Aus meiner persönlichen Erfahrung als Studentin kurz vorm Masterabschluss: Ich schätze die Digitalisierung der Lehre und die damit verbundene Flexibilität in einigen Punkten sehr. Online-Vorlesungen stellen m.E. eine klare Verbesserung im Vergleich zu den klassischen Vorlesungen dar (wobei ich auch im verdummenden Bachelor schon einen Professor hatte, der seine Vorlesungen aufgezeichnet und ins Netz gestellt hat, was schon damals nur Vorteile hatte). Als jemand, der ebenfalls nicht in der Stadt lebt, in der er studiert und arbeitet, schätze ich auch die räumliche Unabhängigkeit sehr und die Tatsache, nicht mehr für jeden Sprechstundentermin von 15 Minuten vier Stunden Weg auf mich nehmen zu müssen. Das sind tolle Entwicklungen und ich hoffe sehr, dass sie sich langfristig durchsetzen. Ich lerne auch sehr gerne und am besten für mich selbst, aber eben nicht nur, und das 'andere' ist mit der Pandemie verloren gegangen. Ich hatte zu Beginn der Pandemie glücklicherweise nur noch zwei Seminare offen, sodass ich von der Online-Lehre größtenteils verschont geblieben bin. Die Seminare waren aber mit einem drastischen Verlust an Qualität verbunden, was nicht an den Dozierenden lag, die alles Menschenmögliche getan haben. Aber der intensive Austausch über die Texte und Studien, die man sich vorher im Selbststudium angeeignet hat, die spannenden und anregenden Diskussionen, das alles findet online nicht mehr in diesem Ausmaß statt wie es das vorher tat. Und zumindest das Fach, das ich studiere, lebt vom Austausch und von der Diskussion. Die persönlichen Begegnungen gehen verloren, der Austausch über einen Autoren beim Kaffee in der Mensa, das Knüpfen neuer Kontakte, neuer Freundschaften. Präsenz ist so viel mehr als nur die Anwesenheit im selben Raum.
Für mich ist es in Ordnung, ich bin fast durch. Aber ich habe aufrichtiges Mitgefühl mit den Studis, die in der Pandemie angefangen haben und ein Studentenleben, wie ich es haben durfte, bis heute nicht kennen gelernt haben und vielleicht auch nicht mehr kennenlernen werden. Die seit zwei Jahren im Kinderzimmer oder im kleinen WG-Zimmer hocken und sich als, wie es die Heute-Show mal so schön auf den Punkt gebracht hat, "Arbeitslose mit Wissenschaftsinteresse" fühlen und vereinsamen, weil sie keine Möglichkeiten hatten, neue Menschen kennenzulernen in einer Stadt, in die sie vielleicht gerade erst gezogen sind. Denen vielleicht die Finanzierungsgrundlage ihres Studiums in der Form klassischer studentischer Nebenjobs weggebrochen ist und die durch alle soziale Netze gefallen sind und keine andere Möglichkeit mehr sahen, als ihr Studium zu pausieren oder abzubrechen und Hartz IV zu beantragen (ja, ich kenne solche Fälle).
Es ist eben nicht schwarz-weiß. Dass beispielsweise viele familiäre Zwangstermine pandemiebedingt entfallen, sehe ich als eine ganz klare Verbesserung dieser sozialen Beziehungen. Dass ich meine Mitstudierenden teilweise seit zwei Jahren nicht mehr gesehen habe, sehe ich hingegen als Verschlechterung.
Ich schätze die Unabhängigkeit und selbstbestimmte Arbeitsweise, die mir Corona ermöglicht. Trotzdem würde ich psychisch massiv davon profitieren, wenigstens einmal in der Woche das Haus verlassen und mich beruflich bedingt unter Menschen begeben zu müssen.
Das kann man doch nebeneinander stehen lassen.
Und deshalb noch, weil mich diese Aussage schon wieder geärgert hat:
Du schreibst es selbst, für dich zumindest. Vielleicht bist du aber in einer so 'luxuriösen' Situation und anderen Menschen in anderen Lebensumständen geht es anders? Vielleicht kann man verdammt noch mal einfach anerkennen, dass die Pandemie für viele Menschen mit einem drastischen Verlust an Lebensqualität und Qualität in den sozialen Beziehungen einher ging? Das heißt nicht, dass die positiven Entwicklungen nicht dennoch stattfinden und gesehen und gefördert werden sollten. Es heißt auch nicht, einen Schuldigen oder Ausreden zu suchen. Es heißt einfach nur, dass die Pandemie das Leben vieler Menschen sehr stark verändert hat und das auch teilweise sehr zum Negativen hin. Warum fällt es so schwer, das anzuerkennen?