Wärme und Geborgenheit in der Therapie - welches Maß?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

leberblümchen
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Beitrag So., 21.10.2012, 11:34

Klingt einerseits gut, wenn man sagt, dass ein Therapeut ein 'normaler Mensch' sein soll und sich auch so verhalten soll. Das Problem ist nur: Dann ist das eben mehr so in Richtung 'Beratungsgespräch'. Also, das berühmte 'auf Augenhöhe', das hat den Vorteil, dass niemand irgendeine Rolle einnimmt. Es hat aber eben auch den Nachteil, dass die gewollte Asymmetrie und die ja in bestimmten Therapieformen gewollte Provokation von Unsicherheit, Übetragung usw. sich nicht so entfalten kann, wie es nötig wäre, wenn man möchte, dass unbewusste Konflikte herausbrechen aus einem.

Klar, ist das Gefühl Schei.ße, wenn man Angst hat, der Therapeut könnte das Geschenk - und damit einen selbst - zurückweisen. Aber es ist eben auch ein Geschenk, wenn man so will, das überhaupt noch mal so empfinden und dann auch BENENNEN zu können.

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candle.
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Beitrag So., 21.10.2012, 11:41

Hallo Sausewind!
Sausewind hat geschrieben: (Anmerkung: Meine Bekannte ist dort seit 3 Jahren und hat ihr noch nie (!) was geschenkt zuvor).
Ich finde, dass 3 jahre Therapie bei dieser Therapeutin auch schon verdammt lang sind. Wie kommt das?

Bei der Dauer würde ich meinen, dass deine Bekannte auch verstehen dürfte und sich vielleicht nach drei jahren Therapie gar keinen Kopf mehr machen dürfte. Verstehst du wie ich meine? So im Sinne von Heilungserfolg.

Viele Grüße!
candle
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Sausewind
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Beitrag So., 21.10.2012, 11:58

titus2 hat geschrieben:Es hat aber eben auch den Nachteil, dass die gewollte Asymmetrie und die ja in bestimmten Therapieformen gewollte Provokation von Unsicherheit, Übetragung usw. sich nicht so entfalten kann, wie es nötig wäre, wenn man möchte, dass unbewusste Konflikte herausbrechen aus einem.
Hm, das ist ja aber eben der Knackpunkt. Ich habe den Eindruck, selbst wenn sich Therapeuten wie "normale" Menschen verhalten, und, wie hier ja auch geschrieben wurde, dann der Eindruck entsteht, die Beziehung sei "echt", besteht diese Asymetrie ja leider trotzdem. Nur gelingt es vielleicht leichter, diese für die Dauer des Therapieprozesses auszublenden - was eben eine Gefahr ist, m. E., denn plötzlich ist das Ding zu Ende und dann steht man da mit seiner "echten" Beziehung . .
Andererseits kann man eben überlegen, ob man bei einem/einer warmen TherapeutIn sich leichter öffnen kann, schneller Vertrauen fasst usw. . und die Therapie dann zwar WÄHREND der Therapiezeit besser ist, dafür dann die Ablösung aber umso schmerzhafter ist . .wirklich, ich weiß es nicht, deswegen überlege ich ja so stark ..

Und Stichwort Übertragung etc.: Ganz ehrlich, das kann sich auch in anderen Therapieformen als der Analyse/TP ohne Einschränkung entfalten - es wird halt nicht oder in anderer Form thematisiert . . (also auch wenn sich ein Therapeut / eine Therapeutin "normal" verhält, kann ich ohne Ende auf ihn/sie übertragen ..)

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**AufdemWeg**
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Beitrag So., 21.10.2012, 12:42

Ich habe meine Therapeutin immer als sachlich kühl empfunden aber nie gänzlich unnahbar;
im Nachhinein würde ich sogar sagen, dass diese Haltung die sie mir gegenüber an den Tag legte
zu größt möglichen Geborgenheitsgefühlen bei mir führte weil sie mich nicht vereinnahmt hat aberauch nicht vor mir zurückgeschreckt ist: ich durfte lieben ohne dass sie auf mich zugegriffen hat.
Sie hat gekämpft, ich auch und ich würde sagen es ist etwas Wunderbares daraus entstanden:
eine tragfähige Beziehung über die Therapie hinaus.
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Sausewind
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Beitrag So., 21.10.2012, 12:50

@AufdemWeg:
Das heißt, ihr habt jetzt noch über die Therapie hinaus (privaten) Kontakt? Dann wäre es natürlich schon eine "echte" Beziehung . .

