Mutter - Muttertag - Schuldgefühle

Alle Themen, die in keines der Partnerschafts-Foren passen, bei denen es aber in weitestem Sinne um Beziehungen, soziale Kontakte usw. geht, Adoption, Pflege usw.
Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Wandelröschen
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 50
Beiträge: 994

Beitrag So., 12.05.2013, 22:11

Hallo Leuchtturm,

was du schreibst, ist für unsereiner schwer nachzuvollziehen, weil nicht so recht zutreffend. Klar, du kennst ja auch unsere Biographie nicht.
Die eine Erwachsene, klar und nüchtern denkende – und rationalisierende – Erwachsene sieht folgendes genau so:
leuchtturm hat geschrieben: Heute aber, als Erwachsene, ist dieses Gefühl der Geborgenheit nicht mehr zwangsläufig von den Eltern abhängig. Da hat man so viele andere Menschen, bei denen man man selbst sein kann. (…)
Auch andere Menschen können mich so lieben, wie ich bin. Dazu brauche ich keine Eltern.
Aber das ist im heute, im jetzt.
Und ein Loslösen von den Eltern, von der Mutter gehört zum Erwachsenwerden dazu, schon wahr. Bloß: wovon soll ich mich loslösen, wenn niemals eine Verbindung meinerseits bestanden hat. Wenn ich niemals die Chance hatte, wirklich Kind (als weibliches Wesen also Tochter) zu sein. Wenn ich von Anfang an, schon im Bauch meiner Mutter, ums nackte Überleben kämpfen musste.
leuchtturm hat geschrieben: Das gehört zum Erwachsenwerden dazu. Was hilft es, ewig lang das kleine suchende Kind zu bleiben? Im Damals zu verharren, kann so schädlich sein.
Im Damals verharren tue ich bestimmt nicht, hieße mich in masochistischer Weise weiterhin dem Leid auszusetzen.
leuchtturm hat geschrieben: Und ja, manchmal kann es schon helfen zu erkennen, dass manche Mutter nicht anders konnte als so zu handeln wie sie es tat. Weil sie selbst Verletzungen in sich trug/trägt.
Genau das ist es, was ich schon anprangerte und es jetzt nochmal tue:
Ihr Verhalten wird entschuldigt, relativiert, dadurch, dass gesagt wird: „sie hat ja selber bestimmt viel schlimmes erlebt, konnte nicht anders.“ Und was ist dann mit unsereins??? Ich/wir haben uns gefälligst nicht so anzustellen. Und wenn wir es doch tun, erweckt das in uns nur diese Schuldgefühle.
Bloß: Sie war (altersmäßig) die Erwachsene, ich das Kind. Sie hatte die volle Verantwortung für ihr tun. Sie konnte entscheiden, was sie tat. Sie war ja nicht unmündig.
Sie hätte sich auch dafür entscheiden könne, ihr (eventuell, ich weiß es ja nicht, vermute nur) eigenes Leid nicht an mich weiterzugeben. Hat sie aber nicht!

Hört sich vielleicht hart an, aber eigenes Leid rechtfertigt keinen, Schwächeren auch Leid anzutun. Ich gebe mein Leid auch nicht einfach an meine Kinder weiter.
leuchtturm hat geschrieben: Warum wird von den Müttern so viel verlangt? Warum tut man sich, gerade als Tochter, bei den Müttern so schwer? Ist so enorm kritisch? Was ist mit den Vätern?
Dass Mütter perfekt sein müssen und keine Fehler machen dürfen, verlange ich gar nicht.
Warum man sich so schwer mit Thema Mutter tut? Vielleicht weil man von einer Mutter essentiell abhängig ist, von dem Vater nicht.
Und Vater will ich hier jetzt wirklich nicht thematisieren. Gehört jetzt nicht in diesen Thread, ist ganz andere Baustelle.
Gruß
Wandelröschen

Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.

Werbung

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Wandelröschen
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 50
Beiträge: 994

Beitrag So., 12.05.2013, 22:43

Hallo LinDa,
ich empfinde es schön für dich, dass du da deine Omi, eine schützende Person an deiner Seite hattest, gab es bei uns nicht. Oma gab es zwar auch, war aber auch mehr Täter in diverser Hinsicht. Frag nicht, wie oft ich im Alter von 12 Jahren auf dem Geländer der Autobahnbrücke saß und runterspringen wollte.

Thema Mutter gehe ich jetzt erst an, in der Therapie, gab vorher noch diverses anderes.
Waldschratin hat geschrieben: Es braucht erstmal die Gelegenheit,"leben" zu können,damit es auch richig von allen Seiten angeguckt werden kann,damit es zugeordnet werden kann und in Verbindung gebracht.
Z.B. mit dem Hier und Jetzt in Verbindung gebracht und damit verglichen werden kann,was JETZT möglich ist.(Ich nenn das immer "die alten Gefühle abholen").
Das was Waldschratin schreibt, trifft es sehr gut.
Ich brauche wohl wirklich erst mal Raum und Zeit, das alles von allen Seite anzuschauen, auszusprechen, auseinander zu dröseln. Was ist meins, was ist ihrs. Was war damals – das ist ja nicht alles so als Film/Diaschau präsent. Da gibt´s so vieles in Bildern, in körperlichen Empfindungen, in nicht definierbaren diffusen Gefühlen, in … .
Das muss erst mal gesehen werden/wahrgenommen werden, für wahr genommen werden, akzeptiert werden, dass es so war, real, nicht gleich wieder weggeschoben werden. Das, was damals war, mit dem, was jetzt ist (auch die Auswirkungen auf mein jetziges Leben) in Verbindung gebracht werden. Nichts zu beschönigen. Die Wut, den Hass zuzulassen. Hab selber auch Angst vor dem Ganzen, aber ich kenne mich schon, auch von anderen Baustellen vorher, das kriegen wir dann schon gebacken.

Nur merke ich halt auch, dass das Thema Mutter als Täter immer noch ein recht großes Tabu-Thema ist. Wenn ich da in meinem Umfeld etwas andeutete, konnte das ja schon kaum nachvollzogen werden, wurde ähnlich relativiert wie ich ja schon zu Leuchtturm schrieb.
Und so wurde mir mit dem Deckmantel der Moral (auch als Kind schon) auch Schuld aufgebürdet. „wie kann man nur so schlecht von der eigenen Mutter reden“.
Gruß
Wandelröschen

Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Wandelröschen
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 50
Beiträge: 994

Beitrag So., 12.05.2013, 23:26

Hallo Jugendstil,
Jugendstil hat geschrieben: das Gespräch suchen - nicht heute, irgendwann - Verständnis dafür finden, dass auch Mütter nur fehlerhafte Menschen sind, oft selbst schon mit belasteter Vergangenheit, die in aller Regel aber versuchen, ihr Bestes an die Kinder zu geben - und wenn ihnen das misslingt, die Welt nicht mehr verstehen.
Auch hier wieder:
Kaum sage ich, dass ich mit dem, was mir durch meine Mutter angetan wurde, nicht klar komme, dass ich negative Gefühle ihr gegenüber habe, dass ich Schuldgefühle deswegen habe (wobei sie sie ja eigentlich haben müsste), kommt ein:
Suche das Gespräch, hab Verständnis für sie, hatte ja selber belastende Vergangenheit!
Ihr Leid wird gesehen! Nicht meins, ich darf keins haben! Und wenn doch, und vor allem wenn ich es noch wage zu sagen, dann bin ich gleich die böse undankbare Tochter! Ich bin Schuld, lade durch mein Verhalten, es anzuprangern auch wieder Schuld auf mich.
Empfinde ich ähnlich wie Montagne Richtung Hohn.
Jugendstil hat geschrieben:
Ich denke deshalb kommt allzu schnell der RatSchlag: Sprecht euch aus! Versuche zu verstehen! Oder ähnliches.
Empfinde ich in mehrfacher Hinsicht als Hohn.
Okay. Da ich diesen Rat-Schlag gab: Ich nehme ihn zurück, werde das auch nie mehr an enttäuschte Töchter schreiben. Es tut mir Leid, wo ich die Schwere der mütterlichen Vergehen zu gering eingeschätzt habe.
Nur: So sehr ich dies einsehe, so sehr denke ich immer noch, dass lebenslange Ressentiments gegen die Mutter einem noch einmal Schaden zufügen können ...
Und das, so wie es geschrieben ist, kommt bei mir eher wie ein Nachtreten an:
„enttäuschte Töchter“ Siehst du mich als enttäuschte Tochter, die nur herumjammert? -> und dadurch eigentlich die eigene Mutter in Misskredit stellt.
„Schwere der mütterlichen Vergehen zu gering eingeschätzt“ -> ironisch, so nach dem Motto: ach du armes Tuck-Tuck.

