Wollen Sie wissen, was Ihr Therapeut über Sie denkt?

Gibt es demnächst themenbezogene TV- oder Radio-Sendungen? Kinofilme? Fanden Sie interessante Artikel oder Pressemeldungen in Zeitschriften oder im Internet, Bücher oder DVD's? Hier können Sie die anderen davon informieren...
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stern
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 20:32

Jenny Doe hat geschrieben:Wichtig (für den Klienten) ist nicht, dass ein Therapeut privat mit seinen eigenen Gefühlen umgehen kann, sondern dass er in der Therapie Professionalität an den Tag legt.
Sicherlich... nur die Frage ist, ob der Therapeut privat andere Fähigkeiten hat als auf seinem Therapeutensessel.

Meiner Meinung nach hat man Trauerkompetenz oder man hat sie nicht. Aber an solche Konstellationen glaube ich nicht "normal kann ich nicht mit Trauergefühlen umgehen, im Therapieraum aber schon so, dass ich dem Patienten helfen kann". Es geht auch nicht nur um Distanz, sondern auch darum, dass sich der Thera auf bestimmte Gefühle (die auch bei ihm entstehen können) einlassen kann.

Oder wenn ein Thera hochgradig angespitzt ist und nur unzureichend mit Ärger umgehen kann, wie schafft er es dann, Distanz zu wahren, so dass er dem Patienten seinen Frust nicht um den Latz knallt? Um Distanz zu wahren zu können oder etwas kritisch reflektieren zu können, braucht es bereits eine gewisse Ärgerkompetenz.

Oder ein Therapeut, der akut selbst im einem depressiven Sumpf hängt, dürfte einem Patienten schwer Lebensfreude nahe bringen zu können.

Und das gilt für viele Gefühle, dass Professionalität massiv erschwert bis unmöglich ist, wenn eine Therapeut nicht hinreichend gut mit seinen Gefühlen umgehen kann.

Sicherlich mögen diese Aspekte bei manchen Patienten wichtiger und bei anderen unwichtiger sein.

Widow noch nicht gelesen.
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Jenny Doe
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 20:41

@ Widow
Ich persönlich würde da aber 1. einen schulischen Unterschied machen hinsichtlich der Frage, wie schnell sich Therapeutens dann zu helfen wissen, wenn sie selbst erkrankt sind
Es gibt einen Unterschied zwischen Wissen, wie man etwas behandelt und sich selber helfen können. Wenn Wissen allein reichen würde, dann müssten all jene, die seit Jahren hier im Forum sind, kerngesund sein, da sie ja von anderen Klienten wissen, wie man Störungen behandelt. Wissen alleine reicht nicht. Ich weiß, wie man Reizüberflutung am besten behandelt, kann anderen hier tolle Tipps geben, bekomme es aber selber nicht gebacken. Erfahrungen müssen verarbeitet werden, mit Gefühlen muss man umgehen lernen, ... da reicht es nicht wenn man das weiß. Auch Psychotherapeuten verleugnen, verdrängen, ... wenn es um sie selbst geht. Auch Psychotherapeuten ist nicht alles bewusst, was sie selbst betrifft.
Wie 'glaub'würdig also Deine Quellen sind, möge jeder selbst entscheiden.
Wenn man mag, kann man alles in Frage stellen. Irgendein Argument lässt sich immer finden
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.


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Jenny Doe
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 20:50

@ Stern,
Sicherlich... nur die Frage ist, ob der Therapeut privat andere Fähigkeiten hat als auf seinem Therapeutensessel.
Kann er durchaus haben, weil es in der Therapie um Anwendung von gelernten Methoden geht.
Ich denke da z.B. an eine Freundin von mir, die Verhaltenstherapeutin ist und sich auf Angststörungen spezialisiert hat. Ihren Klienten kann sich hervorragend helfen. Sie wendet die Methoden an, die sie während der Therapeutenausbildung gelernt hat und schon geht es dem Klienten besser. Aber erleb diese Therapeutin mal privat. Wenn sie z.B. ein Referat halten muss, dann schmeißt sie sich erst mal ein paar Pillen ein. Sei weiß genau, wie sie mit ihrer Angststörung umgehen müsste, bekommt es aber bei sich selbst nicht hin.
Meiner Meinung nach hat man Trauerkompetenz oder man hat sie nicht.
Was Kompetenzen betrifft, da gebe ich dir Recht. Empathie, Toleranz, Fähigkeit mit Ärger umzugehen usw. hat man, kann man ein Stück weit lernen oder hat man nicht. Das sind aber Eigenschaften des Therapeuten und ist für mich noch mal etwas anderes als eine psychische Störung, unter der ein Therapeut selbst leidet.
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stern
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 21:11

