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Fr., 02.09.2016, 06:51
Hi Speechless,
ich wollte nochmal auf deine ursprüngliche Frage zurückkommen.
Ich bin vor ca. 4 Jahren in eine VT "gestolpert". Hauptsächlich weil im Job gar nix mehr ging, totale (subjektive) Überforderung, Panik, innere Erstarrung. Ich völlig hilflos und hab mich selbst auch noch dafür fertig gemacht weil von außen betrachtet alles "supi" schien - auch im Arbeitskontext. Ich hatte weder absurd viel Überstunden, noch mobbende Chefs oder Aufgaben, die ich nicht hätte lösen können. Also alles hausgemacht?
Im Laufe der VT äußerte meine Therapeutin die Vermutung, dass wir es mit einer komplexen PTBS zu tun haben.
Auf einmal passte alles zusammen, meine komischen Reaktionen auf Anlässe, die diese vehementen (inneren) Ausbrüche gar nicht hergeben. Der ständige Kampf ums Gleichgewicht, die ständige innere Anspannung, die (negative) Erwartungshaltung, das sehr starke Bedürfnis nach Abgrenzung usw. Gleichzeitig fand ich diese Diagnose auch schwierig, weil ich eine von denen bin, die eigentlich sagen würde "da war doch gar nix Schlimmes"...
Im weiteren Verlauf der Therapie ging es ganz viel um Stabilisierung. Wie kann ich mit mir selbst anders umgehen. Es ging auch ganz viel darum, überhaupt Bedürfnisse haben zu dürfen. Emotionen haben zu dürfen, weil ich gut 40 Jahre lang alles fast komplett ausgeblendet hatte (Überlebensstrategie).
Irgendwann kam dann doch ein kompletter Zusammenbruch. ging gar nix mehr. AU. Klinik. Klinik fand ich schwierig, weil deren Traumabegriff irgendwie noch in den 90ern hing. Und sie waren sehr auf CBT/DBT ausgerichtet. Was in meinem Fall gar nicht ging und mich noch tiefer in einen dauergetriggerten Zustand versetzt hat. Gab auch positive Erfahrungen, vor allem Kunst- und Gestaltungstherapie.
In der VT waren dann die Stunden ausgeschöpft. Da klar war, dass ich da nicht stehen bleiben will, also Suche nach einer neuen Therapeutin.
Parallel habe ich auch eine ambulante Kunsttherapie angefangen, weil ich gemerkt habe, dass mir das gut tut, mir dabei hilft, mit mir und dem was emotional passiert, überhaupt in Kontakt zu kommen bzw. zu bleiben.
Nach längerem Suchen hab ich jetzt eine TfP-Therapeutin, die Traumatherapeutin ist und außerdem viel mit KIP arbeitet (Kathatym-Imaginative-Psychotherapie). Da es bei mir ganz viel um diffuse Gefühle/Zustände geht und weniger um konkrete Ereignisse, ist das mit den Imaginationen hilfreich, weil da diese Gefühle viel deutlicher zutage treten oder ich kann sie da anders zulassen? Keine Ahnung. Was ich auch gemerkt habe: Auf der imaginativen Ebene lässt sich bei mir viel schneller eine Veränderung initiieren, die auch nachhaltiger ist. Die sich dann auch in die "Realität" überträgt. Das ist total spannend. Vielleicht weil die Imaginationen für mich viel näher an den Emotionen dran sind. Und sich dadurch eben auch dortl etwas bewegt - keine Ahnung. Jedenfalls komme ich da ganz anders voran als über die rational-kognitive Schiene.
Zur Beziehungsfrage: vielleicht mussst du dir dein Beziehungsmodell schaffen, das für dich passt? Ich wohne zB allein, trotz langjähriger Beziehung. Zusammenwohnen war für mich in allen Beziehungen ein No-go. Habe aktuell aber auch Glück, dass ich eine Partnerin habe, die das auch so will. Ich brauche viel Zeit alleine, da müssen wir immer wieder "verhandeln". Aber sie weiß auch, dass ich das brauche, um dann überhaupt "kontaktfähig" zu sein. Was schwierig ist, ihr zu vermitteln, was mit mir manchmal los ist. Sie akzeptiert es irgendwie als meine "Macken", aber die ganze psychischen Zusammenhänge kommen bei ihr nicht an, dass meine extremen Rekationen auf manche Trigger einfach PTBS-bedingt sind. Gleichzeitig spiegelt sie mir aber auch ganz deutlich zurück, wo es voran geht. Das Ganze ist eine Gratwanderung. Aber mit dem richtigen Partner/in kann es funktionieren. Ist es anstrengend? Ja. Denke ich manchmal, alleine wäre ich vielleicht "besser" dran? das auch. Andererseits gibt mir die Beziehung auch ganz viel. Und ich lerne darin auch viel, auch wenn ich dabei manchmal auch sehr gefordert (überfordert?) bin.
Ist Heilung möglich? Ich denke da irgendwie nicht im Sinne von Heilung oder nicht. Ich habe für mich das Gefühl, dass ich ein neues, ein anderes "normal" finden muss. Eines, dass meine Geschichte und Erfahrungen mit integriert. Das kann aber auch damit zusammenhängen, dass ich über Jahrzehnte alles ausgeblendet habe und einfach als Roboter durch die Gegend gelaufen bin. Da will ich ehrlich gesagt nicht hin zurück. Also muss ich mich irgendwie neu "erfinden". In besseren Momenten finde ich das spannend und begreife es als Chance. In den schlechteren Momenten verzweifele ich auch mal daran...
Soweit erstmal. Ist viel Text geworden, aber ich hoffe auch mit ein paar Anregungen.
LG von Lisbeth
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott