Was ist Selbstbewußtsein?

Nicht jedem fällt es leicht, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, "einfach" mal jemanden kennenzulernen oder sich in Gruppen selbstsicher zu verhalten. Hier können Sie Erfahrungen dazu (sowie auch allgemein zum Thema "Selbstsicherheit") austauschen.
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Lilly111
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Beitrag Mo., 21.02.2011, 21:40

Danke für Deinen ausführlichen Beitrag, ich bin ganz Deiner Meinung.
Ich betrachte das Thema aus der beruflichen Perspektive. Nehmen wir mal an, ich arbeite nachts auf einer Tankstelle ohne Nachtschalter.
Wikinger hat geschrieben:Nicht bewiesen dagegen ist, daß bei Gegenwehr alles nur noch schlimmer wird. Bei polizeilichen Vernehmungen wird deshalb immer nach Gegenwehr gefragt.
Stimmt auch. Fest steht, dass ich mich jederzeit wehren würde, schon ganz instinktiv, ich kann gar nicht anders. Auch selbst dann noch, wenn es möglicherweise doch klüger ist auf Opfer umzuschalten. Das ist es bei einer Vergewaltigung wahrscheinlich nie, aber bei oben angenommenen Job vielleicht schon. Wegen 3,50 € das Messer im Bauch zu riskieren, ist schlicht Dummheit. Ich habe immer ein bisschen Sorge, dass ich mich im Ernstfall zu lange wehren würde, statt das brave Lamm zu spielen. Schwierige Frage für mich.

Du beschreibst weiter oben typische Opfersignale wie demütiges Verhalten, leise sprechen, adäquate Körpersprache usw., aber was sind typische Gefahrensignale? Die könnte ich jetzt nicht auf Anhieb benennen, auch wenn ich in real instinktiv richtig reagiere. Ich spüre manchmal die Gefahr, kann aber nicht erklären warum, also was genau an einer Situation so gefährlich war. 'Der hat so komisch geguckt' ist ja keine wirklich gute Erklärung. (Wenn man in den Lauf einer Pistole guckt, ist klar woher die Gefahr kommt, aber so eindeutig ist es nicht immer.)

Das mit den vier Farben ist mir nicht geläufig. Könntest Du das bitte näher erklären? Schon mal Dankeschön.
Einige wenige Techniken, die ich in diesen Hochstress-Situationen abrufen kann und die ich beherrsche, können mir das Leben retten.
Ja. Ich denke, man muss (auch) die Stresssituation gedanklich wieder und wieder durchspielen. Ist man dann real in einer solchen Situation, kann man es äusserlich gelassen abrufen.

PS: Ich habe das 'Sie' nicht überlesen, aber 'Du' ist hier im Forum so üblich.

Lilly
... as stubborn as a mule.

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Wikinger
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Beitrag Di., 22.02.2011, 10:09

Hallo Lilly, ich habe mich anfangs öfter an Diskussionen in Foren beteiligt, in denen Frauen den Löwenanteil ausmachen. Ich bin nicht unhöflich und will sicher niemanden verletzen. Aber, ich bin da oft mit meiner Meinung ziemlich arg angeeckt, auf gut deutsch, man hat mich in der Luft zerfetztund oft auch böse beleidigt. Ich hatte auch hier damit gerechnet, wollte eigentlich auch gar nicht schreiben und könnte heute auch nicht erklären, weshalb ich es trotzdem tat. Mir gefällt diese sachliche Diskussion. Ok, das mit dem DU habe ich verstanden.
Gerne erkläre ich dir die Farben, vielleicht mit Beispielen.
Weiß: ich bin zu Hause, fühle mich sicher, die Tür ist abgeschlossen, mit den Nachbarn gibts es keine Probleme
Gelb: ich gehe aus dem Haus, die Aufmerksamkeit ist etwas erhöht, ich muß auf den Verkehr achten, darauf, die Nachbarn zu grüßen, mich immer mal umsehen, einfach meine Umwelt wahrnehmen
Orange: ich fahre nachts mit der Straßenbahn und ein paar Jugendliche steigen ein, die schon betrunken sind. Hier muß ich hellwach sein, auf Pöbeleien oder Angriffe gefasst sein, bereit sofort zu reagieren.
Auf ROT muß ich umschalten, wenn sich einer zu mir setzt und mich fragt, ob ich mal wieder paar auf die Fresse brauche.
Bei Orange fängt der Stress schon an, bei rot ist es Hochstress.
In solchen Hochstress-Situationen passiert es oft, daß man in eine Erstarrung fällt, unfähig zu reden, sich zu bewegen, zu reagieren. (Schlange-Kaninchen). Deshalb muß das immer wieder trainiert werden. Im Kapap (Krav Panim el Panim) wird dies immer wieder in verschiedenen Varianten trainiert. Das ist wichtiger als Techniken, die ich nicht gut beherrsche und die ich in einer solchen Situation gar nicht abrufen kann.Es reicht nicht, das gedanklich durchzuspielen, man muß das real trainieren. Es gibt das sog. Shock-Knife, ein Elektromesser, das nicht schneiden kann, durch Elektizität aber Schmerz erzeugt, der einem realen Schnitt gleich ist. Oder ein Schüler wird von einem anderen angegriffen, die anderen stehen um ihn herum und brüllen auf ihn ein. Solche Rollenspiele kommen echten Situationen sehr nahe und helfen, entsprechend zu reagieren. Klingt brutal, aber es hilft. Du wirst dir denken können, was da am Anfang herauskommt, erst mit der Zeit lernt man, mit Stress umzugehen. Das hilft aber auch im "richtigen Leben". Wenn mein Chef mich wieder mal zur Sau macht, wenn mich im Supermarkt einer anpöbelt usw. Selbst da kann ich entsprechend gelassen reagieren. Auch das gehört zum Selbstbewußtsein. Es baut eine gewisse, innere Stärke auf.
Nein, für 3,50€ soll niemand sein Leben aufs Spiel setzten. Selbst erfahrene Kampfsportler fürchten sich vor einem Messerkampf, den kaum einer jemals gewinnen würde, mit viel Glück allenfalls überleben könnte. Für materielle Werte niemals.
Aber, es gibt Situationen im Leben, da bleibt mir nichts anderes übrig. Denken wir mal an Vergewaltigungen, die mit oder ohne Gegenwehr, so oder so erfolgen würde. Oder denken wir mal an den Malergesellen in Berlin. U-Bahnhof. Hier hilft es nicht, das "Opferlamm" zu spielen, wie du so schön sagtest. Hier werde ich vergewaltigt oder zusammengetreten, bis ich ein Pflegefall bin.
Wenn ich aufmerksam durch die Welt gehe, Gefahren zu vermeiden suche, potentielle Gefahren frühzeitig zu erkennen vermag(orange) kann ich die Rotphase meistens vermeiden.

Freue mich auf weitere Fragen und Beiträge
Liebe Grüße
Henrik

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Lilly111
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Beiträge: 938

Beitrag Di., 22.02.2011, 22:34

Hallo Wikinger,

ich bin Dir dankbar, dass Du hier so ausführlich schreibst, gerade auch weil Du reichhaltige Erfahrungen und die eher seltene Sichtweise der Problematik mitbringst. Mir fehlt der Austausch darüber in meinem Umfeld leider völlig, da entweder mit Desinteresse oder Unverständnis auf dieses Thema reagiert wird.

Und manchmal sogar mit harten verbalen Angriffen, wenn ich bspw. sage, dass ein Opfer teils auch mit-schuldig ist. Schuld im eigentlichen Sinne kann immer nur der Täter sein. Aber das Opfer trägt (oft) eine Mitverantwortung. Das wird gern übersehen vor lauter Mitleid. Was ich aber für fatal halte. Heißt nämlich, dass man mit dieser Einstellung generell jedes Opfer von der Eigenverantwortung frei spricht. Mit welcher Berechtigung? Ich kann in meinem Job in kritischen Situationen auch nicht nach Mann oder Papa Staat rufen, sondern muss zuerst allein zusehen, wie ich mir helfen, oder besser noch: kritische Situationen vermeiden kann.

Die Einstellung, dass man jeder Form von Gewalt schutz- und hilflos ausgeliefert ist (es also Schicksal ist Opfer eines Angriffs zu werden), ist eigentlich auch schon ein-sich-zum-Opfer-machen. 'Ich bin klein und schwach und kann ja doch nichts tun gegen diese allgegenwärtige böse Welt.' Andere falsche Denkweisen kommen hinzu, die Ausstrahlung / Körpersprache ist entsprechend und schon geht man als wandelndes Opfer durch die Straßen, ohne sich dessen bewußt zu sein.

Der Link erklärt die Viktimisierung gut:

http://www.krimlex.de/artikel.php?BUCHSTABE=V&KL_ID=202

Danke für die "Farblehre".
In solchen Hochstress-Situationen passiert es oft, daß man in eine Erstarrung fällt, unfähig zu reden, sich zu bewegen, zu reagieren. (Schlange-Kaninchen). .... Es reicht nicht, das gedanklich durchzuspielen, man muß das real trainieren.
Ja, sollte man. Bisher habe ich darauf verzichtet, weil ich - zum Glück - nicht in diese Schockstarre verfalle, aber Sinn macht das auf jeden Fall. Allerdings können die Stress-Situationen ja auch sehr verschieden sein.
Es baut eine gewisse, innere Stärke auf.
Genau darum geht es. Und diese Stärke spürt der potentielle Täter. Und sucht sich ein anderes, leichteres Opfer oder gibt sein Vorhaben gänzlich auf.
Genau darauf hoffe ich immer, dass ich ausreichend "angsteinflößend" bin. 'Mit der ist nicht gut Kirschen essen, such' lieber das Weite.'

Darf ich Dir mal eine PN schicken? Ich hätte eine nichtöffentliche Frage.

Lilly
... as stubborn as a mule.

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Wikinger
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Beitrag Mi., 23.02.2011, 17:08

Hallo Lilly, du hast sicher recht,daß Opfer auch Schuldige sind. Doch das darf man nicht so laut sagen, es stößt immer wieder auf starken Widerspruch. Auf den ersten Blick klingt das auch abstrus, vielleicht ist es das auch. Aber das muß man in jedem Fall einzeln evaluieren und gaaaaanz vorsichtig einordnen. Beim "weißen Ring" sind wir angehalten, den Opfern erst einmal zu glauben und das tun wir auch. Wir behandeln sie als Opfer. Aber eine Frau, die von ihrem Mann jahrelang geschlagen wird, ins Frauenhaus geht, Anzeige erstattet und die nach 14 Tagen zurückzieht hat sicher auch einen Schuldanteil an weiteren Mißhandlungen. Aber da spielen auch wieder viele Faktoren eine Rolle: finanzielle Abhängigkeit, Kinder, psychische Abhängigkeit, kein Selbstwertgefühl (ich bin ohne Ihn nicht überlebensfähig) Angst, Isolation, Einsamkeit und, und, und. Deshalb ist auch hier Vorsicht geboten beim zuweisen von Schuldanteilen.
Natürlich kannst du mir eine PN schicken.
Das Thema ist so komplex und umfangreich, daß wir uns sicher noch eine Weile darüber unterhalten können. Freue mich darauf
Liebe Grüße
Henrik

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