Liebe, Lügen, Betrug in der Therapie :(

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

leberblümchen
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 15:59

Tilda: Ich bin gar nicht entspannt: Ich bin genauso unentspannt wie du - nur sehe ich eben auch einen Nachteil in diesen Stempeln. Sagen wir mal so: Wenn der Therapeut eh in Stempeln und Kategorien denkt, dann kann er mir die auch mitteilen. Wenn er aber anders arbeitet bzw. mich anders sieht, eben weniger als Diagnose ("als nächstes kommt die Borderlinerin"), dann brauche ich das auch nicht. Und ich vermute, dass das so ist; deshalb MUSS ich das nicht wissen.

Von meinem ersten Therapeuten hab ich die offizielle Diagnose "Angsterkrankung" bekommen; er hat allerdings gesagt, dass das nicht die ganze Wahrheit sei. Der zweite Therapeut sieht mich anders, aber wie genau, weiß ich auch nicht.

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Tilda
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 16:00

mio hat geschrieben:Ich werde zur "Diagnose". Und ich denke mal, dass wollen Therapeuten vermeiden.
Ja, ich denke auch, dass sie das vermeiden möchte.
Und ich denke irgendwie auch, dass sie glaubt, dass mich ihre Diagnose verletzen könnte (selbst wenn es die ist, die ich vermute). Ach, keine Ahnung, vielleicht ist es auch gut so, wie es ist.
mio hat geschrieben:In Bezug auf das "Lügen und Übertreiben" so gibt es da einen Begriff dafür:

https://de.wikipedia.org/wiki/Pseudologie

Wenn ich es richtig verstehe, geht es da tatsächlich um einen "fehlgeleiteten/verbotenen" Aufmerksamkeitswunsch, der nicht eingestanden werden kann, bzw. es wird wohl befürchtet (wurde gelernt), dass anders keine Aufmerksamkeit geschenkt wird, erhalten werden kann. Die Gründe hierfür dürften in Deinen bisherigen Lebenserfahrungen zu suchen sein und genau dies kannst Du Dir in der Therapie mit Deiner Therapeutin erarbeiten: Ein Verstehen Deiner Selbst und Deiner Handlungen. Willst Du ja auch , wie Dein Thread hier zeigt. Fehlt nur noch das "mit zu ihr" bringen...
Danke für deine Antwort, mio!
Ja, ich kenne den Begriff. Ich kann mir manches darüber bloß kaum durchlesen, weil ich mich dann so schäme. Ich muss wohl auch noch dazu sagen, dass ich das nicht zum ersten Mal gemacht habe, sprich, ich habe auch vor der Therapie schon bei verschiedenen Menschen gelogen, um diese Ziele zu erreichen - Aufmerksamkeit von ihnen, Zuneigung, etc.
Das ihr mitzubringen wird das Allerschwerste daran. Vielleicht geht es nur Stück für Stück, ganz vorsichtig. Vielleicht auch gar nicht.

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münchnerkindl
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 16:05

leberblümchen hat geschrieben:Münchnerkindl: Ja, klar, aber da ist es doch gut, wenn man dann über das Problem selbst spricht, also hier z.B.: "Ich hab Sie angelogen" - und wenn dann sozusagen als Antwort kommt: "Kein Wunder, Sie sind Borderliner", dann hilft das doch gar nicht. ?

Also wenn ich jetzt krankheitsbedingt jemanden angelogen habe und dann erklärt mir eine Fachperson, das haben sie nicht getan, weil sie ein schlechter Mensch sind, sondern weil es zu ihrem Krankheitsbild x gehört und es dort die Funktion y hat, weil sie aus ihrer Kindheit Defizit z mitgebracht haben, und dagegen können wir nun Behandlungsmethode m anwenden, dass sie das nicht mehr brauchen, dann nimmt das doch eine riesige Ladung an Schuldgefühlen, Versagensgefühlen und Hoffnungslosigkeit weg.

