Psychotherapie: Kassen stellen Reformkonzept vor (BRD)

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Maika
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Beitrag Do., 12.12.2013, 21:54

Ich verstehe vor allem diese Milchmädchenrechnung nicht. Psychische Erkrankungen verursachen doch enorme Folgekosten, Arbeitsunfähigkeit, Klinikaufenthalte, auch unnütze körperliche Therapien und teure Untersuchungen...
Sooo teuer ist Therapie im Vergleich zu dem, was sonst im Gesundheitswesen gemacht wird, auch wieder nicht.

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sandrin
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Beitrag Do., 12.12.2013, 21:57

Ja, Maika. Aber so weit denken du und ich. Die aber leider nicht. Ich nenn das G8-Muster. Einfach mal einführen, ohne über Folgen nachzudenken. Kurzfristiges Sparen geht über alles!


leberblümchen
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Beitrag Do., 12.12.2013, 22:00

Ich glaube nicht, dass es die Ausnahme ist - sonst wären hier ausschließlich (!) Ausnahmen versammelt, und das erscheint mir doch etwas seltsam...

Ich glaube ferner, dass es nicht möglich ist, pauschal zu sagen, dass 300 grundsätzlich zu viel ist. Wenn du dich wirklich auf den Prozess einlässt, kommt es zwangsläufig und gewollt (!) zu Abhängigkeiten. Das ist der Witz daran. Eine Analyse ist zunächst mal zeitlich 'nach oben offen'. Also sind 300 Stunden mit Sicherheit nichts, was zu viel wäre - wenn viele Patienten zwischen 400 und 600 Stunden oder gar noch mehr haben. Man kann zwar sagen: "Huch, das ist aber viel!" - und dann könnte man ggf. konsequenterweise die ganze Analyse rausnehmen aus dem Katalog. Das wäre immerhin ehrlich, und jeder, der so etwas machen will, muss sich dann halt vorher einen Finanzierungsplan aufstellen - und ggf. Zuschüsse von der KK beantragen.

Was man aber m.E. nicht sagen kann, ist: "300 Stunden sind zu viel, weil das abhängig macht" - das geht am Kern einer Analyse vorbei.

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sandrin
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Beitrag Do., 12.12.2013, 22:05

Ja, aber wenn man eine umfassende Analyse machen möchte, die ja per definitionem kein konkretes Ziel hat, sondern die Persönlichkeit als Ganzes verändern will, dann finde ich nicht, dass das auf Beitragskosten ablaufen sollte. Wie gesagt, es kommt immer auf den Einzelfall an. Aber genau wie zu wenig zu schlecht sein kann, kann es auch ein Zuviel sein.

Mich würde mal interessieren, ob hier wirklich so viele AM STÜCK über 300 Stunden bekommen haben.
Und nein, ich finde nicht, dass Abhängigkeit ein gesundes Therapieziel ist. Es ist gut, sich einzulassen und sich zu offenbaren. Mein Therapeut würde das gar nicht wollen, dass ich abhängig bin. Da ist meiner Meinung nach ein bedeutender Unterschied!

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leberblümchen
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Beitrag Do., 12.12.2013, 22:09

Wie gesagt: Wenn man es irgendwie komplett reformiert und Zuschüsse erteilt, hätte ich nichts dagegen, wenn die Analyse rausgenommen wird. Dann hätten wir wenigstens unsere Ruhe...

Wenn dein Therapeut ein Analytiker ist, arbeitet er auch mit Abhängigkeiten. Ein Kind ist abhängig von seinen Eltern, und so erlebt auch ein Analysand die Abhängigkeit zum Analytiker. Wem das zu suspekt ist, der muss das ja nicht machen...

Ich habe hier, glaub ich, gefühlte 5000 Threads zu ebendiesem Thema gelesen und habe bei KEINEM gelesen, dass bei 240 Stunden Schluss war. Ich hab noch nicht mal einen Thread im Kopf, bei dem nach 300 Stunden Schluss war (wobei es das natürlich gibt, auch hier - aber eben m.E. keine Analyse, die vorher beendet wurde, es sei denn, man hat sich im Zoff getrennt).

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sandrin
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Beitrag Do., 12.12.2013, 22:15

Also bei mir war bei 325 Stunden Schluss. Und das war ein Akt, dass die letzten 25 Stunden noch genehmigt wurden. Damals hat meine Analytikerin schon zu mir gesagt, dass das sehr schwierig ist, über die Höchstgrenze hinaus Stunden zu bekommen. Dann sind hier anscheinend wirklich nur Hardcorefälle anwesend, muss dann wohl so sein.

Hast du denn deinen Analytiker mal gefragt, ob er die Abhängigkeit, in der du ja deinen Worten nach gewollt steckst, auch tatsächlich so beabsichtigt? Das klingt in deinen Beiträgen, wenn du seine Reaktion beschreibst, ja meist ein wenig anders. Also in meiner Therapie wäre das überhaupt keine Option. Auch in der ersten wäre das nicht so weit gegangen. Übertragung hin oder her. Aber es kommt auf ein gesundes Maß an.

Ich find das halt schade, weil genau solche Haltungen den Kritikern in die Karten spielen und ihnen Argumente liefern, weshalb PA rausfallen sollte.
Zuletzt geändert von sandrin am Do., 12.12.2013, 22:19, insgesamt 2-mal geändert.

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stern
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Beitrag Do., 12.12.2013, 22:16

Relevante Persönlichkeitsproblematiken sind mMn nicht unbedingt in 50h (bis 100h) behandelt (VT/TFP). Das liegt aber nicht an der Methode (auch dafür gibt es Konzepte), sondern schlichtweg am Kontingent. Ich habe mir natürlich die Zahlen nicht exakt gemerkt. Aber ich habe mal eine Studie gesehen, dass in so 60% bis 2/3 der Fälle (betreffend alle Richtlinienverfahren!) bereits das Maximalkontingent nicht ausreicht. Na, gut' Nacht', wenn man dann auch noch das Regelkontingent drosselt. Die Konsequenz liegt doch auf der Hand, wenn es wirklich so kommen sollte, das Leistungen zunehmend als Ausnahme deklariert werden.
Ja, aber wenn man eine umfassende Analyse machen möchte, die ja per definitionem kein konkretes Ziel hat,...
weil das aber eh nicht so vorgesehen ist, heißt es offiziell auch nicht Psychoanalyse, sondern analytische PT.

Überlegungen, Verfahren herauszunehmen, lese ich nicht direkt heraus. Sondern eher Kürzungschritte, was das Stundenvolumen angeht.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
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sandrin
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Beitrag Do., 12.12.2013, 22:18

stern hat geschrieben: weil das aber eh nicht so vorgesehen ist, heißt es offiziell auch nicht Psychoanalyse, sondern analytische PT.
Genau du sagst es.

Zu der Kürzung. Was soll man mit einer analytischen Therapie mit 50 Stunden? Da lässt sich doch kein Analytiker drauf ein. Sollte er auch nicht, weil da werden Wunden aufgerissen, die man in der Kürze der Zeit nicht mehr schließen kann. Das wäre unverantwortlich.


leberblümchen
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Beitrag Do., 12.12.2013, 22:20

stern, aber wenn ein Verfahren zertrampelt wird, dann ist es ja de facto herausgenommen - was aber m.E. tatsächlich ungünstiger sein könnte als ein ehrlicher 'Rauswurf', denn so weiß vorher ja niemand, ob er sich darauf verlassen kann, dass die begonnene Therapie bis zum Ende fortgeführt werden kann. Während, wenn der Patient vorher weiß, dass Analysen z.B. nur zu einem Teil (oder gar nicht) bezahlt werden, er vorher überlegen kann, ob er sich darauf einlässt oder nicht.
...heißt es offiziell auch nicht Psychoanalyse, sondern analytische PT.
- weil es bereits eine abgespeckte Version ist. Wenn man es weiter streckt, bleibt nichts mehr übrig. Es ist ja nicht unbedingt so, dass das Verfahren an sich anders ist.


sandrin, es ist alles in Ordnung; wir hatten darüber schon viele Gespräche.
Zuletzt geändert von leberblümchen am Do., 12.12.2013, 22:22, insgesamt 1-mal geändert.

