Gewalt und Vergebung

Körperliche und seelische Gewalt ebenso wie die verschiedenen Formen von Gewalt (wie etwa der Gewalt gegen sich selbst (SvV) oder Missbrauchserfahrungen) sind in diesem Forumsbereich das Thema.
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mitsuko
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Beitrag Mi., 01.02.2012, 21:50

Waldschratin hat geschrieben: Wenn ich einem meiner Täter vergeben habe,dann gings mir nur da drum,innerlich meine Wut,meine Verletztheit,meine "Forderungen" nach Unversehrtheit etc. loslassen zu können.Und damit das,was geschehen war,verarbeitet zu bekommen,im Sinne das Geschehene als "geschehen" integriert zu bekommen,so daß ich nen anderen Umgang mit den Folgen der Tat anfangen konnte.
Das klingt sehr gut, finde ich. Hätte ich für mich eher als Loslassen bezeichnet, denn als Vergebung, weil ich bei dem Wort irgendwie schon eine Interaktion im Sinne habe, in dem einer dem anderen was gibt, und zwar das Opfer dem Täter. Ich denke auch, dass das was du beschreibst elementar ist für die eigene Entwicklung. Das hat auch was davon, dem Täter und der Tat an Gewicht/ Wichtigkeit für das Jetzt zu nehmen.

Ich finde übrigens nicht, dass nicht vergeben und Hass gleichzusetzen ist. Ich für meinen Teil muss nicht vergeben um nach vorne schauen zu können. Ich kann das Geschehene so wie es ist belassen, akzeptieren, dass es zu meinem Leben gehört und muss weder ein Hassgefühl kultivieren, noch die Tat als verzeihlich einstufen. Für mich war lange der Wunsch nach Schuldeinsicht und folgender Vergebung ein ganz lähmendes Hindernis und eine Befreiung als ich merkte, ich brauche das nicht. Erst dadurch konnte ich eigentlich loslassen.
Wie ein Täter zu seiner Tat steht, muss für das Opfer sicher nicht so besonders wichtig sein, ansonsten fährt es doch irgendwie immer noch den Film, in dem es eben Opfer ist und auf Gedeih und Verderb vom Täter abhängt.
Genausowenig denke ich, dass ein Täter durch ein Vergeben des Opfers geläutert werden kann. Damit das geschieht muss er sich vielmehr mit sich und seinen Abgründen befassen. Das tun die wenigsten einfach mal so. Ich zweifle sehr daran, dass die meisten Gewalttäter sowieso zutiefst reuig seien. Sehr oft wird sich doch vielmehr wie gehabt eingeredet, es sei alles nicht wirklich schlimm gewesen oder eigentlich anderer Leuts Schuld oder man selbst Opfer der Umstände. Um sich überhaupt als Täter betrachten zu können, bräuchte so jemand ganz lange Jahre der Selbstreflexion. Das ersetzt doch nicht ein "Ich vergebe dir."

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carö
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Beitrag Mi., 01.02.2012, 22:55

sehr interessanter und vielfältiger input, danke!
passat hat geschrieben: Andererseits gibt es sogar Fälle, da empfindet das Opfer Mitleid/Mitgefühl mit dem Täter, nämlich oft dann, wenn das Opfer erkennt, dass der Täter selbst Opfer ist/war, und gar nicht anders handeln konnte.
ja das ist mir so ergangen. aber das war auch ein langer veränderungsprozess. früher bin ich zwischen nicht miteinander zu verbindenden gefühlen gependelt, zwischen hass und mitleid, das eher eine art identifizierung mit dem täter darstellte, denke ich. das ist nicht das mitleid, was du vermutlich ansprichst. erst später gelang es mir echtes mitgefühl zu empfinden, weil mir bewusst wurde, wie gefangen er selbst war, wie wenig lebenswert sein leben war und letztlich, was er sich selbst - aber auch anderen - mir - angetan hat. er hätte anders handeln können und doch konnte er nicht. ein gefangener.
waldschratin hat geschrieben:Das Mitgefühl/Mitleid ist aber unabhängig von ner Vergebung bzw. "ersetzt" das Vergeben nicht.
Ich kann mit nem Täter Mitleid haben,weil ich verstehe,warum es dazu kam,daß er zum Täter wurde,aber deshalb vergeb ich ihm sein Tun noch lange nicht.

