Ossi-Wessi-Debatte noch aktuell?

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MrN
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Beitrag Fr., 26.03.2010, 18:14

ENA hat geschrieben:... habe allerdings kein Vergleichsvideo gefunden, wo beide Sängerinnen das selbe Stück singen.
Da, bitte schön:
"Bataillon d'Amour"


P.S. Habe bei der Suche nach einem Vergleich noch eine klanglich bessere Version von "Schlohweißer Tag" gefunden und in meinem Beitrag ersetzt.

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Beitrag Fr., 26.03.2010, 19:14

Anastasius hat geschrieben: Finde den Vorgang als . . . na ja. Gerade weil (!) mir die Verfassung lieb und teuer ist!!!
Achso, ich glaubte, Du lehntest das GG weitgehend ab. Ja, die von Dir aufgezeigten Probleme sehe auch ich.
ENA hat geschrieben: Ja, cool ! Also wenn ich mal nach Leipzig komme und ich noch im Forum bin, dann melde ich mich bei Dir und der anderen Person und dann machen wir eine gemeinsame Stadtrundfahrt, ja? Gibt es denn was, was typisch ist in/für Leipzig? (Mir fällt grad nur "Leipziger Allerlei" ein,...aber ich denke, da gibt es bestimmt noch mehr !!!).
Buch- und Pelzstadt ist Leipzig kaum noch, auch die Messe hat an Bedeutung verloren. Dafür wurde am Sonntag das neue Bachmuseum vom Bundespräsidenten eingeweiht. Das monumentale Völkerschlachtdenkmal wird zum hundertjährigen Bestehen 2013 herausgeputzt, Gewandhausorchester und Thomanerchor sind weltbekannt. Die kompakte City ist immer besuchenswert, das neue Bildermuseum umstritten, das Reichsgericht als Hülle des Bundesverwaltungsgerichts ist jetzt wieder ein Augenschmaus, Auerbachs Keller, in dem eine Faustszene spielt und, und und...
ENA hat geschrieben:Das heißt, der Staat musste einem kündigen?...Hatte denn zwangläufig jeder einen Arbeitsplatz (nur dann mitunter mit fehlendem Material?)
Der Staat in Gestalt des "ve" Betriebs mußte sogar woanders Entlassene zwangsweise einstellen und resozialisieren. Es gab das verfassungsrechtlich verbriefte Recht auf Arbeit (natürlich nicht auf einen bestimmten Arbeitsplatz). Die Pflicht zur Arbeit war auch in der Verfassung statuiert. "Asoziales Verhalten" war im Strafgesetzbuch strafbewährt. Damit konnte man z. B. Ausreisewillige drangsalieren, die partout für diesen Staat nichts mehr tun wollten.
ENA hat geschrieben:
Sir hat geschrieben:Dann gab es viel Frust während der Arbeit, weil Material fehlte etc. Die Arbeitsmoral litt darunter stark.
Oh, das kenne ich auch hier...aber gut, vielleicht war das in der DDR auch einfach viel grundlegender, häufiger,...alltäglicher?
Genauso war es.
ENA hat geschrieben:
Sir hat geschrieben:Beruflicher Ehrgeiz war unattraktiv, habe ich oben schon begründet.
Wo denn? ...
Ist zu finden, Stichworte: meist SED-Mitgliedschaft Karrierevoraussetzung, wenig Einkommensdifferenz zu den unteren Gehaltsgruppen, fürs Geld konnte man sich nicht viel kaufen.
ENA hat geschrieben:
Dunkle hat geschrieben:In der DDR hatte man auf Anhäufung von Geld und Eigentum kaum eine Chance.
Was passierte dann?
Alle waren gleich (arm).
metropolis hat geschrieben: Nein, das ist ja genau der Unterschied zwischen Ossi- und Wessi-Mentalität. Um Geld ging es nicht.
In der DDR mussten die Frauen nicht arbeiten, weil der Mann so wenig nach Hause brachte, sondern weil es einen gesellschaftlichen Druck gab. Frauen, die zur Kinderbetreuung zu Hause blieben, wurden kritisch beäugt.
...
Finanziell waren im Prinzip alle DDR-Bürger abgesichert, durch breite staatliche Unterstützung: geringe Mieten, billige Lebensmittel, Kinderbetreuung usw. Ein hohes Gehalt war dadurch überflüssig. Was hätte man sich auch davon kaufen sollen. Aus diesem Grund glaube ich nicht, dass Frauenarbeit aus finanziellen Gründen unerlässlich war.
Es war vor allem der finanzielle Druck, der praktisch alle Frauen zur Arbeit zwang. Denn niemand wollte sich mit der Befriedigung der Grundbedürfnisse zufrieden geben. Schon der Unterhalt eines Autos in einer dreiköpfigen Familie wäre ohne Mitarbeit der Frau unmöglich gewesen.
Hinzu kommt noch, daß eine nichtarbeitende Hausfrau in Ermangelung anderer völlig vereinsamt wäre. Außerdem kommt natürlich noch die Emanzipation hinzu (gleiches Geld für gleiche Arbeit war gewährleistet, wenn auch Frauen in Top-Positionen rar waren). Aber wenn man rumgefragt hat, hat fast jede Frau gesagt, sie wäre wenigstens so lange die Kinder klein gewesen wären, gern für ein paar Jahre zu Hause geblieben.

