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Mi., 09.05.2012, 09:15
Hallo Freiheit 2012,
ich kann sehr gut nachempfinden, wie du dich in deiner Situation fühlst und auch welche "Qual" das teilweise für dich darstellen mag. Ich selbst war nun sechs Monate in diesem Schweigen gefangen, war verzweifelt, wütend und enttäuscht. Es hat ewig gedauert, bis ich dahinter gekommen bin, weshalb ich nicht reden kann und schließlich, wie ich mich Schritt für Schritt dem nähere, was es mir leichter macht.
Eine Unipsychologin sagte mal zu mir "Ihr Schweigen hat eine Bedeutung. Damit wollen Sie Ihrer Therapeutin etwas sagen." Ich habe lange überlegt, ob das tatsächlich so ist und wenn ja, was ich ihr denn nun damit sagen möchte. Ich war oft wütend auf sie, habe ihr manchmal die Schuld gegeben, dass ich mich nicht öffnen kann (zu kühl und neutral, viel zu distanziert, zerstört jeden Funken Vertrauen durch blöde Aussagen, hilft mir nicht, ...). Heute weiß ich, dass ich diejenige war, die ihre Ängste in sie hinein projiziert hat, um besser mit der Situation umgehen zu können. Ich war einfach überfordert mit mir selbst. Überfordert, dass ich kein Wort spreche, nicht auf Fragen reagiere und vor allem, dass ich nichts daran ändern kann. Es klingt ja so einfach, einfach mal zu reden. Und sei es über das Wetter. Aber stattdessen versteckte ich mich Stunde für Stunde beharrlich hinter meinem Schweigen.
Ja was hatte denn nun mein Schweigen für eine Bedeutung? Es heißt ja immer, dass Schweigen ein Zeichen von Widerstand ist. Und so war es auch. Widerstand gegen meine Therapeutin, gegen mich, gegen die Therapie. Ich wollte sie gar nicht mögen, ihr vertrauen. Denn ich hätte reden müssen, mich öffnen müssen. Deshalb gab ich ihr dir Schuld (die ich dummerweise im Anschluss stets gegen mich selbst richtete, da ich damit nicht anders umgehen kann, aber das ist ein anderes Thema), dass es einfach nicht klappt. Ich hatte einfach Angst, Panik, Scham. Was, wenn sie mich nicht ernst nimmt? Wenn sie mich verletzt? Wenn sie mir nicht glaubt? Wenn sie nicht sieht, welches Leiden dadurch in mir entsteht? Sich Öffnen heißt, sich von seiner verletzlichsten Seite zu zeigen. Und das war ein solch großer Horror für mich. So entstand dieser oberflächliche Widerstand.
Ich sagte mir auch oft, dass sie mir gar nicht dabei hilft, endlich aus diesem Käfig des Schweigens auszubrechen, dass sie ungeduldig wird, nur weil sie das Thema Schweigen immer und immer wieder ansprach. Rückblickend kann ich sagen, sie hat mir sehr viel geholfen. Oft sind es die Kleinigkeiten, ein paar Worte, kleine Gedankenanstöße gewesen. Nicht zuletzt deshalb kam mein Kopf jedes Mal zum Grübeln. Die Ärgernis und Wut war nichts anderes als ein Zeichen dafür, dass sich in mir etwas bewegte.
Irgendwann war der Druck und das Leiden aufgrund des Schweigens so groß, dass ich begann, meine Wut in Worte zu formulieren. Stück für Stück. Ich schrieb ihr insgesamt drei Briefe, in denen ich erwähnte, was es mir so schwer macht (und manchmal schrieb ich auch einfach nur, dass ich nicht verstehe, warum ich nicht aus dem Schweigen heraus komme). Im Nachhinein war das keine Wut, die sich in den Briefen äußerte, sondern Beziehungsarbeit. Denn darauf lief es irgendwie immer hinaus. Ich formulierte darin manchmal, was für mich innerhalb der Konstellation oder an ihrem Verhalten/ihrer Person für mich eine Barriere darstellt. Oder sie begann für sich aus mir fragen zu stellen, ob mir diese oder jene Veränderung dabei helfen würde. Und ganz nebenbei und unbemerkt war es therapeutische Arbeit, die wir in diesen Momenten leisteten. Denn genau hier äußerte sich schließlich auch, welche Ängste in mir schlummern.
Das alles ging nicht von heute auf morgen von statten. Es dauerte sehr lange. Um genau zu sein war diese Woche meine zweite Therapiestunde, in der ich mir gegenüber einen Menschen sah, der mir hilft, dem ich vertrauen möchte. Heute, wenn ich dies alles rückblickend betrachte, kann ich genau das behaupten, was ich anfangs schrieb: nämlich dass meine Unzufriedenheit bezüglich meiner Therapeutin einfach nur ein Zeichen meiner Angst und Verzweiflung war. Und gerade in diesem Moment, in dem ich das schreibe, wird mir klar, dass ich eigentlich eine wundervolle Therapeutin habe.
Vielleicht kannst du dich ja irgendwo in meinen Zeilen wiederfinden? Vielleicht helfen dir manche Gedankenansätze. Zumindest spürst du, so glaube ich, ganz deutlich, dass sich in dir sehr viel bewegt (ob nun zum positiven oder zum negativen möchte ich gar nicht beurteilen). Aber du suchst in der Verzweiflung nach Gründen. Und das ist ein erster Schritt. Und wenn man mal etwas nicht ansprechen kann oder erst gar nicht reden kann, vielleicht auch wieder Rückschritte erlebt, ist es kein Weltuntergang. Das gehört alles zum Prozess dazu. Auch ich habe mich und diese Therapie nur allzu oft verflucht. Heute bin ich froh durchgehalten zu haben.
Ich wünsche dir ganz viel Kraft und Mut für diesen bzw. deinen Weg!
Alles Liebe
Mary-Lou
Frühling: „Eine echte Auferstehung, ein Stück Unsterblichkeit.” (Henry David Thoreau)