Psychotherapie heilt - Wunschdenken oder Realität?

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Wandelröschen
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Beitrag Sa., 01.02.2014, 01:39

Tristezza hat geschrieben: Ja, ich habe auch schon gedacht, dass es schwierig ist, Heilung zu definieren. Geheilt zu sein bedeutet meiner Meinung nach jedenfalls nicht einfach zu funktionieren.
Genauso sehe ich es auch, jeder definiert Heilung etwas anders.
Und funktioniert hat unsereins vor und während der Therapie (keine Analyse) sehr gut, sogar auf sehr hohem Niveau. Funktionieren ist nicht Heilung.
ziegenkind hat geschrieben:ich bin durch therapie heiler geworden, vielleicht nicht geheilt, aber heiler: im sinne von arbeits- und liebesfähiger, ganz klassisch. ich konnte zwar immer arbeiten, aber ich kasteie mich nicht mehr so. ich bin gelassener gegenüber erwartungen, die an mich rangetragen werden. ich kann anerkennung, die ich kriege, mehr genießen. und, für mich viel, viel wichtiger: ich kann menschen in meinem leben viel, viel näher an mich ranlassen, weil ich mir vorstellen kann, dass die mich lieben können. und weil ich mir das vorstellen kann, kann ich meine liebe zu menschen besser zeigen, weil ich nicht mehr denke, die fühlen sich von mir belästigt. dadurch erlebe ich reiche, faszinierende begegnungen. ich muss nicht mehr kontrollieren. ich kann zulassen, es passieren zu lassen. dadurch passieren aufregende, spannende dinge in meinem leben.
Das hast du sehr schön formuliert, könnte glatt aus meiner Feder stammen, erlebe ich auch so.

Vor über ein Jahrzehnt, zum Anfang der ersten Therapie, formulierte ich in meinem Buch im Vorwort:
… dann will ich nicht mehr sagen: ich habe überlebt,
… dann will ich sagen: seht her, ich lebe!

Und genau da sind wir jetzt, im Leben angekommen. Wir funktionieren nicht mehr, wir leben.

Ich werde jetzt bald die Therapie beenden, selbstbestimmt über das Ende, nicht fremdbestimmt durch KK, andere Leute oder den Terminkalender meines Theras. Diese innere und äußere Freiheit habe ich inzwischen. Unsereins ist jetzt, durch die letzte Therapie, im Leben angekommen. Das heißt nicht, dass alle Symptome weg wären, auch steht immer noch die Diagnose DIS, aber das ist egal, ich und die anderen Leben, spüren Leben …

Und noch etwas, warum ich weiß, dass die Therapie für mich und uns in den Endzügen liegt:
Ich habe jetzt eine Antwort auf die Frage gefunden, die der Buchtitel aufwirft und habe vor kurzem ohne Nachdenken zu müssen das Nachwort geschrieben.

Diese Therapie war für unsereins eine absolute Erfolgsstory.
Gruß
Wandelröschen

Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.

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Annemarie
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Beiträge: 962

Beitrag Sa., 01.02.2014, 02:32

Ein Thread, der sehr viele positiven Gefühle in mir auslöst. Erinnerungen an eigene Zweifel und Verzweiflung und die Freude daran, auf diese Zeiten als Teil meiner Geschichte zurückblicken zu können.

Vieles, was hier geschrieben wurde, erreicht mich auf die eine oder andere Weise. Doch kurz zu dem, womit ich für mich diesen Threadtitel beantworten möchte und voller Dankbarkeit auch kann:
sandrin hat geschrieben:Ich glaube auch nicht, dass es je einen Patienten gegeben hat, der aus einer Therapie herausgegangen ist und von sich behaupten hat können, dass er seine Depressionen los ist (sofern er eine nicht nur reaktive hatte).
Ich oute mich als solch eine ehemalige Patientin. Seit ziemlich genau 4 Jahren bin ich völlig frei von Depressionen, freue mich über mein Leben, gestalte es, so wie ich möchte, genieße es und weiß genau dies sehr zu schätzen. Ich weiß, daß das nicht selbstverständlich ist.

