Demut und Verrat - Begriffserklärung

Hier können Sie Fragen zu Begriffen, Diagnosen und sonstigen Fachworten stellen, die einem gelegentlich im Zusammenhang mit Psychologie und Psychotherapie begegnen oder die Bedeutung von Begriffen diskutieren.

mio
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Beitrag Fr., 11.12.2015, 01:07

Hallo Solage,
Solage hat geschrieben:Wer sich demütig gibt, muss deswegen nicht demütig sein.
das sehe ich auch so, aber wenn Du das in Bezug zu dem Beispiel setzt, was wäre dann besser gewesen?

Es ist immer leicht, was von anderen zu verlangen. Und es ist immer schwer, selbst was zu bewirken.

Ich bin wie gesagt absolut keine Freundin von solchen "Institutionen", eher eine Kritikerin. Aber ich bin auch der Meinung, dass sich bestimmte Dinge nur "von innen heraus" verändern lassen. Weshalb ich es falsch finde jede "Kompromissbereitschaft" gleich mit "Kriechertum" gleichzusetzen.

Manchmal geht es halt nur in "kleinen Schritten".

Lieben Gruss,

mio

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redred
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Beitrag Fr., 11.12.2015, 22:16

landkaertchen hat geschrieben:Stunde mit verschiedenen öffentlichen Verkehrsmitteln und heftigen Wehen zweimal zum Geburtsort. Wenn mir eine gute Freundin ihre Geburt so schildern würde, dann würde ich auch von Verrat sprechen. Denn es wurde eine Begleitung zugesagt die es nicht gab.
Ist es denn nicht egal, ob man es nun Verrat oder Im Stich gelassen oder Nicht für einen da gewesen nennt.?
Warum ist das Wort so von Bedeutung für Dich? Das Wort ist sowieso nie die Sache selbst. Da Worte immer Abstraktionen sind und die Sache selbst ist dagegen die konkrete Realität. Tatsächlich können Wort sogar sehr in die Irre führen, von der Sache weg. So sprechen viele zum Beispiel von Liebe, auch wenn es sich in Wirklichkeit eher um Abhängigkeit handelt. Das irreführende Wort Liebe, lässt sie hier noch mehr daran festhalten und leiden, und macht es praktisch unmöglich, die wirkliche Realität der Beziehung zu sehen. Also Worte können sehr irreleitend sein, deswegen sind Worte nicht so wichtig. Was ist die Realität des Vorfalls für dich? Ganz ohne Worte.

Ohne Worte eine Sache zu betrachten, dass ist übrigens auch Meditation.
Ob Dir eine Katze, die Dir über den Weg läuft, Unglück bringt oder nicht, hängt davon ab, ob du ein Mensch bist oder eine Maus!

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ENA
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Beitrag Fr., 11.12.2015, 22:19

Sehe ich nicht so, denn man kann Worte ja auch im Kopf haben. Meditation ist für mich eher der Versuch, da Ruhe rein zu bekommen, ins Hier und Jetzt zu kommen, die Ruhe zu spüren.

Ansonsten stimme ich dem Geschrieben zu.


redred
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Beitrag Sa., 12.12.2015, 03:25

Im Buddhismus gibt es einen schönen Ausspruch, der lautet: Der Finger der zum Mond zeigt, ist nicht der Mond
Der Finger verweist nur auf den Mond. Das Wort Mond (das ja auch nur auf den Mond verweist) ist auch nicht der wirkliche Mond. Das ist zwar, was Mond und Finger betrifft, sehr einfach einzusehen. Aber tatsächlich glauben die Menschen, im alltäglichen Leben, dann oft an das Wort statt an die Sache selbst. Sie bleiben quasi am "Finger "hängen, und erkennen so nie den "Mond", die eigentliche Sache, um die es geht.
Wenn man zum Beispiel etwas mit dem Wort Verrat belegt, und dann an dieses Wort glaubt - das Wort Verrat hat seine ganz eigene Realität - dann diktiert das Wort die Realität und nicht Tatsachen selber.
Wenn man die Sache betrachtet, ohne ein Wort: z.B ich lag in den Wehen und mein Freund war nicht da.
Dann sieht man schon, dass allein dieser einfache Sachverhalt vielfältige Möglichkeiten birgt diese Realität zu sehen und zu erkennen, die können von Verrat bis Nachlässigkeit bis Unfähigkeit seine Bedürfnisse mitzuteilen gehen.
Aber das Wort Verrat z.B zwängt es in ein enges Gedankenkorsett, aus dem es dann nicht mehr so leicht rauskommt.