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Maika
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Beitrag Do., 12.12.2013, 22:21

Ich hab neulich gelesen, dass ca. 1/3 der Hartz-IV-Empfänger psychische Störungen hat. Das wundert mich nicht. Ich kann mir schon denken, dass viele psychisch angeschlagene Menschen, die nicht grade in jungen Jahren im öffentlichen Dienst eingestiegen sind (und da eben auch mit wiederholten Klinikaufenthalten, Wiedereingliederung etc. nicht rausfliegen), einfach nicht so leistungsfähig sind und deshalb gefährdet, irgendwann ganz aus dem Arbeitsleben rauszufallen.
Also psychische Krankheit kostet einfach - fragt sich nur, an welcher Stelle...

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sandrin
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Beitrag Do., 12.12.2013, 22:28

@ Leberblümchen: Natürlich ist alles in Ordnung, warum sollte auch nicht alles in Ordnung sein ????

@ Maika: Genau das ist der Punkt. Zwei Jahre später schreien sie dann, weil die Klinikkosten explodieren. Wobei auch da schon stark eingeschränkt wurde. Früher war es unproblematischer, stationär zu gehen. Heutzutage wollen die das schon sehr gut begründet haben. Auch glaube ich, dass man dann vielleicht stationär gehen kann, die Qualität aber sehr dürftig ist. Das sehe ich in der Klinik, in der ich damals war. Sie hatte einen exzellenten Ruf, der im Zuge von Modernisierung, Rationalisierung und dergleichen dahin ist. Die Qualität der stationären Aufenthalte wird immer schlechter, da bin ich mir sicher.


Widow
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Beitrag Do., 12.12.2013, 22:31

Es gibt ein paar Zahlenfakten (und wie "faktisch" solche Statistiken sind, bleibt jedem selbst einzuschätzen überlassen):

"Fakt ist": Über zwei Drittel aller Psychotherapien werden bereits heutzutage innerhalb von 25 Therapiestunden zu einem - wie auch immer gearteten, aber - 'guten' Ende geführt. (Ob der Patient dann ein Vierteljahr später in der Klapse landet, in einer psychosomatischen Klinik oder auf der Warteliste eines ambulanten Therapeuten - das hat niemand ermittelt, denn es hat mit der stattgehabt habenden Psychotherapie ja nichts mehr zu tun, die diese Patienten für eine Zeit wieder aus der Krankschreibung gebracht hat.)

"Fakt ist": Vielerorts müssen potentielle Psychotherapiepatienten wochenlang auf ein Erstgespräch warten. Der Grund dafür: 1998/99, als das Psychotherapeutengesetz eingesetzt wurde, ermittelten die GKVen den Istzustand an therapeutischen Kassensitzen und erklärten den kurzerhand auch zum Sollzustand. Mit anderen Worten: Die Anzahl der 1998/99 mit Kassensitz ausgestatteten Therapeuten wurde als funktionsfähige Norm festgeschrieben. Bis heute.

"Fakt ist": 2,3 Prozent der GKV-Leistungen flossen im Jahre 2010 in psychotherapeutische Maßnahmen.
2,3 Prozent der Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherungen.

"Fakt ist": Die GKVen werfen den ambulanten Psychotherapeuten vor, nur 'leichte' Fälle zu behandeln, doch dieselben GKVen entwerfen nun (hier aktuell nachzulesen) einen Masterplan für alle (schulübergreifend) ambulant tätigen Psychotherapeuten, demzufolge ohnehin nur noch die 'leichten' Falle von ihnen behandelt werden können - und was heißt "behandelt"? - Verhaltenstherapiert, das heißt das!