Jenny Doe hat geschrieben:Wissen alleine reicht nicht. Ich weiß, wie man Reizüberflutung am besten behandelt, kann anderen hier tolle Tipps geben, bekomme es aber selber nicht gebacken.
Äh, nicht falsch verstehen... nichts gegen deine Kompetenz: Wer sagt, dass anderen diese Tipps helfen? Kann ja auch sein, dass etwas übersehen würde, wenn es nicht anschlägt. Oder dass die Wissenvermittlungen anderen gar nicht so viel hilft, wie angenommen.

Oder anders formuliert: Zu WISSEN, wie man Reizüberflutungen behandelt, reicht eben nicht unbedingt aus, um anderen zu helfen, wenn Wissen alleine nicht ausreicht.

Kommt wohl auch etwas darauf an, worum es geht. Manchmal kann es funktionieren, manchmal nicht.
Auch Psychotherapeuten ist nicht alles bewusst, was sie selbst betrifft.
Keine Frage. Deswegen gibt es Supervision.
Kann er durchaus haben, weil es in der Therapie um Anwendung von gelernten Methoden geht.
Ich denke da z.B. an eine Freundin von mir, die Verhaltenstherapeutin ist und sich auf Angststörungen spezialisiert hat. Ihren Klienten kann sich hervorragend helfen.
ja, klar, wenn jemand ein Manual schrittweise abarbeitet, hat er vermittelt, was das Manual hergibt. Technikanleitung.

Nur was macht der spinnenphobische Therapeut, wenn er den spinnenphobischen Patient bei einer Exposition begleiten soll und der Therapeut volle Breitseite die Spinnenängste des Patienten abbekommt (wahlweise kann man jede Angst nehmen). Also in anderen Worten: MMn muss er ein Stück weit damit umgehen können, was er vom Patienten an "Störung" unvermeidlich abbekommt. Und wenn man dabei auch bei sich selbst versagt, halte ich das für ein Problem. Geht ja auch in den Links hervor, dass Belastung dadurch entsteht, dass sie mit dem, was der Patient mitbringt (z.B. der im Link genannte Vorwurfspatient), konfrontiert werden. Und wenn der Thera dann genauso "gestört" ist, hmmm.

Wie will der Thera mit z.B. Agoraphie, die sich im Privatleben entfaltet, den Patienten mit der gleichen Störung behandeln? Mir fehlt da wirklich das Vorstellungsvermögen. Der depressive Thera bringt das vielleicht eher hin... und sofern er nicht antriebsgehemmt ist, geht er mit dem Patienten vielleicht auch mal in die Stadt .

Bis zu einem gewissen Grad kann man sicherlich Fertigkeiten vermitteln. Aber das hat den (für mich) einen ähnlichen Charakter wie dem Patienten ein Manual mit Anleitungen in die Hand zu drücken. Wissensvermittlung eben, die nicht unbedingt ausreicht.
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Jenny Doe
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 21:31

@ stern,
Wie will der Thera mit z.B. Agoraphie, die sich im Privatleben entfaltet, den Patienten mit der gleichen Störung behandeln?
Da hast du Recht. Das klappt nicht bei jeder Störung.
Aber der Vorteil am Therapeutenberuf ist, dass man die Methoden mit den eigenen Problemen in Einklang bringen kann. Wenn ein Therapeut selbst Angst hat, sich In Vivo mit einem Angstreiz zu konfrontieren, so bleibt dem Therapeuten ja noch eine In Sensu Konfrontation, also, dass sich der Klient den Angstreiz solange vorstellen muss, bis er keine Angst mehr auslöst.
Halt selbst vermeiden, ...
So wie ich Ich wurde während meiner Ausbildung aufgefordert, mit einem Klienten eine Höhenangstkonfrontation auf einem hohen Turm durchzuführen. Zum Glück gabs Mitstudenten, die das gerne übernahmen Ich wäre noch vor dem Klienten gestorben
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 21:40

Jenny Doe hat geschrieben:Halt selbst vermeiden, ...
Eben, das halte ich für den Punkt. Und das klappt evtl. noch nicht einmal "in Sensu", denn sofern der Patient dabei nicht die Klappe halten soll, hat der Therapeut die Angstinhalte nämlich auch in seinem Kopf... (über das, was der Patient i.d.R. verängstigt erzählt). Wird also sozusagen ein Stück weit mitkonfrontiert. Für den Therapeuten, der die Angst nicht hat, dürfte das weniger ein Problem sein. Derjenige der sie hat, ist dann auch in Sensu konfrontiert und muss damit umgehen.

Und lässt es sich nicht vermeiden, ist vielleicht der Umgang damit unprofessionell. Auch wenn etwas ausgespart wird, was der Patient bräuchte, ist nicht in jedem Fall professionell.

Ich denke, manchmal mag das funktionieren, das Therapeutenschwächen kompensiert werden können... aber es birgt (auch in Abhängigkeit von der Konstellation) auf jeden Fall Risiken.
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Jenny Doe
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Beitrag Sa., 05.07.2014, 21:49

@ stern,

der Therapeut kann ja auch nur einfach drüber reden oder dem Klienten Hausaufgaben aufgeben oder eine Computerkonfrontation durchführen. Es gibt zahlreiche Methoden, die der Therapeut wählen kann. Und Vermeidung ist ja nicht nur direkte Vermeidung. Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten der Vermeidung, wie z.B. Dissoziation, kognitive Vermeidung usw. Es gbt zahlreiche Möglichkeiten, sich selbst zu schützen, dass man nicht getriggert wird. Im Prinzip sind es genau die Methoden, die auch die Klienten anwenden. Aber zweifelsohne stellt das für den Therapeuten eine enorme Belastung dar.
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Beitrag So., 06.07.2014, 00:20

Jenny Doe hat geschrieben:@ stern,

der Therapeut kann ja auch nur einfach drüber reden oder dem Klienten Hausaufgaben aufgeben oder eine Computerkonfrontation durchführen. Es gibt zahlreiche Methoden, die der Therapeut wählen kann.
Ich verstehe schon, was du meinst. Ist halt teilweise sehr technisch. Wenn so sein Computerkonfrontation dann auch klappt, ist das wunderbar. Aber was, wenn es nicht mustergültig läuft und der Patient, die Angst nicht runterpegeln kann... und (auf hohem) Angstniveau den Thera berichtet. Oder die Hausaufgabe nicht schafft. Ist dann schon von Vorteil, wenn er etwas beruhigend oder unterstützend einwirken kann... und das kann erschwert sein, wenn der Therapeut selbst Angst hat.
Und Vermeidung ist ja nicht nur direkte Vermeidung. Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten der Vermeidung, wie z.B. Dissoziation, kognitive Vermeidung usw. Es gbt zahlreiche Möglichkeiten, sich selbst zu schützen, dass man nicht getriggert wird.
Ich habe meine Thera vor einer Weile sozusagen auch getriggert (oder wie auch immer man das bezeichnen mag). Und das ist schon ein Problem, weil das funktioniert eben nicht in jedem Fall, dass man sich idealtypisch schützen kann. Mal sehen. Sicherlich gibt es manche Techniken... aber eben auch menschliche Faktoren, so dass der Mensch nicht immer so funktioniert, wie die Technik oder Manual das vorsieht. Bei einer Standard-Technik, die mir nützlich wäre und immer erwähnt wird, bekomme ich jedes Mal einen Vogel, wieso das bei mir nicht funktioniert. Bei anderen scheint es hingegen durchaus zu funktionieren.

Und wie gesagt: Reicht Selbstschutz wirklich aus... also genügt es dem Patienten, wenn der Thera zwar eine Technik vermittelt bzw. selbst anwendet, aber ansonsten die Schotten dicht macht und sich nicht wirklich darauf einlassen kann... hm. Balance zwischen Einlassen und Distanz finde ich persönlich schon von Vorteil.

