Identitätsstörung (ohne 'Dis')

Fragen und Erfahrungsaustausch zu Persönlichkeitsstörungen und Schizophrenie, Bipolaren Störungen ('Manisch-Depressives Krankheitsbild'), Wahrnehmungsstörungen wie zB. Dissoziationen, MPS, Grenzbereichen wie Borderline, etc.

montagne
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Beitrag Sa., 02.01.2016, 19:59

Es nützt mir also nichts, etwas anzuziehen, wenn ich alleine mich darin wohlfühle
Doch!

Weil ich denke, viele Menchen haben ein gutes Gespür dafür, ob man sich autentisch gibt, was eher als attraktiv wahrgenommen wird oder ob man was verbirgt und sich gar verkleidet, was weniger attraktiv wahrgenommen wird. Ist meine Erfahrung.

Ich falle auf, weil aus dem engen Mainstream-Rahmen rausfallend, und ich werde auch drauf angesprochen (im Mainstream). Klar das Bedarf in manchen Situation schon noch etwas Mut, mich dem zu stellen. Aber es schwingt NICHT mit, dass es unattraktiv ist, im Gegenteil. Und meine Erfahrung ist, wenn ich ehrlich zu mir stehe und durchaus auch signalisiere, dass ich gegen Fragen nichts habe, mir aber in Frage stellen verbiete, das wirkt attraktiv, weil halbwegs selbstsicher.

Interessant, dass ich früher, als ich mich noch eher in Jeans und T-Shirt versteckt habe, was ich aus pragmatischen Gründen noch manchmal tue, ich garnicht angesprochen wurde, weil ich wohl ausgestrahlt habe "sprich mich nicht drauf an".

Ich meine es geht mir nicht drum angesprochen zu werden. Ich will nur sagen, es ist meine (neuere) Erfahrung, dass es positiv ankommt und es eh wneiger darum geht, was man an hat und wie man sich genau gibt, sondern dass es autentisch und selbstgewiss wirkt.

Und letzlich vermute ich, verbirgt sich hinter mancher Frage und manchem kecken Kommentar eine Unsicherheit des Fragenden, die halt nix mit mir zu tun hat, sondern mit demjenigen selbst. Und das ist ja auch okay. ich kann die Unsicherheit bei demjenigen lassen.
amor fati

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Cloverleaf
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Beitrag Sa., 02.01.2016, 20:17

Liebe lederblümchen,

ich habe zunächst nur deinen Eingangspost gelesen und nichts weiter und möchte erst mal darauf antworten, bevor ich mir den Rest durchlese. Ich habe zwar keine diagnostizierte Identitätsstörung, aber ich wollte trotzdem mal "meinen Senf" dazu beitragen.
leberblümchen hat geschrieben: Ist das überhaupt ein Symptom, das nicht zu wissen? Wie kann es sein, dass Andere mir sagen: "Doch, du bist doch die und die", und ich mir denke: "Ja, aber wo ist der Kern?" Manchmal fühle ich so was Ähnliches, aber meistens eben nicht: wenn ich z.B. etwas handschriftlich schreiben soll. Ich HABE keine Handschrift.
Mir ergeht es da ähnlich wie dir.
Ich hatte das auch in meiner letzten Stunde vor Weihnachten angesprochen. Das ist unter anderem ein Thema was mich richtig nervt und beschäftigt. Dass ich nicht genau sagen kann, wer ich eigentlich bin, was mich als Person ausmacht und zwar nur mich. Wenn also Person A Person B von mir berichtet, ohne Namen zu nennen, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass Person B sagt "Ach, das ist doch die Clover von der du berichtest! Das kann nur sie sein, nachdem, was du erzählst." Oder dass jemand in meine Wohnung kommt oder einen Koffer von mir aufmacht und sagt "Hey, das kann nur von Clover sein!" Oder wenn mich jemand fragen würde, was mich ausmacht, dann kann ich das nicht genau sagen. Ich meinte auch zu meiner Thera, dass ich eben das Gefühl habe, gar nicht zu wissen, wer ich bin, was ich erreichen will, was mich ausmacht etc. und dass mich das behindert, wenn es beispielsweise um die Frage geht, was ich beruflich erreichen will. Zumal ich wahrscheinlich in ein paar Wochen meine Arbeit verlieren werde und mich nach etwas Neuem umsehen muss! Aber ich weiß nicht was. Nicht, was mich interessieren könnte, was mich richtig herausfordern könnte, welcher Arbeit ich gewachsen bin, was ich stemmen kann, was mir Spaß macht...

