fliegender Wechsel zwischen Patienten

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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Montana
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 12:01

Es kann gute Gründe geben, warum man von bestimmten Leuten nicht möchte, dass sie von einer Therapie wissen. Meine Familie wusste am Anfang nichts davon, und der Therapeut war auch so weit weg, dass es keine zufälligen Begegnungen geben konnte. Bekannte hätte ich durchaus treffen können, aber das wäre nicht schlimm gewesen.

Zu einer Therapie "stehen", gerade ganz am Anfang: das finde ich doch deutlich zu viel verlangt. Ich war voller Zweifel ob das eine gute Idee sei und war auch nicht überzeugt davon, dass eine Therapie gerechtfertigt ist.

Gespräche im Wartezimmer des Psychiaters hatte ich noch nie und ich bin auch noch nie Zeugin eines Gespräches unter anderen Patienten geworden. Noch nichtmal übers Wetter, geschweige denn über psychische Störungen.

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Gespensterkind
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 12:05

Ich finde auch, dass es Unterschiede gibt, ob ich zu meiner Psychotherapie "stehe" oder von möglicherweise bestimmten anderen Personen bei meinem Therapeuten gesehen werde. Es kommt auch darauf an, wo man arbeitet und was man arbeitet. Das hat nichts damit zu tun, dass ich nicht zu meiner Therapie stehe.
Ehrlich gesagt möchte ich meinen Kunden beispielsweise auch nicht im Schwimmbad oder in der Sauna begegnen. Nur so als Beispiel. Und da gibts eben auch Gründe dafür.

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peponi
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 12:18

realo2023 hat geschrieben: Fr., 17.03.2023, 11:46 Wer zu seiner Therapie, warum er eine macht, nicht stehen kann, ist psychisch gesehen schon wieder falsch gewickelt und schafft Probleme im zwischenmenschlichen Umgang.
Warum diese pathologisierende Abwertung derjenigen, die ihre Grenzen in diesem Kontext enger ziehen?

Für mich hat das nichts mit Scham zu tun oder dass ich zu meiner Therapie nicht stehen kann. Denn das kann ich und das tu ich. Sondern schlichtweg damit, dass es eine intimere Angelegenheit ist und ich selbst entscheiden möchte, wem ich davon erzähle und wem nicht. Ich möchte nicht, dass mir diese Entscheidung abgenommen wird. Und ich möchte auch nicht beispielsweise einer Nachbarin beim Therapeuten über den Weg laufen, vielleicht nach einer heftigen Stunde, nach der ich körperlich und psychisch aufgelöst und durch den Wind bin. Das kann Fragen aufwerfen, die ich vielleicht nicht jedem beantworten möchte. Das ist mein gutes Recht, diese Entscheidung selbst zu treffen. Muss ja nicht jede:r so sehen. Ich finde es auch kritisch, wenn Menschen, die man nicht gut kennt, einem sofort von ihrer Psychotherapie erzählen und warum und wieso und weshalb. Wenn das ihr Bedürfnis ist, ist das doch aber okay. Meines ist es nicht. Deshalb muss man das nicht gleich abwerten.
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SinnIch
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 12:29

Ich finde, man kann es halt doof finden, anderen Patienten zu begegnen, aber erwarten, dass es irgendwie so gelöst wird, dass man auf gar keinem Fall einem anderen Patienten über den Weg läuft, kann man nicht. Wo soll man denn da anfangen und aufhören? Ich fand es z.B. bei anderen "normalen" Ärzten schon unangenehm, wo es andere wiederum vermutlich gar nicht kratzen würde.

Das ist dann aber irgendwie schon mein eigenes Problem, deswegen kann ich ja nicht erwarten, dass am besten jeder seine eigene Zelle und Schleuse bekommt, damit man sich ja nicht im Wartezimmer begegnet ;-)

So ist das nun mal, wenn ich einkaufe, dann sehen andere ja auch meinen Einkaufskorb, völlig anonym leben ist nun mal nicht möglich...

Ich persönlich würde eher mir für mich selber wünschen, dass es mir egal ist, dass andere sehen, dass ich in Therapie gehe, weil ich es schlimm finde, dass ich selber damit dazu beitrage, dass es ein Tabu-Thema bleibt.

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candle.
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 13:17

WahnSinnIch hat geschrieben: Fr., 17.03.2023, 12:29 Ich persönlich würde eher mir für mich selber wünschen, dass es mir egal ist, dass andere sehen, dass ich in Therapie gehe, weil ich es schlimm finde, dass ich selber damit dazu beitrage, dass es ein Tabu-Thema bleibt.
Das erscheint mir gerade etwas widersprüchlich, vielleicht haben sich deine Gedanken dazu auch nur vermischt?
Wird man in Therapie bzw. Wartezimmer gesehen, sind es ja letztlich auch Menschen, die in Therapie gehen.

Das Tabu ist wohl eher das Öffentlich machen.