Ausserdem, wenn du eine Diagnose hast hast du es einfacher, dich per Selbsthilfe mit anderen Betroffenen mit dem selben Problem auszutauschen.
Zuletzt geändert von münchnerkindl am Sa., 05.09.2015, 16:06, insgesamt 1-mal geändert.

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Tilda
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 16:05

leberblümchen hat geschrieben:Tilda: Ich bin gar nicht entspannt: Ich bin genauso unentspannt wie du - nur sehe ich eben auch einen Nachteil in diesen Stempeln. Sagen wir mal so: Wenn der Therapeut eh in Stempeln und Kategorien denkt, dann kann er mir die auch mitteilen. Wenn er aber anders arbeitet bzw. mich anders sieht, eben weniger als Diagnose ("als nächstes kommt die Borderlinerin"), dann brauche ich das auch nicht. Und ich vermute, dass das so ist; deshalb MUSS ich das nicht wissen.
Okay, danke für deine Antwort. Langsam beginne ich zu verstehen, wie du damit umgehst. Das ist schon ein wenig bewundernswert. Und du hast recht: "Als nächstes kommt die Borderlinerin" - dass sie so über mich denkt, dass möchte ich nun auch nicht.

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mio
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 16:07

Hallo Tilda,
Tilda hat geschrieben: Das ihr mitzubringen wird das Allerschwerste daran. Vielleicht geht es nur Stück für Stück, ganz vorsichtig. Vielleicht auch gar nicht.
ich denke mal, es fängt immer mit dem "Erkennen" an. Und von daher ist es gut, dass Du das bereits - und sei es auch erst mal nur im "Geheimen" - tust. Es dann auch "sichtbar werden zu lassen" in einer "wichtigen Beziehung", ist der nächste, viel schwerere Schritt. Und der geht manchmal echt nur in Winz-Schrittchen. Das ist auch völlig ok. Du kannst ja nicht eine Angst, die sich Dein Leben lang aufgebaut hat, in zwei Sekunden ablegen.

Nur Mut! Sie wird Dir nicht den Kopf abreisen .

Lieben Gruss,

mio

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Tilda
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 16:08

münchnerkindl hat geschrieben:Also wenn ich jetzt krankheitsbedingt jemanden angelogen habe und dann erklärt mir eine Fachperson, das haben sie nicht getan, weil sie ein schlechter Mensch sind, sondern weil es zu ihrem Krankheitsbild x gehört und es dort die Funktion y hat, weil sie aus ihrer Kindheit Defizit z mitgebracht haben, und dagegen können wir nun Behandlungsmethode m anwenden, dass sie das nicht mehr brauchen, dann nimmt das doch eine riesige Ladung an Schuldgefühlen, Versagensgefühlen und Hoffnungslosigkeit weg.
Ja, aber so funktioniert eine Analyse doch leider nicht, oder irre ich mich - und es funktioniert bloß bei meiner nicht so?

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münchnerkindl
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 16:11

leberblümchen hat geschrieben:Tilda: Ich bin gar nicht entspannt: Ich bin genauso unentspannt wie du - nur sehe ich eben auch einen Nachteil in diesen Stempeln. Sagen wir mal so: Wenn der Therapeut eh in Stempeln und Kategorien denkt, dann kann er mir die auch mitteilen. Wenn er aber anders arbeitet bzw. mich anders sieht, eben weniger als Diagnose .


Wieso? Man kann doch eine Diagnose erhalten und dann trotzdem in der Hauptsache an der Beziehungsebene arbeiten. Das was du schreibst würde ja bedeuten, dass jemand der jemals zB einmal eine Verhaltenstherapie gemacht hat und gegen die Depressionen joggen geht nie wieder eine tiefenpsychologische Therapie machen kann, weil das Wissen um die Diagnose den Klienten quasi für immer verdorben hat.