Im Alltag beschäftigt mich das sehr. Ich versuche so zu sein, wie die Leute es von mir erwarten., habe aber oft das Gefühl dadurch in eine Richtung gedrängt zu werden, die ich gar nicht will, bzw gar nicht richtig die Zeit (gehabt) zu haben, wo ich eigentlich hin will. Weil immer irgendwer versucht hat mich zu formen, wie es ihm in den Kram passte. Habe ich mich angepasst, war es auch wieder verkehrt, machte ich es wieder anderes, das gleiche Spiel von vor.

Auch die Sache mit der Handschrift kenne ich. Ich habe glaube ich 7 oder 8 verschiedene Handschriften. Es ist immer mal wieder eine andere, aber nie eine gleichbleibende. Kommt auf meine Stimmung an, kann während des Schreibens einfach umschlagen. Das nervt mich. Weil es eben auch eine Sache ist, an der man mich NICHT identifizieren kann.

Ich werde mir jetzt erstmal den Rest durchlesen.

Liebe Grüße
Clover

Nachtrag:
Ich hab jetzt bei einigen deiner Beiträge einen Daumen hinterlassen, weil ich dem zustimme und nichts hinzuzufügen habe. Ich merkte auch beim Lesen, dass sich mein Hirn irgendwie grade dagegen sträubt, mich intensiv damit auseinanderzusetzen. Hatte ich auch in der letzten Stunde bei meiner Thera gesagt. Weil es mich einfach nur noch nervt und seit Jahren immer die selben Fragen sind, um die meine Gedanken hinsichtlich dieses Themas kreisen. Und ich einfach keinen Ausweg finde und mich dann eher darüber aufrege und noch mehr verzweifle. Ich glaube, mein Kopf will sich jetzt nicht damit auseinandersetzen. Aber ich werde den Thread weiter verfolgen!
- You can, you should, and if you're brave enough to start, you will. -
Stephen King


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leberblümchen
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Beitrag Sa., 02.01.2016, 20:58

Montagne, ich hab das neulich auch in deinem Blog gelesen mit der Kleidung und mich dabei gefragt, wie du wohl aussehen magst, weil ich die Beschreibung des "Nicht-Mainstream-Sein" v.a. mit Leuten in Verbindung bringe, die sich "bewusst krass" anziehen, sich also meinetwegen die Haare grün färben o.ä. Das kann ich mir bei dir nicht vorstellen.

Wegen "authentisch": Das ist ja gerade das Problem: Wenn ich weiß, dass ich irgendwie deprimiert aussehe und zudem dick bin, dann würde ein Herrenpulli das noch unterstreichen, finde ich. Ich denke wirklich, wenn ich alleine definiere, jemand zu sein, dann gilt das nicht, gerade und vor allem in Bezug auf Äußerlichkeiten. Dann bin ich einfach nur eine dicke Frau im Herrenpulli (naja, was auch sonst ) - aber wenn das so ist, dann ist es doch auch egal, was ich trage. Ob nun dicke Frau im Herrenpulli oder dicke Frau im Glitzerpulli - ich werde wohl nicht so gesehen, wie ich mich fühle. Oder anders gesagt: Ich kann irgendwie nicht nach außen zeigen, wie ich mich innerlich fühle. Das war schon immer so. Ich kann mich erinnern, wie ich mit meiner Mutter in der U-Bahn saß (da war ich ca. 9); wir spiegelten uns im Fenster, und sie wiederholte wirklich permanent: "Guck mal, wie du aussiehst, guck dich doch mal an, was sollen denn die Leute denken" - ich fand mich ganz normal (es ging auch nur um den Gesichtsausdruck), aber ich musste akzeptieren, dass "die Leute" das anders sahen - umso verrückter, weil dann wiederum jeder, der mich mag, sagt: "Was soll denn an dir komisch aussehen?" - und ich glaube, die "sehen" das wirklich nicht. Während die, die mich nicht mögen, tatsächlich genau diesen Ausdruck ansprechen, von wegen: "Guck dir die mal an!"


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leberblümchen
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Beitrag Sa., 02.01.2016, 21:04

Cloverleaf: Geht mir auch manchmal so, dass ich was lese und denke: "ja, genau", und ich wüsste, ich sollte mich damit auseinandersetzen, aber es geht nicht.