@ MrN, Anna Loos ist eine totale Fehlbesetzung; danke für die Vergleichsmöglichkeit (obwohl das gesamte moderne Arrangement weichgespült ist).

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ENA
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Beitrag Fr., 26.03.2010, 20:04

Dornröschen Dorn hat geschrieben:Meine Mutter ist davon noch stark geprägt. (kein Wunder wenn sie fast ihr ganzes Leben unfrei gelebt hatte als "Ossi" ). Dann heisst es hier immer noch: "Die Wessis fahren immer die dicksten Autos." (von den Urlaubern zb)
Dornröschen Dorn hat geschrieben:hab vom Wessi, ossi, Mauer Zeug nix mehr mitbekommen und bin auch sehr froh drum, dass ich diese Schranken im Kopf garnicht habe. Für mich ist es total egal ob Wessi oder Ossi. Manchmal stört es mich von meiner Mutter. Aber es ist nunmal so..
Ja, genau das meinte ich, als ich anfangs schrieb, dass mich dieses Ost- und West-Gerede so stört. Gut, ich meinte da eher die Medien, da es diese Diskussionen in meinem Umfeld gar nicht gibt,...aber ich glaube, wenn man das von Außen immer wieder hört, verzögert sich die Zeit, bis wirklich mal....Ruhe einkehren kann,...eine Vereinigung in Kopf und Herzen... .
Daffodil hat geschrieben:und dass das Verständnis für die tiefe Ambivalenz fehlt, die sowohl das Leben in der DDR als auch die Wende mit sich brachte.
Wie sah diese Ambivalenz aus?
Daffodil hat geschrieben:Mein Vater zum Beispiel wurde kurz nach der Wende arbeitslos und ist auch nie wieder so richtig ins Arbeitsleben eingestiegen, immer mal Umschulungen, ABMs, befristeter Vertrag solange das Amt gefördert hat, aber eigentlich die meiste Zeit arbeitslos.
Das habe ich oft gehört. Wie kam so etwas?
Was ist mit den Firmen passiert? Warum wurden die Menschen entlassen?...
Daffodil hat geschrieben:Und trotzdem habe ich geheult am Tag der Wiedervereinigung, weil ich nicht begreifen konnte, dass das Land in dem ich geboren wurde, einfach aufhörte zu existieren.
Das kann ich sehr gut verstehen!...
MrN hat geschrieben:Da, bitte schön:"Bataillon d'Amour"
Ich danke Dir!!!
...Bei der alten Version wirkt die Stimme voller und die ganze Ausstrahlung der Person charakteristischer... .
Ich denke aber auch, dass vieles damit zu tun hat, was man kennt. Es gab im Fernsehen mal so eine Früher-Heute-Sendung mit originalen und gecoverten Songs. Wenn ich nur das gecoverte kannte, fand ich es auch meistens (nicht immer) schöner. Gut, das wiederherum kann auch was mit der Zeit zu tun, in der die jeweilige Version entstand. Musik verändert sich halt, Geschmäcker auch... .
Sir hat geschrieben:Die kompakte City ist immer besuchenswert, das neue Bildermuseum umstritten, das Reichsgericht als Hülle des Bundesverwaltungsgerichts ist jetzt wieder ein Augenschmaus, Auerbachs Keller, in dem eine Faustszene spielt und, und und...
Ich danke Dir, für die kleine Informationstour durch Leipzig!!!
Sir hat geschrieben:Die Pflicht zur Arbeit war auch in der Verfassung statuiert. "Asoziales Verhalten" war im Strafgesetzbuch strafbewährt. Damit konnte man z. B. Ausreisewillige drangsalieren, die partout für diesen Staat nichts mehr tun wollten.
Heißt das, wer nicht arbeitete, galt als a-sozial?...Wurde er dann richtig bestraft? Womit genau?
Sir hat geschrieben:Alle waren gleich (arm).
Gabs denn kein Sparbuch?...und auch nichts unterm Kopfkissen oder im Sparstrumpf?
...aber wenn nicht in jeder Familie beide gearbeitet haben oder es unterschiedlich viele Leute gab, die mitgearbeitet haben, muss es doch auch unterschiedlich viel Geld gegeben haben... . ...und wenn jemand weniger ausgegeben hat, als die andere, auch, oder?

