Erfahrung mit Therapie von komplexer PTBS

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.

mio
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Beitrag Do., 01.09.2016, 16:51

candle. hat geschrieben:Was hat denn Nähe und Intimität mit der Arbeit zu tun?
Ich erlebe das auch manchmal so, eben weil zuviele Anforderungen gestellt werden (muss nicht mal tatsächlich so sein, kann auch einfach nur mein Gefühl sein) oder aber zuviele Reize auf mich einprasseln, Leute zu nah an mich rankommen etc. pp. Dann habe ich auch nur das Bedürfnis mich in meinen "Intimraum" (Wohnung, Privatleben, Alleinsein) zurückzuziehen, was eben schon zeigt, dass die eigene "Intimsphäre" gerade nicht ausreichend geschützt ist bzw. ich mehr "Raum für mich" brauche.

Meiner Erfahrung nach ist das Beste was ich dann machen kann dem möglichst nachzugeben. Geht natürlich nicht immer, aber manchmal hilft es mir schon, wenn ich dann einfach für 5 Minuten auf Toilette gehe oder aber kurz aus der Situation raus...hat sich so eigentlich ziemlich gut verbessern lassen und ich bin da wieder mehr belastbar.

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Flowfalls
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Beitrag Do., 01.09.2016, 18:27

Eremit hat geschrieben:
Candykills hat geschrieben:Ich glaube von Heilung muss man sich eh verabschieden. […]
Im Gegensatz zu den meisten psychischen Störungen kann eine PTBS tatsächlich komplett "verschwinden".
@Eremit, das glaubst Du doch selbst nicht, oder?
PTBS das langanhaltend u. chronifiziert ist, lässt sich nicht nur mal so wegschaffen.
Es kommt auf die Intensität u. Dauer an.

PTBS durch,
Banküberüberfall, Verkehrsunfall, von mir aus der Bundeswehreinsatz als Erwachsene kannst Du komblett verschwinden lassen.

Aber der Rest nicht!

Drum kann ich den Satz bestätigen, es gibt keine Heilung. Es gibt "Selbstheilungskräfte", aber das ist was anderes.

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Fundevogel
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Beitrag Do., 01.09.2016, 21:12

Vielleicht nicht komplett verschwinden und mal so schnell wegschaffen sicher auch nicht,
aber heil werden, das glaube ich schon, dass Heilung möglich ist.
Fundevogel


Eremit
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Beitrag Do., 01.09.2016, 21:49

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer "einfachen" PTBS und einer komplexen? Ich kann (bis jetzt) keinen ausmachen …

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mio
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Beitrag Do., 01.09.2016, 21:54

Eremit hat geschrieben:Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer "einfachen" PTBS und einer komplexen? Ich kann (bis jetzt) keinen ausmachen …
Einfach meint "Monotrauma" (also ein klar umrissenes traumatisches Erlebnis), komplex meint "viele traumatische, weniger klar umrissene traumatische Erlebnisse (in der Regel in der Kindheit, während Monotraumen auch bei Erwachsen vorkommen können)". Ungefähr so.

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candle.
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Beitrag Do., 01.09.2016, 21:55

Eremit hat geschrieben:Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer "einfachen" PTBS und einer komplexen? Ich kann (bis jetzt) keinen ausmachen …
PTBS chronifiziert nach X Jahren meine ich.

candle
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Eremit
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Beitrag Do., 01.09.2016, 22:14

Hm. Wenn die Quantität der Traumata entscheidend sein sollte, habe ich tatsächlich eine komplexe Form. Wobei, andererseits sind mir alle Auslöser detailiert bewusst, sind klar umrandet. Wenn die "unklare Umrandung" essenziell für die komplexe Form ist, verwirrt mich das wiederum. Chronisch ist sie auf jeden Fall.


mio
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Beitrag Do., 01.09.2016, 22:18

Unklar meint eher, dass das eine in das andere "übergehen" kann, so wie ich das verstehe. Eben so, dass ein Kind ja seinen Alltag nicht "getrennt" sehen kann, Du also Traumata gar nicht so klar voneinander trennen kannst, weil sie ineinander fliesen im Alltag. Dass Du Dich klar erinnerst ist für meine Begriffe was anderes.

Aber es kann ja zB. sein, dass Dein Vater Dich windel weich prügelt, während Deine Mutter zusieht und lacht. Dann hast Du zB. schon ein komplexeres Trauma, weil es "mehrere" traumatische Ebenen gibt.

