Wutausbrüche in der Therapie...

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

leberblümchen
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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:07

montagne hat geschrieben:Sowas wie: "Ich werde jetzt aber sehr wütend..." bo.. nää... wer sowas noch sagen kann, ist nicht mal in der Nähe von Wut, würde ich mal sagen. sondern hat nur irgend ein Kommunikationstraining gemacht.
Das sehe ich anders. Menschen gehen unterschiedlich mit Wut um. Bei mir hängt es davon ab, ob ich mein Gegenüber schätze oder eher nicht. Wenn ich jemanden nicht mag, dann lasse ich die Wut auch gerne raus, verbal. Den Impuls, körperlich aggressiv zu werden, hatte ich, glaube ich, noch nie. Da mein Therapeut von mir sehr geschätzt wird, habe ich auch dort gar nicht den Impuls, die Wut rauszulassen. Dennoch ist diese Wut ja da. Ich spüre sie. Aber sie muss nicht ausbrechen. Ist nur das ein Gefühl, was ausbricht?

Meistens nehme ich die Wut erst mal mit und gucke sie mir an - Mann, bin ich reflektiert Und in der folgenden Stunde reden wir darüber.

Ich denke wirklich, dass niemand etwas davon hat, wenn man Wut unreflektiert rauslässt. Wie sollte das funktionieren? Der einzige Vorteil wäre, dass der Therapeut mal gucken kann, wie das so aussieht, wenn man wütend ist... Aber wie sollte das therapeutisch genutzt werden können, wenn man brüllt und bockig ist? Ich hab dann auch schon mal gesagt: "Letzte Stunde hatte ich den Impuls, aufzustehen und zu gehen" - und das hat, denke ich, gereicht, um es als Wut zu verstehen.

Wichtig ist meiner Meinung nach, dass das Gefühl als solches, die Wut, seine Berechtigung hat. Dass man sich nicht einredet, nur dann akzeptiert zu sein, wenn man immer freundlich lächelt. Sondern dass die Beziehung es aushält, wenn man sagt: "Ich bin gerade ziemlich wütend auf Sie!". Mein Therapeut meinte ja: "In solchen Situationen fängt die Therapie gerade erst an" - denn in freundlichen Situationen kann ja jeder mit jedem auskommen. Die Kunst ist, sich auch dann zu verständigen, wenn man einander gerade nicht wohlgesinnt ist. M.E. ist es dazu nicht unbedingt NÖTIG, die Einrichtung zu zerlegen...

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**AufdemWeg**
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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:08

Ich bin bestimmt auch oft über-wütend, was genau die Folge davon ist damit nie angekommen zu sein.
Die Grenze ist immer niedriger geworden, ich habe immer viel schneller und mehr auf Vorfälle, Aussagen reagiert...weil ich dachte: irgendwann muss doch irgendwer mal reagieren.
Aber in meiner Familie wurde nie reagiert.
Da kam einfach keine Reaktion oder eben belächeln, nicht ernst nehmen aber von meiner Großmutter kam eben sehr oft wirklich gar nichts; sie ist bis heute in der Lage Situationen die andere erleben komplett auszublenden obwohl sie dabei war als die Dinge geschehen sind.
Es ist kein schönes Gefühl so schnell zu reagieren und über-zureagieren.
Ist mir eben auch oft mit der Therapeutin passiert aber sie konnte es nehmen, etwas anfangen und ja, sie HAT reagiert, besonders wenn es über war...

Alles richtig, alles gut was ich machte?
nein, ich fürchte darauf hätte ich warten können bis zum Sankt Nimmerleins Tag.

Aber jeder braucht wahrscheinlich einen anderen Umgang.

LG ADW
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**AufdemWeg**
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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:10

Titus bei mir gerade anders herum
je mehr ich einen Menschen mag und je mehr mir an ihm liegt
desto autentischer bin ich mit allen meinen Gefühlen.
Da muss viel Beziehung da sein.
Menschen die ich nicht mag oder kaum kenne...da will ich schon gar nicht so weit einsteigen...
das bleibt an der Oberfläche.

Gefühle fühle ich, die kann ich nicht denken.
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leberblümchen
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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:12

Teilweise kann ich das nachvollziehen, aber ich sehe den Widerspruch 'Oberfläche' vs. 'authentisch' nicht. Oder eben genau andersherum: Ich fühle mich 'echter', wenn ich mit dem, auf den ich wütend bin, im Dialog bin. Wenn wir halt reden über das Gefühl und seine Ursache. Und ich fühle mich oberflächlicher, wenn ich dem Anderen irgendwelche kunstvoll verpackten Gemeinheiten an den Kopf werfe.

Oh, das klingt interessant: dass du Gefühle fühlst und nicht denkst. Ich glaube, ich mache sehr oft beides gleichzeitig oder eben wirklich nacheinander: Das Gefühl ist da, möchte aber auch verstanden werden.

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**AufdemWeg**
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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:15

ach zum kunstvollen verpacken hats da oft nicht mehr gereicht *g


Nein, ich meine wenn ich eine oberflächlichen Kontakt habe
da werden bei mir die verschiedenen Gefühle erst gar nicht so richtig aktiviert...
sind irgendwie blasser weils mir im Grunde egal ist.

Aber wenn mir ein Kontakt viel bedeutet dann kommt die ganze Palette an Gefühlen.
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**AufdemWeg**
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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:18

also gleichzeitig kann ich das auf keinen Fall
nacheinander mühsam, verlangt mir dann viel ab
wahrscheinlich wars deswegen auch oft zu anstrengend.
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leberblümchen
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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:20

Gut, andere Gefühle kommen bei mir auch eher gerne sehr beeindruckend dramatisch: Angst, Panik, Verzweiflung. Die kann ich auch nicht hübsch verpacken. Da schüttelt es mich dann auch. Aber bei der Wut kenne ich diesen Kontrollverlust gar nicht. Ich glaube aber nicht, dass ich deswegen weniger wütend bin. Es kann aber sein, dass die Angst, verlassen zu werden, stärker ist als die Wut. Und dass ich mich daher gezwungen sehe, die Einrichtung heil zu lassen.

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**AufdemWeg**
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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:23

Das kann natürlich sein.
Ist aber auch sehr interessant.
Obwohl ich auch schlimm Angst vor dem verlassen werden habe (würde ich zumindest so sehen)
ist bei mir dann irgendwas anderes noch mit drin was mich letztlich denken lässt:
dann hau doch ab.

Tätlich bin ich nie geworden...zum Glück, ich glaube dann würde ich irgendwie auch leiden unter meiner Wut
aber verbal kann ich schon gemein werden so wie montagne auch schrieb zynisch, sarkatsisch, ironisch
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kaja
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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:28

Ich denke wirklich, dass niemand etwas davon hat, wenn man Wut unreflektiert rauslässt. Wie sollte das funktionieren?
Ich denke man kann alles auch überpsychologisieren.
Wut ist eine normale und menschliche Reaktion. Nicht jede menschliche Reaktion muss immer zwingend etwas bringen.

Auch im therapeutischen Kontext muss nicht zwingend jede Regung reflektiert werden. Hier kommt es mit Sicherheit auch auf die Therapieform an. Der Therapeut zu dem ich gehe würde nie auf die Idee kommen mir zu sagen : Frau kaja reflektieren sie mal eine Runde was Ihnen ihre Wut bringt.
Sondern akzeptiert einfach das ich in diesem Moment wütend bin und fragt dann, nicht unbedingt zwingend, nach der Ursache.
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leberblümchen
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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:35

OT Es ist sicher total OT, aber irgendwie finde ich, dass es passt: Es ist sicher auch eine Frage der Erwartungshaltung, die jemand einem anderen Menschen gegenüber hat. Ich erwarte in den nächsten Tagen meine Stromrechnung. Schon seit vier Wochen hatte ich einen Horror vor diesem Brief. Bis ich mir irgendwann gesagt hab: "O.K., vielleicht musst du 1000,- zahlen, dann mach mal eien Ratenplan". Ich hab also in Gedanken das ganze Drama durchgespielt und seitdem ich das geklärt hab, freue ich mich - kein Witz - auf diese Rechnung wie auf den Weihnachtsmann, weil ich denke: Alles, was weniger als 1000,- Nachzahlung ist, ist ein Geschenk...

Ich weiß, das klingt wirklich OT und behämmert sowieso, aber was ich sagen will: Wenn es um das Thema 'Wutausbruch in der Therapie' geht, dann hängt damit immer auch zusammen: "Was erwarte ich? Warum bin ich wütend?" - nicht mal so sehr die Frage, wer Recht hat, sondern eher so eine Frage, ob man dieselbe Sprache spricht. Wenn ich von meinem Therapeuten erwarte, dass er niemals einen Fehler macht, dann ist die Wahrscheinlichkeit, wütend zu werden, größer, als wenn ich so drauf bin, dass ich für jedes Wort, das ihm über die Lippen kommt, tiefe Dankbarkeit empfinde - um mal zwei Extreme zu nennen. Und ich denke, bei jemandem, der eher so unterwürfig ist, wäre es sicher therapeutisch angemessen, mal so was wie Wut zu provozieren. Während ich jemandem, der mich mehrfach beschimpft, dann doch eher darauf hin arbeiten - zusammen oder getrennt? - würde, diese Wut zu kontrollieren.