Ich verstehe jeden, der für sich selbst daran zweifelt, weil ich diese Zweifel selbst mal gespürt habe. Aber es gibt wirklich einen Weg da raus ... und ich wünsche allen, den Mut zu finden, sich auf diesen Weg einzulassen ... den Weg zu sich selbst.

Und das:
Tristezza hat geschrieben:Ich bin gerade etwas betroffen darüber, dass es vielen Usern des Forums trotz Therapie ziemlich schlecht geht.
Ich freue mich immer wieder, wieviel persönliche Stärke so manche User in den Jahren entwickelt haben, in denen ich sie hier erlebt habe. So ist mein Eindruck.

Liebe Grüße,
Annemarie

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raue See
Helferlein
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weiblich/female, 76
Beiträge: 59

Beitrag Sa., 01.02.2014, 08:24

Ich glaube, ob Therapie erfolgreich ist oder nicht,
hat was mit dem eignen
"JA oder NEIN Strom" zu tun...

JA-Strom = positiv darüber denken, ob es helfen kann,
daran glauben, SELBER "HEILEN" WOLLEN
aktiv bewusst und optimistisch mitwirken

NEIN-Strom = negative Selbstprophezeiungen, schlechte Erwartungen...

Ich weiß aus eigener Erfahrung der schwierigste Teil von "Heilung" überhaupt,
aber bei jeder Krankheit, Störung des Körpers was auch immer
DER WICHTIGSTE BESTANDZEITL ÜBERHAUPT
"Selbsthilfe"...
"Selbstwirksamkeit"...
der GLAUBE KANN BERGE VERSETZEN...

Und zugleich so unendlich schwer,
weil man ja genau deswegen in Therapie ist,
weil man
im NEIN-Strom schwimmt...

es ist das umschwenken,
von NEIN auf JA,
das folgen muss, damit es glückt...
so sehe ich das zumindest für mch selbst, die wichtigste Aufgabe die ich 2014 für mich habe.

P.S. Und natürlich muss die Welle zwischen Thera und Patient stimmen...sonst kann sehr viel kaputt gehen...

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Tristezza
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Beiträge: 2268

Beitrag Sa., 01.02.2014, 09:13

Wow - so viele positive Beiträge, die mein Bild etwas zurechtrücken. Es hing etwas schief, weil ich in der letzten Zeit hier im Forum sehr viel Stillstand oder sogar Verschlechterung in Therapien wahrgenommen habe. Anscheinend ist alles möglich: völlige Befreiung von Symptomen, Sich-heil-Fühlen, Verbesserung in einem gewissen Rahmen, Stillstand, Verschlechterung. Ich finde den Spruch blöd, aber mir fiel er gerade ein: Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel, man weiß nie, was man kriegt. Kann man wohl in gewisser Weise auf Psychotherapie übertragen.

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Madja
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Beiträge: 327

Beitrag Sa., 01.02.2014, 09:14

In den letzten Tagen habe ich hier im Archiv gestöbert und mehrere lange, alte Threads von Anfang bis zu Ende gelesen. Man konnte die Veränderungen in den TE während des Lesens wahrnehmen - wie sie sich entwickelten, wie sie ihre Gedanken geführt haben. Nach einiger Zeit sind viele von den TE verschwunden ohne sich je wieder in Forum blicken zu lassen. Und ich fragte mich immer wieder: "sind sie irgendwann mal gesund geworden und deswegen von hier weg?"
Ich persönlich glaube an die Heilung. Ich kenne eine Frau, die mit Anfang zwanzig zu Therapie ging (sehr schwerere Kindheit, danach ein Ehemann - Psychopath und Sadist und sie, die nie "nein" sagen konnte. Egal zu was) Die Therapie hat aus ihr eine starke, selbstbewusste Frau gemacht, die sich von dem Mann trennen und danach neues Leben aufbauen konnte. Jetzt hat sie einen Mann, zwei Kinder und ist einfach glücklich. Sie ist für mich das lebendige Beispiel, dass Therapie "heilbar" sein kann.
Natürlich, sehr große Rolle spielt hier das Krankheitsbild und die Erwartungen, die man hat. Als ich das erste Mal meine Therapeutin aufgesucht habe, war ich mir sicher (ziemlich naiv ), dass sie die Fantasien, die mich stören, aus meinem Kopf "rausbekommt". Damals war das für mich die Heilung. Jetzt weiß ich, dass das unrealistisch ist. Jetzt will ich einfach lernen, wie ich mich selbst akzeptieren kann mit der ganzen Last, was ich zu tragen habe.
Freiheit heißt Verantwortung. Deshalb wird sie von den meisten Menschen gefürchtet. - George Bernard Shaw


leberblümchen
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Beiträge: 6034