Es geht hier überhaupt nicht um lebenslange Ressentiments. Ich hoffe, ich habe noch 50 Jahre vor mir. Da will ich keinen Groll hegen. Ich will mich nicht mehr schuldig fühlen müssen. Ich will mich davon befreien.
Denn dieses Gefühl wurde ja von klein auf immer wieder von außen, z.B. über Moral in mir eingepflanzt:
Mütter sind per se gut, wollen immer nur das Beste für ihr Kind, und wenn sie es mal nicht geben, dann hat das Gründe, für die sie nichts können (sind somit nicht für ihr tun verantwortlich). Und wenn man das als Kind (und später als Erwachsene) anders sieht, dann liegt es ja wohl am Kind selbst, hat selbst die Schuld.
Gruß
Wandelröschen

Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Wandelröschen
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 50
Beiträge: 994

Beitrag So., 12.05.2013, 23:40

Hallo Juline,
Juline hat geschrieben: Ich habe nämlich das Gefühl, dass erst die "bewusst böswillige Mutter" schuldig gesprochen werden darf. Und alle andern Mütter, die "eh lieben, aber halt nicht mehr oder anders konnten" dann entschuldigt werden müssen. Wohin aber dann mit der Wut auf die unschuldig böse Mutter? - da entstehen dann die ärgsten Schuldgefühle und Selbstzweifel.
Ja, das trifft`s aus meiner Sicht: man darf keine Wut empfinden auf eine unschuldig böse Mutter! Und wenn doch, ist man ja selber durch und durch schlecht.
Juline hat geschrieben: Ab-geben und loslassen wirst du hoffentlich irgendwann deine Schuldgefühle. Vielleicht kann man die Wut mit der Zeit auch immer mehr loslassen. Dann beginnt man möglicherweise etwas mehr zu akzeptieren. Aber ob das völlig gelingt? Ich hoff's...

Ich hoff´s auch. Aber erst einmal muss ich mir erlauben, meine verdrängte und klein gehaltene Wut zu spüren, zuzulassen.
Juline hat geschrieben: Aber sorry, wenn ich das alles zu sehr aufgeschaukelt habe... das hat viel mit dem inneren Kampf in mir zu tun, mich eben von den Schuldgefühlen und dem Selbsthass befreien zu können.
Ne, da hast du nichts aufgeschaukelt. Diesen Kampf in mir spüre ich ja auch. Das ist es ja, was mich zerreißt.
Gruß
Wandelröschen

Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.

Werbung

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Wandelröschen
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 50
Beiträge: 994

Beitrag So., 12.05.2013, 23:43

Hallo Abendrot und Montagne,

danke auch für eure Beiträge, es ist aus meiner Sicht so viel Wahres und Hilfreiches dran.
Ich schaff es aber jetzt nicht mehr im Einzelnen darauf einzugehen, schlauch mich schon auch alles.
Gruß
Wandelröschen

Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.