Kaja, ich hab doch nicht gesagt, dass die Wut nicht normal ist, oder? Aber ich hab ehrlich gesagt schon den Anspruch, dass das, was ich in der Therapie 'vortrage', etwas bringt. Also, einfach nur so Gefühle rauslassen, weil mir gerade so danach ist, das wäre für mich nicht wirklich gut, weil wenig sinnvoll und wenig befriedigend.

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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:40

Also dass ich bei ihr wütend sein konnte hatte bei mir den Effekt
dass ich mit der Wut bei einem Gegenüber angekommen bin
und dass sie als Gegenüber darauf reagiert hat
hat dazu geführt dass die Beziehung tragfähig wurde
und je tragfähiger die Beziehung wurde desto mehr konnte ich zum Ausdruck bringen was WIRKLICH ist.
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kaja
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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:43

Kaja, ich hab doch nicht gesagt, dass die Wut nicht normal ist, oder? Aber ich hab ehrlich gesagt schon den Anspruch, dass das, was ich in der Therapie 'vortrage', etwas bringt. Also, einfach nur so Gefühle rauslassen, weil mir gerade so danach ist, das wäre für mich nicht wirklich gut.
Habe ich behauptet du hättest das gesagt ?
Natürlich macht man eine Therapie damit sie einem etwas "bringt".
Ich bin aber der Meinung das nicht jede einzelne Gefühlsregung seziert werden muss um am Ende einer Therapie sagen zu können , es hat etwas gebracht.
Mir persönlich gefiel es sehr gut das er meinen Ausrutscher und damit meine Wut einfach so stehen lassen konnte.
Als etwas das in diesem Moment einfach zu mir gehört hat, ohne langwierige Erklärung, Betrachtung, Begründung.
Frau kaja war gerade verdammt wütend. Punkt.
Damit hat er mir auch das Gefühl vermittelt er kann nachvollziehen warum ich so wütend bin, er kann mich so akzeptieren und meine Emotion ist bei ihm angekommen.
After all this time ? Always.


leberblümchen
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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:46

Ach so, natürlich MUSS man nicht alles endlos durchkauen. Aber wenn es etwas bringt, schadet es ja auch nichts...

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CrazyChild
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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:49

titus2 hat geschrieben:Also, einfach nur so Gefühle rauslassen, weil mir gerade so danach ist, das wäre für mich nicht wirklich gut, weil wenig sinnvoll und wenig befriedigend.
...so kontrolliert wäre ich auch gerne.
titus2 hat geschrieben:weil wenig sinnvoll
Kennt ihr "Inszenierungen" in der Therapie ? Mir wird das immer erst nachher bewusst. Ich tobe und bin wütend bei meiner Thera wegen was auch immer und denke mir dabei "sie muß mich nun doch endlich mal verlassen - das kann sie sich doch nicht bieten lassen" - weil es bisher immer so war diese Reaktion auf übermäßige Wut zu bekommen.

Von daher ist es für MICH schon sinnvoll zu merken daß es ok ist einfach mal wütend sein zu dürfen ohne verlassen zu werden. Daß eben genau das bei ihr nicht passieren wird. Ich weiß das mittlerweile und mache es doch immer mal wieder.
LG, CrazyChild

***stay strong***

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stern
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Beitrag Fr., 23.11.2012, 11:58

titus2 hat geschrieben:Ich denke wirklich, dass niemand etwas davon hat, wenn man Wut unreflektiert rauslässt
Sehe ich genauso. Wenn man unter "unreflektiert rauslassen" im Sinne von ungefiltert ausagieren versteht, so kann es das auch meines Verständnisses nach nicht sein. Damit schadet man potentiell sich selbst und den anderen

Thera meinte auch, es ginge (zumindest für mich) nicht um "rauslassen". Denn man könne sich ja an niemandem abreagieren. Bzw. ginge natürlich schon... nur...

Ich tendiere dazu, dass es eher darum geht, Ärger/Wut einigermaßen sozialverträglich/adäquat Ausdruck zu verleihen (worunter ich anderes als ungefiltert "rauslassen" verstehe, da dazu eine gewisse Modulation erforderlich ist). Auf dem Weg dorthin kann es evtl. zu Überreaktionen kommen. Aber das ist bestenfalls Weg (dem evtl. auch noch andere Schritte vorgelagert sind), nicht aber (mein) Ziel.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
»Je größer der Haufen,
umso mehr Fliegen sitzen drauf
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(alte Weisheit)

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