Beitrag Sa., 01.02.2014, 09:41

Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel, man weiß nie, was man kriegt. Kann man wohl in gewisser Weise auf Psychotherapie übertragen.
Würde ich eigentlich nicht so sagen. Ich würde auch nicht mal sagen, dass er auf das Leben zutrifft: Ist das Leben in erster Linie eine Frage von "was kriegt man"? Klar, man kriegt erst mal das, was die Eltern einem mitgeben, das schon. Aber ansonsten? Steht man jeden Morgen auf und schaut, was man kriegt? Und wenn die Sonne scheint, ist es gut? Und wenn es regnet, ist es schlecht?

Natürlich kann einem im Leben vieles widerfahren, wogegen man machtlos ist. Aber wie oft hört man so einen Spruch à la: "Immer muss mir das passieren!" oder so ähnlich, mit der Folge, dass man sich schon so einrichtet, nur ängstlich darauf zu gucken, dass man endlich wieder was Gutes bekommt.

Und in der Therapie? Auch da: Erst mal geht es natürlich um die Frage, ob man den passenden Therapeuten gefunden hat. Aber woran macht man das fest? Wann ist ein Therapeut passend?

Und ansonsten? Geht es auch in der Therapie darum, etwas zu 'kriegen'? Ja, auch, natürlich: Aufmerksamkeit, Wohlwollen, Sympathie, Mitgefühl. Heißt das, wenn man das bekommt, wird man (fast) gesund? Ich setze mal voraus, dass in einer guten Therapie die o.g. Basics stimmen. Aber worin zeigt sich das Wohlwollen, die Aufmerksamkeit, die Sympathie und das Mitgefühl?

Das sind ja auch die Fragen, die in der Kindererziehung gestellt werden: Ich kann ganz schön streng sein: Ich lobe gerne, aber nicht übermäßig. Gestern gab es Zeugnisse. Ich hab meinem hochbegabten Sohn, der im Sommer in die Oberstufe kommt, gesagt: "Naja, fünf 3en: das ist halt Durchschnitt - mehr nicht". Meine kleine Tochter, über deren Reife ich immer wieder erstaunt bin, sagte: "Mama, du siehst immer nur das Schlechte: Die fünf 1en siehst du nicht!" - natürlich hat sie Recht! In dem Fall hat mein Sohn sicher nichts 'Gutes' von mir bekommen. Die Oma am Telefon sagte später: "Oh, gut, eine 3 in Englisch!" (was ist daran, bitte, gut???) - und mein Sohn meinte dann auch: "Oma lobt echt alles! Daran merke ich doch, dass sie die 1en in Latein und Griechisch gar nicht ernst nimmt!"

Was ich eigentlich sagen will: Was man bekommt - das muss nicht das sein, was hilft. Und jemand, der Wohlwollen äußert, muss gar nicht wohlwollend sein, weil er vielleicht etwas anderes im Blick hat, Ein Wohlwollen, das auf die Zukunft des Patienten gerichtet ist und nicht auf seine Gegenwart.

(Nochmal: Ich weiß nicht, ob aus meiner eigenen Therapie noch was wird. Es geht mir gerade schlecht, das stimmt. Aber ich weiß nicht, ob das nicht langfristig besser ist, das jetzt durchzumachen.)

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Thread-EröffnerIn
Tristezza
ModeratorIn
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Beiträge: 2268

Beitrag Sa., 01.02.2014, 10:05

Blümchen, so wörtlich meinte ich das eigentlich gar nicht mit dem "Kriegen". Es sollte ein Bild dafür sein, dass man nicht weiß, was das Leben/was eine Therapie "bringt", nicht dafür, was man darin weitgehend passiv erhält.


leberblümchen
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Beiträge: 6034

Beitrag Sa., 01.02.2014, 10:07

Naja, aber wenn man sagt: "Man weiß nicht, was es bringt", dann wäre ja die weitere Frage: Wovon hängt es ab, ob und was es bringt? - Vom Zufall, etwa?

