrauch durch den Großvater, den Stiefvater und diverse andere Täter nicht das Geringste gewusst zu haben. Selbst als sie mir selbst die Zunge in den Mund schob und ich angewidert und erschreckt zurückprallte (denn von ihr was ich Derartiges nicht gewohnt und es kam danach von ihrer Seite aus auch nie wieder dazu), hätte sie Dir zu 100% sicher geschworen, dass es keinerlei Handlungen an mir gegeben hätte; nicht ihres Wissens nach.
Meine Großmutter war hochintelligent, eine überaus kluge, analytische Frau, jedoch völlig abhängig von meinem Großvater, der sie absolut unselbstständig gehalten hatte. Das war die normale Rolle zu Zeiten meiner Großeltern. Also musste meine Großmutter das was sie wahrnahm abspalten um den Spagat hinbekommen zu können. Sie tat es und versuchte mich zu schützen indem sie mich stillschweigend so unattraktiv wie möglich machte. Was ich daraufhin in der Schule ausstehen durfte, das darfst Du Dir ziemlich schrecklich vorstellen. Hinzu kam, dass meine Großeltern evangelikale Christen (neudeutsch "Kreationisten") waren und meine Großmutter sich sicherlich ungerne vorstellen wollte, dass ihr Mann in der Hölle schmoren würde, was ein weiterer Grund war, den Missbrauch zu negieren und zu leugnen.
Auch meine Mutter leugnete den Missbrauch, sowohl den durch ihren Vater, als auch den durch den Stiefvater. Auch sie hatte gute Gründe, die im Wesentlichen aus einer totalen (finanziellen und emotionen) Abhängigkeit bestanden, in der sie sich zu befinden meinte. Langer Rede kurzer Sinn, es gibt (aus Sicht der Leugner sehr gute, ja elementare) Gründe um Missbrauch zu leugnen, weil ein Eingeständnis nicht nur das eigene, sondern auch das Leben des zu schützenden Kindes (vermeintlich) zerstören würden.
DAS ist nämlich genau das, was meine Großmutter mir kurz vor ihrem Tode eingestand, als sie mir in einer Art Lebensbeichte auch erzählte, warum mir die damals als Stipendium angebotene Förderung auf einem erstklassigen Internat durch meinen damals erziehungsberechtigten Großvater verweigert worden war. Sie sagte sinngemäß, dass mit diesem Eingeständnis doch auch mein Leben den Bach runtergegangen wäre, weil sie dann nicht mehr hätte für mich sorgen können, wenn sie selbst keine Basis mehr gehabt hätte. Und, dass es für sie die totale Bakrotterklärung gewesen wäre, all dessen, was sie jemals versucht hätte zu leben. Und danach wechselte sie das Thema und reagierte auf keine weitere Frage mehr in dieser Richtung. Man konnte förmlich zuschauen, wie sie diesen Teil ihres Bewusstseins wieder zumauerte. Meine Großmutter hat mich geliebt, sie verwöhnte mich und als sie mich gut verheiratet wusste, mich, ihr "letztes Kind", da ist sie kurz darauf gestorben.
Sie wusste es. Ja. Aber sie konnte dieses Wissen nicht zulassen.
Ich bin ihr nicht mehr gram.
Grüßerle!
Mondin