Benutzeravatar

Jugendstil
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 50
Beiträge: 604

Beitrag Mo., 13.05.2013, 08:03

@ Wandelröschen

Ich nehme wieder raus, was ich noch an Erklärungen schreiben wollte. nützen offenbar eh nichts.

Ich fühle mich gründlich missverstanden und durch die wiederholte Annahme, ich würde hier verhöhnen und spotten - wie käme ich bei diesem Thema dazu??! - auch verletzt.
Zuletzt geändert von Jugendstil am Mo., 13.05.2013, 08:27, insgesamt 3-mal geändert.


Jenny Doe
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 56
Beiträge: 5037

Beitrag Mo., 13.05.2013, 08:21

@ Wandelröschen
Ihr Verhalten wird entschuldigt, relativiert, dadurch, dass gesagt wird: „sie hat ja selber bestimmt viel schlimmes erlebt, konnte nicht anders.“ Und was ist dann mit unsereins??? Ich/wir haben uns gefälligst nicht so anzustellen. Und wenn wir es doch tun, erweckt das in uns nur diese Schuldgefühle.
Bloß: Sie war (altersmäßig) die Erwachsene, ich das Kind. Sie hatte die volle Verantwortung für ihr tun.
Deine Postings sprechen mir aus der Seele. Wie recht zu hast! Die Eltern sind die Erwachsenen und wenn sie Kinder in die Welt setzen, dann sollten sie sich auch dementsprechend verantwortungsbewusst verhalten. Wenn sie das nicht können, warum auch immer, dann müssen sie sich selber Hilfe suche, sei es nun in Form von Unterstützung in der Erziehung oder in Form von Psychotherapie. Jeder trägt die Verantwortung für sein Verhalten, gleichgültig, warum (welche Gründe) zu einem Verhalten führen. Eltern haben die Möglichkeit, sich anders zu verhalten; sie haben die Möglichkeit es zu lernen. Es gibt genügend Anlaufstellen für sie und es gibt Psychotherapie.

Anderseits finde ich es dennoch auch wichtig sich mit der Frage zu beschäftigen, warum sich die Eltern verhalten haben, wie sie sich verhalten haben. Nicht im Sinne von "das entschuldigt alles". Nein, es entschuldigt nichts, denn egal, was man erlebt hat, das entbindet einen nicht von der Verantwortung.
Wichtig kann es dennoch sein, und zwar für den eigenen Heilungsprozess. Wenn man weiß, dass eine Verhaltensweise der Mutter auf einem Problem fußt, das sie selber hat, dann kann man das losgelöst von der eigenen Person betrachten. Weiß nicht, ob verständlich sit, was ich meine. Mal ein Beispiel: Wenn man z.B. weiß, dass die Mutter keine Liebe zeigen und geben konnte, weil ..., dann wird das zu einem Problem der Mutter und nicht zu einem eigenen Problem, z.B. "ich bin nicht liebenswert". Das Gefühl nicht geliebt worden zu sein bleibt bestehen, aber es ist dann nicht mehr selbstabwertend Ich-bezogen.
So hat es mir z.B. geholfen als ich erfuhr, dass meine Mutter in ihrer Kindheit sehr krank war und sie aufgrund ihrer Erkrankung im Mittelpunkt der Familie stand. Sie hatte so wohl gelernt, dass sie durch Krakheit im Mittelpunkt steht und sich dann alles um sie dreht. Das erklärte, warum sie auch als gesunde Erwachsenen nur im Bett lag und mich als ihr Dienstmädchen benutzte. Als ich dann von ihrer eigenen Kindheit erfuhr, konnte ich dieses Gefühl "ich bin nicht mehr wert als eine Haushaltshilfe" etwas ablegen. Verzeihen mag ich ihr Verhalten nicht, aber es hilft mir zu unterscheiden, wann ich das Problem bin und wann der andere das Problem ist; es hilft mir diese selbstabwertenden Gedanken abzulegen.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.