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**AufdemWeg**
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Beitrag So., 21.10.2012, 12:56

Nein,
ein innerer Kontakt der IN mir entstanden ist in der Therapie.
Hätte das nie für möglich gehalten und es ist auch erst NACH dem Ende der Therapie für mich so deutlich fühlbar geworden
was und wieviel tatsächlich gewachsen ist und...dass es tatsächlich Bestand hat.
Sie ist meine emotionale Mutter, ja, das ist sie.
Körperlich geboren von meiner Mutter aber seelisch geboren von ihr.
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Sausewind
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Beitrag So., 21.10.2012, 13:31

@AufdemWeg:
Schön! Das hört sich wirklich gut an. Ich glaube, ich selber würde die Person dann allerdings trotzdem wahnsinnig vermissen . . und mir wünschen, sie wiederzusehen etc. . aber ich finde das klasse, wenn jemand sagen kann, ich habe meine/n TherapeutIn im Guten verinnerlicht und trage sie/ihn nun quasi "in absentia" mit mir . .so sollte es sicher im Idealfall laufen.

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**AufdemWeg**
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Beitrag So., 21.10.2012, 13:42

ich vermisse sie, sehr sogar , gar keine Frage
und irgendwann, irgendwann werde ich sie sicherlich auch einmal wieder sehen
aber ich geh nicht dran kaputt sie nicht zu sehen
es beeinträchtigt mein Leben nicht im negativen Sinn
sondern wenn ich sie vermisse und an sie denke
dann taucht zeitgleich das gute und warme Gefüh mit auf.
Ich finds ja selber abartig, hätte das nie nie und NIE erwartet
und meine Therapie ein Idealfall...keine Ahnung...würde eher sagen EINE Möglichkeit unter vielen anderen
wie es auch gut laufen kann...

LG ADW
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stern
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Beitrag So., 21.10.2012, 13:48

Sausewind hat geschrieben:Hm, das ist ja aber eben der Knackpunkt. Ich habe den Eindruck, selbst wenn sich Therapeuten wie "normale" Menschen verhalten, und, wie hier ja auch geschrieben wurde, dann der Eindruck entsteht, die Beziehung sei "echt", besteht diese Asymmetrie ja leider trotzdem. Nur gelingt es vielleicht leichter, diese für die Dauer des Therapieprozesses auszublenden - was eben eine Gefahr ist, m. E., denn plötzlich ist das Ding zu Ende und dann steht man da mit seiner "echten" Beziehung .
Was wäre eine "bessere" Alternative: Das man sich leichter verabschieden kann, wann man sagen kann, och, war eh nur etwas unechtes? Das man sich gar nicht erst so recht einlässt, um sich leichter lösen zu können? Überspitzt gesagt: Dass man wie einen Handwerker den Dienstleister "PT" nach Belieben und schmerzlos wechseln kann?

Für mich ist jedenfalls ein gewisser Grad an Echtheit alternativlos (dass 100% kaum gehen bzw. vielleicht auch nicht unbedingt erstrebenswert sind, ist klar, aber tendenziell)... aber mglw. können Geschmäcker/Bedarfe auch insofern unterschiedlich sein. Natürlich kann eine Loslösung dann schwerer sein als von einem Handwerker sein. Aber was im Inneren gewachsen ist oder bewahrt werden kann (wenn den etwas gewachsen ist, bei mir ist das auch der Fall) das bleibt dann hoffentlich ewig erhalten (außer man trampelt es wieder nieder oder lässt das zu, dass jemand den Vorgarten nieder tritt). Ich hoffe nicht, dass es (wie im Thread sinngem. vermutet wurde) immer wieder vorkommt, dass bei Therapiepatienten das Kartenhaus wieder auf das Anfangsniveau einfallt, weil sich nichts verändert hat. Dann lief fundamentales schief (wenn die Therapie nicht bewusst auf einen abweichenden Fokus ausgelegt war), würde ich sagen, wenn es wirklich so ist (und dann war auch der Therapeut blind, wenn er übersieht, dass sich nichts verändert, und das nicht anspricht).

Und für die Entwicklung anderer Dinge oder bei anderen Personen ist, wie gesagt, vielleicht der Therapeut als "Reibungspunkt" oder eine distanzierterer Therapeut oder Situation "hilfreicher". Auch Nähe und Reibung schließen sich nicht aus, sondern in einer Therapie kann es beides geben (halte ich - auch ohne andere Therapien zu kennen - eigentlich für den Regelfall).

Auch innerhalb einer asymmetrischen Beziehung kann m.M.n. Echtheit bestehen... auf Seiten des Patienten (also dass der sich echt verhalten kann, wenn er es denn kann) würde man das vermutlich noch weniger in Frage stellen als beim Therapeutenverhalten (der sich aber natürlich auch echt verhalten könnte). Um nicht zu sagen: Unechtheit schafft (nach meinem Verständnis) erst recht Asymmetrie, weil eben etwas anderes kommuniziert als empfunden wird, also quasi eine Art Verschleierung, die auch ein Gefälle erzeugt (das bestenfalls nicht auffällt).
Titus hat geschrieben:Klingt einerseits gut, wenn man sagt, dass ein Therapeut ein 'normaler Mensch' sein soll und sich auch so verhalten soll. ... Es hat aber eben auch den Nachteil, dass die gewollte Asymmetrie und die ja in bestimmten Therapieformen gewollte Provokation von Unsicherheit, Übetragung usw. sich nicht so entfalten kann, wie es nötig wäre, wenn man möchte, dass unbewusste Konflikte herausbrechen aus einem.
Gute Frage wovon es abhängt, dass sich etwas "entfaltet" (wie meinetwegen unbewusste Konflikte). Glaube auch hierfür kann es hochgradig individuelle Variablen geben. Also das kann für manche auch einen gewissen Grad an Nähe erfordern, dass man manches zulassen kann. Andere (oder in anderen Situationen) spricht man vielleicht auf Provokation (von was auch immer) "besser" an, in dem Sinne dass es zugänglicher für eine "Bearbeitung" wird. Übertragung bzw. (mehr oder weniger unbewusstes) Transportieren von inneren Konflikten halte ich hingegen nicht von der Therapieform abhängig (bestenfalls wie damit konkret umgegangen wird). Sondern eher abhängig davon, welche Konflikte (die Übertragungspotenzial haben) bestehen. Und so provoziert vielleicht beim einen Nähe bestimmte Übertragungen, beim nächsten gefühlte Distanz, usw. Beim einen löst Asymmetrie/gleiche Augenhöhe etwas aus, beim nächsten vielleicht Echtheit und beim anderen ein Gefälle, usw. (z.B. besagte Bedenken, dass die Loslösung dann umso schwerer/schmerzhafter ist). Also in anderen Worten: Man dürfte insbes. auf seine individuellen "Triggerpunkte" ansprechen, die ganz mannigfaltig sein können.
.
Liebe Grüße
stern 🌈💫
»Je größer der Haufen,
umso mehr Fliegen sitzen drauf
«

(alte Weisheit)


montagne
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Beitrag So., 21.10.2012, 13:56

Ich glaube auch, ähnlich wie adw es impliziert, Nähe und Geborgenheit für mich ist etwas inneres. Etwas das in mir entsteht. Solange es dort nicht war, konnte ich es auch nicht in der Therapie fühlen, hätte es nicht fühlen können, egal was meine Therapeutin gemacht hätte. Es hätte auch nicht entstehen können.

Jetzt entsteht es manchmal, obwohl sie so ist, wie sie ist, wie immer. Aber weil ich es halt zulassen kann. Das Gefühl in mir, aber auch in der Interaktion. Und das hat rein gar nicht mit Körperkontakt oder Zuneigungsbekundungen zu tun. Es ist etwas, dass mitschwingt, aber nicht explizit festnagelbar ist.

Und weil es eben letzlich ein Gefühl ist, das in mir gewachsen ist, werde ich es auch mitnehmen, nach Ende der Therapie. Bzw. spüre es, hatte jetzt 3 Monate Pause und es war immer da. Es geht nicht mehr verloren, weil es in mir ist. Und so bin ich im Grunde auch nicht mehr abhängig von der Therapeutin.

Nähe ohne Abhängigkeit.
amor fati

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Beitrag So., 21.10.2012, 13:58

Genauso empfinde ich das auch, montagne.
Nur IN der Therapie selbst ist mir das wirklich nicht gelungen
warum auch immer
erst jetzt mit dem Ende, so ganz ohne Sprungtuch zeigt es sich.
Schade eigentlich, ja.
Ich hab immer gedacht, ich wäre super abhängig
aber es hat gereicht zum Gehen, so viel war eben gewachsen
ohne dass ich es in der Therapie gespürt habe.
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montagne
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Beitrag So., 21.10.2012, 15:50

adw: verstanden habe ich es auch nicht, aber...
Schon seit Jahren empfinde ich eine gewisse Vertrautheit und Geborgenheit in mir, zur Therapeutin. Aber nur, wenn ich nicht da war, mit Abstand. IN den Stunden war es ganz anders und ist vllt. manchmal immer noch so. da war es leiden und ihr nicht zutrauen, ihr misstrauen und wie ich manchmal gelitten habe in der Stunde und kurz danach.