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realo2023
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 13:34

peponi hat geschrieben: Fr., 17.03.2023, 12:18 Für mich hat das ...das kann ich und das tu ich...ich selbst entscheiden möchte... Ich möchte nicht...ich möchte auch nicht ....die ich ... nicht ...möchte... mein gutes Recht...Ich finde es
Das hat weniger mit Abwerten zu tun, sondern wie ich mein Innen und mein Außen in Einklang bringe. Ist das nicht der Fall wird es zu einem zwischenmenschlichen Problem und das ist nicht mehr die Sorge den Einzelnen, sondern der Gemeinschaft. So ist die Einzelmeinung individuell o.k., aber wenn es sich um die Öffentlichkeit handelt und das ist die Praxis eines Therapeuten, sie ist nicht im intimen Bereich abgeschottet, dann müssen die Anderen der Gruppe mitreden können. Wenn es ein 'Wir' gibt, ist das 'Ich' enthalten, aber aus sozialer Sicht gilt die Haltung des 'Wir'. Das heißt, ich möchte, geht, nur wenn alle anderen auch möchten. Was anderes ist es in den eigenen vier Wänden, wenn man alleine lebt, dort gilt nur das 'Ich', das ist intim, denn 'Ich' und 'Wir' sind identisch. Das ist in einer Therapiepraxis eindeutig nicht der Fall. Das ist also nicht abwertend, sondern die Kommunikation in der Gemeinschaft zwingend notwendig, soll es Harmonie geben. Ob ich über meine Seele oder über meine Verdauung rede, spielt dabei keine Rolle, beides ist lebenswichtig und sollte, wenn es Probleme gibt, in der Kommunikation miteinander thematisiert werden, um eine Chance zur Gesundung zu ermöglichen. Deshalb wäre beim Therapiethema verklemmt sein eine fatale Wirkung auf die Seele und die positive Wirkung der Therapie steht in Gefahr.

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peponi
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 13:35

WahnSinnIch hat geschrieben: Fr., 17.03.2023, 12:29 Ich finde, man kann es halt doof finden, anderen Patienten zu begegnen, aber erwarten, dass es irgendwie so gelöst wird, dass man auf gar keinem Fall einem anderen Patienten über den Weg läuft, kann man nicht. Wo soll man denn da anfangen und aufhören? Ich fand es z.B. bei anderen "normalen" Ärzten schon unangenehm, wo es andere wiederum vermutlich gar nicht kratzen würde.
Bei den Möglichkeiten, die einer Praxis offen stehen. Eine reguläre Arztpraxis hat ein völlig anderes Terminmanagement als eine psychotherapeutische Praxis. Und auch in einer regulären Arztpraxis hat man, wenn man darauf Wert legt, die Möglichkeit, Begegnungen zu vermeiden, indem man eben nicht im Wartezimmer wartet.

Ich denke sehr wohl, dass man eine gewisse Diskretion und Sorgfalt seitens eines Psychotherapeuten erwarten kann. Dass es dort nicht wie in einem Taubenschlag zugeht. Das mit dem Datenschutz kommt übrigens nicht von mir, das hatte mir mein Therapeut mal erklärt, aber ich fand es sehr stimmig und es trägt klar dazu bei, dass ich mich dort gut aufgehoben fühle. Bei einem Therapeuten, bei dem sich die Patient:innen die Klinke in die Hand geben, könnte ich das nicht. Also ich denke schon, dass die Art und Weise, wie auch diese Rahmenbedingungen seitens des Therapeuten oder der Therapeutin abgesteckt werden, viel ausmacht, oder vielmehr: viel ausmachen kann.

Ich sehe meine Aufgabe in der Therapie nicht darin, gegen die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen vorzugehen. Ich sehe meine Aufgabe darin, Heilung zu finden. Da bin ich dann auch egoistisch und sage: meine Grenzen sind mir wichtiger als ein vages "ich darf/soll Psychotherapie nicht tabuisieren, weil es mich stören würde, von Bekannten beim Therapeuten gesehen zu werden".
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peponi
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 13:39

Tut mir leid, realo, in meiner Psychotherapie geht es nicht um eine ominöse Gemeinschaft, sondern um mich. Was ich will und was nicht, wo meine Grenzen liegen und dass ich sie genau dort haben und auch äußern darf.

Dass es keinen Rechtsanspruch darauf gibt, keinen anderen Patient:innen zu begegnen, ist klar. Dass es Therapeut:innen gibt, die sich darüber keine Gedanken machen, die nicht die räumlichen Möglichkeiten dazu haben oder denen das schlichtweg egal ist, auch. Zu solchen würde ich persönlich aber nicht gehen. Denn ich finde durchaus, dass das, was in einer psychotherapeutischen Praxis passiert, intim ist und keineswegs öffentlich. Ich brauche, suche, möchte dort einen geschützten Raum. Den zu gestalten, obliegt erst einmal der Verantwortung des Therapeuten oder der Therapeutin. Manche sind dabei sehr sorgfältig, andere nicht. Kann man sich ja selbst aussuchen, mit welchem Modell man besser fährt.
Und doch: du wertest ab und bekräftigst diese Abwertung sogar noch einmal ("verklemmt sein").
Da könnte man sich auch die Frage stellen, warum du das offenbar so nötig hast...
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Montana
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 14:19

@realo: welche anderen einer Gruppe siehst du denn bei einem Psychotherapeuten? Da ich keine Gruppentherapie mache, bilde ich mit den anderen Patienten keine Gruppe. Deren Wünsche und Interessen ihre Therapie betreffend interessieren mich nicht und ich erfahre auch nicht davon. Und wenn vor meiner Stunde jemand zur Tür rauskommt, dann erfahre ich weder den Namen noch was derjenige dort gemacht hat. Das könnte auch der Hausmeister gewesen sein, der sich die defekte Klospülung angeschaut hat um passende Ersatzteile zu besorgen.

