Kann über Mangel in der Kindheit nicht trauern - Therapeutin versteht es nicht

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Fundevogel
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Beitrag Mo., 17.07.2017, 21:27

Liebe Tristezza,

also ich denke, da ist schon Traurigkeit wahrnehmbar:
Tristezza hat geschrieben: Mo., 17.07.2017, 18:54 Es hat mich traurig gemacht, von meiner Thera da überhaupt nicht verstanden zu werden, und auch sie spürte eine Traurigkeit.
Vielleicht zeigt sie sich in anderer Form oder an einem anderen Ort als erwartet. Aber ihr beide nehmt Traurigkeit in der therapeutischen Beziehung war. Vielleicht spiegelt sich in diesem Nicht-Verstanden-Werden in der therapeutischen Beziehung ja auch die Mutter-Tochter-Beziehung.
Tristezza hat geschrieben: Mo., 17.07.2017, 18:54Wie geht es euch in Bezug auf eure Vergangenheit? Trauert ihr darüber oder spürt ihr eine Distanz zu dem Vergangenen, weil ihr vor allem darauf schaut, wie es euch heute geht, was ihr in den aktuellen Beziehungen erlebt, auch an Kompensation des früheren Mangels?
Ok - wie viel Zeit hast du? (Scherz ...)
Ich glaube, Traurigkeit über die Vergangenheit ist bei mir auch eher weniger. (Obwohl ich mir ziemlich oft die Augen ausheule ohne recht zu wissen, warum eigentlich und dann glaube ich wieder, die Traurigkeit in mir ist ein Fass ohne Boden. Aber ich würde das nicht mit der Vergangenheit verbinden, zumindest nicht mit konkreten Ereignissen.)
Wäre bei mir auch eher bei der Wut.
Oft aber verstehe ich auch, dass manche Dinge früher "halt so üblich waren" - Baby halt unter der Woche wo anders in Pflege, weil man halt arbeiten gehen mußte. Mal so als Beispiel. Je länger ich mich mit all dem beschäftige, umso mehr verstehe ich, dass und warum Mutter und Vater so gehandelt haben.

Ich denke, es ist bei mir eher eine Kombination aus Beschäftigung mit der Vergangenheit, versuchen zu verstehen warum und was das mit mir gemacht hat und wie mich das heute erklärt. Und andererseits versuchen aktuelle Beziehungsthemen - Mutter im Speziellen - versuchen zu verstehen aus der Vergangenheit heraus, warum ich in manchen Situationen so unangemessen wütend bin oder gekränkt oder so. Weiß nicht, ob das jetzt irgendeinen Sinn ergeben hat ...

Aber das sind wohl ziemlich zentrale Fragen an die Therapie und das Leben, inwieweit Vergangenheit das So-Sein im Hier-und-Jetzt beeinflußt - und vice versa das So-Sein manche Fingerzeige zur Erhellung der Vergangenheit liefert.
Fundevogel

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saffiatou
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Beitrag Di., 18.07.2017, 03:11

den Verlsut der Liebe meiner Eltern habe ich auch erst in der Therapie spüren gelernt (Vorher alles abgespalten und schöngeredet) und dann sofort angefangen zu trauern, kann damit nicht aufhören, und spüre diese Wut, die Du hast nicht. Würde auch gerne wütend sein, über das Verhalten meiner Eltern.

Gefühle können eben nicht erzwungen werden.

Saffia
never know better than the natives. Kofi Annan


montagne
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Beitrag Di., 18.07.2017, 07:45

Wie geht es euch in Bezug auf eure Vergangenheit? Trauert ihr darüber oder spürt ihr eine Distanz zu dem Vergangenen, weil ihr vor allem darauf schaut, wie es euch heute geht, was ihr in den aktuellen Beziehungen erlebt, auch an Kompensation des früheren Mangels?
Im Prinzip ja und ja.
Wobei bei mir das Abgetrennt sein von meiner Vergangenheit, insbesondere der frühen auch mit einem Abgetrenntsein von Anteilen von mir einherging. und das hat mich schon teils richtig gequält. Ich habe mich unvollständig gefühlt und ein bisschen auch, als hätte ich keine gute Kontrolle über mich.

Und jetzt plötzlich vor kurzem hatte ich Momente in der Therapie, da habe ich diese Trauer gespürt, habe gespürt, was ich damals als kleines Kind gefühlt habe: große Einsamkeit, Traurigkeit. Ich wusste es immer, das dies die Grundgefühle meiner Kindheit waren, aber habe es eben nicht gefühlt.
Irgendwann war es halt da und ich muss sagen, es ist gut so. Es hilft mir.

Ich denke zwar auch, dass ich mit heutigen Erfahrungen den Mangel von damals teils kompensieren kann, doch ich denke das Loch ist stopfbar. Es ist dann aber immer noch ein Loch, nur ein gestopftes. Immer noch ungleich besser als ein bodenlos leeres Loch.