Eine wirkliche psychische Störung zeigt sich in vielen Fällen in irgendeiner Form auch im Äußeren... manches lässt sich sicherlich kasschieren, aber eben nicht konsequent alles. Und so ist das dann bei gestörten Patienten wie bei gestörten Therapeuten. Und ich glaube nicht, dass solche Konstellationen funktionieren.
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Jenny Doe
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Beitrag So., 06.07.2014, 06:12

@ Stern
Reicht Selbstschutz wirklich aus... also genügt es dem Patienten, wenn der Thera zwar eine Technik vermittelt bzw. selbst anwendet, aber ansonsten die Schotten dicht macht und sich nicht wirklich darauf einlassen kann...
Meiner Meinung nach sollten Therapeuten erst mal ihr eigenes Leben in den Griff bekommen, bevor sie andere therapieren.

Ich habe kürzlich auf Youtube ein Video von einer Borderline-Persönlichkeit gesehen, die fernab von geheilt ist. Sie erklärte in dem Video, warum sie trotzdem ein gute Therapeutin sein kann. Hauptargument: "Ich weiß, was meine Klienten fühlen". Meine oben erwähnte Freundin, die VT ist, Angstpatienten therapiert und selber unter massiven Ängsten leidet, argumentiert auch so. Ich finde das Video leider nicht mehr. Gefährlich an so einer Einstellung finde ich, dass die Gefahr besteht, dass Therapeuten von sich und ihrer Gefühlen ausgehen, diese auf ihre Klienten übertragen und glauben, dass der Borderline-Klient genauso fühlt wie sie selbst. Wenn sie irgendwann mal selbst geheilt ist, okay. Aber solange sie merkbar selber leidet, sollte sie die Finger von anderen Menschen lassen. Aber das ist halt meine Meinung. Einige meiner ehemaligen Mitstudenten, die Bordeline sind, sitzen trotz ihrer eigenen Störung in ihren Praxen und therapieren andere.

In den Jahren, als ich noch glaubte, ich sei sexuell missbraucht worden, da brach nach ca. 2 Jahren Therapie einer meiner Therapeutinen in Tränen aus und erzählte mir von ihrem eigenen sexuellen Missbrauch. Damals dachte ich: "Diese Therapeutin weiß, wie ich mich fühle". Heute weiß ich, dass sie ihren eigenen Missbrauch in mich hinein projiziert hat und davon ausgegangen ist, dass auch ich missbraucht worden sein muss. In den ganzen 2 Jahren habe ich von ihrem eigenen Missbrauch nichts gewusst und es auch nicht gespürt. Sie arbeitete professionell. Erst als sie selber zusammenbrach, erfuhr ich davon. Ich war übrigens ihre letzte Klientin; sie hängte den Therapeutenjob an den Nagel
Man kann es so oder so sehen. Es kann ein vorteil sein, wenn Therapeuten wissen, wie sich eine Störung anfühlt. Es kann dem Klienten aber auch schaden, wenn Therapeuten ihre eigene Störung auf ihre Klienten übertragen und glauben zu wissen, was der Klient fühlt.
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leberblümchen
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Beitrag So., 06.07.2014, 07:07

Es muss ja auch nicht immer so extrem sein, dass der Therapeut wirklich so krank ist, dass man von einer schweren Störung sprechen könnte. Aber das andere Extrem, dass das lauter wahnsinnig gut durchanalysierte und vor Kraft und Lebensfreude strotzdende Menschen sind, die man sich nur zum Vorbild nehmen kann, trifft vielleicht noch viel weniger zu als das Bild vom Therapeuten, der "selbst verrückt ist".

Ich denke auch, dass ein "der weiß, wie ich mich fühle" zu wenig ist. Andererseits merke ich selbst, dass es bei mir Themen gibt, zu denen mein Therapeut kaum einen Zugang hat, während ich bei anderen Themen merke, dass er genau weiß, wovon ich spreche. Ich empfinde diesen Unterschied sehr extrem! Und ich denke, dass das Nachfühlen umso besser gelingt, wenn man ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Das muss ja kein Missbrauch sein; es 'reicht', wenn man sich mit der Erfahrung auseinandergesetzt hat, nicht ernst genommen worden zu sein usw.

