Beitrag
Fr., 12.03.2010, 13:47
Was gerade rumtreibt, ist die Frage, warum das JETZT, will heißen ERST jetzt auch in Deutschland zu einem auch medial vermittelten thema wird. ich glaub, das hat viel damit zu tun, dass jetzt die kinder derer, die krieg und trauma selber als kinder erlebt haben, in ein alter kommen, wo das mit dem verdrängen und wegstecken nicht mehr so klappt und ihnen die dinge um die ohren knallen. zumindest war es bei mir so.
vor drei jahren hatte ich das erste mal so starke Panikattacken, dass ich mich eines schönen tages gar nicht mehr bewegen konnte. das hat mich so nachhaltig verstört, dass ich dann doch eine therapie angefangen habe - etwas, das mir vrher in den fußstapfen meiner eltern als ungehöriger luxus erschienen wäre. auf der couch hab ich monatelang erst einmal über die quelle meiner ängste gerätselt, hab eine antwort nach der anderen als nicht wirlich überzeugend verworfen und sah mich immer wieder mit der scham konfrontiert, nicht einmal einen grund für meine angt benennen zu können. irgendwann formulierte ich dann erstmals den gedanken, dass in mir vielleicht die ängste wüten, die mein vater in mir abgelegt hat. plötzlich tauchten erinnerungen daran auf, wie er mir als 8 oder 9-jährige von vergewaltigungen im krieg erzählte, die er gesehen hat oder von denen er in seinem umfeld gehört hatte - ausgeschmückt mit vielen details. als nächstes kam mir in den sinn, dass mein vater mir immer einredete, ich sei "mehr schein als sein". zur selben zeit las ich zufällig, dass schüler der napola mit 14 einen dolch überreicht bekamen, auf dem stand "mehr sein als scheinen". dann fiel mir ein, dass mein vater in fast trotziger manier immer damit angegeben hat, auf einer napola gewesen zu sein. wie der zufall es will, fiel mir damals ein buch mit mehrgenerationen-interviews von ehemaligen napola-schülern in die hände. da las ich dann u.a., dass napola schüler als auserwählte der zukünftigen elite oft unter der angst litten, sie könnten doch nicht genügen und ob mangelnder charakterlicher eignung doch noch aussortiert werden. außerdem wurden dort demütigungsrituale als element einer gezielten traumatisierungsstrategie beschrieben, die darauf zielten, in den köpfen und seelen der schüler so etwas wie eine tabula rasa zu errichten, auf der sich dann um so effizienter bedingungsloser gehorsam und ideologische ergebenheit einplanzen ließen. da fiel mir dann wieder ein, dass mein vater, der an meinen leistungen nie etwas aussetzen konnte, immer in düster ahnungsvollen ton von meinen charalterlichen schwächen, von meiner fehlenden härte orakelte...igendwann kam ich dann schließlich darauf, dass mein vater entweder nie auf einer napola war oder nach der halbjährigen probezeit nach hause geschickt wurde. an dem punkt wurde mir erst mal unendlich schwindelig. ich schwankte zwischen wut auf meinen vater, der seine versagensängste in mich hineinprojezierte, weil er nicht in der lage war, sich von seinen peinigern zu distanzieren oder sich hilfe beim aufarbeiten seiner geschichte zu holen. gleichzeitig tat er mir unendlich leid. selbst seiner frau gegenüber, hat er immer an der lügengeschichte von seiner napola"karriere" festgehalten. ich war unendlich betroffen von der vostellung, wie groß die scham in ihm sein musste.
ich kann immer noch nicht mit meinem vater sprechen, pendele immer noch zwischen wut und unendlichem mitgefühl hin und her. ganz langsam versuche ich in mir den gedanken zu stärken, dass ich ihm bei der bearbeitung seiner scham und seiner traumata ncht helfen kann und dass das auch nicht meine verantwortung ist. gleichzeitig ist mir durch lektüre auch klar geworden, wie schwer es gerade für diejenigen, die damals noch kinder waren und die für vieles von dem, was sie erlebt haben, noch keine sprache hatten, sein muss, sich mit ihren tiefen wunden auseinanderzusetzen. für den ein oder anderen klingt es vielleicht schräg, dass ich mit blick auf einen (verhinderten) napola-schüler von wunden spreche. aber er war damals 11-12jahre alt.