ja, das ist glaube ich auch das, was ich auch empfinde.
seelenspiegel hat geschrieben: Diese Vergebung galt sowohl Anderen, die sich für meine Lage mitverantwortlich gemacht hatten ... aber ganz wichtig, für MICH SELBST. Ich habe in diesem Moment gespürt, daß das eine ohne das andere nicht funktioniert. Ich kann nur anderen vergeben, wenn ich mir selbst vergebe ... und umgekehrt.
das sehe ich auch so, auch wenn ich vermutlich nicht so sehr an den begriff der vergebung gedacht habe. ich glaube, ich empfinde es eher als mitgefühl und verstehen, nicht mehr hassen und nicht verurteilen müssen... eher in richtung loslassen.
waldschratin hat geschrieben:Vergeben,das ist für mich ein ganz "egoistischer" Prozess in dem es mir darum geht,die Tat und ihre Folgen für mich "loslassen" zu können. Das heißt nicht nur "nicht mehr hassen" oder so. Sondern mehr sowas Richtung "dem Täter seine Schuld nicht mehr hinterhertragen".
ja.. genau. wie gesagt, ich hatte das für mich bisher nicht mit dieser begrifflichkeit in verbindung gebracht und kann es eigentlich immer noch nicht. vielleicht, weil ich vergebung zu stark mit religiösem assoziiere. habe aber gemerkt, dass genau das passiert ist bei mir.. bei meinem vater auf jeden fall. und das entspricht auch den nachfolgenden zitaten. kann mich da auch mitsuko anschliessen.
mitsuko hat geschrieben:
Waldschratin hat geschrieben:Wenn ich einem meiner Täter vergeben habe,dann gings mir nur da drum,innerlich meine Wut,meine Verletztheit,meine "Forderungen" nach Unversehrtheit etc. loslassen zu können.Und damit das,was geschehen war,verarbeitet zu bekommen,im Sinne das Geschehene als "geschehen" integriert zu bekommen,so daß ich nen anderen Umgang mit den Folgen der Tat anfangen konnte.
Das klingt sehr gut, finde ich. Hätte ich für mich eher als Loslassen bezeichnet, denn als Vergebung, weil ich bei dem Wort irgendwie schon eine Interaktion im Sinne habe, in dem einer dem anderen was gibt, und zwar das Opfer dem Täter. Ich denke auch, dass das was du beschreibst elementar ist für die eigene Entwicklung. Das hat auch was davon, dem Täter und der Tat an Gewicht/ Wichtigkeit für das Jetzt zu nehmen.
lass ich mal so stehen, das trifft auch meine sicht.
Es ist krass, was man erreichen kann, wenn man sich traut. (Aya Jaff)


Waldschratin
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Beitrag Do., 02.02.2012, 02:32

Ich setzte "vergeben" wirklich gleich mit "loslassen".
Das Wort "Vergebung" ist nur leider heutzutage viel zu sehr negativ besetzt mit all dem christlichen "Schmäh",mit viel zu viel "Muß" dabei und so ner Art "Selbstvergewaltigung".

Ich seh "Vergebung" eher wie das,was ein Gläubiger in nem Insolvenzverfahren tut.Er hat seine Forderungen zurecht,wird aber höchstens nen Bruchteil davon bekommen,wenn überhaupt,egal,wie sehr er einfordern mag oder "in Rechnung" stellt".

Wenn der sich nicht "verabschieden" kann von seinem Geld und sich nicht arrangieren kann mit den Folgen,die das fehlende Geld für ihn hatte und hat,dann macht ihn das auf Dauer "krank".Dann schürt das belastende Gefühle in ihm,mit denen er sich dann rumschlagen darf.Den Schuldner kratzt das wahrscheinlich kein bissl.Der kann so oder so nicht "zahlen".
mitsuko hat geschrieben: Ich denke auch, dass das was du beschreibst elementar ist für die eigene Entwicklung. Das hat auch was davon, dem Täter und der Tat an Gewicht/ Wichtigkeit für das Jetzt zu nehmen.
Stimmt!Weil man nicht mehr mental/emotional dran gebunden ist.
Mir ist z.B. jetzt nicht mehr wichtig,ob einer dieser Täter bestraft wird oder nicht.Oder ob es ihm mies geht oder gut.Mir ist sogar egal,ob da einer ein "sattes" Leben führt,er meinetwegen im Lotto gewonnen hat oder sonstwie auf der absoluten Sonnenseite des Lebens steht.