Dass mein eigener Therapeut nicht gerade das Musterbeispiel an Lebensfreude, Power und Optimismus ist, das wusste ich sehr schnell. Mich hat die starke Empathiefähigkeit angezogen. Früher hab ich mir immer eingeredet, meine Annahme, er 'leide', sei eine Projektion. Es ist halt irgendwie blöd, wenn der Patient sozusagen annehmen MUSS, der Therapeut habe alles im Griff, weil der eben auch nie deutlich zugeben würde, dass es anders ist. Gerade in Konfliktsituationen. Es ist leicht, zuzugeben, Angst vor dem Tod zu haben. Aber wenn der Patient dich gerade runterzieht, dann willst du als Therapeut davon auch nichts mehr wissen, und dann fängst du an, den Patienten wie Vogelka.cke vom Ärmel zu wischen. Ohne dass du das willst - denn du WILLST ja ein guter Therapeut sein, und dass du den Patienten mit seiner Todesangst gerade nicht erträgst, das passt nicht zu deinem Ich-Ideal. Also muss der Patient zum 'Täter' gemacht werden, zum Beispiel in den Notizen...

Ich hab mich immer gefragt, wie das eigentlich kassentechnisch aussieht, wenn Therapeuten große Fehler begehen, deren Aufarbeitung letztlich Stunden oder Wochen beansprucht: Mir ist klar, dass enge Beziehungen so laufen, dass beide Fehler machen usw. Aber komisch finde ich den Gedanken schon, dass die Kasse oder ich dem Therapeuten dann für jede Stunde brav das Geld in die Hand drücken, auch wenn wirklich offensichtlich ist: "Hier hab ich als Therapeut gerade massiv versagt". Die Therapie insgesamt muss nicht leiden dadurch, aber ich denke, das Versagen des Therapeuten (auch wenn er ein guter ist) ist ein Tabu-Thema, gerade auch in den Gutachten und im Kontakt mit der Krankenkasse. Am Ende ist es immer der Patient. Oder schreibt der Therapeut etwa: "Durch meine eigenen blinden Flecken und meine persönlichen Probleme ist es mir über Stunden nicht gelungen, die Botschaft des Patienten zu verstehen"? - Und dann sagt die Kasse: "Kein Problem: Wir zahlen dir das gerne"???


ziegenkind
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Beitrag So., 06.07.2014, 07:51

ich weiß in ansätzen von schweren kindheitserlebnissen meiner therapeutin. und doch spür ich fast jede stunde: sie hat das ganz bestimmt nicht immer, aber fast immer in meinen stunden im gut durchleuchteten griff. ich merke das daran, dass ihr helle zugewandheit nicht weniger, sondern mehr wird, wenn ich sie wütend attackiere - weil sie wirklich weiß, wenn ich das tue, dann ist die not groß. und ich merke auch: sie kann mit großer gelassenheit fehler einräumen UND sich diese fehler mit derselben großen hellen zugewandheit verzeihen, die mir mir entgegenbringt. neulich erst ist es mir gelungen, sie doch ein klitzekleines wenig wütend zu machen und sie hat einen winzigen nebensatz rausgehauen, von dem sie wenig später sagte, puh, das hätte ich auch steckenlassen können. und dann hat sie mir erklärt, WARUm sie das nicht konnte. ich weiß auch, dass meine therapeutin das NICHT als fehler versteht, wenn sie meine botschaft mal nicht verstehen kann. das macht sie traurig, ja, das sicher. aber sie weiß auch, so ist das, das kommt vor, und das müssen wir beide aushalten. und v.a.: wir können und müssen und werden dann so lange reden, bis sie da ist die botschaft, bei ihr. und das ist vielleicht das, was ich am meisten an ihr liebe: ihre ganz große gelassenheit im umgang mit dem, was sie noch nicht verstanden hat, ihr vertrauen darauf, wenn nicht jetzt, dann das nächste oder übernächste mal. manchmal zerre ich dann an ihr. ber schon beim zerren mag ich die gelassenheit und spür, die gibt mir mut.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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sandrin
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Beitrag So., 06.07.2014, 10:10