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candle.
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Beitrag Do., 01.09.2016, 22:20

Schau hier Eremit: http://www.degpt.de/informationen/fuer- ... C3%B6rung/

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Eremit
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Beitrag Do., 01.09.2016, 22:35

Okay, dann habe ich wohl auch eine komplexe Form.

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lisbeth
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Beitrag Fr., 02.09.2016, 06:51

Hi Speechless,

ich wollte nochmal auf deine ursprüngliche Frage zurückkommen.
Ich bin vor ca. 4 Jahren in eine VT "gestolpert". Hauptsächlich weil im Job gar nix mehr ging, totale (subjektive) Überforderung, Panik, innere Erstarrung. Ich völlig hilflos und hab mich selbst auch noch dafür fertig gemacht weil von außen betrachtet alles "supi" schien - auch im Arbeitskontext. Ich hatte weder absurd viel Überstunden, noch mobbende Chefs oder Aufgaben, die ich nicht hätte lösen können. Also alles hausgemacht?

Im Laufe der VT äußerte meine Therapeutin die Vermutung, dass wir es mit einer komplexen PTBS zu tun haben.
Auf einmal passte alles zusammen, meine komischen Reaktionen auf Anlässe, die diese vehementen (inneren) Ausbrüche gar nicht hergeben. Der ständige Kampf ums Gleichgewicht, die ständige innere Anspannung, die (negative) Erwartungshaltung, das sehr starke Bedürfnis nach Abgrenzung usw. Gleichzeitig fand ich diese Diagnose auch schwierig, weil ich eine von denen bin, die eigentlich sagen würde "da war doch gar nix Schlimmes"...

Im weiteren Verlauf der Therapie ging es ganz viel um Stabilisierung. Wie kann ich mit mir selbst anders umgehen. Es ging auch ganz viel darum, überhaupt Bedürfnisse haben zu dürfen. Emotionen haben zu dürfen, weil ich gut 40 Jahre lang alles fast komplett ausgeblendet hatte (Überlebensstrategie).

Irgendwann kam dann doch ein kompletter Zusammenbruch. ging gar nix mehr. AU. Klinik. Klinik fand ich schwierig, weil deren Traumabegriff irgendwie noch in den 90ern hing. Und sie waren sehr auf CBT/DBT ausgerichtet. Was in meinem Fall gar nicht ging und mich noch tiefer in einen dauergetriggerten Zustand versetzt hat. Gab auch positive Erfahrungen, vor allem Kunst- und Gestaltungstherapie.

In der VT waren dann die Stunden ausgeschöpft. Da klar war, dass ich da nicht stehen bleiben will, also Suche nach einer neuen Therapeutin.

Parallel habe ich auch eine ambulante Kunsttherapie angefangen, weil ich gemerkt habe, dass mir das gut tut, mir dabei hilft, mit mir und dem was emotional passiert, überhaupt in Kontakt zu kommen bzw. zu bleiben.

Nach längerem Suchen hab ich jetzt eine TfP-Therapeutin, die Traumatherapeutin ist und außerdem viel mit KIP arbeitet (Kathatym-Imaginative-Psychotherapie). Da es bei mir ganz viel um diffuse Gefühle/Zustände geht und weniger um konkrete Ereignisse, ist das mit den Imaginationen hilfreich, weil da diese Gefühle viel deutlicher zutage treten oder ich kann sie da anders zulassen? Keine Ahnung. Was ich auch gemerkt habe: Auf der imaginativen Ebene lässt sich bei mir viel schneller eine Veränderung initiieren, die auch nachhaltiger ist. Die sich dann auch in die "Realität" überträgt. Das ist total spannend. Vielleicht weil die Imaginationen für mich viel näher an den Emotionen dran sind. Und sich dadurch eben auch dortl etwas bewegt - keine Ahnung. Jedenfalls komme ich da ganz anders voran als über die rational-kognitive Schiene.