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R.L.Fellner
Psychotherapeut
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Beiträge: 827

Beitrag Sa., 01.02.2014, 10:40

Wenn ich manchmal hier im Forum lese, sage ich mir unweigerlich: "wie schön zu wissen, daß das Forum nur einen Bruchteil der Realität abbildet". Natürlich zieht ein Forum wie dieses hier vor allem Menschen mit zumindest fragwürdigen Therapieerfahrungen an, es von daher als Basis für Erfolgsstatistiken heranzuziehen, könnte zu "leicht verzerrten" Ergebnissen führen.

Meine eigene Erfahrung ist, dass hinsichtlich Problemen mit klaren Störungsbildern (z.B. psychisch bedingte sexuelle Probleme, Zwangsstörungen, Ängste, Abhängigkeiten, Selbstwertprobleme, Burnout-Symptomatik etc.) fast immer so etwas wie "Heilung" möglich ist -- wenn KlientInnen ihre Therapie "durchziehen". Nicht selten braucht es eine gewisse Anlaufzeit (einige Wochen bis Monate), bis die Therapie zu greifen beginnt. Dort, wo der Begriff "Heilung" schwer faßbar wäre (z.B. Depression, Psychosomatik) ist fast immer zumindest Verbesserung erzielbar.
Einige konkrete Artikel zu diesen und ähnlichen Ergebnissen finden Sie auch in diversen Artikeln des Psychotherapie-Blogs auf dieser Website sowie der einschlägigen Literatur.

Freundliche Grüße,
R.L.Fellner

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ENA
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Beitrag Sa., 01.02.2014, 11:02

Woran machen Sie denn fest, dass bei manchen Dingen Heilung leichter fassbar ist, als bei anderen bzw. dass z.B. bei Zwangsstörungen und Abhängigkeit Heilung eher möglich ist, als bei Depression und Psychosomatik? ...Jetzt unabhängig von Statistiken. Oft hängen die Diagnosen bzw. Symptome ja auch zusammen.

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sandrin
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Beiträge: 3313

Beitrag Sa., 01.02.2014, 11:44

Vielleicht führt die subjektive Meinung eines Psychotherapeuten auch zu verzerrten Ergebnissen ?

Ist halt auch immer eine Sache der Perspektive. Ich kenne zumindest wirklich keinen, der durch eine Therapie "geheilt" wäre, auch wenn es schon möglich ist, dass einem danach besser geht.

Sie schreiben ja schon selber von klar abgrenzbaren Störungen. Da mag's anders aussehen. Aber ein Mensch mit einer depressiven Prädisposition, der sieht das vielleicht ein wenig anders.

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candle.
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Beitrag Sa., 01.02.2014, 11:52

sandrin hat geschrieben: dass einem danach besser geht.
Ich habe mich mal gefragt, ob jemand das unterscheiden kann, wenn es demjenigen "nie" gut ging? Ich mache ja immer gerne mein vorher, zwischendrin, nachher Abgleich.

candle
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sandrin
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Beitrag Sa., 01.02.2014, 12:01

Naja, das waren halt die Aussagen einiger Bekannter von mir. Und das glaube ich schon, dass das möglich ist. Und sei es nur, dass man wieder etwas mehr Mut hat, sich weiterzuentwickeln. Aber mit Heilung hat das meiner Meinung nach wenig zu tun.

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candle.
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Beitrag Sa., 01.02.2014, 12:05

sandrin hat geschrieben: Aber mit Heilung hat das meiner Meinung nach wenig zu tun.
Für mich schon, gerade wenn ich sehe wie viele Symptome wieder weg sind.

candle
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sandrin
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Beiträge: 3313

Beitrag Sa., 01.02.2014, 12:15

Dann kann man dich nur beglückwünschen, wie gesagt, ich kenne wirklich nicht viele, die das von sich sagen kennen. Genauer gesagt keinen.

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