Der Buddhismus hat sehr gute Methoden, auch für therapeutische Zwecke, ich hoffe dass die hiesige Psychotherapie doch mehr die Buddhistische Lehren in ihr Behandlungskonzept aufnimmt. Da liegt nämlich ein ziemlich wertvoller therapeutischer Schatz verborgen, der wohl nur nutzbar gemacht werden müsste.
Ob Dir eine Katze, die Dir über den Weg läuft, Unglück bringt oder nicht, hängt davon ab, ob du ein Mensch bist oder eine Maus!

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leberblümchen
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Beitrag Sa., 12.12.2015, 08:59

Landkärtchen, ich denke, dass Psychoanalytiker bestimmte Worte vielleicht anders verwenden, als "normale" Menschen oder z.B. Juristen das tun würden, wenn sie einen Sachverhalt erfassen und beurteilen wollen.

Analytiker gehen dabei vom Erleben des Patienten aus, nicht so sehr von objektiven Tatbeständen. Es geht also mehr darum, wie du dich gefühlt hast und nicht darum, ob die Argumenation xy habe dich "verraten", hieb- und stichfest ist. Das ist ein Unterschied, aber in diesem Fall, in der Therapie, geht es nur um dein Erleben und nicht darum, ob xy den Titel "Verräter" zu Recht trägt oder nicht. Wenn es sich für dich nicht so anfühlt wie ein Verrat und wenn du darüber nachdenkst und immer noch meinst, es sei kein Verrat, dann passte diese Deutung wohl nicht. Wenn du hier danach fragst (ohne genau zu beschreiben, was vorgefallen ist bzw. wie die Vorgeschichte war (womöglich war xy krank oder seinerseits überfordert (Männer regredieren oft in die Müdigkeit oder Krankheit, wenn Frauen sie mal WIRKLICH brauchen...)), ob es ein Verrat war, dann erinnert mich das an die Fragen: "Ist es ein Trauma? Ist es Missbrauch?" usw: Es ist letztlich egal, wie andere, unbeteiligte Menschen über einen Sachverhalt denken. Es ist immer nur ein Versuch, den Anderen zu verstehen Manchmal gelingt es besser und manchmal weniger gut.

Also, die "richtige" Frage wäre meiner Meinung nach nicht: "Ist es ein Verrat?", sondern eher: "Fühl(t)e ich mich verraten?" Dabei, so denke ich, wollte dir die Analytikerin helfen.

Ein Verrat - ohne das irgendwo nachgeschlagen zu haben - beinhaltet für mich immer auch eine emotionale Komponente bei dem, der verrät. Während ein Verlassen nichts aussagt über die Motivation des Verlassenden. Also, wenn du Schmerzen hast und xy dich verlässt, dann weiß man nicht, ob du ihm egal warst oder ob er schlicht dachte, etwas Anderes sei gerade wichtiger. Er hat dich einfach verlassen und ist weggegangen. Die Auswirkung für dich ist deshalb nicht weniger schlimm, natürlich. Ein Verraten würde m.E. beinhalten, dass der Andere damit einen eigenen Nachteil abwehren will oder einen eigenen Vorteil bekommen will. Es wird dabei also deutlich, dass ihm bewusst war, dass er dich verlassen würde mit seiner Tat - und er tat es trotzdem. Beim Verlassen ist nicht klar, ob ihm die Dramatik bewusst war.