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montagne
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Beitrag Sa., 02.01.2016, 23:50

Ich denke wirklich, wenn ich alleine definiere, jemand zu sein, dann gilt das nicht, gerade und vor allem in Bezug auf Äußerlichkeiten.
Es kommt drauf an, ob sich eine Frau, ob dick oder dünn in dem Herrenpulli versteckt oder ihn trägt, um sich, bzw. ihr Inneres zu zeigen, denke ich. Egal welcher Style, im Grunde.

Und ich denke eben weil es immer mehr ist, als nur eine Klamotte, verändert es auch innen drin was, verändert am Habitus was, so in Abstufungen, mehr dahin wo man sich wohler und selbstsicherer fühlt.

Mir ging es aber zumindest so, dass es wirklich ein ausprobieren war. Proberen, was sich für mich stimmig anfühlt und dann eben auch sehen, welche Reaktionen kommen. Und da dann spüren, ob die Reaktionen sich stimmig anfühlen oder ob die Menschen etwas in mir sehen, was ich nicht bin oder nicht sein will. So hab ich dann auch gefunden und mir bestätigt, was Ich bin und was nicht.


Und weil das vielleicht, zumindest in bezug auf Gender-Identität mein Thema ist, bilde ich mir ein, habe ich da auch ein gutes Gespür bei anderen. Ich beobachte andere, wie ich innerlich auf sie reagiere, wie das Umfeld reagiert. Und auch da habe ich den Eindruck, wer seinen Style, wie ungewöhnlich oder abweichend in der Gruppe auch sein mag mit Selbstverständlichkeit trägt, wirkt anziehend auf andere, im Sinne von sympathisch und ansprechbar (nicht unbedingt sexuell gemeint). Auch Mainstream ist gut, solange das die Person wirklich ist und nicht NUR den Erwartungen anderer angepasst.
"Guck mal, wie du aussiehst, guck dich doch mal an, was sollen denn die Leute denken"
Kenn ich.
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leberblümchen
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Beitrag So., 03.01.2016, 11:29

Ja, es ist wohl der Habitus, der sich aus der Selbstverständlichkeit heraus ergibt. Aber eben auch: Das ist etwas, was von außen kommt. Und irgendwas in mir weigert sich wohl, da mitzuspielen, weil "Styling" gepaart mit diesem gewissen Habitus etwas ist, was ich bei Anderen nicht toleriere, wenn es nicht von innen kommt. Meist sind das die sog. Neureichen, denen ich einfach ansehe, dass ihr Habitus künstlich angelegt ist, mit dem Ziel, sich irgendwie sicher zu fühlen und sich abzugrenzen von denen, die man gerade hinter sich gelassen hat. Denn auch da wieder: Wozu sollte man das sonst tun, sich so kleiden und sich so verhalten?

Manchmal sind die Unterschiede zwischen authentisch und nicht-authentisch auch gar nicht gut zu erklären: Es ist der Gesamteindruck, dieses leise Triumphieren, wenn z.B. bei Reichelt an der Fleischtheke ganz stolz das Rinderfilet bestellt wird oder dem Nachwuchs penetrant erklärt wird, dass man ein besserer Mensch ist, weil man Bio kauft. Das ist ein anderes Rinderfilet- oder Bio-Kaufen als bei denen, die es "aus sich heraus" tun. Ich spüre ganz deutlich, wann Neid erzeugt werden soll oder wann jemand demütig ist. In der Kirche kann man das ähnlich beobachten, dieses Verbissene bei manchen Leuten, das ich mir nur so erklären kann, dass diese Menschen kein verinnerlichtes Bewusstsein darüber haben, wer sie selbst sind und dass sie sich daher immer in Konkurrenz zu den Anderen sehen (wer hat den volleren Einkaufswagen, wer ist der bessere Christ?) - ich mache das im Grunde auch, nur andersherum (durch die permanente Weigerung, "mitzuspielen", bekommt dieses "Spiel" auch für mich schon fast was Zwanghaftes, was weit weg ist von einem stimmigen Selbst!)

Ich hatte neulich so ein ähnliches Erlebnis im Delikatessen-Laden, wo ich mit meiner Tochter gelegentlich einkaufe (nur eine bestimmte Sache) - ich, wie immer, irgendwie schluffig gekleidet. Wir stellten unsere Räder ab, eine Frau parkte ihr Auto und stieg mit ihrem Kind aus und überholte uns auf dem Weg in den Laden. Und dann sah ich es wieder, dieses "und dann nehme ich noch ganz viel von dem ganz Teuren", mit dem sie beeindrucken wollte. Dann kam ein Kollege des Verkäufers und fragte meine Tochter: "Kauft ihr wie immer xy?" - und dann sah ich den Blick, dieses: "Was? Die gehen hier immer einkaufen? Wie kann das sein?" - ich überlegte noch, ob ich meine Wahrnehmung vielleicht ein bisschen übertreibe, aber draußen sprach mich meine Tochter an (die wirklich alles andere als paranoid oder neidisch oder sonstwie "gestört" ist) und hat mir genau diese Wahrnehmung geschildert.

