Job: Go's und NoGo's mit psychischer Beeinträchtigung

Was Sie in Bezug auf Ihre eigene Zukunft, oder auch die gegenwärtige Entwicklung der Gesellschaft beschäftigt oder nachdenklich macht.
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diesoderdas
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Beitrag Do., 03.12.2020, 01:10

Go´s:
möglichst flexible Zeiteinteilung
nette Kollegen, die über mich Bescheid wissen (lief bisher immer gut)
Mix aus selbständiger Arbeit und Teamwork
Sicher sein im eigenen Arbeitsgebiet (finde ich mit das wichtigste überhaupt. Wenn das nicht gegeben ist, hilft das schönste Arbeitsumfeld nichts. Heißt für mich, dass ich eigentlich einen anderen Job bräuchte :-(

No Go´s
Geheimhalten meiner Probleme
Branchen, in denen es sehr aufs Äußere ankommt (sowas wie Bankfilialen oder so)
Mobbing (obwohl ich sowas noch nie auf Arbeit erlebt habe)
miese Vorgesetzte

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Anna-Luisa
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Beitrag Do., 03.12.2020, 06:51

NoGo wäre für mich (egal ob als Betroffene oder Kollegin): den eigenen psychischen Zustand Kollegen mitzuteilen. Denn: Es würde niemanden nützen diesen mitzuteilen/ oder sich die Info anzuhören.

Mir ist einmal genau das passiert und ich dachte nur: "Ja - und nun?"
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diesoderdas
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Beitrag Do., 03.12.2020, 08:36

Anna-Luisa hat geschrieben: Do., 03.12.2020, 06:51 NoGo wäre für mich (egal ob als Betroffene oder Kollegin): den eigenen psychischen Zustand Kollegen mitzuteilen. Denn: Es würde niemanden nützen diesen mitzuteilen/ oder sich die Info anzuhören.
Oh doch, das kann sehr helfen. Muss ja nicht bei jedem so sein, aber mir hat das immer sehr geholfen, wenn ich offen sein konnte. Das nahm für mich enorm Druck raus. Ich wusste, sollte es vorkommen, dass ich mal mit einer Situation überfodert wäre, dann könnte ich es ansprechen und müsste keine ausflüchtenden Erklärungen erfinden.
Wie gesagt, klar, nicht jeder will sowas mitteilen und bestimmt ist es auch nicht in jedem Umfeld, bei jedem Vorgesetzten und jedem Kollegen sinnvoll. Aber es kann im Einzelfall auch einen Erleichterung sein, sofern das Umfeld gut damit umgeht.

edit: ich überlege gerade und komme zu dem Schluss, dass es für mich vielleicht unter Umständen doch auch ein no go sein könnte. Das wäre aber wirklich nur, sofern sicher gestellt wäre, ich würde in dem jeweiligen Job sicher sein, nie an meine eigenen Grenzen zu kommen. Dann würde ich die Offenheit wahrscheinlich nicht brauchen, da ich mich sicher genug fühle.
In meinem Job weiß ich aber, dass es durchaus mal zu Situationen kommen kann, in denen ich vielleicht für andere etwas merkwürdig oder auffallend reagiere. Das muss nicht bedeuten, dass ich meinen Job dann nicht mehr erledigen kann. Aber für mich ists einfach leichter, wenn andere dann einfach wissen wie ich zu deuten bin.
Aber klar, hätte ich das nicht nötig für meine eigene Sicherheit, um meinen eigenen Durck abzuauen, dann würde ich es wohl auch eher nicht erwähnen.

Ich habe wohl einfach mit meinem beruflichen Umfeld menschlich gesehen auch sehr Glück. Da sind viele Leute sehr offen und man spricht durchaus auch mal über persönliche Schwierigkeiten. Ich habe auch schon einige der Kollegen im Laufe der Jahre mal weinend erlebt (nicht unbedingt aus beruflichen Gründen). Daraus wurde nie ein großes Thema, es war einfach für alle okay.

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Anna-Luisa
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Beitrag Do., 03.12.2020, 13:23

diesoderdas hat geschrieben: Do., 03.12.2020, 08:36 Oh doch, das kann sehr helfen. Muss ja nicht bei jedem so sein, aber mir hat das immer sehr geholfen, wenn ich offen sein konnte. Das nahm für mich enorm Druck raus. Ich wusste, sollte es vorkommen, dass ich mal mit einer Situation überfodert wäre, dann könnte ich es ansprechen und müsste keine ausflüchtenden Erklärungen erfinden.
Für mich wäre da eine Grenze überschritten. Allerdings würde ich eine Kollegin die mir von ihrer psychischen Erkrankung erzählt unterbrechen. Arbeitserleichterungen könnte ich ihr ohnehin nicht verschaffen. Insofern könnte ich ihr nur zu Kündigung raten, wenn ihre Aufgaben sie überfordern. Ich habe mit meiner eigenen Arbeit genug zu tun.

Vielleicht klingt das fies, aber ich habe eher schlechte Erfahrungen mit Kollegen gemacht, die offen zu ihren Problemen standen. Mit ihnen hatte ich nur Probleme, weil dieses "du weißt ja, es geht mir nicht gut!", wie ein Damokleschwert über uns hing.
Auch zur Mittagspause fand ich ein "Du, ich müsste mal mit jemanden reden.", ungünstig. Ich wollte nämlich nur meinen Sandwich essen - und meine Ruhe haben.
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Philosophia
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Beitrag Do., 03.12.2020, 16:25

Na ja, ich finde zwischen gar nicht reden und zu viel reden, gibts ja vielleicht auch noch Grautöne. Weil gewisse Dinge müssen sogar angesprochen werden. Ich finde, es kommt darauf an, wie was angesprochen wird und in welchem Ausmaß. Ich bin auch der Meinung, dass private Themen nicht auf der Arbeit ausgebreitet werden müssen. Wenn es aber um eine konkrete Beeinträchtigung geht, kann das ja im Vorherein mal benannt werden - mit der Betonung, dass man selbst dafür die Verantwortung trägt und die Qualität der Arbeit nicht darunter leidet. (Damit es eben nicht zum Damoklesschwert wird.)
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Sadako
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Beitrag Do., 03.12.2020, 17:14

Was die Frage nach Offenheit am Arbeitsplatz angeht.. muss man differenziert sehen.
Ausführlich über die eigene Verfassung sprechen finde ich eher nicht glücklich. Das ist ein Job und keine Selbsthilfegruppe.
Wenn ich aber mit Schwierigkeiten kämpfe und dennoch arbeitsfähig bin, finde ich es schon gut, wenn ich offen sagen kann, dass es mir psychisch nicht gut geht.
Mir anmerken oder ansehen, dass es mir nicht blendend geht, wird man sowieso und ich mag es nicht dann irgendetwas von Kopfschmerzen oder schlecht geschlafen zu murmeln und damit zu lügen.
Damit gebe ich mir selbst die Botschaft, dass ich mich für meinen Zustand schämen muss und ich ihm möglichst gut verstecken sollte. Und das ist zumindest für mich toxisch und retraumatisierend.
In sofern ist es für mich gut, wenn ich kurz anmerke, dass ich heute mit xy kämpfe. Dann kann ich mich tatsächlich besser auf das fokussieren, was eigentlich anliegt...einen guten Job zu machen.

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Anna-Luisa
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Beitrag Do., 03.12.2020, 20:01

Philosophia hat geschrieben: Do., 03.12.2020, 16:25 Na ja, ich finde zwischen gar nicht reden und zu viel reden, gibts ja vielleicht auch noch Grautöne. Weil gewisse Dinge müssen sogar angesprochen werden. Ich finde, es kommt darauf an, wie was angesprochen wird und in welchem Ausmaß.
Was sollten das für Dinge sein? Meine Kollegen und ich haben eine klare Arbeitsplatzbeschreibung. Warum sollte mich eine Kollegin dann über ihre psychische Erkrankung in Kenntnis setzen? Alleine die Tatsache, dass ich darüber informiert werde, zeugt doch von einer Erwartungshaltung.
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diesoderdas
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Beitrag Do., 03.12.2020, 22:37

Anna-Luisa hat geschrieben: Do., 03.12.2020, 20:01 Was sollten das für Dinge sein? Meine Kollegen und ich haben eine klare Arbeitsplatzbeschreibung. Warum sollte mich eine Kollegin dann über ihre psychische Erkrankung in Kenntnis setzen? Alleine die Tatsache, dass ich darüber informiert werde, zeugt doch von einer Erwartungshaltung.
Wenn jemand zum Beispiel eine soziale Phobie hat, kann es hilfreich sein, wenn die anderen das wissen. Wenn dann jemand nicht mit zur Weihnachtsfeier gehen mag, führt es zu keinen Spekulationen, warum jemand nicht mit mag. Oder ob jemand keinen Bock hat. Außerdem schränkt das die Arbeitsfähigkeit nicht ein.

