Bilderbuch hat geschrieben: ↑Fr., 08.01.2021, 20:48
Schweigender Blick, der Folgendes sagt; „es geht hier nicht um mich“. Das war nicht so heftig wie bei dir, dauerte aber länger bis ich damit aufhörte.
Das finde ich als Reaktion allerdings sehr schwierig zu verdauen. Denn es lässt unendlich viel Spielraum für Interpretationen. Meine wäre eine andere gewesen als deine.
Da eine Analyse ziemlich lange dauert, kommt wohl jeder mal in die Situation, so etwas zu spüren. Ich ebenfalls. Und irgendwann habe auch ich dazu etwas gesagt.
Einmal habe ich ihm gesagt, dass er jedesmal, wenn ich eine Stunde um 8 Uhr morgens hatte, total mies drauf war. Der klassische Morgenmuffel anscheinend. Da ich ihn auch anders kannte und es immer dasselbe war um die Uhrzeit, und ich da überhaupt keine Nerven für hatte, musste ich da irgendwas machen. Da wollte er dann selber drauf achten und hat sich dann auch verändert.
Ansonsten habe ich auch mal ordentlich Kontra bekommen und er hat schlicht abgestritten, was ich beobachtet hatte. Wütend sein auf mich, zum Beispiel. Und dann ein paar Stunden später zugegeben, dass ich eigentlich Recht hatte, er aber selber wohl seine Reaktion therapeutisch nicht besonders hilfreich fand.
Ganz am Ende hat er gesagt, dass ich oft bemerkt habe, was ich nicht merken sollte.
So, und warum schreibe ich das? Weil ich auf diese Art zum ersten Mal die Gelegenheit hatte, meine Wahrnehmung auf diesem Gebiet auszusprechen und zu überprüfen. Wie oft richte ich im wahren Leben mein Handeln danach aus, was ich bei anderen spüre. Gut gemeinter Ratschlag scheint oft zu sein: ignorier das, es ist vermutlich sowieso falsch, aber auf jeden Fall irrelevant.
Nun habe ich aber gelernt: nein, es ist eher das Gegenteil der Fall. Es ist richtig, auch wenn es abgestritten wird. Irrelevant ist es niemals, so lange es etwas mit MIR macht. Wie ich damit umgehe ist eine andere Frage, die je nach Situation sehr unterschiedlich beantwortet werden kann. Ich durfte ja am Therapeuten quasi "ausprobieren", was alles passieren kann und wie sich das für mich anfühlt. Nicht nur ich habe mich damit auch mal schlecht gefühlt, er auch. Im realen Leben wäre diese Art des Umgangs damit niemals möglich gewesen. Als er zugegeben hat, dass ich tatsächlich Recht hatte und er das abgestritten hat, weil es ihm unangenehm war, da habe ich zwei Dinge gelernt. Dass meine Wahrnehmung korrekt war; das ist der offensichtliche Teil. Und, dass ich das auf seiner Seite insgesamt (auch wenn ich zwischenzeitlich sehr verzweifelt und sehr wütend war), als positiv wahrgenommen habe. Das Zugeben eines Fehlers habe ich nicht als Schwäche empfunden, sondern als Größe. Auch, wenn es eine Weile gedauert hatte. Vielleicht gerade deshalb. Vielleicht sehen andere das wie ich und vielleicht ist es dann eine gute Sache, wenn ich das auch so mache. Eine Katastrophe ist es offensichtlich nicht.
Über diese zwei Dinge, die ich da gelernt habe, haben wir nie gesprochen. Das macht aber nichts. Sie sind jetzt meins, sozusagen.
Ich persönlich glaube, dass es so etwas ist, was zu positiven Veränderungen führt. Das Verzwickte ist aber, dass das gar nicht planbar ist, nicht systematisch herbeigeführt werden kann. Was mir aber sicher scheint ist, dass eine extrem harmonische Beziehung zum Therapeuten wenig Potential für die Entstehung solcher Situationen hat. Ich hörte mal, man muss erst das Gleichgewicht verlieren, damit man es neu finden kann. So lange man sich noch irgendwie halten kann, so lange wird man alle Anstrengungen darauf richten, das alte Gleichgewicht nicht zu verändern. Im übertragenen Sinne: an den schiefen Turm von Pisa baut man unendlich viele Gerüste dran. Die verlangsamen aber alle nur das Umfallen.