Was z.B. meiner Mutter gegenüber ganz und gar (noch) nicht so ist!Da ist es mir ne ganz schöne Genugtuung zu wissen,daß sie vor Alpträumen kaum noch schlafen kann.
Ihr hab ich noch nicht vergeben,da bin ich grad erst am "Abrechnen" und das heißt,ich guck mir an,was sie angerichtet hat in mir.Und das kriegt jetzt erstmal seinen Raum und seine "Würdigung" - und dann schau ich mal,ob und in wie weit ich ihr vergeben kann,will und werde.


Themis
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Beitrag Do., 02.02.2012, 07:30

Ich bin nicht der Meinung, dass Vergebung notwendig ist, ja, es braucht auch kein Ziel oder erstrebenswert sein.

Um mein Leben in die Hand zu nehmen und mich vom Täter abzugrenzen, muss ich ihm weder vergeben noch verzeihen.

"Ich vergebe und verzeihe dir nicht." Punkt.
Ich bin nicht meine Geschichte

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Seelenspiegel
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Beitrag Do., 02.02.2012, 08:51

Themis hat geschrieben:Um mein Leben in die Hand zu nehmen und mich vom Täter abzugrenzen, muss ich ihm weder vergeben noch verzeihen.

"Ich vergebe und verzeihe dir nicht." Punkt.
Ich versuche mir vorzustellen, wie es gelingen kann, nicht zu vergeben und trotzdem ein ausgeglichenes Leben zu führen.

Mir ist das nicht gelungen. Meinen "Tätern" hatte ich damit so viel Macht gegeben, daß sie mein Leben zu einen sehr großen Teil beeinflussen konnten. Jede Erinnerung an dessen "Taten" bereitete Schmerzen. Ständig hatte ich das Gefühl, mich wehren zu müssen, um nicht neuerlich "Schmerzen" erleiden zu müssen.

Mit dem Vergeben konnte ich erstmals meine Wege frei von Gedanken an Situationen mit diesen Menschen gehen. Zum ersten Mal habe ich im Gefühl, meinen Bereich und den des Anderen unterscheiden zu können. Mein Bereich geht nur mich etwas an ... und ich respektiere den Bereich des Anderen.
Das heißt dieses Mal nicht, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Es heißt, reden und zuhören ... und mich für meinen Weg entscheiden.

Sorry, daß ich nur mit meiner eigenen Erfahrung hier aufwarten kann. Wie dies ganz allgemein gesehen werden könnte, kann ich zur Zeit (noch) nicht sehen.

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shouqici
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Beitrag Do., 02.02.2012, 09:57

Themis hat geschrieben:Ich bin nicht der Meinung, dass Vergebung notwendig ist, ja, es braucht auch kein Ziel oder erstrebenswert sein.
Darum ging's ja eigentlich auch gar nicht - sondern um die Frage, ob man eine solche Haltung
grundsätzlich als 'gut für die Täter und schlecht für die Betroffenen' ansehen sollte...
Um sanft, tolerant, weise und vernünftig zu sein,
bedarf es einer nicht geringen Portion von Härte.


[Peter Ustinov]

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hawi
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Beitrag Do., 02.02.2012, 10:01

Zu dem Positionspapier:
Dort wird zum einen etwas angegriffen. Wenn das wenigstens zum Teil den Realitäten entspricht, dann kritisiert das Papier aus meiner Sicht durchaus richtig.

ABER

Für mich ist das Papier als Ganzes dennoch falsch, verkehrt.

Es hält eine Fixierung aufrecht. Egal ob ein Opfer nun zur Vergebung quasi verpflichtet ist oder ob es umgekehrt dem Täter bloß nicht vergeben soll, beide Versionen führen für mich dazu, dass ein Opfer gefälligst ein gewisses Verhalten an den Tag legen muss.
Weil es nun mal Opfer (geworden) ist.

Ich selbst weiß schon nicht, wie der Begriff aus Therapeutensicht definiert ist.

Um eins sollte es aber wohl immer gehen:
Aussteigen aus der Opferrolle? Kann ich mir oft nur schwer vorstellen, denn zumindest als historische Rolle bleibt jedes Opfer ja Opfer, da ändert für mich auch „vergeben“ nichts dran.

Also heißt es doch, wie ich finde, dass ein Opfer nach und nach eine Stellung, Position, einen Umgang mit dieser „alten Rolle“ findet, die ihn so wenig wie möglich belastet, die auch immer mehr zu einer „Lebenserfahrung“ aber so wenig wie möglich einem eigenen maßgeblichen „Lebensproblem“ wird.

Wie da wer was für sich verarbeitet? Der Begriff „Vergebung“ kann dabei sicherlich helfen, aber müssen sollte grad ein Opfer erst mal nichts.
Erinnerung bleibt auf jeden Fall. Wie dann erinnert wird?
Ich würd das am liebsten jedem selbst überlassen, nur versuchen wollen, dass diese eine Erinnerung nicht so lebensdominant ist, dass alle anderen Erinnerungen nicht zählen, das sonst nichts lebenswichtig war, ist, wird. Also möglichst geringe Fixierung, eine Gewichtsverringerung.

Das geht aber - wie ich finde - mit und ohne Vergebung, geht m.E. auch eher, wenn so was eben nicht zur (unfreiwilligen) Opferpflicht erhoben wird.

LG hawi
„Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, daß die Dummen todsicher
und die Intelligenten voller Zweifel sind.“
Bertrand Russell

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Seelenspiegel
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Beitrag Do., 02.02.2012, 10:21

hawi hat geschrieben:Um eins sollte es aber wohl immer gehen:
Aussteigen aus der Opferrolle? Kann ich mir oft nur schwer vorstellen, denn zumindest als historische Rolle bleibt jedes Opfer ja Opfer, da ändert für mich auch „vergeben“ nichts dran.
Daran sehe ich schon einen Unterschied. Ich bin Opfer, so lange ich mich als Opfer fühle. Steige ich aus dieser Rolle aus, dann war ich Opfer, bin es aber nicht mehr.

Historisch gesehen war ich natürlich Opfer. Aber im "Hier und Jetzt" bin ich keines mehr. Darum finde ich die Sicht, daß zu vergeben für mich schlecht, gewalttätig oder sonstwas Negatives wäre, als nicht richtig.

Für den Täter ... das weiß ich nicht. Es liegt an seinem persönlichen Innenleben, sich selbst zu vergeben und bestenfalls sein Handeln neu zu überdenken ... zu ändern.
Sollte ihm mein Vergeben dabei eine Hilfe sein, kann ich das auch nur als positiv empfinden ... alleine schon gesellschaftlich gesehen.


Themis
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Beitrag Do., 02.02.2012, 11:15

shouqici hat geschrieben:
Themis hat geschrieben:Ich bin nicht der Meinung, dass Vergebung notwendig ist, ja, es braucht auch kein Ziel oder erstrebenswert sein.
Darum ging's ja eigentlich auch gar nicht - sondern um die Frage, ob man eine solche Haltung
grundsätzlich als 'gut für die Täter und schlecht für die Betroffenen' ansehen sollte...
OK, ich werde nicht mehr in Threads posten, die von dir stammen. Du korrigierst mich nun schon zum zweiten Mal und erklärst mir, worum es geht und worum nicht. Du kannst auf meine Post eingehen oder nicht, aber sag mir nicht worum es geht und worum nicht.

Diesmal werde ich auch keinen Extra-Thread eröffnen.
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mitsuko
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Beitrag Fr., 03.02.2012, 23:13

Waldschratin hat geschrieben:Ich setzte "vergeben" wirklich gleich mit "loslassen".
Das Wort "Vergebung" ist nur leider heutzutage viel zu sehr negativ besetzt mit all dem christlichen "Schmäh",mit viel zu viel "Muß" dabei und so ner Art "Selbstvergewaltigung".
Ist halt auch ein wahnsinnig aufgeladener Begriff, mit dementsprechend vielfältigen Bedeutungen.
Waldschratin hat geschrieben:Mir ist z.B. jetzt nicht mehr wichtig,ob einer dieser Täter bestraft wird oder nicht.Oder ob es ihm mies geht oder gut.
Ist bei mir auch so. Auch Rachegelüste sind weg. Dabei gab es da durchaus viel von eine ganz lange Zeit über. Ich glaube, was du von deiner momentanen Wut auf deine Mutter beschreibst, ist aber auch ganz wichtig; dass man halt fühlt wie wütend man ist und dass man dazu auch einen Grund und ein Recht hat. Ich glaube, vielen macht diese enorme Wut und der innere Schrei nach Vergeltung sehr viel Angst. Da kommt man leicht drauf schnell wieder zurückschrecken - was ich so böse und zerstörerisch? das darf ich doch nicht - und verzeihen dann eher ganz schnell.
Waldschratin hat geschrieben:Und das kriegt jetzt erstmal seinen Raum und seine "Würdigung"


Ja danke. Das Wort Würdigung passt dafür sehr gut!

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shouqici
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Beitrag Sa., 04.02.2012, 05:41

mitsuko hat geschrieben:ist aber auch ganz wichtig; dass man halt fühlt wie wütend man ist und dass man dazu auch einen Grund und ein Recht hat. Ich glaube, vielen macht diese enorme Wut und der innere Schrei nach Vergeltung sehr viel Angst. Da kommt man leicht drauf schnell wieder zurückschrecken - was ich so böse und zerstörerisch?
Ja, das kenne ich auch - vor einem anderen Hintergrund allerdings. Damals kam mir öfters mal der Gedanke "Woher um himmelswillen habe ich bloß solche Phantasien?" Es folgte auch keine spezielle 'Vergebung' von mir; die Verletzungen 'vergingen' einfach mit der Zeit - dazu hat wohl auch meine 'Gefühlsblindheit' beigetragen. Heute weiß ich zwar 'dieses oder jenes ist geschehen', aber es ist so weit entfernt, dass es mich nicht mehr wirklich berührt...
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Waldschratin
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Beitrag Sa., 04.02.2012, 06:14

mitsuko hat geschrieben:Ich glaube, vielen macht diese enorme Wut und der innere Schrei nach Vergeltung sehr viel Angst. Da kommt man leicht drauf schnell wieder zurückschrecken - was ich so böse und zerstörerisch? das darf ich doch nicht - und verzeihen dann eher ganz schnell.
Ja,das stimmt wohl.Ich kann das auch durchaus nachvollziehen,daß man das so macht.Gehörte für mich auch dazu,daß ich schon merkte,ich bin auch fähig,nen anderen Menschen umzubringen - nicht nur meine Täter.Und dann brauchts ne Auseinandersetzung damit,daß man sich in den zugrundeliegenden "Trieben" gar nicht so sehr von den Tätern unterscheiden muß,wie man sich das wünscht.
War für mich auch ne harte Nuß...

Wo ich allerdings deutlich den Unterschied gemerkt hab : Ich entscheide mich jedesmal wieder recht leicht,dergleichen wie sie nicht zu tun.Schon allein,weil ich mich nicht mit ihnen auf ein und derselben Stufe wiederfinden möchte.Wenn ich mich jetzt mal auf den emotionalen Mißbrauch beziehe.Bei den Straftaten und anderweitigen sadistischen Quälereien eh.

Was mich allerdinsg nicht davon abgehalten hat,mir beim Abrechnen mit diesen Erlebnissen ne imaginäre "Folterkammer" in meiner Phantasie einzurichten,wo ich mir die entsprechenden Gefühle und meinen Wunsch nach Rache recht "frei" erlaubt hab nachzukommen.
Aber selbst das anfangs unter "Anleitung" und Begleitung meines Thera,damit es mich da nicht "reinzieht" und ich unversehens doch mal in natura auf einen losgegangen wär.

Aber es war auch ne Form von Raum und Würdigung.Und damit heilsam für mich.

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Happines
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Beitrag Sa., 15.12.2012, 10:57

Ich möchte zu diesem Thema gern meinen Senf dazu geben.

Wenn man sich mit diesem Thema auseinandersetzt, bekommt man ganz schnell das Gefühl dass es entweder eine innere Einstellung oder ein Muss ist.
Für viele ist es eine innere Einstellung die erreicht werden MUSS.

Wenn man Texte in Büchern, Internet liest, oder sich mit Leuten unterhält, dann scheint es ja nur etwas zu gewinnen zu geben:
- Gesundheit, Frieden, innerer Ausgleich- sprich keine Probleme mehr. Wer will das nicht?

Nur wenn man solche Dinge liest wie:
Opfer ,(ja ich weiß, mögen viele hier nicht),
-werden krank, wenn sie es nicht machen
-halten an Kränkungen fest, weil hausgemachtes Leid
-Nicht Vergeben wird als Waffe genutzt um Macht auf den Täter auszuüben,
-werden selbst zu Tätern, und erkennen nicht dass das eigene Fehlverhalten ( nicht vergeben wohlgemerkt!!!!), größer ist als der "Fehler" des anderen, dann wird mir ehrlich gesagt schlecht.