Von mir selbst weiß so ziemlich jeder, dass ich nicht gern im Mittelpunkt stehe. Da kann man dann bisschen Rücksicht auf mich nehmen und wird nicht gerade verlangen, dass ich einen Vortrag halte. Wird aber auch von keinem anderen verlangt. Nur so als Beispiele.

Angenommen, ich hätte einen Mitarbeiter, der auffallend oft aufs Klo rennt. Wüsste ich, dass der einen Waschzwang hat, könnte ich das besser einschätzen und würde mich nicht in Spekulationen verlieren. Und ob nun jemand zig mal aufs Klo rennt oder anderen "normale" in der Zeit zig mal eine geraucht haben, macht dann kollegial gesehen auch keinen großen Unterschied.

Ich habe sogar im Bewerbungsgespräche meine Lücken im Lebenslauf erklärt - und wurde dennoch eingestellt.

Aber ich gebe zu, zu einem recht großen Teil bin ich fehl am Platz in meinem Job. Da überfordern mich manche Sachen, die würde ich gern bringen, kann es aber nicht. Allerdings waren das nicht von Anfang an meine Aufgaben. Als man mir das mit der Zeit zuschieben wollte, habe ich klar gesagt, dass ich das nicht leisten kann. Dass ich nicht in der Lage dazu bin. Das wurde akzteptiert - ich flog nicht raus.Scheinbar leiste ich dann anderes gut, das man nicht missen mag.

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Anna-Luisa
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Beitrag Do., 03.12.2020, 22:50

diesoderdas hat geschrieben: Do., 03.12.2020, 22:37 Wenn jemand zum Beispiel eine soziale Phobie hat, kann es hilfreich sein, wenn die anderen das wissen. Wenn dann jemand nicht mit zur Weihnachtsfeier gehen mag, führt es zu keinen Spekulationen, warum jemand nicht mit mag. Oder ob jemand keinen Bock hat. Außerdem schränkt das die Arbeitsfähigkeit nicht ein.
Mit sozialer Phobie wäre man in meinem Job falsch. Und warum jemand nicht zu einer Weihnachtsfeier gehen wollte, wäre unerheblich.
diesoderdas hat geschrieben: Do., 03.12.2020, 22:37 Von mir selbst weiß so ziemlich jeder, dass ich nicht gern im Mittelpunkt stehe. Da kann man dann bisschen Rücksicht auf mich nehmen und wird nicht gerade verlangen, dass ich einen Vortrag halte. Wird aber auch von keinem anderen verlangt. Nur so als Beispiele.
Wenn niemand Vorträge halten muss, ist es ja irrelevant, ob jemand dies nicht tun mag. Würde es zum üblichen Tätigkeitsfeld gehören, wäre ich sauer, wenn dies dann auf mich abgewälzt werden würde.
diesoderdas hat geschrieben: Do., 03.12.2020, 22:37 Angenommen, ich hätte einen Mitarbeiter, der auffallend oft aufs Klo rennt. Wüsste ich, dass der einen Waschzwang hat, könnte ich das besser einschätzen und würde mich nicht in Spekulationen verlieren. Und ob nun jemand zig mal aufs Klo rennt oder anderen "normale" in der Zeit zig mal eine geraucht haben, macht dann kollegial gesehen auch keinen großen Unterschied.
Wenn ein Kollege während seiner Arbeitszeit Zwänge ausleben, wäre er bei uns ebenfalls falsch. Dafür würden wir sicher niemanden bezahlen. Geraucht wird während der Arbeitszeit auch nicht.
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lisbeth
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Beitrag Do., 03.12.2020, 22:55

Anna-Luisa hat geschrieben: Do., 03.12.2020, 20:01 Was sollten das für Dinge sein? Meine Kollegen und ich haben eine klare Arbeitsplatzbeschreibung. Warum sollte mich eine Kollegin dann über ihre psychische Erkrankung in Kenntnis setzen? Alleine die Tatsache, dass ich darüber informiert werde, zeugt doch von einer Erwartungshaltung.
Geht ja eigentlich nicht darum, die Kollegen von etwas "in Kenntnis" zu setzen.
Es geht darum, dass ich mit den Personalverantwortlichen über die Aufgaben in meiner Arbeitsplatzbeschreibung sprechen kann, die für mich aus unterschiedlichen Gründen problematisch sein könnten. Oder dass man darüber spricht, welche Anpassungen es braucht, damit der Arbeitsplatz meine Krankheit nicht verschlimmert.