Für mich schließt sich das nicht aus, zu gucken, was im Hier und Jetzt möglich ist und gleichzeitig zu gucken, was früher war, mit all der Trauer, Einsamkeit, Angst, Wut...
Ich würde sagen, dadurch, das ich es jetzt klar spüre, in bezug auf die Vergangenheit, bin ich in der Gegenwart weniger depressiv und habe weniger Antriebsschwierigkeiten.

Was mich aber wudnert, Tristezza, dass du sagst, deine Therapeutin versteht dich da nicht. Versteht sie es wirklich nicht? Oder sagt sie nur nichts, warum auch immer? Denn eigentlich ist es doch sehr, sehr typisch, das es schwierig ist, gefühlsmäßig da ran zu kommen, was früher war. Und dadurch wiederum "verwechselt" man dann eben Dinge in der Gegenwart mit der Vergangenheit. oder eben Grundgefühle von Früher bleiben bestehen, obwohl es rein aktuell keinen Anlass mehr dazu gäbe... Ängste, Traurigkeit, Einsamkeit usw.
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shesmovedon
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Beitrag Di., 18.07.2017, 07:58

Es ist doch nicht dein Problem, wenn deine Therapeutin das nicht versteht. Du musst doch auch über nichts trauern, ist doch so gar gut, wenn du darüber nicht trauern musst.
Verstehe da eher das Verhalten deiner Therapeutin nicht, die dir suggeriert, das deine Gefühle dazu "falsch" sind.
Meine würde da einfach sagen: Sie müssen ja auch nicht trauern! Ein Problem weniger!
Also es positiv sehen, wenn ich nicht noch darunter leiden würde, anstatt mir das Gefühl zu geben, dass das irgendwie falsch wäre.
Für mich kommt das wie eine negative Bestärkung rüber und davon halte ich nicht viel.

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Marilen
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Beitrag Di., 18.07.2017, 08:17

ich glaube auch nicht, dass trauer kommen muss, ich habe vielmehr erlebt, dass sie automatisch mit der anerkennung dieses bodenlosen lochs kommt. für mich hat die anerkennung, das aufhören können mit den vielen,aufreibenden und doch letztlich gescheiterten versuchen dieses loch zu stopfen, freiheit gebracht. es ist ein bodenloses loch und es macht mich mit zu dem menschen, der ich bin. war ein langer, schwerer aber für mich der heilsame weg aus der abhängigkeit und dem versuch ganz zu werden.
Rabbi Nachman lehrt uns etwas Bahnbrechendes. Wenn es schwer wird, bleibt dir nur noch eines: Sei glücklich und freue dich.

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Tristezza
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Beitrag Di., 18.07.2017, 15:25

Marilen hat geschrieben: Mo., 17.07.2017, 21:03 trauer kann sich ja nicht abschwächen oder enden wenn der mangel konstitutiv ist, das glauben nur die, die auch glauben, dass man bodenlose löcher stopfen könne wenn man nur genug reinschütte.
Woher weiß man, dass ein Loch bodenlos ist? Und was bedeutet überhaupt konstitutiv in diesem Zusammenhang?

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Tristezza
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Beitrag Di., 18.07.2017, 15:31

Fundevogel hat geschrieben: Mo., 17.07.2017, 21:27 Vielleicht zeigt sie sich in anderer Form oder an einem anderen Ort als erwartet. Aber ihr beide nehmt Traurigkeit in der therapeutischen Beziehung war. Vielleicht spiegelt sich in diesem Nicht-Verstanden-Werden in der therapeutischen Beziehung ja auch die Mutter-Tochter-Beziehung.
Liebe Fundevogel, genau den Eindruck habe ich auch. In meiner Therapie ist sehr viel Traurigkeit und viel Wut, weil die Thera eben Stellvertreterin der Mutter ist. Ich arbeite diese Gefühle bei ihr quasi ab. Ich brauche vielleicht ein konkretes Gegenüber für diese Gefühle statt eine Mutter, die mich vor
50 Jahren nicht gesehen und verstanden hat.
Fundevogel hat geschrieben: Mo., 17.07.2017, 21:27 Oft aber verstehe ich auch, dass manche Dinge früher "halt so üblich waren" - Baby halt unter der Woche wo anders in Pflege, weil man halt arbeiten gehen mußte. Mal so als Beispiel. Je länger ich mich mit all dem beschäftige, umso mehr verstehe ich, dass und warum Mutter und Vater so gehandelt haben.
Na eben, man muss doch auch nicht alles dramatisieren. :roll:


Marilen
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Beitrag Di., 18.07.2017, 15:32

ich habs gemerkt weil die zuwendung durch mich durch rauschte.es hat mich immer nur sehr kurz befriedigt.es blieb nichts.konstitutiv bedeutet für mich, dass jeder mensch ein loch hat, jeder sein eigenes.
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Tristezza
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Beitrag Di., 18.07.2017, 15:50

montagne hat geschrieben: Di., 18.07.2017, 07:45 Und jetzt plötzlich vor kurzem hatte ich Momente in der Therapie, da habe ich diese Trauer gespürt, habe gespürt, was ich damals als kleines Kind gefühlt habe: große Einsamkeit, Traurigkeit. Ich wusste es immer, das dies die Grundgefühle meiner Kindheit waren, aber habe es eben nicht gefühlt.
Irgendwann war es halt da und ich muss sagen, es ist gut so. Es hilft mir.
Hat bei dir also auch ne ganze Weile gedauert. Vielleicht kommt es bei mir ja auch noch. Aber in Bezug auf deine Therapeutin hast du ja vorher sicher auch schon Trauer, Wut ... empfunden.
montagne hat geschrieben: Di., 18.07.2017, 07:45 Ich denke zwar auch, dass ich mit heutigen Erfahrungen den Mangel von damals teils kompensieren kann, doch ich denke das Loch ist stopfbar. Es ist dann aber immer noch ein Loch, nur ein gestopftes. Immer noch ungleich besser als ein bodenlos leeres Loch.
Gute Überlegung! Merke ich mir.
montagne hat geschrieben: Di., 18.07.2017, 07:45 Was mich aber wudnert, Tristezza, dass du sagst, deine Therapeutin versteht dich da nicht. Versteht sie es wirklich nicht? Oder sagt sie nur nichts, warum auch immer? Denn eigentlich ist es doch sehr, sehr typisch, das es schwierig ist, gefühlsmäßig da ran zu kommen, was früher war. Und dadurch wiederum "verwechselt" man dann eben Dinge in der Gegenwart mit der Vergangenheit. oder eben Grundgefühle von Früher bleiben bestehen, obwohl es rein aktuell keinen Anlass mehr dazu gäbe... Ängste, Traurigkeit, Einsamkeit usw.
Sie hat es wirklich so gesagt, dass sie es nicht versteht, nachdem ich sie auf ihr hartnäckiges Schweigen angesprochen hatte. Finde es ja gut, dass sie sich mehr "offenbart" inzwischen, es kann aber auch verwirren. Vielleicht meint sie, nach 6 Jahren wäre es mal an der Zeit, an diese Gefühle ranzukommen. Vielleicht entspricht das ihrem Konzept und funktioniert bei ihren anderen Patienten so und es ist für sie neu, dass jemand nicht trauert. Überhaupt scheint für sie bei mir einiges Neuland zu sein.

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Tristezza
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Beitrag Di., 18.07.2017, 15:54

Schlendrian hat geschrieben: Di., 18.07.2017, 07:58 Es ist doch nicht dein Problem, wenn deine Therapeutin das nicht versteht. Du musst doch auch über nichts trauern, ist doch so gar gut, wenn du darüber nicht trauern musst.
Na ja, wenn das Trauern üblicherweise Bestandteil ihrer Behandlungen ist, hat sie damit ein Problem und ich irgendwie auch. Das beginnt beim Schmerz über das Nicht-Verstanden-Werden und könnte im Extremfall irgendwann auch darin münden, dass sie keinen Sinn in einer weiteren Behandlung sieht.

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Tristezza
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Beitrag Di., 18.07.2017, 15:58

Marilen hat geschrieben: Di., 18.07.2017, 15:32 ich habs gemerkt weil die zuwendung durch mich durch rauschte.es hat mich immer nur sehr kurz befriedigt.es blieb nichts.konstitutiv bedeutet für mich, dass jeder mensch ein loch hat, jeder sein eigenes.
Das Gefühl habe ich nicht. Würde die Therapie jetzt aus irgendeinem Grund plötzlich beendet werden müssen, würde ich einen wertvollen Schatz in mir tragen, nämlich das, was ich in der Beziehung bekommen habe. - Aber das hieße ja, dass jeder ein bodenloses Loch in sich trägt. Den Eindruck habe ich nicht.


Marilen
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Beitrag Di., 18.07.2017, 16:00

die löcher sind ja unterschiedlich, hat ja jeder sein eigenes, nur, dass jemand gar keines hat, daran glaube ich nicht.(mehr).glaube an ganzheit ist für mich idealisierung in reinform.
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Tristezza
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Beitrag Di., 18.07.2017, 16:06

Ich würde sagen, Verletzungen trägt jeder Mensch in sich. Aber Löcher? Da handelt es sich doch eher um die "Frühgestörten", bei denen man klar erkennen kann, dass sie ein Loch in sich tragen, das sie z.B. mit Süchten aller Art zu stopfen versuchen.


Marilen
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Beitrag Di., 18.07.2017, 16:12

mangel, mangel ist vielleicht passender als loch.
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Tristezza
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Beitrag Di., 18.07.2017, 16:21

Ja, an irgendwas mangelt es wohl immer. Das hat dann aber meist keinen Krankheitswert, ist vielleicht sogar eine wichtige Triebkraft im Leben. Wie langweilig wäre das Leben ohne Mangel. Doch es gibt einen Mangel, der tödlich sein kann. Mit diesem Mangel will und kann ich nicht leben.

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