Ich glaube, weil das sichere Gefühl schon irgendwie in mir war. Aber durch zu viel schlechtes klein gemacht, runtergetreten und deshalb zeigt sich das Gefühl eher, wenn ich alleine bin, damit es nicht nochmal runtergetreten wird.
Ist bei mir aber auch mit anderen beziehungen so, mit Abstand sehe ich einiges positiver, kann mir eher weiche gefühle erlauben.

Na ja so ganz hab ichs nicht verstanden, aber egal, von der ein oder anderen Seite scheint ein sicheres Gefühl von Nähe und Geborgenheit wachsen zu wollen.
amor fati

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**AufdemWeg**
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Beitrag So., 21.10.2012, 16:09

Ich glaube das bei mir auch etwas von dem mitschwang was du in deinem Blog so ähnlich formuliert hast (oder ich habs zumindest so verstanden )geschrieben hast: dass ich nicht 1zu 1 das in Worte fassen konnte was ich fühlte.
Trotzdem war es da, ist gewachsen, in jeder Stunde.
absolute Zuverlässigkeit, Kontinuität, Zutrauen und Vertrauen von Seiten meiner Therapeutin aus - ich glaube das waren die wesentlichen Punkte, die bei mir dieses Gefühl zum Wachsen brachten und...dass ich mich ausprobieren durfte an ihr und mit ihr, sehr viel ausprobieren durfte.
Aber das ist wohl bei jedem Klienten anders.
Ich bin jedenfalls gespannt was hier zum Thema noch geschrieben wird.
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Herbstfrau
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Beitrag So., 21.10.2012, 18:03

Hallo!

Ich teile deine Beobachtung Sausewind! Und ja, ein zuviel "Mögen" führt gerade bei Menschen welche in der Kindheit sehr depriviert waren rasch dazu, dass sie die therapeutische Beziehung für echt halten!

Eine Patentlösung für dieses Problem gibt es jedoch nicht. Ich war vor rund 12 Jahren während ¾ Jahren in eine Psychotherapie. Der Therapeut hat mit mir auf der Sachebene gearbeitet d.h. mir war jederzeit klar, dass seine Gefühle mir gegenüber nicht echt waren. Deshalb habe ich die Therapie dann schliesslich abgebrochen. Ganz nach dem Motto, dass eine solche zwischenmenschliche Beziehung ja keinen Sinn hat, weil sie ja sowieso nicht echt ist.

Rund 10 Jahre später d.h. vor 2 Jahren ging es mir dann so schlecht, dass ich einige Wochen „Wellnessferien“ in einer Psychiatrischen Klinik gemacht habe. In der Klinik war nicht viel therapeutische Arbeit mit mir möglich, da ich schwer depressiv war. Danach habe ich während zweier Jahre eine ambulante Psychotherapie bei einer Therapeutin gemacht, welche mir sehr viel Wärme und Geborgenheit vermittelt hat. Sie hat mich während der ersten 1 ½ Jahre im Glauben gelassen, dass ihre Gefühle für mich echt sind. Im letzten halben Jahr bekam unsere therapeutische Beziehung dann allerdings mehr und mehr Risse und ich begann mich deshalb abzulösen. Ich hätte nach Abschluss der Therapie gerne einen losen Kontakt zu der Frau aufrechterhalten und habe sie deshalb anlässlich der letzten Therapiestunde gefragt, ob sie sich das auch vorstellen könne. Madame hat dann die Rollen geklärt und mir gesagt, dass wir eine rein therapeutische Beziehung zueinander hatten.

Ich kann bis heute nicht einschätzen, ob ihre Gefühle für mich nun echt waren oder ob sie tatsächlich rein therapeutischer Natur waren. Was ich jedoch sicher weiss, ist dass mir die Therapie vor rund 12 Jahren welche auf der Sachebene geblieben ist nicht geholfen hat. Ich war als Kind schwer depriviert und habe deshalb eine Therapeutin gebraucht, welche mir auf der emotionalen Ebene begegnet ist, damit ich Urvertrauen aufbauen konnte.

Meine ehemalige Therapeutin steht mir heute näher als meine Mutter. Daran möchte ich nichts mehr ändern obwohl meine Mutter noch lebt. Kontakt habe ich keinen mehr zu meiner Mutter, sie tut mir nicht gut.