Bei Menschen, die eine Bandscheiben-OP hatten, ist das selbstverständlich, dass Aufgaben, bei denen sie schwer heben müssen, aus der APB rausgenommen werden, sofern das nicht der Hauptbestandteil ihres Arbeitsplatzes ist. Oder dass sie einen höhenverstellbaren Schreibtisch bekommen. Oder man spricht über eine Umsetzung an einen Arbeitsplatz bei dem die Belastung für den Rücken nicht so hoch ist. Menschen mit einer Sehbehinderung bekommen eine Bildschirmlupe, Blinde haben oft eine Braillezeile, mit der sie Texte auslesen können.

Das sind auch alles Einschränkungen, aber körperlicher Art. Und da wird oft ganz anders draufgeschaut, da gibt es weniger Berührungsängste. Und bloß weil diese Menschen an der einen oder anderen Stelle eine Einschränkung haben, würde zunächst keiner in Zweifel ziehen, dass sie ihre Arbeit nicht (mehr) erledigen können.

Dass das bei psychischen Erkrankungen anders ist und nicht so klar abgegrenzt, liegt auf der Hand. Und doch glaube ich, dass da auch Anpassungen und Rücksichtnahme auf bestimmte Dinge möglich sein sollten. Man muss zB einer Bürokraft, die eine Sozialphobie hat, nicht zumuten, für die kranke Empfangskraft einzuspringen, wenn es noch andere Kollegen und Kolleginnen gibt, die das übernehmen könnten. Man muss einer Sekretärin mit einer Essstörung nicht unbedingt die Aufgabe zuteilen, sich um das Catering für das Betriebsfest zu kümmern, wenn sie das überfordern würde. Das beeinhaltet aber auch, dass über solche Dinge offen mit den Personalverantwortlichen geredet werden kann. Und da hakt es leider meistens. Weil die Angst davor, dass das gegen einen verwendet wird, viel zu groß ist (und leider berechtigt). Weil die eigene Scham auch viel zu groß ist, und es ja auch der eigene Anspruch ist, immer und überall möglichst "normal" zu sein.
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott

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Beitrag Do., 03.12.2020, 23:06

Und genau diese Erwartungshaltung bewirkt bei mir, dass ich mit psychisch erkrankten Menschen, die sich offen dazu bekennen, nicht gerne arbeite. So wird einem dann letztlich jede Aufgabe zugeschustert, die man der labilen Kollegin nicht zumuten möchte.

Den eigenen Arbeitsplatz verlassen, um für jemand anderes einzuspringen, macht wohl kaum jemand gern. Aber so lange es andere gibt, die sich dafür hergeben...

Und wenn die Organisation von Festen in die Hand der Sekretärin gehört, sollte sie sich auch um das Catering kümmern.

Ich würde es nicht tun, wenn andere sich dauerhaft drücken.
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Beitrag Fr., 04.12.2020, 05:56

Also, ich bin am Arbeitsplatz eher unfreiwillig "geoutet" - ich war länger krank, konnte auch meine Arbeit dadurch nicht mehr übergeben und wollte schlicht meine Ruhe. Also hab ich Krankschreibungen geschickt und nicht weiter kommuniziert. Das kam nicht so gut an und ich hatte dann ein Gespräch - in dem habe (musste) ich mich erklären. Faktisch ist das Resultat sehr angenehm. Bei uns hat das einen Diskurs angestoßen - die meisten meiner Kollegen waren selbst in Psychotherapie und haben mir dahingehend Ängste genommen, dass ein psychisches Problem zum Problem auf Arbeit wird. Zitat: Wir leben doch nicht in der Steinzeit. Mir wird weiterhin genauso viel zugetraut und zugemutet, wie vorher. Und ich will das auch so. Entweder ich bin auf ARbeit und kann Leistung bringen oder es geht gerade nicht... Mir hat die Offenheit am Arbeitsplatz sehr geholfen; ich muss mich nicht verstecken, arbeite nicht in einem Job, wo alle immer erwarten, dass man funktioniert, was ich persönlich als sehr hilfreich empfinde. Ich halte aber nicht soviel von Details - nur wenn man wirklich etwas nicht kann und darauf angewiesen ist, dass man das nicht tun muss. Dann gehört das in ein Gespräch mit den Personalverantwortlichen. Ich für mich, wollte eigentlich nicht, dass alle meine Kollegen Bescheid wissen, aber sie haben gut reagiert, fragen nicht, erwarten nicht, dass es mehr Infos gibt.