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Charlie Foxtrott
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 14:24

realo2023 hat geschrieben: Fr., 17.03.2023, 13:34 Ob ich über meine Seele oder über meine Verdauung rede, spielt dabei keine Rolle, beides ist lebenswichtig und sollte, wenn es Probleme gibt, in der Kommunikation miteinander thematisiert werden, um eine Chance zur Gesundung zu ermöglichen.
Aber zur Darmspiegelung willst Du schon eine Sichtblende oder legst Du Dich dazu auf den Marktplatz?
Deshalb wäre beim Therapiethema verklemmt sein eine fatale Wirkung auf die Seele und die positive Wirkung der Therapie steht in Gefahr.
Aber gesunde Grenzen setzen lernen gehört auch zur Therapie dazu.

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Montana
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 14:37

Es gibt auch keinerlei Gruppe, mit der ich über meinen Darm spreche. Zufällig habe ich eine Darmerkrankung. Dafür gibt es Fachärzte. Weder in der Familie noch in irgendeiner anderen sozialen Gruppe ist es ein Thema. Warum sollte es? Das ist weder erforderlich noch hilfreich.


Waldschratin
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 15:50

realo hat geschrieben:Wer zu seiner Therapie, warum er eine macht, nicht stehen kann, ist psychisch gesehen schon wieder falsch gewickelt und schafft Probleme im zwischenmenschlichen Umgang.
Probleme schaffen nicht nur die psychisch schepps Gewickelten, Probleme im Zwischenmenschlichen sind einfach normal-menschlich und gehören zu einem Miteinander dazu.
Außerdem steh ich tatsächlich dazu, dass ich aus welchen Gründen auch immer schlicht und ergreifend eine "psychisch schepps Gewickelte" bin. :grins:
Was ist schlimm daran? Bin ich deshalb als Mensch an sich "durchgefallen", da nicht "gesund" (oder perfekt...) genug für wen oder was auch immer?

Scham und Urscham waren die Hauptthemen aller meiner Therapien.
Und zentraler Knackpunkt war, dass ich aufhören durfte, mich für mein Schämen schämen zu müssen/sollen.
Danach war es aber immer noch eine Schweinearbeit, die viel Mut und Konfrontation mit anschließenden heftigen Reaktionen auf mein "Andersmachen" und deren Auffangen, Aushalten und Bearbeiten erfordert hat.

Scham hat unmittelbar mit Grenzen und Grenzverletzungen zu tun.
Und wo meine Grenzen sind, ob/wann/wo/wie ich diese setze, ausweite oder meinen "Raum" mir größer "erobern" gehe, darüber habe nur ich alleine zu befinden.


@Montana: Dein Beispiel mit der Darmerkrankung teile ich, ich hab ja auch eine.
Ich furze auch lieber für mich alleine, es bringt weder mir noch "der Gesellschaft" etwas, wenn ich (schamloses) "freies Furzen" praktiziere, wo immer ich steh und geh, weil ich mich ja nicht für etwas schämen brauche, für das ich nix kann.
Aber ich gebs zu : Die Bilder, die ich dazu jetzt in meinem Kopf hab, sind sehr lustig! :-D

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Montana
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 16:00

Ja, obwohl ich Darmprobleme nur zu gut kenne und auch viel Verständnis habe für die Einschränkungen die damit verbunden sind: auch mir ist es lieber, wenn mich andere damit nicht belästigen. Ich will es nicht hören. Weder die Geräusche die der Körper produziert, noch gesprochene Worte darüber. Das hat wenig mit Verklemmtheit oder Scham zu tun, sondern mit gegenseitiger Rücksichtnahme. Zumal soziale Ereignisse in der Regel mit Nahrungsaufnahme verbunden sind und das Darm-Thema den Appetit verdirbt.

Im ÖPNV könnte man über einen Zusatzbeitrag für Darmkranke nachdenken. Sie könnten auch Emissionsrechte erwerben von Nichtkranken.

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peponi
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 16:03

Sorry, Offtopic, aber: ich freu mich sehr, von dir zu lesen, liebe Waldschratin :hugs: hab witzigerweise gestern an dich gedacht und mich gefragt, wie es dir wohl geht. Freu mich gerade echt sehr.
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Waldschratin
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Beitrag Fr., 17.03.2023, 16:09

@peponi : :heart: :hugs: (Beruht auf Gegenseitigkeit! :-) )

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