pandas
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 77
Beiträge: 4613

Beitrag Mo., 13.05.2013, 10:43

Ich kenne hierzu einen guten Artikel.
(auch wenn es mich etwas verwundert hat, dass das Phänomen als transgenerationale Traumatisierung benannt wurde, den Begriff kannte ich eher von der Weitergabe von Fluchttraumata.)

http://www.aerzteblatt.de/archiv/128386 ... rchbrechen
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Wandelröschen
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 50
Beiträge: 994

Beitrag Mo., 13.05.2013, 10:50

Hallo Jenny Doe,
Jenny Doe hat geschrieben: Anderseits finde ich es dennoch auch wichtig sich mit der Frage zu beschäftigen, warum sich die Eltern verhalten haben, wie sie sich verhalten haben. Nicht im Sinne von "das entschuldigt alles". (…)
Wichtig kann es dennoch sein, und zwar für den eigenen Heilungsprozess. Wenn man weiß, dass eine Verhaltensweise der Mutter auf einem Problem fußt, das sie selber hat, dann kann man das losgelöst von der eigenen Person betrachten.
du schreibst einen sehr interessanten Aspekt.
Das ist die rationale Ebene, die sicher auch für den Heilungsprozess notwendig und hilfreich ist. Aber die Probleme mit meiner Mutter haben ja auch eine zweite Seite, die emotionale Seite.
Es sind ja die Schuld-Gefühle, die Ekel-Gefühle, die xxx-Gefühle, die sofort in Bezug zu ihr angetriggert werden, die mir Probleme bereiten. Und wenn dann ziemlich schnell im realen Leben und auch teilweise hier mit der Ratio gekommen wird, fühlt sich das dann auch erst mal so an, als wenn die emotionale Seite nicht wichtig ist/nicht sein darf. Sie wird gedeckelt/auf Abstand gedrückt.
Aber: die Emotionen sind nun mal da, und sie rumoren dann im Untergrund weiter bis zur nächsten Gelegenheit, wo sie sich ungefragt wieder aufdrängen und zeigen.

Weißt du, dieses Rationalisieren habe ich ja schon im Jugendalter selber gemacht, mir gesagt, sie kann ja nicht anders, hat ja selber bestimmt viel erlebt, … . Das hat für mich erst einmal schon etwas geholfen, das alles auf Distanz gehalten, so dass ich einfach weiter leben konnte.
Für mich, denke ich, ist es erst einmal hilfreich, erst einmal bei mir zu bleiben, die ganzen teils auch verdrängten und unterdrückten Gefühle abzuholen/zuzulassen/wahrzunehmen. Zu fühlen, was sie mit mir gemacht hat, auch die Wut zuzulassen, die bestimmt berechtigt ist (das verwehre ich mir irgendwie noch, weil wenn ja jemand nichts dafür kann aufgrund seiner eigenen Baustellen, ist er ja entschuldigt, darf man nicht wütend sein, ist dann unberechtigt, so wird´s einem immer wieder eingeredet bzw. tut man es selber).
Erst einmal möchte ICH mit all meinen Verletzungen wahrgenommen/ernst genommen werden, will mich selber wahrnehmen/ernst nehmen. Denn auch einige Gefühle sind bei mir abgespalten, habe ich nicht in meinem Repertouier. Also dieses „Opfer sein“ zu dürfen. Das erlaube ich mir weder selber, noch die Umgebung. Aber vor den Geist der Vergangenheit kann ich nicht dauerhaft davonlaufen, irgendwann holt er mich immer wieder ein, ich muss mich dem stellen. Das braucht seine Zeit.
Und dann? Ja, dann heißt es den Opferstatus zu verlassen, nicht darin zu verharren, denn dann würde der Heilungsprozess stagnieren. Nährboden für Groll und Verbitterung. Heilung heißt für mich dann auch, die Vergangenheit als ein Teil der Biographie zu betrachten, die zwar nicht schön war, aber die trotzdem zu einem gehört, aber jetzt nicht mehr wichtig ist, die man loslassen kann, die einem nicht mehr belastet. Oder mit anderen Worten:

Opferstatus heißt für mich: ich habe überlebt.
Heilung heißt für mich: seht her, ich lebe.