OB das bei dir so war, weiß ich nicht. Kann dir aber sagen, dass Geburten für viele Frauen wirklich höchst dramatische Wendepunkte im Leben sind, die auch am "Partner" nicht spurlos vorbeigehen (wenn auch vielleicht aus anderen Gründen). Wenn also der "Partner" die Frau während der Geburt verlässt, ist das aus ihrer Sicht schlimm; aus seiner Sicht mag es wieder andere Gründe geben. Wichtig ist hier also nicht so sehr die Frage: "Was genau ist in beiden vorgegangen und wer hatte Recht?", sondern nur: "Wie hast du dich dmait gefühlt und was sagt das über die Beziehung zu xy aus?"

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Möbius
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Beitrag Sa., 12.12.2015, 10:42

Ich bin zwar katholisch erzogen worden - aber die Observanz in unserer Familie war nicht sehr streng, lies in meinen Gymnasialjahren schnell nach, und mit 16 bin ich aus der Kirche ausgetreten. 10 Jahre später jedoch habe ich mich der Katholischen Kirche wieder anzunähern begonnen, auf eine ganz anderen, nämlich der intellektuellen Ebene. Heute noch bin ich von ihr fasziniert. Es ist die älteste, in dieser Form bestehende Institution des Abendlandes - ja der Welt. Und sie ist, obschon knapp 2000 Jahre alt, immer noch enorm lebenskräftig, expandiert nach wie vor. Man sollte sich nicht täuschen lassen davon, daß sie in der "westlichen Welt" teilweise heftig zu kämpfen hat - ihr "gehört" ganz Lateinamerika, expandiert in Afrika und Asien enorm. Wenn eine Organisation derart erfolgreich ist - dann muß da was dran sein, sagt sich der Pragmatiker in mir. Sie hat die Weisheit und Lehren von 2000 Jahren Menschheitsgeschichte in sich aufgenommen, in ihre Organisation integriert, bewahrt sie auf, wendet sie mit enormer Geschicklichkeit an. Gerade unlängst habe ich mal wieder eine verblüffende Entdeckung gemacht: nämlich daß die Herleitung von Autorität in der katholischen Dogmatik derjenigen der klassischen Psychoanalyse fast auf's Haar entspricht. Früher schwärmte ich von einem Altersstudium: Magisterstudium mit Psychologie als Hauptfach, Volkswirtschaftslehre und katholischer Theologie als Nebenfächern. Naja ... wird wohl nix mehr werden, es gibt ja kein Magisterstudium mehr, und auf diesen Schmalspur-Scheiss mit Bologneser Sosse habe ich kein Bock.

Doch zur Demut: das ist eine Tugend, mit der die post-postmoderne Gesellschaft und ihre Denke so ihre Problemchen haben, denn "wir" sind heute alles andere als demütig, sondern im Gegenteil "hoffärtig" bis zum Anschlag. Wir kennen keine Grenzen in unseren Ansprüchen gegen Gott und die Welt, blicken voll durch, sind sogar wieder imperialistisch geworden. Unter der Flagge der Menschenrechte wollen "wir" der ganzen Welt unsere anmaßenden Vorstellungen aufzwingen.
Demut ist auch ein schwieriger Begriff, und wohl eine derjenigen Tugenden, deren Verwirklichung die höchsten Ansprüche an uns selbst stellt - Demut kann nur allzuleicht in Devotion, in Selbstaufgabe entgleisen, abrutschen. Es ist eine verdammt hohe Kunst, die Quadratur des Kreises zwischen Selbstbewußtsein und Demut hinzukriegen - das ist es ja, was ich an dieser Geschichte von Johannes XXIII. so liebe !

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Möbius
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Beitrag Sa., 12.12.2015, 11:59

By the way: mit der Katholischen Kirche scheine ich nach wie vor durch geheimnisvolle Fäden verbunden zu sein - es war eine höchstcharmante "Synchronizität" (iSv C.G. Jung) gewesen, daß das Wiedererleben meines Kindheitstraumas begann, die "Initialerinnerung" mich überfiel just während der kurzen Sedisvakanz nach dem Rücktritt Benedikts XVI. !

