mio hat geschrieben: ↑Mi., 08.04.2020, 03:56
Ich glaube dass eine gesunde Portion Angst (wohlgemerkt nicht Panik!) dazu führt, dass man achtsamer mit der Situation umgeht und sich eher an Regeln hält die ja den "normalen" Regeln ziemlich zuwider laufen. Man ist einfach selbst mehr im "Aufmerksamkeitsmodus" als man es ohne Angst ist.
Das ist die Frage, ob das wirklich so ist. Angst kann auch dafür sorgen, dass sich der Horizont einengt, eben auf die Angst und zu teilweise irrationalen Handlungsweisen führt. Ich glaube z.B. nicht, dass ein Mensch, der Angst vor Hunden hat, aufmerksamer mit Ihnen umgeht und dadurch Risiken reduziert. Im Gegenteil, er wird durch seine rein emotionalen Abwehrreaktionen das Risiko eher erhöhen. Gut, bei Angst vor Hunden kann man diesen aus dem Weg gehen, bei einem Virus geht das aber nicht so gut, weil der ja nicht offen sichtbar und erkennbar ist und wir ihn nicht selten an der falschen Stelle vermuten.
Beispiel sind die vielen Damen, die meinen, auf einer öffentlichen Toilette "freischwebend" pinkeln zu müssen, um sich mit nichts zu "infizieren", obwohl das aus wissenschaftlicher Sicht total Banane ist, weil beim normalen Sitzen auf der Toilette der Intimbereich gar keinen Kontakt mit der Toilette hat, sondern lediglich der Oberschenkel, wo keine Keime in den Körper eindringen können. Infiziert wird sich eher an der Türklinke - nach dem Händewaschen. By the way führt gerade dieses ängstliche "freischwebend pinkeln" zu genau jenen Verschmutzungen, die öffentliche Damentoiletten oft so unappetitlich machen. Die Angst führt also nicht zu mehr Solidarität und Rücksichtnahme, sondern im Gegenteil eher dazu, dass jeder darauf fokussiert ist, sein eigenes vermutetes Risiko zu minimieren, auch um den Preis, den Anderen eine verdreckte Toilette zu hinterlassen.
Auch in Corona Zeiten. Mir hat die Tage noch eine Freundin erzählt, sie hat eine Frau beobachtet, die beim Einkaufen ihren nicht desinfizierten Einkaufswagen mit ach so sicheren Einmalhandschuhen geschoben hat und dann nach dem Einkauf mit eben diesen Handschuhen zu einem Spargelstand gegangen ist, wo sie einzelne Spargelstangen nach Größe und Wuchs aussortiert hat, während die Verkäuferin tatenlos daneben stand. Meiner Freundin ist fast die Kinnlade runter geklappt. Angst macht in meinen Augen eher egoistisch. Hauptsache ich kann meine Angst reduzieren (auch wenn es nur durch durchlässige Einmalhandschuhe und eine dünne selbstgenähte Stoffmaske ist, die eigentlich so ziemlich gar nix bewirkt). Da werden viele Maßnahmen auch nur getroffen, um die eigene Angst in Schach zu halten.
mio hat geschrieben: ↑Mi., 08.04.2020, 03:56
Und damit meine ich gar nicht mal die direkte Angst vor einer Ansteckung sondern eher die Angst davor, dass die Situation komplett außer Kontrolle geraten kann wenn nicht alle mitziehen. Dieses Bewusstsein fehlt nach meinen Beobachtungen, wenn die Leute da leichtfertig damit umgehen. Da wird sich dann zwar teils "oberflächlich" an die Regeln gehalten, aber so wirklich verstanden WARUM DAS GERADE WICHTIG IST wird scheinbar nicht.
Da schmeißt du wieder Risikobewusstsein und Angst durcheinander. Ich sage nochmal: man kann ängstlich sein, ohne ein ausreichendes Risikobewusstsein zu haben bzw. das Risiko an der falschen Stelle zu vermuten und Risikobewusstsein haben, ohne besonders ängstlich zu sein.
mio hat geschrieben: ↑Mi., 08.04.2020, 03:56
Bei einigen Leuten hier - und die Polizei scheint das genauso zu beobachten wie ich das beobachte - nimmt diese Aufmerksamkeit aber momentan eher wieder ab als dass sie zunimmt oder sich zumindest hält. Das hat so ein bisschen was von: Man, wir machen das doch jetzt schon seit 3 Wochen wann ist endlich mal wieder gut?
Auch das lässt nicht darauf schließen, inwieweit da Angst im Spiel ist oder nicht. Im Gegenteil, wenn die Aufmerksamkeit nach einiger Zeit nachlässt, spricht das eher dafür, dass Angst da ist, die dann im Laufe der Zeit habituiert. Wenn jemand aber auf einer eher rationalen Ebene ein Risikobewusstsein entwickelt und danach sein Handeln ausrichtet, wird das vermutlich konstanter sein, als beim angstgesteuerten Verhalten.