Da möchte ich hin. Ich möchte leben, und nicht nur wie bislang meistens nur funktionieren.
Diese rationale Ebene, Jenny Doe, die du ansprichst, die ist bestimmt wichtig und sehr hilfreich, wenn man den Opferstatus zwecks Heilung verlassen will/muss. Das sehe ich schon genau so.
Gruß
Wandelröschen

Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Wandelröschen
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 50
Beiträge: 994

Beitrag Mo., 13.05.2013, 10:53

Jetzt aber nochmal zu einen weiteren Aspekt, der mir so gerade aufgeht.

Es gibt ja bei mir viele Traumata. Bei einigen gab es männliche Täter, bei anderen weibliche Täter (wie jetzt zum Beispiel Mutter). Ich hab ja schon einiges bearbeitet.

Jetzt z.B. sexuelle Gewalt durch einen männlichen Täter. Die Baustelle ist bei mir jetzt durch. Da durfte ich erst einmal wirklich den Opferstatus einnehmen, „auskosten“, mir alles in Ruhe ansehen, mit allen Facetten, aus allen Richtungen, durfte alles zulassen, die ganze emotionale Seite. Ich durfte auch Wut, Zorn, Rachegefühle dem Täter gegenüber zulassen. Ich wurde von außen, also sowohl vom Thera als auch von der Umwelt in meinen Wahrnehmungen bestätigt. Ja, der Täter war eine perverse Sau, er war ein Sadist, … . Ich darf so negativ empfinden, das ist berechtigt. Und das, obwohl auch der eine Täter eine ganze Menge eigene Baustellen an der Backe hat, und es seine Gründe hat, warum er so handelte.
Aber da kam niemand auf die Idee und rationalisierte sofort und sagte, er könne ja nichts dafür, hat ja selber viel schlimmes erlebt usw usf. Da kam keiner mit der moralischen Keule und verstärkte meine Schuldgefühle, eher im Gegenteil. Wenn ich Schuldgefühle äußerte, wurde versucht, sie mir zu nehmen.

Und wie ist es bei einem weiblichen Täter, zB der eigenen Mutter? Da kommt sofort das Rationalisieren. Da wird die Täterin viel mehr betrachtet als man selbst, da darf der eigene Opferstatus erst gar nicht sein. Da kommt sehr schnell das moralische Deckmäntelchen. Da werden dadurch die eigenen Schuldgefühle nur verstärkt.

Erlebe jetzt nur ich diese unterschiedliche Behandlung von männlichen und weiblichen Tätern, bilde ich sie mir wohlmöglich nur ein oder kennt ihr das auch, oder habt ihr euch einfach noch keinen Kopp darum gemacht?
Gruß
Wandelröschen

Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.