An Alle:

Kann mir denn noch jemand erklären, wie..."das Geld gemacht wurde" (siehe mein Beitrag davor)?
Zuletzt geändert von ENA am Sa., 27.03.2010, 09:23, insgesamt 1-mal geändert.

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Daffodil
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Beitrag Fr., 26.03.2010, 20:37

Nur ganz kurz, ich muss los:

Natürlich hatten nicht alle gleich viel Geld, aber die Spanne war wohl einfach nicht so groß. Unterschiede gab es aber natürlich, zum Beispiel konnten sich nicht alle den Urlaub in Ungarn leisten oder es gab einen Unterschied, welches Auto man fuhr, der bestand aber eben nur zwischen Wartburg und Trabant.

Bis bald noch mehr.
Schönen Abend noch,
Daffodil

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Affenzahn
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Beitrag Sa., 27.03.2010, 00:10

Vielleicht interessiert die Perspektive aus einer neutralen Warte.

Ich war sogar noch kurz vor der Wende einmal in der DDR. Mir gefiel es. Auch als ich vor einigen Jahren noch einmal in Ostdeutschland war, war es irgendwie anders - gemütlicher als in Westdeutschland. (Oder bildete ich mir das nur ein?)

Ja, ich habe ein Vorurteil.
Dunkle hat geschrieben:Ich nämlich auch, als Ossimädchen (war) mit einem Westdeutschen verheiratet.
Aber Wessimädchen heiraten keine Ostdeutschen.

Auch folgendes kann ich bestätigen:
Zerrissene hat geschrieben:Vom Wesen her merke ich auch, dass er nicht in der DDR aufgewachsen ist (er ist so selbstbewußt, so EITEL). Bitte, liebe Wessi-Leser dieses threads, habt Verständnis für meine Wortwahl...
In Westdeutschland gibt es sicherlich mehr "eitle" Menschen als im Osten. Und als in der Schweiz.

Und: Ossis wandern öfter in die Schweiz aus, als es Wessis tun.


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Beitrag Sa., 27.03.2010, 01:37

ENA hat geschrieben: Heißt das, wer nicht arbeitete, galt als a-sozial?...Wurde er dann richtig bestraft? Womit genau?
Typisch für einen Willkürstaat ist seine Unberechenbarkeit. Hiereine gute Inhaltsangabe eines einschlägigen Buchs.

ENA hat geschrieben:Gabs denn kein Sparbuch?...und auch nichts unterm Kopfkissen oder im Sparstrumpf?
...aber wenn nicht in jeder Familie beide gearbeitet haben oder es unterschiedlich viele Leute gab, die mitgearbeitet haben, muss es doch auch unterschiedlich viel Geld gegeben haben... . ...und wenn jemand weniger ausgegeben hat, als die andere, auch, oder?
Es gab in den 50er Jahren sogar für Privatanleger zeichenbare Staatsanleihen, später nur noch einheitliche Sparbücher bzw. sog. Spargirokonten mit zuletzt 3,75 % Zinsen.
---
ENA hat geschrieben:Kann mir denn noch jemand erklären, wie..."das Geld gemacht wurde" (siehe mein Beitrag davor)?
Es gab den Stichtag 1. 7. 1990. Ab da galt in der DDR die DM. Jeder Bürger bekam 7000 Ostmark 1:1 in DM umgetauscht, den Rest 1:2 - aber nur unbar auf dem Konto. Es gab viele Raubüberfälle auf Geldtransporter bzw. Banken, die kaum darauf vorbereitet waren. Die "volkseigenen" Betriebe mußten - pauschal gesagt - mit ihren veralteten, qualitativ minderwertigen Produkten schlagartig mit dem Weltmarkt konkurrieren, was sie zumeist nur kurze Zeit überstanden und dann "abgewickelt" wurden.