Allgemein bin ich bei Lisbeth: Eine psychische Erkrankung geht mit ganz viel Stigma einher. Dem Betroffenen wird immer Schuld und Verantwortung übergeholfen und er soll funktionieren, wie andere auch oder eben nicht arbeiten gehen (weil ist ja selbst schuld, verantwortlich und alle anderen belastet). Davon halte ich nicht viel. Verantwortlich mit sich umzugehen, heißt, sich auch dafür einzusetzen, dass man nicht alles kann - wenn das so ist. Und ich denke, Firmen müssten da sehr stark umdenken. GEnauso wie Mitarbeiter. Tatsächlich machen es die hier zu lesenden Einstellungen schwer, dass man offen mit seiner Erkrankung umgeht. Das ist aber oft schwierig, weil die doch einen Teil der Persönlichkeit/ Identität ausmacht, wenn sie einschneidend ist und so enormer Druck (Versteckensdruck) auf den Leuten lastet, der ebenfalls zu Ausfallzeiten führen kann.
Ich hab an Gestern nicht gedacht und nicht an Morgen
Es ist Nacht, ich steh am Fenster
Und für einen Augenblick leb ich im Jetzt

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Beitrag Fr., 04.12.2020, 06:08

@diesoderdas: Ich kann voll mitgehen. Ich brauche auch Sicherheit in meinem Arbeitsgebiet. Ich sehe immer Leute, die einfach irgendwo einsteigen, eigentlich nicht viel Ahnung von der Materie haben und sich den Job trotzdem zutrauen - und ich bin da echt immer beeindruckt. Das sind für mich Leute, die sich einfach was zutrauen und dann machen. So bin ich überhaupt nicht; ich hab immer das Gefühl, ich muss perfekt sein, alles können, was gefordert wird, traue mir einen Job sonst nicht zu. Ich merke das gerade mal wieder, während ich Stellenausschreibungen checke. Ich bewerbe mich wirklich nur, wenn ich alle Anforderungen aus meiner Sicht erfülle. Andere Leute übernehmen in Branchen Jobs, wo sie nie mit zu tun hatten. Das ist für mich echt immer beeindruckend.
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Beitrag Fr., 04.12.2020, 07:45

No Twist hat geschrieben: Fr., 04.12.2020, 05:56 Allgemein bin ich bei Lisbeth: Eine psychische Erkrankung geht mit ganz viel Stigma einher. Dem Betroffenen wird immer Schuld und Verantwortung übergeholfen und er soll funktionieren, wie andere auch oder eben nicht arbeiten gehen (weil ist ja selbst schuld, verantwortlich und alle anderen belastet). Davon halte ich nicht viel. Verantwortlich mit sich umzugehen, heißt, sich auch dafür einzusetzen, dass man nicht alles kann - wenn das so ist. Und ich denke, Firmen müssten da sehr stark umdenken. GEnauso wie Mitarbeiter.
Ich würde nie einem Betroffenen die Schuld geben! Oder als verantwortlich für seine Erkrankung. Ich habe bereits mit Kollegen gearbeitet, die gelernt haben "öfter mal einen Gang zurückzuschalten" und "rückzumelden, wenn sie sich durch manche Aufgaben überlastet fühlten". Diese waren in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass es insgesamt eher unliebsame Aufgaben waren.