Beim Opfer sollte sich ein Mindestmaß an Demut, Selbsterkenntnis und Nächstenliebe einstellen, sehr wichtig für Vergebung. (Aber nicht beim Täter, der muss ja noch nicht mal bereuen oder ein Schuldeingeständnis von sich geben!!!)

Man liest und hört auch Dinge wie eigene Schuldeinsicht und die moralische Verpflichtung zur Vergebung.

Ich bin der absoluten Überzeugung, dass Vergebung nicht notwendig ist, kein Weg ist, um heil zu werden.

Notwendig ist es, dem Körper endlich das zu geben, wonach er schon das ganze Leben schreit: Grenzen setzen!
Ein Schritt in diese Richtung und es ist möglich endlich wieder zu leben. Nur viele Leute glauben, dass es super wichtig sei, vergeben zu müssen.
Es geht auch ohne. Dieses ganze religiöse und spirituelle vernebeln hilft nur einem: dem armen Täter.

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peppermint patty
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Beitrag Sa., 15.12.2012, 12:55

Happines hat geschrieben: Ich bin der absoluten Überzeugung, dass Vergebung nicht notwendig ist, kein Weg ist, um heil zu werden.
Es scheint nicht DEIN Weg zu sein, aber sprich doch anderen nicht ihren Weg ab.
Happines hat geschrieben:Notwendig ist es, dem Körper endlich das zu geben, wonach er schon das ganze Leben schreit: Grenzen setzen!
Ja Grenzen setzen zu lernen ist unbedingt notwendig, wurden diese doch verletzt.
Happines hat geschrieben:Ein Schritt in diese Richtung und es ist möglich endlich wieder zu leben. Nur viele Leute glauben, dass es super wichtig sei, vergeben zu müssen.
Ja, und diese Leute dürfen das glauben und Du darfst es NICHT glauben.

Was ich wichtig finde ist, dass jedes "Opfer" lernt mit seinen Verletzungen, Gefühlen umzugehen (egal ob durch vergeben oder anders), damit es ihm selbst besser geht . Aber auch um diese Gefühle nicht an anderen, möglicherweise den Nahestehendsten, zu externalisieren.

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Happines
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Beitrag Sa., 15.12.2012, 13:41

"Es scheint nicht DEIN Weg zu sein, aber sprich doch anderen nicht ihren Weg ab."

Ich spreche anderen nicht den Weg ab, ich möchte darauf aufmerksam machen, dass man in diese Vergebungsthematik hineingedrängt wird. Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass dies der einzig richtig Weg sei, um heil zu werden und nichts anderes helfen würde! Oftmals wird es auch direkt angesprochen, dass es die Pflicht ist, genau das zu tun!

"Ja Grenzen setzen zu lernen ist unbedingt notwendig, wurden diese doch verletzt."

Richtig sehe ich genauso! Nur wird bei dem Thema darauf abgezielt, die Wut die man empfindet nicht vernünftig ausdrücken zu dürfen. Denn Vergebung bedeutet Schulderlass. Es darf nichts mehr getan werden bzw. gesagt werden, auch wenn z.B. Eltern noch immer verbale Äusserungen losschießen, die verletzen und neue Wunden entstehen lassen. Denn wenn man sich ja in Vergebung übt, dann besteht ja kein Grund mehr verletzt zu sein, man steigt ja aus der Opferrolle aus.
Man muss ja schließlich verstehen, warum sie "es" getan haben. Wie arm sie doch eigentlich dran sind. Dieser ewige Kreislauf verstehen und vergeben wird aufrechterhalten.
Und gerade die Wut, die aufsteigt ist wichtig um endlich den Mut zu haben Grenzen zu setzen!

Ja, es bleibt auch nichts anderes übrig zu lernen mit den Gefühlen die aus diesen Verletzungen entstanden sind umzugehen. Nur wird die Ursache für die Probleme wie Depression, Essstörungen usw. dahingehend verlagert, dass es daran läge nicht zu vergeben.
Die Ursache für diese Probleme liegt offensichtlich in den Verletzungen. Und deshalb ist es wichtig endlich aufzustehen, sich aufzurichten und lernen für sich einzustehen und Grenzen zu setzen. Und das erfordert Mut.

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