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Ephraim
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Beitrag Sa., 12.12.2015, 18:04

Möbius hat geschrieben: hat ein Papst gesetzt, Johannes XXIII, der das II. Vatikanische Konzil einberufen hat. Er hatte davon unabhängig eine Reihe von freundlichen Reformen der Kirche angestoßen, auch in zeremoniellen Dingen. Unter anderem hatte er auch die uralte Sitte des majestätischen Tragesessels abgeschafft, mit dem der Papst bei offiziellen Anlässen durch die vatikanischen Paläste und Kirchen getragen worden war, und ging zu Fuß. Auf einer Pressekonferenz machte man ihm große Komplimente für diese Geste der Demut. Johannes XXIII.: "Was heißt hier Demut ? Ich bin nicht demütig ! Ich bin nur dick und habe Angst, herunterzufallen !"
liest sich nett, aber klingt etwas unglaubwürdig, wenn er sich in dem Sessel vorher darin über den Petersplatz tragen ließ und erst vor der Kirche abstieg

https://de.wikipedia.org/wiki/Zweites_V ... hes_Konzil (bei "Eröffnung und Verlauf")
"Sometimes we battle to protect someone, sometimes we battle to protect someones honor" Ichigo Kurosaki; Ich stelle keine rhetorischen Fragen

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Möbius
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Beitrag Sa., 12.12.2015, 18:42

Ich zitiere auch mal:

"Sympathiepunkte gewinnt er an der Kirchenbasis unter anderem dadurch, dass er im alltäglichen Leben als Papst historische Veränderungen vornimmt. So schafft er den Fußkuss und die bislang vorgeschriebenen drei Verbeugungen bei Privataudienzen ab und erhöht in einer seiner ersten Amtshandlungen die Gehälter der Angestellten.

Als jemand ihn wegen seiner Demut lobt, weil er sich nicht auf dem päpstlichen Tragsessel tragen lassen wollte, sagt er:

"Ich bin gar nicht demütig - ich bin dick und habe Angst herunterzufallen!"

Quelle: http://www.domradio.de/radio/sendungen/ ... olks-papst

(Ich mußte danach googlen ... die Geschichte ist so alt, ich weiß nicht mehr, wo ich sie zuerst gelesen habe.)

Daß bei einem Jahrhundertereignis wie der Eröffnung eines Konzils der allergrößte Pomp veranstaltet wird, ist ja wohl mit anderen Maßstäben zu werten, meine ich.

Von Johannes XXIII stammt auch ein Auspruch, angeblich kurz nach seiner Wahl, den ich mir auch immer wieder als Beispiel vor Augen zu halten versuche:

"Ich bin also jetzt unfehlbar - aber ich gedenke nicht, davon Gebrauch zu machen."

Leider fehlt mir, wie ich schon einräumen mußte, die Demut des unlängst heilig gesprochenen Johannes XXIII - ich ertappe mich immer wieder dabei, von meiner Unfehlbarkeit Gebrauch zu machen. Aber ich will versuchen, mich zu bessern, und gelobe, künftig etwas mehr Fehler zu machen !

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Ephraim
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Beitrag Sa., 12.12.2015, 19:25

Nichts für ungut, ich finds immer noch etwas komisch, aber das Erzbistum Köln wird schon wissen wie´s war.

Originalquelle fänd ich trotzdem besser
Zuletzt geändert von Ephraim am Sa., 12.12.2015, 19:43, insgesamt 1-mal geändert.
"Sometimes we battle to protect someone, sometimes we battle to protect someones honor" Ichigo Kurosaki; Ich stelle keine rhetorischen Fragen

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Möbius
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Beitrag Sa., 12.12.2015, 19:32

Wenn Du die "Originalquelle" (was sich auch immer hinter diesem Ausdruck verbergen mag), besser fändest, hielte Dich nichts davon ab, sie zu suchen ! Ich jedenfalls bin für solcherlei Allotria zu faul.