Heute las ich von Mäusen, die - auch unter Gabe von Antidepressiva - auf einmal aufhörten, in dem Wasserglas, in das man sie geschmissen hatte, zu strampeln. Das galt den "Forschern" als Beweis für die Unwirksamkeit des ADs.

Langsam möchte ich mal einen jener Herren vom GKV-Spitzenverband in so ein Wasserglas schmeißen (einer von denen will uns ja am liebsten ins Bierglas tunken).

Was bleibt?
Ohnmacht. Wut, Angst, Schweigen. - Was sonst?

2 Edits: Tippfehler, sorry.
Zuletzt geändert von Widow am Do., 12.12.2013, 22:44, insgesamt 2-mal geändert.

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stern
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Beitrag Do., 12.12.2013, 22:35

Ich frage mich echt, auf welcher Basis man die 50h ableitet (finde ich natürlich auch eine Witz)... das bleibt schwammig. Man beruft sich auf
Gemeinsame Analysen der Krankenkassen, die
mit Ergebnissen der Literatur zum Umfang und
zur Dauer von Psychotherapien übereinstimmen,
ergaben zudem, dass die hier vorgeschlagenen
Kontingente in den einzelnen Therapiephasen (...) angemessen konfiguriert sind.
http://www.gkv-spitzenverband.de/media/ ... erapie.pdf
Und führt an, dass über zwei Drittel der Patienten ihre Therapie schon vor der 25. Therapiestunde beenden (aber ohne Nennungen von irgendwelchen Quellen, Gründen bzw. Hinweise darauf, ob das alle Verfahren betreffen soll).

Und als Clou nimmt man dann noch das Kontingent der VT als Messlatte:
Da in allen
drei Richtlinien-Verfahren die gleichen Patienten
und Diagnosen behandelt werden, wurde die
Verhaltenstherapie als Maßstab für die Kontingen-
tierung zugrunde gelegt.
Quelle: s.o.
Und gleichzeitig scheint der Nutzen eine Behandlungsdauer von 300h in Frage gestellt zu werden:
Gleich-
zeitig sieht die Richtlinienpsychotherapie vor, dass
die Behandlung auf die „Linderung von Krank-
heitsbeschwerden“, das „Heilen einer psychischen
Erkrankung“ oder zumindest die „Verhütung der
Verschlimmerung einer psychischen Erkrankung“
abzielt und damit nicht zu einem Dauerzustand
werden darf. Aus diesem Grunde wurde die jet-
zige Kontingentierung, die maximal 300 Stunden
umfasst, modifiziert.
Quelle: s.o.
Also in anderen Worten: 300h riechen eher nach Dauerzustand als nach zielgerichteter Linderung von Krankheitsbeschwerden. Anscheinend stellt man den Nutzen einer längeren Therapiedauer doch in Frage. Aber ich lasse mich eines besseren belehren, falls ich das falsch übersetze.

Noch nicht alles gelesen
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sandrin
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Beitrag Do., 12.12.2013, 22:41

Ne, sehe ich ganz genauso wie du Stern.

Wie gesagt, ich hab so den Eindruck, dass es in Deutschland schwierig ist, die PA generell rauszuschmeißen, weil vielleicht die Lobby zu groß ist. Das ist meiner Meinung nach eine Abschaffung durch die Hintertür.

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Solage
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Beitrag Do., 12.12.2013, 22:49

Ich glaube wie Sandrin auch, dass dies eine Abschaffung der PA durch die Hintertür sein kann.

Die evtl. Folge wäre, dass junge Therapeuten aus existentiellen Gründen sich vermehrt verhaltenstherapeutisch ausbilden lassen. Da erledigt sich dann das Problem von alleine. Die PA blutet dann einfach aus.

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