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gompert
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Beitrag Sa., 27.03.2010, 09:07

@Sir,

Ich freue mich diese Frage endlich einem Sachverständigen stellen zu können:

Es gibt heutzutage in den neuen Bundesländern auch Auktionshäuser. Konnte man als DDR-Privatperson eigentlich Kunstgegenstände besitzen und behalten, zum Beispiel ein geerbtes Meissner Service oder ein paar Germälde aus dem 19.Jht? Oder konnte man sie erfolgreich sehr lange versteckt halten? Es wundert mich dass da Wertsachen versteigert werden die irgendwie in Privatbesitz überlebt haben müssen.
Staunend liest's der anbetroffne Chef......


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Beitrag Sa., 27.03.2010, 11:28

@ gompert

Der Normalbürger konnte in der DDR unbehelligt Kunstgegenstände erben, vererben, besitzen. Es wurde nur dann problematisch, wenn eine gewisse Größe der Sammlung erreicht wurde oder sie wertvolle Einzelstücke enthielt, die sich der Staat unter den Nagel reißen wollte. Wie immer galt: Wer sich politisch mißliebig machte, stand auf der Abschußliste.

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gompert
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Beitrag Sa., 27.03.2010, 11:53

Danke vielmals, Sir!! Das war mir alles neu. Auch der Zeitungsartikel ist informativ. Darin übrigens ein lustiger Versprecher:

"Dieses Mal ist der rechtmäßige Besitzer kein jüdischer Alteigentümer, der vor den Nationalsozialisten fliehen und zwangsweise verkaufen musste, sondern ein braver DDR-Bürger"

Waren die jüdischen Alteigentümer etwa nicht brav?

Danke nochmals
gompert
Staunend liest's der anbetroffne Chef......

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metropolis
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Beitrag Sa., 27.03.2010, 13:14

Es war vor allem der finanzielle Druck, der praktisch alle Frauen zur Arbeit zwang. Denn niemand wollte sich mit der Befriedigung der Grundbedürfnisse zufrieden geben. Schon der Unterhalt eines Autos in einer dreiköpfigen Familie wäre ohne Mitarbeit der Frau unmöglich gewesen.
Hinzu kommt noch, daß eine nichtarbeitende Hausfrau in Ermangelung anderer völlig vereinsamt wäre. Außerdem kommt natürlich noch die Emanzipation hinzu (gleiches Geld für gleiche Arbeit war gewährleistet, wenn auch Frauen in Top-Positionen rar waren). Aber wenn man rumgefragt hat, hat fast jede Frau gesagt, sie wäre wenigstens so lange die Kinder klein gewesen wären, gern für ein paar Jahre zu Hause geblieben.
Huh, okay, ich hatte es von meiner Mutter anders mitbekommen. Sie hat sich erstens dem Umstand, dass sie recht schnell nach Geburt ihrer Töchter wieder arbeiten sollte, freiwillig und ohne schlechtes Gewissen gefügt. Sie kannte es auch gar nicht anders und hat dies als üblich und selbstverständlich angenommen.
Und zweitens hat sie mir nicht von Geldproblemen erzählt. Sie war zudem alleinerziehend. Sie sagte mir erst letztens: Geld hatte ich damals genug, aber es gab ja nichts wofür ich es hätte ausgeben können. Da sind die Möglichkeiten heute ganz anders .
(Wir hatten nämlich darüber diskutiert, ob es einen Unterschied zur "ärmlichen" DDR-Lebensweise gibt, wenn man heute sein Kind mit bescheidenen Mitteln großzieht. Fazit meiner Mutter: Man kann ein Kind sehr wohl mit wenig Geld großziehen, aber damals lebten alle gleich bescheiden, heute wird ein Kind ausgegrenzt, wenn es auf bestimmte Dinge verzichten muss, auch wenn die Liebe der Eltern und eine Vermittlung von Werten das Wichtigste für das Kind ist. Sie sagt, DDR-Armut ist mit heutiger Armut nicht zu vergleichen, wo sie wahrscheinlich auch Recht hat.
"Ja und dann? Weißt du nicht mehr? Wenn ich und du nicht gekommen wären und den kleinen Häwelmann in unser Boot genommen hätten, so hätte er doch leicht ertrinken können!"