pandas
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 77
Beiträge: 4613

Beitrag Mo., 13.05.2013, 11:01

@ wandelröschen

Das ist bei mir anders; ich erlebe Verständnis für den Täter, meinem Vater, leider auch in meiner Therapie, der Psychoanalyse; und es geht da um eine Art Verständnis, das allem, was ich erzähle vorausgeht. So war es leider auch in der Ursprungsumgebung; diese hat zum großen Teil eher die Perspektive meines Vaters eingenommen; leider auch nach dem Motto: "Was soll man denn da sonst machen, ganz so schlimm wird es nicht sein, der Mann braucht ja auch Frau und Kinder, sonst stürzt er noch mehr ab" etc.
Währenddessen es in Bezug zu meiner Mutter anders aussieht; mein Therapeut versucht mich dahin zu leiten, Wut etc. gegenüber meiner Mutter zu empfinden, was ich als unsinnig empfinde. Nun hatte meine Mutter auch oft nachträglich ihr Missverhalten reflektiert und versucht, es wieder gut zu machen, was aber auch mit starken Stimmungsschwankungen zusammenhing. Insofern ... aber das fällt mir meist erst etwas später ein, nach dem als negativ erlebten Verhaltenseinfall. Mein Therapeut hackt da aber dann immer so schnell los, wie sonst bei keinem anderen ...
Bei meinem Vater war es hingegen so, dass er sich voll im Recht gefühlt hat, worin er ja auch Verstärkung erhalten hat (auch von seinen großen Geschwistern), nach dem Motto: "Ich darf es machen mit meiner Frau und Kindern, ich darf dominant und tyrannisch sein, alles gehört mir, das Geld wird ja auf mein Konto überwiesen" (er war ab Mitte 50 Frührentner ...)
Achja, mein Vater war auch in einer Art gesellschaftlich anerkannter Sekte, zu der nur Männer zugang haben. Das war wohl auch viel Nährboden für seine Frauenfeindlichkeit. Seine Ehe mit meiner Mutter war auch seine zweite Ehe ...
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard

Benutzeravatar

Thread-EröffnerIn
Wandelröschen
Forums-Gruftie
Forums-Gruftie
weiblich/female, 50
Beiträge: 994

Beitrag Mo., 13.05.2013, 11:04

Hallo Biber,

interessante Link. Eine wichtige Aussage ist wohl folgende:
In vielen Fällen ist ihre Fürsorgefähigkeit grundlegend beeinträchtigt, es gelingt den betroffenen Müttern nicht, die Gefühle ihrer Kinder einzuordnen und angemessen zu reagieren.
Trifft wohl auf meine Mutter zu.
Gruß
Wandelröschen

Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.


pandas
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 77
Beiträge: 4613

Beitrag Mo., 13.05.2013, 11:07

@ wandelröschen

Ja, genau, so war es im Spontankontakt oft auch mit meiner Mutter (wenn vielleicht auch nicht ganz so stark, hm); sie hat meine Bedürfnisse schon gesehen, auch versucht und teils gelungen, sie zu realisieren, aber es hat sie sehr gestresst, und sie hat dann auch schnell geschimpft und wurde dabei abwertend etc.
Ich konnte das als Kind wiederum nicht einordnen.
Von der Umgebung hieß es dann, ICH dürfe nicht so schwierig sein, meine Mutter nicht so belasten ...
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit." Kierkegaard


Jenny Doe
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 56
Beiträge: 5037

Beitrag Mo., 13.05.2013, 11:21

Hi Wandelröschen
Das ist die rationale Ebene, die sicher auch für den Heilungsprozess notwendig und hilfreich ist. Aber die Probleme mit meiner Mutter haben ja auch eine zweite Seite, die emotionale Seite.
Interessanterweise beeinflussen Gedanken die Gefühle.
Als ich noch dachte "ich bin nichts wert" fühlte ich mich auch wertlos.
Als ich erfuhr, dass meine Mutter in ihrer Kindheit sehr krank war und sie sich (wahrscheinlich) deshalb so verhalten hat, wie sie sich verhalten hat, da dachte ich nicht mehr "ich bin wertlos". Das wirkte sich auch positiv auf meine Emotionen aus. Gedanken und Emotionen sind offensichtlich eng miteinander verknüft.
Weißt du, dieses Rationalisieren habe ich ja schon im Jugendalter selber gemacht, mir gesagt, sie kann ja nicht anders, hat ja selber bestimmt viel erlebt
Ich weiß, was du meinst.
Das, was du beschreibst, ist eine andere Herangehensweise als die, die ich meine.