Ich stelle mir dann immer so eine ideale Welt vor, in der alle irgendwie gleich sind - vielleicht bin ich einfach "nur" Kommunistin?


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leberblümchen
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Beitrag So., 03.01.2016, 12:51

Ich glaube, dass Sein und Tun nur im Idealfall zusammenfallen. Dann, wenn beides als gut empfunden wird. Und ich glaube, dass beides oft nur (fast) zufällig zusammenfällt - dass man sich dieses Zufallscharakters nur häufig nicht bewusst ist und man daher annimmt, man hätte sich das Sein durch das Tun erarbeitet. Das kann doch aber gar nicht sein. Umgekehrt nimmt man allzu häufig an, man hätte das Sein dadurch verdient, dass man nichts oder das Falsche tut. Aber auch das ist nicht so.

Ich kann verstehen, dass es gut und logisch erscheint, man würde sich mit dem, was man tut, identifizieren; wie gesagt: Das ist das Ideal. Aber dummerweise bleibt, wenn das so ist, wirklich nicht viel von der Identität übrig, wenn man z.B. seinen Job verliert oder krank wird. Man wird ja eben gerade NICHT ein anderer Mensch, nur weil man krank ist oder arbeitslos. Es ändern sich die Umstände (das lässt sich wohl nicht leugnen), aber es ändert sich doch nicht automatisch das Selbst. Das wäre doch erschreckend.

Es ist wohl wichtig, das Tun oder Nicht-Tun als einen Teil des Lebens zu begreifen. Aber es ist, meiner Meinung nach, das Äußere, die Ausstattung des eigenen Lebens, die Software. Mir geht es um die Hardware.

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Tristezza
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Beitrag So., 03.01.2016, 14:16

Ich denke, dass das Sein das Tun beeinflusst und umgekehrt. Doch es ist auch ohne das Tun. Ich habe bestimmte Charaktereigenschaften, bestimmte Interessen/Vorlieben und bestimmte Werte. Das wird bei dir doch auch der Fall sein ... Ob ich Arbeit habe oder nicht, mein Charakter, meine Vorlieben und meine Werte bleiben. Und wenn ich authentisch bin, spiegelt sich alles in meinem Tun wieder. Schwierig ist es, wenn ich mich nicht traue, authentisch zu sein. Dann ist mein Tun von meinem Wesenskern abgespalten. Sicher gibt es auch Menschen, die nicht mal sich selbst gegenüber wagen, authentisch zu sein. Dann ist es deutlich schlimmer, ein falsches Selbst entsteht.


Leslie
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Beitrag So., 03.01.2016, 17:02

@leberblümchen : wie kommst du darauf, dass es solch einen Kern gibt, der unveränderlich ist? Für mich ist das Reden vom Kern eher ein Bild, das gerne in therapeutischen Kreisen verwendet wird, um ein Gespür für sich selbst zu bekommen und sich von schädlichen Einflüssen (auch die von früher) besser abgrenzen zu können

Berufstätigkeit, Familienzugehörigkeit, Kulturkreis, Sprache und Lebensraum sind doch ganz maßgebliche Aspekte der Identität. Wenn einzelne Aspekte wegbrechen, dann ist eine Identitätskrise logische Folge. Jeder Mensch muss sich dann neu "finden" und neu definieren (das ist eine Kunst, die längst nicht alle Menschen beherrschen). Kinder und Jugendliche, die dabei (bei ihrer ersten Selbst-Definition) von ihren Eltern liebevoll begleitet wurden, haben es als Erwachsene sicher einfacher, wenn irgendwann eine Neu-Definition ansteht.

Ich behaupte mal, in jeder Therapie erfolgt solch eine Identitäts-Neuorientierung - aber nicht nur dort.