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Tilda
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 16:21

mio hat geschrieben:Nur Mut! Sie wird Dir nicht den Kopf abreisen
Ja, das wohl nicht - aber ich müsste dann von diesem ständigen "ihr gefallen wollen" abrücken und für mich würde sich dadurch vieles verändern. Mir geht gerade der Gedanke durch den Kopf, dass es sicher gut und heilsam für mich wäre, sie auch mal anders zu erleben, vielleicht sogar verärgert oder enttäuscht. Oder zu spüren, dass sie mal kein Verständnis hat. Das würde mir sicher ein wenig die Augen öffnen. Mir zeigen, dass sie eben nicht immer so sein kann, wie ich sie mir zurechtbiege. Wie ich sie BRAUCHE!

...aber irgendwie bin ich dazu noch nicht bereit, das geht alles so schnell...

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münchnerkindl
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 16:30

Tilda hat geschrieben:
mio hat geschrieben:Nur Mut! Sie wird Dir nicht den Kopf abreisen
Ja, das wohl nicht - aber ich müsste dann von diesem ständigen "ihr gefallen wollen" abrücken und für mich würde sich dadurch vieles verändern.

Dazu gibt es einen Spruch:

Ist der Ruf erst ruiniert, dann lebt es sich völlig ungeniert



Probier das mal aus. Ausserdem kannst du mit Leuten nicht gefallen wollen auch gut aussieben, wer dich wirklich mag und wer nur an der tollen Show interessiert ist. Auf die kannst du sowieso verzichten.


mio
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 16:36

Hallo Tilda,
Tilda hat geschrieben: Mir geht gerade der Gedanke durch den Kopf, dass es sicher gut und heilsam für mich wäre, sie auch mal anders zu erleben, vielleicht sogar verärgert oder enttäuscht. Oder zu spüren, dass sie mal kein Verständnis hat. Das würde mir sicher ein wenig die Augen öffnen. Mir zeigen, dass sie eben nicht immer so sein kann, wie ich sie mir zurechtbiege. Wie ich sie BRAUCHE!
biegst Du nicht eher Dich hin? Sie ist Therapeutin, sie wird damit umgehen können (im RL wären die von Dir beschriebenen Reaktionsweisen verständlich und eventuell auch "beziehungsvernichtend", in einer Therapie sehe ich diese Gefahr nicht), vielleicht wird sie Dir tatsächlich rückmelden, dass sie das traurig macht, dass Du denkst, Dich so verhalten zu müssen um Aufmerksamkeit zu bekommen, um gemocht zu werden. Aber sie wird es verstehen können, dass ist ihr Beruf, und mit Dir genau daran arbeiten, da was zu verändern.

Lieben Gruss,

mio


leberblümchen
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 16:38

...Außerdem wollen fast alle Patienten ihren Therapeuten gefallen. Ich auch, und es ist nicht so schlimm, darüber zu sprechen. Du musst das so sehen: Die sind daran interessiert zu erfahren, wie es in uns aussieht. Das finden die spannend, und deshalb haben sie diesen Job gewählt. Was sie nicht mögen, ist angelogen zu werden und wenn man nicht rausrückt mit der Sprache (auch wenn das auch manchmal nicht anders geht, aber schöner ist es halt, wenn gesprochen wird). Du kannst in dieser Hinsicht gar nichts falsch machen.


mio
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 16:54

Hallo Leberblümchen,
leberblümchen hat geschrieben:...Außerdem wollen fast alle Patienten ihren Therapeuten gefallen.
"gefallen wollen" ist das eine, sich deshalb "gefällig" verhalten, was anderes.

Lieben Gruss,

mio

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münchnerkindl
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 16:58

leberblümchen hat geschrieben:...Außerdem wollen fast alle Patienten ihren Therapeuten gefallen. Ich auch, und es ist nicht so schlimm, darüber zu sprechen.

Ich vermute mal, dass das auch eine Art von Übertragung ist. So wie Kinder auch einen Reflex haben, ihren Eltern gefallen zu wollen.

leberblümchen hat geschrieben:Was sie nicht mögen, ist angelogen zu werden und wenn man nicht rausrückt mit der Sprache (auch wenn das auch manchmal nicht anders geht, aber schöner ist es halt, wenn gesprochen wird). .