leberblümchen hat geschrieben:..... Mir ist klar, dass enge Beziehungen so laufen, dass beide Fehler machen usw. Aber komisch finde ich den Gedanken schon, dass die Kasse oder ich dem Therapeuten dann für jede Stunde brav das Geld in die Hand drücken, auch wenn wirklich offensichtlich ist: "Hier hab ich als Therapeut gerade massiv versagt". Die Therapie insgesamt muss nicht leiden dadurch, aber ich denke, das Versagen des Therapeuten (auch wenn er ein guter ist) ist ein Tabu-Thema, gerade auch in den Gutachten und im Kontakt mit der Krankenkasse. Am Ende ist es immer der Patient. Oder schreibt der Therapeut etwa: "Durch meine eigenen blinden Flecken und meine persönlichen Probleme ist es mir über Stunden nicht gelungen, die Botschaft des Patienten zu verstehen"? - Und dann sagt die Kasse: "Kein Problem: Wir zahlen dir das gerne"???
Das finde ich einen sehr treffenden Aspekt! Genauso ist es nämlich.


ziegenkind
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Beitrag So., 06.07.2014, 10:51

worin besteht eigentlich in den hier zirkulierenden phantasien das große versagen des therapeuten? das er symbiotisches verstehen nicht praktizieren will? dass er sich abgrenzt? manchmal stellt sich nach jahren heraus, dass das was einem auf dem höhepunkt der eigenen macke als ganz schlimm vorkommt, not-wendend war. manchmal ist aber aus einer macke überhaupt kein herauskommen und niemand hat schuld, v.a. dann wenn es immer noch und immer wieder als reizvoll empfunden wird, den anderen abzuwerten, um an der eigenen grandiosität festhalten zu können.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.


leberblümchen
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Beitrag So., 06.07.2014, 11:10

Es geht nicht um symbiotisches Verstehen oder nicht, sondern um Versagen. Das sind zwei verschiedene Dinge. Versagen kann temporär sein, dann kann es aufgefangen werden (und in der Akte leichter verschleiert werden), oder es kann sich so schädigend auf den Prozess auswirken, dass die Therapie gescheitert ist, der Patient am Ende keine Stunden mehr übrig hat und die Schuld bei sich sucht, natürlich unterstützt durch die 'fachmännische' Einschätzung des Therapeuten.

Ein klassisches Beispiel ist hier natürlich der nicht nur sexuelle Missbrauch, über den sich in der Literatur Berge von Berichten von Einzelschicksalen finden. Und wo letztlich nur nebenbei erwähnt wird, dass auch solche Sitzungen über die Kasse abgerechnet werden. Ich meine damit nicht nur Treffen, in denen es zum Verkehr kam; wie wir wissen, findet Missbrauch viel öfter sehr subtil statt, sodass der Patient selbst erst Monate später merkt, dass überhaupt etwas schiefgelaufen ist.

Es zeigt sich hier ja gerade ganz schön das Tabu: Kritik am Therapeuten ist - aus der Sicht derer, die das nicht kennen und nicht sehen wollen - immer Symptom der eigenen Störung des Patienten. Wenn das der Therapeut ähnlich praktiziert, hat der Patient keine Chance, dass seine eigene Perspektive als (mindestens) ebenso wahr wahrgenommen wird. Das ist Ausdruck des Machtgefälles zwischen Therapeut und Patient, und indem dem Patienten die Einsicht in die Akte verwehrt werden soll, wird diese Macht immer weiter ausgeübt. Das sollte SO nicht mehr möglich sein.


ziegenkind
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Beitrag So., 06.07.2014, 11:43

klare frage, keine antwort: worin besteht das versagen des therapeuten? oben war es noch ein guter therapeut, dessen "versagen" darin bestand, dass eine botschaft bei ihm nicht anam jetzt geht es auf einmal um missbrauch. manchmal glauben patienten nicht selber schuld zu sei, manchmal suchen sie nach einem schuldigen für ihr leiden an sich selber. manchmal tun sie das überhaupt nicht subtil, aber hartnäckig. das ist nur deshalb schlimm, weil sie damit verhindern, dass SIE SICH ändern können.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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