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leberblümchen
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Beitrag So., 03.01.2016, 17:44

Leslie, das Wort "Kern" meint doch aber letztlich immer etwas Stabiles, oder? Ich stelle mir das so vor: Menschen, die einen stabilen Kern haben (oder ihn meinetwegen kennen), die kennen das Existenziell-Bedrohliche nicht (es sei denn, es handelt sich um wirklich lebensbedrohliche Krankheiten). Diese Menschen wissen auch in der Krise noch, dass sie ein stabiles Selbst haben. Die leiden dann auch an den Problemen wie Liebeskummer oder Arbeitslosigkeit, aber eben nur auf dieser einen Ebene, die davon auch tatsächlich konkret betroffen ist (oder dort, wo es Zusammenhänge zu anderen Ebenen gibt - also, z.B. bedeutet Arbeitslosigkeit meist Geldnot usw.). Die wissen aber auch: "Ich habe jetzt zwar weniger Geld als vorher, aber ich bin immer noch derselbe Mensch".

Vielleicht ist das für andere Menschen so nicht vorstellbar, dass es Menschen gibt, die bei relativen Kleinigkeiten das Gefühl haben, ihnen wird der Boden unter den Füßen weggezogen. Da bricht dann alles weg und nicht nur der tatsächlich betroffene Teil. Plötzlich hat der Betroffene das sichere Gefühl, dass da nichts mehr ist - nur noch Leere. Und das alles in einer Dimension, die "Kummer" übertrifft. Da ist dann nur noch Taumeln und Kopflosigkeit.

Menschen, die ihren Kern spüren oder einen Kern haben, verlieren den Kopf nicht so leicht, denke ich mir. Die nehmen eine Krise wörtlich als Wendepunkt war, als Ende vom Einen und Beginn vom Neuen.

Natürlich ist das nur ein Bild, aber das trifft ja auf so ziemlich alle psychischen Phänomene zu. Ich denke auch nicht, dass das immer eine Frage von Entweder - Oder ist, denn ich habe gemerkt, dass das bei mir schon deutlich besser geworden ist durch das Gefühl, nicht mehr alleine auf der Welt zu sein, sondern an das, was in der Therapie entsteht, gebunden zu sein. Aber früher war das mal ganz anders, auch schon als Kind, und ich war wirklich sehr oft kopflos.


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Beitrag So., 03.01.2016, 18:04

Tristezza, ich finde das mit dem Charakter gar nicht so einfach. Ich bekomme da total unterschiedliche Rückmeldungen. Hier z.B. würde man mich eher für streitsüchtig halten - mein Therapeut (bei dem ich nun wirklich alles raushaue) sieht das ein bisschen anders (obwohl ihm natürlich auch aufgefallen ist, dass ich nicht immer nur ja und Amen sage), vorsichtig ausgedrückt. Es gibt Menschen, die mich auf meine Zurückhaltung und Schüchternheit ansprechen und andere, die mich für vorlaut halten. Wieder andere sagen, ich sei so wahnsinnig mutig (und das mit einer Angsterkrankung). Ich weiß, dass ich niemandem etwas vorspiele und nicht lüge. Und trotzdem bin ich so unterschiedlich und werde auf jeden Fall unterschiedlich wahrgenommen.

Ich könnte jetzt nicht sagen, ob ich eher "so" oder "so" bin - ich kann die Leute ja nicht abstimmen lassen darüber... Ich habe das Gefühl, dass das ein "normales" Maß an Schwankungen (mal ist man ruhiger, mal lebhafter; in bestimmten Gruppen ist man mutiger, in anderen zurückhaltender) übersteigt. Vielleicht identifiziere ich mich übermäßig mit bestimmten Situationen und werde dann tatsächlich extremer, als ich eigentlich bin?

Bestimmte Merkmale sind tatsächlich auch stabiler, und die sind mir auch vertraut, aber dann reicht eben u.U. ein Auslöser, der alles auf den Kopf stellt. Mich halten fast alle für gleichmütig, und trotzdem flippe ich innerlich aus, wenn ein Kind sich nur um eine halbe Minute verspätet.


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Beitrag So., 03.01.2016, 18:17

Ich würde sehr vieles von dem was du beschreibst als etwas bezeichnen, was fast allen Menschen gemein ist. Wenn du zum Bsp Probleme hast, Klamotten zu finden, die dir gefallen und noch passen und du findest, dass dir das nicht steht, was dir gefällt, ist es doch normal, sich in dem Punkt unsicher zu fühlen. So hat doch sicher jeder Mensch etwas zum Anziehen, wo er sich nicht drin wohlfühlt oder was ihm nicht steht und wenn er es anzieht fühlt er sich darin nicht wohl und fühlt sich etwas verloren, beobachtet etc. und damit auch nicht bei sich selbst..ich zum Bsp habe in meinen Augen keine schönen Haare und egal was ich damit mache bin ich in dem Punkt nicht zufrieden, egal wie toll ich finde, dass meine Outfits an mir aussehen.