Ein Therapeut der das ernsthaft "nicht mag" sollte sich einen anderen Beruf suchen, weil das eben auch Symtpome der Erkrankung sind.

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Tilda
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 17:00

Ist der Ruf erst ruiniert... Ja, das Leben wäre einfacher, wenn man es auch nur ein kleines bisschen mehr so nehmen könnte.
leberblümchen hat geschrieben:...Außerdem wollen fast alle Patienten ihren Therapeuten gefallen. Ich auch, und es ist nicht so schlimm, darüber zu sprechen. Du musst das so sehen: Die sind daran interessiert zu erfahren, wie es in uns aussieht. Das finden die spannend, und deshalb haben sie diesen Job gewählt. Was sie nicht mögen, ist angelogen zu werden und wenn man nicht rausrückt mit der Sprache (auch wenn das auch manchmal nicht anders geht, aber schöner ist es halt, wenn gesprochen wird). Du kannst in dieser Hinsicht gar nichts falsch machen.
Danke für's Mut machen.
Wie lange seid ihr denn schon in Behandlung? Klingt alle so erfahren und weise... Im Vergleich zu mir.

mio hat geschrieben:biegst Du nicht eher Dich hin? Sie ist Therapeutin, sie wird damit umgehen können (im RL wären die von Dir beschriebenen Reaktionsweisen verständlich und eventuell auch "beziehungsvernichtend", in einer Therapie sehe ich diese Gefahr nicht), vielleicht wird sie Dir tatsächlich rückmelden, dass sie das traurig macht, dass Du denkst, Dich so verhalten zu müssen um Aufmerksamkeit zu bekommen, um gemocht zu werden. Aber sie wird es verstehen können, dass ist ihr Beruf, und mit Dir genau daran arbeiten, da was zu verändern.

Lieben Gruss,

mio
Hm, stimmt - und wie ich hinbiege... Das geht soweit, dass ich lange und ausgedehnt überlege, was ich anziehen soll, welche Kette, usw. ... Autsch.
Ich habe dieses Verhältnis zwischen Therapeut und Patient offenbar nicht so gut abgespeichert... Also dass sie das schon vertragen können, wenn man solche Dinge offenbart. Dass sie dafür da sind, es mit mir zu bearbeiten, damit es sich verbessern kann.


Mir ist ein Satz der Therapeutin eben wieder in den Sinn gekommen: "Sie haben soviel Sehnsucht, gesehen zu werden - meine größte Sorge ist es, dass sie immer mehr leiden müssen, weil die Sehnsucht so groß ist. Weil sie immer noch glauben, nur durch das Leiden gesehen zu werden."
Ja, und durch das Lügen, die Selbstverletzung,. ... Sonst kommt sie noch daher und sagt, was ist denn, Sie brauchen doch gar keine Therapie, Sie lachen doch und kommen zurecht, das ist Zeitverschwendung. Dass dem nicht so ist, das muss man erstmal in den Kopf bekommen. Vom Verstand her leuchtet es mir ja ein, aber es fühlt sich trotzdem anders an.


leberblümchen
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Beitrag Sa., 05.09.2015, 17:13

weil das eben auch Symtpome der Erkrankung sind.
Da kommt man dann aber wieder weg vom Individuum und hin zur Schublade, wenn man Borderline gleichsetzt mit "Lügen gehört dazu". Es gibt auch Menschen ohne Borderline, die lügen, und es gibt Borderliner, die nicht lügen. Interessanter als eine Art Freifahrtschein wäre wohl, am Patienten selbst zu bleiben und weniger an seiner Diagnose. Vielleicht hat er BL und lügt aus einem anderen Grund.

Therapeuten, die auf Diagnosen fokussiert sind, laufen Gefahr, dann beim Konzept "Borderline" sofort das Lügen "mitzudenken", und das wäre fatal.

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