Ich denke, es ist ein Geschenk Gottes, dass ich eine solche Therapeutin gehabt habe. Ich schliesse auch nicht aus, dass ihre Gefühle mir gegenüber echt waren. Sie hat sich jedoch dazu entschieden, meinen Weg mit mir nicht bis zum Ende zu gehen sondern traut mir zu, dass ich in der Therapie genug Ressourcen aufbauen konnte um meinen Lebensweg alleine fortzusetzen!

Ich stelle euch mal eine Frage: Wie soll eine Therapeutin / ein Therapeut dieses Problem lösen?

Einerseits ist da ein Patient / eine Patientin welche in der Kindheit schwer depriviert war. Andererseits ist da das Bedürfnis eines jeden seriösen Therapeuten / einer jeden seriösen Therapeutin nach professionellen Distanz zum Patienten / zur Patientin.

Ich habe für mich eine Antwort auf dieses Dilemma gefunden: Das Problem liegt nicht darin, dass die Therapeutin zu weit ging mit ihren Emotionen. Das Problem liegt darin, dass die Patientin Emotionen gebraucht hat welche über das normale Mass einer zwischenmenschlichen Beziehung hinausgeht. Deshalb war die Patientin in Therapie.

Ich habe über Jahre hinweg Menschen zu welchen ich in einer reinen Arbeitsbeziehung stand mein Herz geschenkt und bin immer wieder von neuem Enttäuscht worden. Irgendwann konnte ich dann nicht mehr vertrauen und habe „den Schirm zu gemacht“. Deshalb habe ich schliesslich „Wellnessferien“ in der Klinik verabreicht bekommen.

Ohne die ambulante Therapie nach meinen „Wellnessferien“ würde ich mein Herz heute noch in jede x-beliebige Arbeitsbeziehung investieren und irgendwann würde ich „den Schirm“ wahrscheinlich „ganz zumachen“ und „die Rüebli von unten anschauen“.

Es war nötig, dass ich auf eine Therapeutin getroffen bin, welche mir Emotionen über das übliche Mass hinaus entgegen gebracht hat. Genau so wie ich es gebraucht habe. Seither kann ich mich auf eine sachliche Arbeitsbeziehung einlassen. Seither bin ich in der Lage freundschaftliche Beziehungen zu pflegen und dabei Nähe und Distanz der jeweiligen Situation anzupassen.

Ich arbeite nach wie vor an der Regulierung von Nähe und Distanz in zwischenmenschlichen Beziehungen. Ich arbeite weiter daran zwischenmenschliche Grenzen wahrzunehmen. Im Gegensatz zu früher empfinde ich dieses Lernfeld jedoch als spannend und bin motiviert, mich diesbezüglich weiter zu entwickeln.

Ich stelle euch zum Schluss nochmals ein paar Fragen:
Sagt eine Mutter ihrem Kleinkind von Anfang an, dass sie mal sterben wird und es ganz alleine zurückbleiben wird?
Sagt eine Mutter ihrem Kleinkind von Anfang an, dass es sich entwickeln wird, dass es selbständiger werden und seine Mami deshalb irgendwann nicht mehr brauchen wird?

Ich freue mich auf einen Austausch mit euch zu diesem Thema!

Herbstfrau


leberblümchen
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Beitrag So., 21.10.2012, 18:12

'echt' oder 'therapeutisch'? Ich denke, es ist therapeuisch und echt. Die Intervention ist natürlich therapeutisch: Kein Therapeut lässt sich so gehen und lebt seine wahren Gefühle in der Arbeit mit den Patienten aus. Aber die Gefühle, die dahinter stehen, die sind schon echt, im Sinne von: nicht gespielt. Man gaukelt niemandem Mitgefühl vor, wenn man es nicht empfindet. Man fühlt auch nicht mit, wenn man nicht ein bisschen Zunneigung zum Patienten und Interesse an seiner Geschichte hat.

Ich hab mir ein Geschichtsbuch gekauft, und in dem steht vorne das Motto - keine Ahnung, ob das ein wichtiges berühmtes Zitat eines bedeutenden Menschen ist oder von wem das auch immer stammt - aber letztendlich war es der Auslöser, das Buch zu kaufen : "Pour comprendre il faut aimer". Wie gesagt, kann sein, dass ich mich zum Affen mache, weil diesen Satz jeder kennt, aber ich hab ihn so noch nicht gelesen. Und ich denke, der trifft dann eben durchaus auch auf die therapeut. Beziehung zu.

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