Theodor Storm

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ENA
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Beitrag Sa., 27.03.2010, 15:09

Danke Dir, Sir!...


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Beitrag Sa., 27.03.2010, 19:29

metropolis hat geschrieben: Und zweitens hat sie mir nicht von Geldproblemen erzählt. Sie war zudem alleinerziehend. Sie sagte mir erst letztens: Geld hatte ich damals genug, aber es gab ja nichts wofür ich es hätte ausgeben können.
Klingt mir zu absolut. Schon Anschaffung (evtl. gebraucht zu überzogenem Preis) und Unterhalt eines Trabants waren für eine alleinerziehende Mutter mit Normalverdienst kaum machbar. Die Grundbedürfnisse konnten aber befriedigt werden.
metropolis hat geschrieben: Fazit meiner Mutter: Man kann ein Kind sehr wohl mit wenig Geld großziehen, aber damals lebten alle gleich bescheiden, heute wird ein Kind ausgegrenzt, wenn es auf bestimmte Dinge verzichten muss, auch wenn die Liebe der Eltern und eine Vermittlung von Werten das Wichtigste für das Kind ist. Sie sagt, DDR-Armut ist mit heutiger Armut nicht zu vergleichen, wo sie wahrscheinlich auch Recht hat.
Es muß nicht unbedingt sein, daß ein Kind aus einer armen Familie von anderen Kindern bewußt ausgegrenzt wird, es hat objektiv viel weniger Möglichkeiten. Meine Mutter sprach davon, daß sie erstmal froh war, daß der Krieg vorbei war. Die Frage, Kind oder nicht, hat sie sich unter finanziellen Gesichtspunkten nie gestellt. Man kann aber die Mentalität heutiger junger Leute auch nicht pauschal verdammen: Kinder sind heutzutage ein hohes finanzielles Risiko, besonders unter dem Aspekt eines immer mit einzukalkulierenden Jobverlusts.

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metropolis
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Beitrag Sa., 27.03.2010, 21:59

Sir hat geschrieben: Klingt mir zu absolut. Schon Anschaffung (evtl. gebraucht zu überzogenem Preis) und Unterhalt eines Trabants waren für eine alleinerziehende Mutter mit Normalverdienst kaum machbar. Die Grundbedürfnisse konnten aber befriedigt werden.
Hmm, meine Mutter war alleinerziehend und hatte einen Trabanten. Gut, es war ursprünglich das Auto meiner Oma, die es sofort nach Erhalt an ihre Tochter weiterreichte. Doch für meine Mutter, damals Studentin, war der Unterhalt eines Autos anscheinend kein Problem. Und mehr noch: sie hatte nicht nur ein Zimmer im Studentenwohnheim, sondern sie behielt auch gleichzeitig die Wohnung in ihrer Heimatstadt. Sie bezahlte also zwei Wohnungen. Laut deiner Theorie, hätte sie nur mit fremder Unterstützung so leben können, aber meine Oma war genauso alleinstehend wie meine Mutter, und lebte auch nicht in ärmlichsten Verhältnissen.
"Ja und dann? Weißt du nicht mehr? Wenn ich und du nicht gekommen wären und den kleinen Häwelmann in unser Boot genommen hätten, so hätte er doch leicht ertrinken können!"

Theodor Storm


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Beitrag Mo., 29.03.2010, 17:20

Hier noch einige gern vorschnell geäußerte , unüberlegte Ansichten über die DDR, die ich damals von Westgermanen selbst gehört habe:

"Bei Euch herrscht noch Ordnung auf den Straßen, keine Junkies, keine Nutten, überall Polizei."