Zur Beziehungsfrage: vielleicht mussst du dir dein Beziehungsmodell schaffen, das für dich passt? Ich wohne zB allein, trotz langjähriger Beziehung. Zusammenwohnen war für mich in allen Beziehungen ein No-go. Habe aktuell aber auch Glück, dass ich eine Partnerin habe, die das auch so will. Ich brauche viel Zeit alleine, da müssen wir immer wieder "verhandeln". Aber sie weiß auch, dass ich das brauche, um dann überhaupt "kontaktfähig" zu sein. Was schwierig ist, ihr zu vermitteln, was mit mir manchmal los ist. Sie akzeptiert es irgendwie als meine "Macken", aber die ganze psychischen Zusammenhänge kommen bei ihr nicht an, dass meine extremen Rekationen auf manche Trigger einfach PTBS-bedingt sind. Gleichzeitig spiegelt sie mir aber auch ganz deutlich zurück, wo es voran geht. Das Ganze ist eine Gratwanderung. Aber mit dem richtigen Partner/in kann es funktionieren. Ist es anstrengend? Ja. Denke ich manchmal, alleine wäre ich vielleicht "besser" dran? das auch. Andererseits gibt mir die Beziehung auch ganz viel. Und ich lerne darin auch viel, auch wenn ich dabei manchmal auch sehr gefordert (überfordert?) bin.

Ist Heilung möglich? Ich denke da irgendwie nicht im Sinne von Heilung oder nicht. Ich habe für mich das Gefühl, dass ich ein neues, ein anderes "normal" finden muss. Eines, dass meine Geschichte und Erfahrungen mit integriert. Das kann aber auch damit zusammenhängen, dass ich über Jahrzehnte alles ausgeblendet habe und einfach als Roboter durch die Gegend gelaufen bin. Da will ich ehrlich gesagt nicht hin zurück. Also muss ich mich irgendwie neu "erfinden". In besseren Momenten finde ich das spannend und begreife es als Chance. In den schlechteren Momenten verzweifele ich auch mal daran...

Soweit erstmal. Ist viel Text geworden, aber ich hoffe auch mit ein paar Anregungen.

LG von Lisbeth
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott


Speechless
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Beitrag Fr., 02.09.2016, 08:05

Danke für deine Erfahrung und dass eine Beziehung auch klappen kann. Ich habe auf jeden Fall gelernt, dass ich mich nicht mehr zu Dingen zwingen will nur der Norm halber. Aber vllt finde ich ja auch mal jemanden, mit dem Zusammenwohnen geht, der mich nicht so nervt.

Ich möchte diese Storys aber auch nicht teilen mit meinem Partner, also wäre es mir als meine Macke ganz recht, weil ich eh denke die Langzeitfolgen sind schwer zu verstehen bzw. nachvollziehen.

Ja, das mit den Imaginationen ist Wahnsinn und mein einziger wirklicher Zugangspunkt und auch einzige Möglichkeit, überhaupt auch das Trauma bearbeiten zu können.


Flowfalls
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Beitrag Fr., 02.09.2016, 08:52

Eremit hat geschrieben:Okay, dann habe ich wohl auch eine komplexe Form.
Oh


Flowfalls
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Beitrag Fr., 02.09.2016, 09:06

Ich habe auch schon mit Imaginationen gearbeitet, nur da bin ich die meiste Zeit ohne fachliche Begleitung, und dann reicht das vorhandene nicht aus, wende das alte nicht mehr an, u. geraten in Vergessenheit. Ich meine, dass muss doch wirklich täglich geübt werden, damit man davon was hat, oder?
Auch hat mir die Anpassung gefehlt, die Imaginationen müssen sich an aktuell vorhandes verändert werden. Man kann z.B. nicht ein Ort schaffen u. den behält man immer bei.
Erst als ich in eine Veranstaltung kam in der Klinik, wo eine erfahrene Traumatherapeutin eine Gruppe leitete mit Imaginationen u. anschließenden Feedback, kam eine Modifikation heraus.
Durch Anleitung, konnte ein neuer Ort kreiert werden, der mir Abhilfe schaffte. Leider sind solche Angebote sehr rar u. sie mitgenommen zu haben, eine kostbarkeit.
Weiterhin, regen Austausch
Eure Flow
Zuletzt geändert von Flowfalls am Fr., 02.09.2016, 09:19, insgesamt 1-mal geändert.


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Beitrag Fr., 02.09.2016, 09:12

Also ich habe eine sehr große Phantasie bekommen durch die Therapie, aber ich übe das jetzt nicht zu Hause. Zum einschlafen stelle ich mir vieles vor, aber ich muss es nicht.

Wir haben das hauptsächlich zur Stabilisierung gemacht und jetzt zur Traumaexposition mit Beobachtertechnik. Das aber nur unter Anleitung, würde ich nie alleine machen, ist aber auch nicht nötig. Das hält bei mir wirklich an durch die Stunden.

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