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Do., 03.03.2011, 05:08
Verloren…….
Ich stehe auf der Treppe in ihrem Stiegenhaus, im 3. Stock.
Die Stunde ist vorbei, ich muss wieder fort von ihr, fort von ihrer sanften warmen Stimme, ihrer Zuversicht, ihrer Fröhlichkeit. Ich kann nicht weiter, stehe einfach still auf der Treppe, verloren, ich sehe die Fenster in den Hof mit den Müllcontainern, ein Gedanke blitzt in mir auf, ich wische ihn weg, genauso wie die vielen Tränen. „Du hast dir etwas vorgenommen für nach der Stunde, also los, mach das jetzt, JETZT! Das andere ist Blödsinn.“ Die Sonne scheint, doch es ist alles so kalt und leer und schrecklich dreckig, so wie ich. Mir graust davor die Stiege weiter hinunter zu laufen, mir graust davor den kalten Gang zum Ausgang zu gehen, mir graust vor dem weißhaarigen Mann im blauen Arbeitsgewand, ich weiß er wird erneut seine Schubkarre so laut vor dem Sandhaufen vor dem Haus abstellen, dass mir wieder der Schreck in alle Glieder fährt.
Genauso erschreckend wie es war, als ich mich verkrochen habe in der Einfahrt neben dem Eingang, zitternd den Zeitpunkt abwartend um dann doch den Klingelknopf zu drücken und zu ihr hinauf zu eilen. Als ob nichts gewesen ist, werde ich freundlich lächelnd empfangen. Ich lande irgendwie auf meinem Platz, ich bin gar nicht richtig da, alles wirkt fremd und zugleich erdrückt mich der Raum, sie ist so weit weg, ich habe sie verloren, ich bin nur noch Tränen und Zittern.
Da sind keine Worte nur der ganze Schmerz, der Kummer, das sich ausgeliefert fühlen, und dieses „Warum haben Sie mir keinen Termin gegeben, Sie wollen mich hier nicht mehr und jetzt habe ich Sie mit meinen Worten verletzt, habe Sie verloren, endgültig, geschieht mir recht“ das so grauenhaft in mir tobt. Nur Tränen und Zittern und eine große Schachtel Taschentücher, die sie mir freundlich zuschiebt.
Ich klammere mich an diese freundliche Geste, verinnerliche sie geradezu und empfinde sie gleichzeitig als zu wenig, ich brauche Worte, Worte die mir sagen, warum das alles passiert ist, und dass sie mich verstehen kann. Ich bekomme sie nicht, verloren….. verloren….. alles
Der Job, die Kollegin, die so mit privaten Problemen voll ist, dass sie mich gar nicht einschulen kann, das Chaos dort, der Chef, der vom Aussehen her so erschreckend dem grauen Mann aus meinem Gartenbild ähnelt. Alles werfe ich Thera vor die Füße, ich bekomme gleich die ganze Schachtel mit Taschentüchern, und viel Verständnis und die dringende Aufforderung mit dem Chef zu reden. Ich muss es gleich sagen, dass das mit dem Einschulen nicht klappt, es fällt mir sonst später auf den Kopf.
Mein ganzes Gefühl nicht wirklich vorhanden zu sein verschwindet, da ist er wieder der Druck in meiner Brust, der Schmerz, die eiserne Umklammerung der Angst. Eine neue Flutwelle an Tränen schwappt das Thema „Job“ weg.
„Was ist mit Mutter?“
Tiefste Ratlosigkeit, unendliche Einsamkeit, schreckliche Traurigkeit.
Ablenkungsmanöver: „Ich habe ihr Buch, es ist grauenhaft.“
Sie muss lachen,“ Ja, das Buch ist wirklich keine leichte Kost, nicht gleich alles lesen, langsam.“
„Was ist mit Mutter?“
Mutter ist da, sehr freundlich, aber verstehen kann sie mich nicht.
„Was ist mir der Wohnung?“
unaushaltbar
„Was ist mit der Geige?“
Schlimm, die Angst kriecht bis in die Fingerspitzen, da geht auch nichts.
Ich will nicht mehr die 1. Stimme spielen, der Horror vom letzen Vorspielen sitzt mir noch in allen Knochen, ich flüchte jetzt mal zur Viola, da muss ich nicht mehr die 1.Geige sein.
Thera schaut mich verständnislos an.
Ich zerbreche noch mehr daran, warum versteht sie das nicht.Ist doch nicht so schwer, ich kann einfach nichts! Nicht mal Geige.
„Was ist mit den Bildern? Gibt es da neue?“
Nein, mir reicht was da ist, ich kann nicht ein einziges Neues mehr aushalten!
Ich erzähle von meinem Verdacht, das ich das nicht glauben kann, wir sind wieder bei verfälschten Bildern. bäh...
„Wie ist das mit Gefühlen, gibt es da welche dazu?“
Außer der aufsteigenden Panik bei dem Bild mit dem Gewitter, wo der Bruder ins Zimmer kommt, nein, nichts….
„Das ist aber merkwürdig“ Sie sieht mich sehr nachdenklich an.
Ich werde total unsicher, warum, was soll denn daran merkwürdig sein, ich will gar nichts fühlen, ich kann nicht!!! Und ich hab Angst, dass die Bilder wirklich sind.
„Zweifeln Sie an den Bildern?“
Hups!!!
Ähm, nicht wirklich, was da in mir ist, das muss echt sein, aber das ist so schlimm, das darf einfach nicht wahr sein, da…(ist etwas aber ich weiß nicht was)
Wie waren sie als Kind? Waren sie sehr traurig, ruhig?
In meinem Kopf nur Leere. Ich glaube nicht, ich sehe mich immer als sehr fröhlich, zumindest tagsüber, die große Angst und Verzweiflung kam sobald ich abends allein in meinem Zimmer sein musste.
Die Frage verwirrt mich, ich bin mir nicht sicher ob das stimmt, ich finde da nichts…
Ich bin so entmutigt, das wird heute nicht gut, ich hab verloren.
Jetzt ist es egal, ich muss doch fragen.
„Warum haben Sie mir keinen Termin gegeben.“
Und dann folgen Worte, wie „ihr neuer Job, da schien mir Trost wichtiger, es war keine böse Absicht von mir, es musste sein um sie aus dieser Abhängigkeit herauszubekommen.
Ich erschrecke. "Ich weiß doch, dass Sie das nicht in böser Absicht gesagt haben."
Mit einem Schlag ist mir bewusst, wie sehr ich sie mit meinen Worten getroffen haben muss.
Wie konnte ich nur, wie konnte ich nur, ich habe alles zerstört!
Sie: "Es ist das gleiche Spielchen wie bei ihrer Mutter. Lass mich nicht allein!“
Ihre Worte treffen mich erneut mit solcher Wucht,
nur zu, noch mehr von meiner Schlechtigkeit oben drauf packen, ich hab das verdient.
Ein Spielchen, ein Spielchen……
Ich habe keinen Boden mehr unter mir.
Es ist kein Spielchen, es ist KEIN Spielchen!
Es stimmt ich bin von ihnen abhängig.
Ich dachte ich darf mich bei Ihnen anklammern, wenigstens einmal im Monat mich bei Ihnen verkriechen, vor all dem was so schrecklich ist.
Doch nein, ich darf das nicht, auch das nicht.
Ende der Stunde, sie fragen ganz freundlich: „Sie melden sich wieder?
Ich ersticke fast an dieser Frage.
Ich versuche zu nicken, versuche diese entsetzliche Mauer eines unüberbrückbaren Schuldgefühls zu überwinden und versinke im Morast der totalen Verzweiflung.
Ich muss doch wieder kommen, wie soll ich es anders auch nur noch einen Tag aushalten.
Ein freundlicher, aufmunternder Händedruck, ein ebensolcher Blick und draußen bin ich wieder, im kalten grauen Stiegenhaus, auf der Treppe, ich kann nicht weiter, ich habe verloren... verloren... alles...
Für diesen Tag war es gut, dass ich mir noch vorgenommen hatte die Viola zu holen. Ein Zeitraum von drei Monaten, eine Verpflichtung die ich einhalten muss, eine Viola, sie wird meine Fluchtgedanken stoppen.
leise