Genau das macht einen Polizeistaat aus. Ja, der hat auch Vorteile. Das älteste Gewerbe gab's damals natürlich auch. Ich behaupte, die Damen arbeiteten fast alle für die Stasi. Denn ihr Job fiel nun exakt unter den Asozialen-Paragrafen = Erpreßbarkeit. Uwe Barschel und Heinrich Lummer - nur zwei prominente Opfer. Drogeneinfuhr scheiterte an den dichten Grenzen und der Binnenwährung Ostmark. Polizeistreifen (auch gern mit Hund, damit wenigstens einer eine abgeschlossene Ausbildung hat) sollten natürlich auch "Zusammenrottungen" (§ 134 StGB/DDR) schon im Ansatz verhindern.

"Die Straßen sind zwar in schlechtem Zustand, aber soo wenig Verkehr."

Bei 13 Jahren Wartezeit auf ein Auto kein Wunder.

"Bei Euch gibt's keine Arbeitslose."

Falsch, die waren nur von der Straße weg. Es gab Hochschulabsolventen, die den Hof fegen mußten, weil wegen Materialmangels o. ä. die Produktion stockte oder einfach, weil man viel zu viele Planstellen hatte und sie gar nicht alle sinnvoll beschäftigen konnte. Es gab ja auch keinerlei Arbeitslosenversorgung.

"Wenn Sie Karriere machen wollen, müssen Sie natürlich der SED beitreten."

Keine Ahnung, was das bedeutete: "Parteiaufträge", z. B. in einen anderen Betrieb zu wechseln, im Wohngebiet agitieren, Parteischulen besuchen, bis Anfang der 70er Jahre keine Westantenne auf dem Dach, gepfefferten Parteibeitrag abdrücken, jeden Montag Parteiversammlung im Betrieb dazu noch "Parteilehrjahr" etc..

"Bei uns ist alles amerikanisiert."

Ja, Glück gehabt. Die Gefahr der Russifizierung bestand hier allerdings nicht.

"Ihr seid noch deutscher als wir."

Freilich, wenn die Welt draußen bleiben muß.

"Da muß man dem Staat eben ein bißchen zum Mund reden."

Ideologischer Druck, was das heißt, konnte sich nun wirklich keiner von 'drüben' vorstellen: nicht nur einfach gegen sein Gewissen reden, sondern auch wider besseres Wissen - also sich dumm stellen. Also, von den "Bonner Ultras" unter Ulbricht bis zu den "BRD-Imperialisten" unter Honecker reden - da konnte man sich zurechtlegen, daß das niemand ernst nahm. Die Standardformel lautete: "Die wollen doch verarscht werden." Ich empfand es aber als extrem demütigend, wenn ich die wirtschaftliche Überlegenheit des Sozialismus preisen mußte. Das war ein direkter Angriff auf meine Intelligenz.

"Bei Euch sind die Leute nicht so materiell eingestellt."

Ja Kunststück, wenn's niemals ausreichend Papiertaschentücher gab. Und warum war das so? Weil jeder sofort welche hamsterte, wenn's denn mal welche gab.

"Bei Euch gibt's noch Solidarität unter den Nachbarn."

Ja richtig, aber vor allem aus der Not geboren: weil man sich mit Mangelwaren gegenseitig aushelfen mußte, weil Handwerker schwer zu bekommen waren, weil man dem politischen Druck widerstehen mußte.

"Ich war im Kabarett und habe mich fast totgelacht."

Ja klar, Diktaturen sind der beste Humus für Witze.

"Bei Euch wird noch viel gelesen."

Freilich, wenn man glücklich ist, ein bestimmtes Buch ergattert zu haben, dessen Auflage aus politischen Gründen niedrig gehalten wurde (aus Prestigegründen sollte es aber erscheinen) oder schlicht wegen der Papierkontingentierung. Und wenn sonst nichts los ist, liest man eben (aber keine Zeitung!).

"Bei Euch kostet eine Straßenbahnfahrt 16 Pfennige, ein Brot 80 Pf und die Miete für eine 3-Zimmerwohnung beträgt nur 40 Mark."

Die durch die niedrigen Löhne erforderliche wahnsinnige Subventionierung der Grundbedürfnisse ("zweite Lohntüte") führte zum totalen Verfall der Wohnsubstanz, was man mit riesigen Neubaugebieten zu kompensieren suchte und z. B. dazu, daß Bauern Brot ans Vieh verfütterten.

"Bei Euch herrscht noch Zucht und Ordnung an den Schulen."

Da habt Ihr noch den Kadavergehorsam vergessen (aber nicht von allen Lehrern verlangt).

"Eltern sind bei Euch noch Respektspersonen."

Sicher, autoritäre Strukturen seit 1933 bleiben nicht ohne Auswirkungen.

"Bei Euch gibt's keine Gastarbeiter."

Ein paar Kubaner und Vietnamesen gab zwar es schon, aber wer hat denn bei Euch das Wirtschaftswunder maßgeblich mit ermöglicht?

"Bei Euch ist es viel leichter, Sex zu bekommen."

Richtig, wieder weil's sonst wenig Unterhaltung gab, auch die Einkommensunterschiede eingeegnet waren und damit auch die Bildung bestimmter Bevölkerungsschichten. Und für Euch mit Eurer DM war's nun gar kein Problem... Als Single hatte man null Chance, eine Wohnung "zu bekommen", also wurde sehr früh geheiratet (mit Anfang 20). Der Staat gewährte einen zinslosen Kredit zum Einrichten. Der konnte "abgekindert" werden, d. h. pro geborenem Kind wurden 1000 Mark erlassen. Die Scheidungsrate war eine der höchsten weltweit, ging vor Gericht ohne Anwaltszwang auch schnell und preiswert (Unterhaltszahlungen an den geschieden Partner absolute Ausnahme - Versorgungsausgleich = Fremdwort).

"Bei Euch gibt es diesen Standesdünkel nicht."

Ja, das wirkte sich dann so aus, daß der Arbeiter den obersten Chef beliebig oft mit Kraftausdrücken traktierte, es konnte ihm ja nichts passieren.

"Bei Euch gibt's keine Pornofilme und -heftchen."

Nee, und deshalb haben wir ja auch die Mauer zum Einsturz gebracht!


Gast
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Beitrag Mo., 29.03.2010, 17:55

Hallo Sir

durchgehend in diesem Thread finde ich deine Beiträge sehr, sehr lesenswert. Danke dafür!
Insbesondere, und damit beantworte ich deine Frage Metropolis, wenn mich diese nervende Ostalgiewelle wieder qua Werbung, doofem Gelaber etc nervt.

Ich will keine Ostproduktmesse, keine Ostgruppenkonzerte, keine Ostsentimentalität.
"Es gibt unsere Produkte nicht mehr"
Der Staat war ein Unrechtstaat und mal im Ernst: welcher Wessi, so um die 40 (also Leben in BRD und jetzt in D hälftig) findet noch Produkte aus seiner Kindheit im Supermarkt?

Die gebratenen Tauben flogen dem Wessi auch vor 89 nicht in den Schlund, aber zu viele Ossis, die mehrheitlich (und so funktioniert Demokratie nunmal) für die Okkupation gestimmt haben, glaubten das wohl.

Wer in der *DDR* nicht arbeitete wurde halt weggesperrt, gern genommen mit Berlinverbot. Asozial war man schon, wenn man bunte Haare trug oder nur sich seine Klamotten anders gestaltete. Es gibt nix, nullkommanix, was an der *DDR* gut war.
Das Argument Kinderbetreuung, Frauenrechte (hahaha) ist genauso infam wie "Hitler hat ja die Autobahnen gebaut, das war doch prima" (kotz)

Eins eint die Deutschen: wir hatten die Chance das geschehene Unrecht aufzudecken, aktuell, mit jeder Menge Zeitzeugen, Geschädigten und Tätern. Es gab sogar ganz offen Täter, die sich entschuldigt haben (und Opfer, die verzeihen konnten) DAS war die Chance, das, was versäumt wurde nach dem 2. Weltkrieg, besser zu machen
So aber wird die Diskussion noch mindestens 3-4 Generationen bleiben.
Ich frag mich immer, wie ein 20 jähriges Mädchen sich hinstellen kann und sagt: "in der *DDR* war es so und so....oder "in Westdeutschland war es so und so" Alles hörensagen, nix erlebtes.

Rosenrot

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