Zu den Konzerten: ich gehe zum Bsp oft mit Freunden auf Konzerte, wir kleiden uns tatsächlich ähnlich oder zumindest alle etwas krasser, etwas verrückter..das ist so eine Art Protest gegen die Konventionen der Gesellschaft, für die auch die Künstlerin steht und so entsteht ein stärkeres Gefühl der Zusammengehörigkeit und ein komplettes Entfliehen aus der Realität für den einen Abend. Meine Freundin bezeichnet dies immer als "spirituelles Erlebnis"Wir drücken durch unsere Klamotten etwas aus; aber deshalb haben wir doch nicht unsere Identität verloren.

Und dass man sich immer mal wieder verloren fühlt oder nicht weiß, wo man hingehört oder wo die Reise hingeht, ist für mich ein normaler Teil der Reise des Lebens..bei mir gibt es immer Phasen, wo ich denke: so bin ich, so will ich mein Leben gestalten und dann bin ich mir sicher und ein paar Jahre später ist wieder alles anders oder unsicher. Das Leben ist ja nicht irgendwann fertig im Sinne von: so bin ich und nicht anders, sondern man lernt immer weiter und entwickelt sich weiter und man kommt eben immer wieder an Punkte, wo vieles im Umbruch ist. Ich glaube das Leben ist tatsächlich wie eine Art Pubertät, nur mit eigenem Einkommen und Verantwortung und viele sind nicht wirklich in ihrem Charakter gefestigt. Ich sehe aber auch nicht unbedingt die Notwendigkeit dafür, das zu erreichen.

Früher habe ich zum Bsp immer gedacht, Eltern sind allmächtig und allwissend. Jetzt wo ich selbst erwachsen bin, merke ich, dass niemand eigentlich so wirklich 100% ig einen Plan hat. Wie ein Zitat was ich letzens gelesen habe: "the older you get the more you realize that no one has a clue what they're doing, everyone's just winging it"

Soviel zu meiner Vorstellung von Tun und Sein in dem Zshg

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candle.
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Beitrag So., 03.01.2016, 18:18

So wie ich dein letztes Posting lese leberblümchen, finde ich das alles recht normal.

VG candle
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Tristezza
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Beitrag So., 03.01.2016, 18:19

@ Leberblümchen: Ein gemeinsamer Nenner könnte die innere Unsicherheit sein: Zurückhaltung gegenüber Menschen, die dir viel bedeuten, vorlautes Benehmen gegenüber Menschen, die dir nicht so viel bedeuten (sorry, aber hinter deiner Streitbarkeit hier im Forum vermute ich oft Unsicherheit ...), Angst um deine Kinder weisen darauf hin. Das wäre dann doch ein Identitätsmerkmal. Außerdem hast du ja verschiedene ausgeprägte Interessen, die doch eindeutig zu deiner Identität gehören.

Übrigens bin ich kürzlich auf ein Buch gestoßen, bei dem ich an dich gedacht habe: ... 3268000762 Darin geht es darum, wie man durch Therapie/Analyse das verschüttete Selbst wiederfinden kann.


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leberblümchen
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Beitrag So., 03.01.2016, 18:22

Oh, hab die letzten Beiträge noch nicht gelesen...

Es ist ja überhaupt eine Frage der Eigen- und Fremdwahrnehmung, nicht nur mich betreffend. Ich lese hier manchmal von Menschen, die sich irgendwie beschreiben und die auf mich ganz anders wirken. Ich könnte da nicht sagen, dass ich das richtig sehe; ich bemerke nur die Diskrepanz. Wer ist derjenige also?

Oder wenn hier jemand sagt: "Ich streite mich ja nur hier im Forum und nur mit vier Personen, also muss es an denen liegen", dann erstaunt mich diese Selbstsicherheit, denn da fehlt ja der Bezug zu dem, mit dem man sich streitet und die Frage, ob derjenige sich denn woanders überhaupt streitet. Es wird also einfach davon ausgegangen: "Das Phänomen tritt nur mit Person xy auf, also muss es an ihr liegen", obwohl Person xy natürlich von sich dasselbe behaupten könnte. Es weiß also tatsächlich niemand, wie wer eigentlich genau ist - aber es ist vermutlich immer besser, von sich selbst ein bestimmtes Bild zu haben. Nur ist die Frage: Was ist die Realität und wessen Realität ist die gültige?

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