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Ephraim
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Beitrag Sa., 12.12.2015, 20:19

Möbius hat geschrieben: die "Originalquelle" (was sich auch immer hinter diesem Ausdruck verbergen mag)
eine Aufzeichnung, Abschrift der von dir erwähnten Pressekonferenz
"Sometimes we battle to protect someone, sometimes we battle to protect someones honor" Ichigo Kurosaki; Ich stelle keine rhetorischen Fragen

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Möbius
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Beitrag Sa., 12.12.2015, 20:27

pfffffffft

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Ephraim
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Beitrag Sa., 12.12.2015, 21:04

nicht so wichtig
"Sometimes we battle to protect someone, sometimes we battle to protect someones honor" Ichigo Kurosaki; Ich stelle keine rhetorischen Fragen


Landkärtchen
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Beitrag So., 13.12.2015, 09:09

Zunächst erst einmal euch allen vielen Dank für eure wertvollen Beiträge. Wieder helfen sie mir klarer zu werden und mich ein wenig besser zu verstehen.

Für mich ist das Finden von Worten aus mehreren Gründen sehr wichtig. Weil ich das (familiäre) Verbot über Gefühle zu sprechen damit breche. Weil das was ich an Geschehenem und Gefühlen aussprechen kann an (destruktiver) Kraft verliert. Es fällt mir noch heute sehr schwer Gefühle zu benennen. Welche konkreten Gefühle hatte ich damals als ich in der Badewanne lag und die betreffende Person fünf Meter weiter im Bett lag und schlief? Mir gelingt es Räume zu beschreiben, Uhrzeiten zu benennen, also „Fakten“ anzugeben. Aber Gefühle? Gefühle innerhalb einer Beziehung?
Ich weiß nicht was ich damals fühlte. Ich weiß nur was die Folge war. Eine innere, unwiderrufbare Trennung zu dieser Person.

Beim Lesen eurer Worte ist mir bewusst geworden, dass es nicht ein Wort (wie z.B. Verrat) ist was das ausdrücken könnte was ich in diesem Moment erlebte und fühlte. Oberflächlich betrachtet geschah damals nichts anderes als das was ich kannte. Letztendlich alleine auf mich gestellt zu sein. Keine verlässlichen Menschen an meiner Seite zu haben. Nun könnte ich mir denken, dass deshalb das überwiegende Gefühl Enttäuschung gewesen ist. Doch selbst heute, wenn ich mich an die Szenen erinnere, erinnere ich mich nicht an Gefühle zu diesem Menschen. Ich blendete die Beziehung aus. Ich war viel zu sehr mit mir, meinen erstmalig auftretenden Erinnerungen an die sexuellen Übergriffen in meiner Kindheit, dem drohenden Kontrollverlust während der Wehen, den Umgang mit den Schmerzen … beschäftigt. Und trotz der Abspaltung der Beziehung während des Geburtsverlaufes habe ich sie anscheinend unbewusst doch wahrgenommen und gespeichert. Denn meine anschließende Reaktion führte ja zunächst zur körperlichen und später zur ganzen Trennung. Was ich da unbewusst wahrgenommen habe weiß ich nicht und mir fehlt bis heute ein Zugang dazu. Gesprochen habe ich darüber über 20 Jahre nicht. Weder mit der Person, noch mit der TfP-Therapeutin bei der ich viele Jahre zuvor in Therapie war. Erst jetzt seit ein paar Wochen in der analytischen Therapie.

Kurzer Nachtrag: in der letzten Woche ging ich zu meiner Geburtshebamme. Sie hat sich selbständig gemacht und hat eine eigene Praxis. Sie erzählte mir, dass es bei Frauen, die sexuelle Übergriffe in der Kindheit erlebten, oft zu schwierigen und retraumatisierenden Geburten kommt. Aus diesem Grund haben sich in Berlin mehrere Hebammen zusammen geschlossen, die speziell solche Frauen in der gesamten Schwangerschaft betreuen. Mir kamen in diesem Moment die Tränen. Wie sehr hätte ich mich über solch eine Begleitung gefreut, aber ich bin auch sehr froh darüber gewesen, dass es jetzt für andere Frauen ein solches Angebot gibt.

LG-Landkärtchen
Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren?

Vincent van Gogh

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