Ich denke wenn Firmen (also eher die Träger) da stark umdenken, haben sie mit den Kündigungen der anderen Mitarbeiter zu rechnen.
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Beitrag Fr., 04.12.2020, 08:39

Das ist natürlich bei manchen Menschen so... ich kenne auch Leute, die gelernt haben, sich auf ihrer psychischen Erkrankung auszuruhen und immer nur Rücksichtnahme einzufordern. Aber ich denke, da hilft ein konstruktives Gespräch sehr: "Was an der Aufgabe ist schwierig? Wir können dich ja an anderer Stelle entlasten (Aufgabe, die die Leute gerne machen)." Es gibt natürlich, nett ausgedrückt Drückeberger - mit und ohne psychische Beeinträchtigung - und die muss man eben immer einfangen, festnageln. Ich denke aber nicht, dass das für alle Menschen mit psychischer Beeinträchtigung gilt. Viele Menschen haben sowas und arbeiten trotzdem ganz normal. Ich hab das jetzt erst live in meiner Arbeit gelernt. Eine Kollegin wollte mich aufbauen, hat mir von ihrer schlechten Phase erzählt. Sie ist arbeiten gegangen, hat probiert es zu überspielen und hat dem Therapeuten den Auftrag gegeben, sie wieder funktionstüchtig zu machen, weil sie das eigentlich nicht mehr war. Ich kenne die Kollegin und die arbeitet sogar am Wochenende durch - kann schlecht abschalten, hat enorme Ansprüche. Auch das sind Menschen, denen es phasenweise schlecht geht und die trotzdem nicht auf Rücksichtnahme bestehen.
Und ich kann für mich sagen, dass sich seit meinem Outing nicht viel verändert hat und ich immer noch anspruchsvolle Aufgaben, genauso wie unliebsame Aufgaben übernehme. Und das dieses Outing mir gerade dadurch sogar irgendwie gut tat, weil ich in Gänze sein darf, wer ich bin und das trotzdem nicht dazu führte, dass die Kollegen mich anders sehen, mich anders behandeln. Hab jetzt auch ein sehr gutes Feedbackgespräch gehabt, ein super Zwischenzeugnis bekommen. Es ist einfach so: Wenn man nicht arbeitsfähig ist, sollte man sich rausnehmen, und ansonsten wirklich volle Leistung von sich erwarten. Faktisch bin ich eben für alle Menschen mit psychischer Behinderung diskursiv mitverantwortlich; ich will eben nicht, dass man sagt, dass sich solche Leute die Rosinen rauspicken, nicht belastbar sind etc. Ich hatte auch mal eine Kollegin, die wegen ihrer körperlichen Behinderungen eine Extrawurst haben wollte und das nervte natürlich, weil man da das Gefühl hatte: Dann such dir halt einen anderen Job... Kenne ich also auch.
Deshalb ist es aber so wichtig, dass man seine eigenen Stärken und Schwächen wirklich gut kennt und weiß, welchen Job man wirklich machen kann und im Bewerbungsgespräch da mit offenen Karten spielt. Und das ist oft auch der Vorteil von Menschen mit psychischer Beeinträchtigung, weil die sich häufig wirklich mal damit auseinandersetzen mussten, was sie leisten können und wollen. Ich für mich bin kaum eingeschränkt, brauch eben nur wirklich Ruhephasen, damit ich arbeiten kann. Das heißt, wo andere Leute abends noch Sport treiben, bin ich halt schon im Bett. Das ist es mir aber Wert, weil ich unglaublich gerne arbeiten gehe. Ich kenne auch Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, die nur rummeckern, sich immer übervorteilt fühlen und damit schlechte Arbeitnehmer sind - aber die gibt es in der Allgemeinbevölkerung eben auch. In meinem Team wurde durch mein Ausfallen offenen über eigene Therapieerfahrungen geredet und 90% meiner Kollegen haben selbst Erfahrungen mit Psychotherapie und damit vermutlich einen an der Waffel. Und keiner ruht sich darauf aus. Es entlastet mich aber, dass ich das weiß, dass wir da offen gesprochen haben, weil ich mich nicht so fremd, andersartig fühlen muss. Ich denke daher schon, dass es wünschenswert wäre, wenn man da offen drüber spricht, nicht im Detail, aber es sollte aus meiner Sicht kein Tabu auf Arbeit sein, weil das Menschen mit psychischer Beeinträchtigung schon helfen kann. Ich will auch keine Selbsthilfegruppe, finde aber tatsächlich, dass es hilfreich ist, wenn du dich nicht verstecken/ schämen musst. Und ich denke schon, dass da ein Umdenken notwendig ist, damit diese Art von Beeinträchtigung keine Schande/ kein Stigma ist und die Leute auch mit realen Einschränkungen (Anorexie und Arbeitsessen zum Beispiel) offen umgehen können und da andere Wege gefunden werden, die für den Betroffenen machbar sind.
Ich hab an Gestern nicht gedacht und nicht an Morgen
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