Wenn du zu dir selber sagst "Sie kann nicht anders", dann entschuldigst du damit das Verhalten deiner Mutter und machst dich selber zu einer undankbaren Tochter und zum Sündenbock. Wenn du zu dir selber sagst "Sie hat viel erlebt", dann entbindest du sie von ihrer Verantwortung und machst sie zu etwas Hilflosem, was nicht anders konnte.
Sie hätte anders gekonnt, wenn sie gewollt hätte. Sie hätte sich Hilfe suchen können, sie hätte ihre eigene Kindheit verarbeiten können, sie hätte dich abgeben können, ...

Ich meine aber etwas anderes. Ich meine damit, dass du dir selber sagen könntest "Sie hat viel in ihrer Kindheit erlebt, deshalb hat ihr Verhalten nichts mit mir zu tun. Ihr Verhalten mir gegenüber bedeutet nicht, dass ich wertlos bin, sondern, dass sie sich verhält, wie sie sich verhält, weil sie selber ein Problem hat".
Es sind ja die Schuld-Gefühle (...)
Ich kann dich total verstehen, da ich das aus eigener Erfahrung kenne. Ich wäre froh gewesen, wenn ich damals so hätte denken können, wie ich heute denke; dann hätte ich mich selber aus diesem Schuldgefühlkomplex befreien können. Doch das konnte ich damals nicht. Erst die Jahre brachten es mit sich, dass ich sehen konnte, dass ich nicht für meine Mutter und das, was sie erlebt hat, verantwortlich bin. Sie war eine erwachsene Frau, sie hätte sich genauso wie ich, Hilfe suchen können. Sie hätte genauso wie ich eine Therapie machen können. Es war ihre eigene Entscheidung, weiterhin in ihrem eigenen Dreck zu leben. Ich hätte noch so lieb zu ihr sein können, dadurch hätte ich nicht das ändern können, was sie erlebt hat. Sie hat mich in eine Rolle gebracht, die ich nicht inne hatte. Ich war weder ihre Mutter noch ihre Psychotherapeutin; ich war ihre Tochter, eine Tochter, die das Recht darauf hat, verletzt zu reagieren, wenn sie verletzt wird, den Kontakt abzubrechen, wenn sie merkt, dass ihr der Kontakt schadet. Alles andere fällt in ihren Verantwortungsbereich. Sie war für sich selber genauso selbst verantwortlich, wie ich für mich.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.


Jenny Doe
[nicht mehr wegzudenken]
[nicht mehr wegzudenken]
weiblich/female, 56
Beiträge: 5037

Beitrag Mo., 13.05.2013, 11:34

Und wie ist es bei einem weiblichen Täter, zB der eigenen Mutter? Da kommt sofort das Rationalisieren. Da wird die Täterin viel mehr betrachtet als man selbst, da darf der eigene Opferstatus erst gar nicht sein. Da kommt sehr schnell das moralische Deckmäntelchen. Da werden dadurch die eigenen Schuldgefühle nur verstärkt.
Dieses gesellschaftliche Problem und die Verharmlosung der Taten weiblicher Täterinnen sehe ich auch. Es ist egal, welchen Bericht ich lesen, ob nun einen Bericht über eine Frau, die ihr Kind getötet hat oder eine Frau, die ihr Kind sexuell missbraucht hat, ... Täterinnen werden gerne als die hilflosen Opfer dargestellt, die ja nicht anders konnten. Frauen werden nicht selten von der Verantwortung für ihr eigenes Verhalten entbunden.
Wie ich dieses Problem kenne!

Befrei dich von diesem Gedanken. Frauen haben genauso wie Männer eine Eigen- und Fremdverantwortung. Kinder gehören geschützt, ob nun vor männlichen oder weiblichen Täter. Kinder sind die Opfer und nicht die Eltern, die sich weigern, ihre Probleme zu lösen.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

Werbung

Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag