Visionen - vom Umgang mit Fehlern

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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friedie
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Beitrag Do., 16.02.2017, 19:22

Schneerose hat geschrieben: Deutschland oder Österreich?
Deutschland.

Von Österreich habe ich keine Ahnung, soweit ich das eben ergoogeln konnte, scheint aber wohl Ähnliches zu gelten:

"Bei mit erwiesenen Behandlungsfehler/Arzthaftung/Ärztepfusch erfolgten Gesundheitsschäden wird in ständiger Rechtssprechung wegen der besonderen Beweissicherungsschwierigkeiten gerade für den Kausalitätsbeweis der Anscheinsbeweis als ausreichend angesehen. Wird durch einen Behandlungsfehler/Arzthaftung/Ärztepfusch die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts nicht bloß unwesentlich erhöht (wofür die Beweislast den Geschädigten trifft), trifft den behandelnden Arzt die Beweislast dafür, dass im konkreten Behandlungsfall das Fehlverhalten mit größter Wahrscheinlichkeit für den Schaden unwesentlich geblieben ist."

http://www.ra-kerschbaumer.at/Blog/?p=103

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Schneerose
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Beitrag Do., 16.02.2017, 19:24

@friedie

jedoch scheitert es meist eben an dem Beweis seitens des Patienten, von der Demütigung ganz zu Schweigen - man muss es echt erleben

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friedie
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Beitrag Do., 16.02.2017, 19:44

Schneerose hat geschrieben:
jedoch scheitert es meist eben an dem Beweis seitens des Patienten, von der Demütigung ganz zu Schweigen - man muss es echt erleben
Ja, den Fehler selbst muss man beweisen können. Das ist auch unabdingbar in einem Rechtsstaat, so unschön es ist, wenn man selbst betroffen ist und aufgrund der Therapiesituation einfach keine Beweise hat.

Nur wie könnte man zu mehr Beweisen/Dokumentationen in Psychotherapien kommen? Video-/Tonaufnahmen wurden ja schon angesprochen als Lösung. Aktuell können sich wohl die wenigsten Therapeuten und Patienten dafür erwärmen. Vielleicht ändert sich das aber in Zukunft und in manchen Therapien wird das freiwillig angeboten und in Anspruch genommen? In Ausbildungsinstituten arbeitet man ja auch oft mit Aufnahmen und die Gewöhnung an ein häufiges Gefilmtwerden im Alltag ist heute eine ganz andere als früher, vielleicht wird die Hemmschwelle sinken...

Ansonsten lese ich hier auch immer mehr von E-Mails zwischen Patienten und Therapeuten, oder auch mal SMS. Durch die Nutzung dieser Medien gibt´s natürlich auch ein bisschen mehr Chancen auf Beweise als früher...

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stern
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Beitrag Do., 16.02.2017, 20:03

Ich vermute, es kommt auch etwas darauf an, worin der Fehler bestand und was die Folgen konkret sind. Zum Bleistift eine Schweigepflichtsverletzung, zu der es ein Dokument gibt oder wenn es Zeugen gab, ist evtl. eher leichter nachweisbar, nehme ich an.

Die Erfassung des psychischen Schadens ist sicherlich schwerer als der Nachweis über ein Röntgenbild, das ein OP-Besteck zeigt. Ein Therapeut wird natürlich nur für den entstandenen Schaden haften müssen, nicht für die Störung, wegen die der Patient die Therapie aufsuchte.

In manchen Fällen ist z.B. ein Nachweis zu erbringen, dass Standards existieren (die missachtet wurden... und hierzu gibt es vielleicht irgendetwas handfestes).
Vorliegen eines Behandlungsfehlers oder einer Sorgfaltspflichtverletzung: Der Ankläger muss nachweisen, dass der Therapeut den Behandlungsvertrag gebrochen hat, weil er die notwendige
Qualifikation nicht besitzt oder gegen gängige Behandlungsstandards verstoßen hat. ... Dass solche (anerkannte Standards) auch im Fall einer Psychotherapie vorlagen, muss der Kläger erst
beweisen – was jedoch schwierig ist, da psychotherapeutische Behandlungsstandards kaum klar
definiert sind oder je nach Ansatz stark voneinander abweichen. Das Gericht ist hier auf
Sachverständigengutachten angewiesen, wobei es genügt, wenn eine respektable Minderheit von
Therapeuten die verwendeten Vorgehensweisen als Standard billigt.
http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servl ... d_2009.pdf
Und wenn jemand so "fertig" ist, dass auch die Arbeitsfähigkeit länger nicht mehr gegeben ist, geht es evtl. auch deutlich ins Geld. Daher kann auch finanzieller Ausgleich ein Thema sein. Ein Vermögensschaden ist evtl. leichter zu quantifizieren als ein psychischer Schaden.

Solange man nicht selbst betroffen ist, hat man immer leicht reden, denke ich.

Wenn es um eine konkrete Klage geht, so schätze ich, dass es ohne Anwalt kaum möglich ist... da das sehr komplex ist. Und hier wird dann sicherlich auch geholfen, was nachzuweisen ist... und ob das einigermaßen Aussicht auf Erfolg haben könnte, nehme ich an.

Aber ich bleibe dabei: Das sehe ich nicht als "Vision"... sondern als finalen Akt, der das Scheitern dokumentiert.

Aus Sicht des Patienten ist es aber vielleicht trotzdem ein Art eines letzten Lösungsversuch... wenn man versucht herauszufinden, was das Anliegen des Patienten ist (z.B. Stellungnahme, weswegen eine Therapie abgebrochen wurde), so kann vielleicht in manchen Fällen eine Klage abgewendet werden.
Liebe Grüße
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friedie
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Beitrag Do., 16.02.2017, 20:49

Als Vision sehe ich so eine Klage auch ganz und gar nicht. Andere Wege zumindest mal gedanklich zu entwerfen und zu diskutieren finde ich toll. Und wie du schon geschrieben hast, zum Glück gibt man dem Thema inzwischen auch in der Fachwelt etwas Raum. Da wird sich was tun, langsam zwar aber immerhin...

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stern
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Beitrag Do., 16.02.2017, 21:19

Hier schwimme ich zwar etwas: Aber ist es nicht so, dass die Krankenkasse in manchen Fällen auch Regress nehmen kann (also Behandlungskosten vom Schädiger einfordert? Das würde zumindest dem üblicherweise anerkanntem Prinzip Rechnung tragen, dass der Schädiger für verursachte Schäden aufkommen muss)?
Welche Schäden werden ersetzt?

Der Schadensersatz im Fall eines Behandlungsfehlers umfasst viele Schadenspositionen. Im Allgemeinen sind dem Patienten alle materiellen Verluste zu erstatten, d.h. Verdienstausfälle, die zu Hause nicht geleistete Arbeit (Haushaltsführungsschaden), Pflegebedarf und Fahrtkosten. Auch Unterhaltsschäden sind zu ersetzen.

Neben dem Patienten hat auch die Krankenversicherung ein Interesse daran, die Kosten für die (weitere) Behandlung zur Beseitigung der Fehlerfolgen zurückzufordern. Der Ersatzanspruch ergibt sich aus § 116 SGB X. Die Interessenvertretung des Patienten bezieht daher regelmäßig den Sachbearbeiter der Regressabteilung seiner Krankenkasse mit ein.

Wichtig: Auch die aufgetretenen Schäden müssen bewiesen werden, bewahren Sie daher die Rechnungsbelege für zusätzlichen Bedarf im Haushalt (Pflegemittel, Putzhilfe, etc.) und Fahrtkosten sorgfältig auf.
http://www.info-krankenhausrecht.de/Rec ... ung_1.html
Für meinen Teil hatte ich tatsächlich die Vision, das etwas unterschieden wird, was Ausdruck meiner Störung ist und was Folgen unguter Therapievorfälle (warum auch immer... juristische Erwägungen spielten bei mir keine Rolle, warum ich nicht alles als Ausdruck meiner Störung verstanden wissen wollte).

Von mehren Seiten aus war ein Klinikaufenthalt im Gespräch... teilweise mit Bedenken, ob das wirklich passend ist. Eine paradoxe Situation also. Keine Angst: Auch damit lag ich nicht der Allgemeinheit auf Tasche... Ich fühlte mich dazu nämlich genauso wenig in der Lage wie für eine ambulante Therapie (zu der Zeit).

Aus meiner Sicht wäre ich dann auch tatsächlich nicht in die Klinik gegangen, weil ich (noch) so gestört bin... sondern wegen einer Krise aufgrund der Therapievorkommnisse, ohne die eine Klinikaufenthalt gar nicht zur Debatte gestanden wäre. Schon klar, dass ich natürlich auch noch ohnehin existente Schwierigkeiten mitgebracht hätte... aber das nicht alles in einen Pott geworfen wird, wäre mir wichtig gewesen. Auf außerordentliche Situationen kann man nämlich auch mal außergewöhnlich reagieren.

Wie auch immer: Bessere Nachweisbarkeit würde dann auch eine sachgerechte Zuordnung ermöglichen, wer für Schadensersatz aufzukommen hat bzw. für den Schaden verantwortlich ist. Dass dem Patienten vorzuwerfen, dass er der Allgemeinheit kostet ist im Fall von Schäden, die durch andere verursacht wurden, nicht wirklich sachgerecht... sondern das halte ich für eine reichlich verdrehte Logik.
Liebe Grüße
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isabe
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Beitrag Fr., 17.02.2017, 08:19

Ich denke, der "Knackpunkt" ist, dass es scher vorstellbar erscheint / schwer zu ertragen ist, dass sich so was "Mystisches" wie PT mit so was "Profanem" wie Rechtsprechung vermischen soll. Selbst im Gutachterverfahren geht es ja immer nur um die Therapie als Therapie. Nie geht es darum, wirklich nie, dass man von außen guckt, was passiert, wenn PT sich am geltenden Recht messen lassen muss. Und mit "nie" meine ich: strukturell, institutionell. So als gebe es dieses Zusammentreffen gar nicht, und wenn, dann nur in irgendwelchen krassen Ausnahmen, wenn mal (!) ein wahnsinnig mutiger Patient es wagt, seine wahnsinnig dramatische Geschichte (alles andere ist pillepalle) in einem wahnsinnig gut zu lesenden Buch niederschreibt, das mit einem Vorwort von einem wahnsinnig bekannten Therapeuten versehen ist. DANN kommt mal kurz so ein Pseudoaufschrei, à la: "Oh, wir sollten als Therapeuten das nicht ignorieren", und dann wird einfach weitertherapiert, als seien diese wahnsinnigen Beweise therapeutischen Fehlverhaltens nichts als absolute Ausnahmen.

Dass das nicht so IST, dürfte eine Tatsache sein und als solche auch anerkannt sein. Nur Folgen werden - bisher - daraus nicht geschlossen. Fakt ist, dass PT sich immer der Tatsache bewusst sein muss, dass sie nicht am geltenden Recht vorbeitherapieren darf.

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Zion
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Beitrag Fr., 17.02.2017, 08:29

isabe hat geschrieben:.....wahnsinnig.....

Wen meinst du damit?
Margarete Akoluth?

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ExtraordinaryGirl
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Beitrag Fr., 17.02.2017, 08:35

Zur Rechtsprechung gehört auch die Unschuldsvermutung.

Davon können die, die Opfer von strafrechtlich relevanten Taten geworden sind, ein Lied singen.

Ist nicht schön, trotzdem würde ich auf Rechtsstaatlichkeit nie verzichten wollen. Unabhängig davon kann es auch für ein Opfer emotionale, relevante Gründe geben, auf Verfolgung zu verzichten - ist aber natürlich nicht immer so.
"Charakter zeigt sich in der Krise."

(Helmut Schmidt)

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stern
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Beitrag Fr., 17.02.2017, 09:54

isabe hat geschrieben:Ich denke, der "Knackpunkt" ist, dass es scher vorstellbar erscheint / schwer zu ertragen ist, dass sich so was "Mystisches" wie PT mit so was "Profanem" wie Rechtsprechung vermischen soll. Selbst im Gutachterverfahren geht es ja immer nur um die Therapie als Therapie. Nie geht es darum, wirklich nie, dass man von außen guckt, was passiert, wenn PT sich am geltenden Recht messen lassen muss. Und mit "nie" meine ich: strukturell, institutionell.
Nun, es gibt diverse Schnittstellen. Ich war auch noch nie Anhänger der Fraktion "die therapeutische Beziehung geht über alles". Sondern das ist für mich Voraussetzung: Dass ein Therapeut in der Lage ist, seine Therapie nicht nur innerhalb des therapeutischen Rahmens stattfinden zu lassen, sondern auch innerhalb des rechtlichen Rahmens. Das ist auch kein sonderlich hoher Anspruch. Sondern das, was von jedem Menschen erwartet wird. Und jeder Profi muss wissen (und lernt das auch), was er beruflich darf und was nicht. Daher sehe ich das auch nicht als Druckmittel des Patienten an (oder eine Drohkulisse, die ein Patient aufbauen könnte), dass ein Therapeut sich nicht rechts- bzw. pflichtwidrig verhält. Das kann man schaffen. Warum es manche dennoch nicht schaffen, habe ich mich schon öfters gefragt. Denn auch das ist Teil des Jobs - wenn auch ein für den Patienten weniger offensichtlicher Teil. Als Patient muss man das auch nicht wissen (sondern will eine korrekte Behandlung erfahren). Wegen diverser Gefälle sind daher auch Verantwortungen recht klar.

Mögliche Schnittstellen (und es gibt wohl recht viele): Anfangs wird ein Vertrag geschlossen (bei einem schriftlichen wird die "Natur" evtl. deutlicher, aber mündliche sind nicht weniger wirksam). Ausfallhonorare werden vereinbart... hier manchmal auch so, dass sie das verlassen, was durch die Rechtssprechung bisher anerkannt ist. Aus therapeutischen Gründen natürlich. Oder das kann evtl. auch haftungsrechtlich Bedeutung erlangen: Wurde die (verpflichtende) Aufklärung wirklich vorgenommen. Oder (was ich sehr leichtsinnig finde, wie man das manchmal im Forum liest): "OR-Geschäfte" (ohne Rechnung bei Privatzahlung). Oder meinetwegen auch "Diagnosen" (oder Ferndiagnosen) nicht aus therapeutischen Gründen und so weiter.

Wie auch immer: Ich glaube, man muss auch etwas unterscheiden, welche Fehler sich zugetragen haben... ich meine, hier gibt es ja Abstufungen. Exemplarisch:
3.1. Alltagsfehler
3.2. Fehler in schwierigen Situationen
3.3. Kunstfehler bzw. „technische Fehler“
3.4. Ethische Generalfehler: Handeln wider den Berufskodex

Diese letzte Kategorie von Fehlern führt zu den wahrscheinlich schwerwiegendsten negativen Folgen
(...). Sie sind leichter zu definieren als Kunstfehler, weil es allgemeine niedergeschriebene, verbindliche ethische Leitlinien beruflichen Handelns (...) sowie rechtliche Grundlagen (Märtens & Liegl, 2013) gibt, denen sie zuwiderlaufen. Immer ist das Machtungleichgewicht von TherapeutIn zu PatientIn zu beachten, das bei bestimmten Defiziten in der TherapeutInnenpersönlichkeit (in Verbindung mit bestimmten Persönlichkeitszügen des/der PatientIn) zu ethisch fragwürdigen Handlungen führen kann.
http://www.psychotherapie-wissenschaft. ... w/1001/975
=>
Zuletzt geändert von stern am Fr., 17.02.2017, 10:32, insgesamt 5-mal geändert.
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stern
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Beitrag Fr., 17.02.2017, 09:56

4. Umgang mit Fehlern

Eine generelle Fehlervermeidung ist in Interaktionssituationen und innerhalb eines so komplexen Beziehungsgeschehens wie einer Psychotherapie wohl kaum möglich, es gibt keine optimale oder (einzig) richtige Vorgehensweise. Ist jedoch ein Fehler – oder eine Kette von Fehlhandlungen – passiert, so können aus der Analyse der Aussagen (...) drei Typen des Umgangs damit unterschieden werden und auch das Schadenspotenzial beeinflussen (...).

4.1. Proaktiver Umgang – Alltagsfehler, schwierige Situationen und Kunstfehler
4.2. Unreflektierter bzw. passiver Umgang – schwierige Situationen, Kunstfehler, ethische Fehler
4.3. Ignoranter Umgang – Kunstfehler, ethische Fehler

Hier erkennt der/die TherapeutIn eine Fehlentwicklung, sucht die Gründe dafür aber nicht bei sich. Alle Problematik des Prozesses wird dem/der PatientIn („Diagnostizieren als Abwehr“) oder äußeren Umständen zugeschrieben. Oder die Fehlentwicklung wird generell geleugnet oder sogar als nötiger bzw. heilender Teil des Prozesses uminterpretiert. Beispiele der Fehlerignoranz aus den RISK-Daten sind auf der Handlungsebene etwa permanentes Gegenfragen auf Beschwerden der PatientIn, Antworten in Phrasen, Ausüben von Druck etc. Die Problematik von Machtmissbrauch in finanzieller oder narzisstischer Hinsicht wird von dem/der TherapeutIn ignoriert, sexuelle oder soziale Verstrickungen als Handlungen zum Wohle des/der PatientIn uminterpretiert. Zu diesem Fehlerumgang finden sich die meisten Aussagen in den qualitativen Daten der RISK-Studie. Den TherapeutInnen ist die Problematik ihres Tuns offenbar nicht einsichtig, eine Korrektur deshalb schwierig bis unmöglich. Ignoranter Umgang ist meist systematisch, die Wiederholungsgefahr daher hoch. Dieser Umgang mit Fehlentwicklungen zeitigt wahrscheinlich das höchste Schadensausmaß.

Quelle: siehe oben
Insofern würde ich schon sagen, dass man sich mittlerweile auch dem annimmt, dass Fehler geschehen... nur individuell können sich auch Tendenzen des Leugnung, des Ignorierens (oder wie geschildert) auch der Umdeutung ("ist ja im Sinne des Patienten") abzeichnen. Und spätestens +eine happige Grenzüberschreitung möchte ich für meinen Teil nicht mehr als MEINE ENTWICKLUNGsaufgabe begreifen (und zwar generell im Leben) - wenn auch die bittere Realität ist, dass der Geschädigte derjenige ist, der die Folgen irgendwie auszubaden hat, weil sich jemand "schadhaft" verhalten hat. In solche Situationen möchte ich nach Möglichkeit gar nicht erst gelangen.

Und besonders, wenn ein unreflektierte oder ingoranter Umgang angenommen wird, ist für mich schon nachvollziehbar, dass man als Patient das Bedürfnis verspüren kann, dass der Therapeut (ein Therapeut!) das erkennt... bzw. dass man manches (wieder) gerade rücken kann (wie "das geschieht zu ihrer Heilung")... falls es um entsprechendes Fehlverhalten geht.
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stern
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Beitrag Fr., 17.02.2017, 11:58

isabe hat geschrieben:Dass das nicht so IST, dürfte eine Tatsache sein und als solche auch anerkannt sein. Nur Folgen werden - bisher - daraus nicht geschlossen. Fakt ist, dass PT sich immer der Tatsache bewusst sein muss, dass sie nicht am geltenden Recht vorbeitherapieren darf.
Manche Folgen gibt es... z.B. "Patientenrechtgesetz", das noch recht "frisch" ist. Aber gerade bei ernsthaften Verstößen sehe ich es auch, dass man dann mit diversen Mankos konfrontiert ist. Und ich denke, auch auf Seiten des Patienten (oder Außenstehender) kann es sehr viel geben, was eine Beschwerde (sei es eine offizielle oder sogar beim Therapeuten selbst) erschwert bzw. verhindert... so dass manches gar nicht erst aktenkundig wird: Wie Nichterkennen oder das man selbst glaubt, etwas könnte eine therapeutisch angezeigte Intervention sein. Oder Glaube an einer Verschlechterung, wie sie ihn Therapien auch üblichtweise mal auftreten kann (ohne fehlerhaftes Verhalten). Täteridentifikation oder nicht verarbeitete Schuldkomplexe. Dass ein Therapeut darauf insistiert, dass etwas so stattfinden muss, um Heilung zu erfahren. Abhängigkeit bzw. fehlende Kompetenzen, wegen denen eigentlich eine Therapie aufgesucht wurde. So macht es z.B. einen Unterschied, ob jemand eh zur "Anklage" bzw. Beschuldigung anderer neigt oder ob jemand gegenteilig gestrickt ist. Im letzteren Fall kann eine Beschwerde ein wichtiger Entwicklungsschritt sein... aber bei pflichtwidrigen Verhalten hat jeder einen berechtigten Grund, dass nicht hinnehmen zu müssen (auch das bedeutet Rechtsstaat... weil der Begriff in den Raum gestellt wurde). Oder dass der Beschwerdewege ein mühsamer ist... wozu man auch Ressourcen braucht. Selbstwertgefühl wurde angesprochen. Daher ist für mich auch nachvollziehbar, warum Leute (wie in dem einen Artikel beschrieben) manchmal erst Jahre später initiativ werden.

Und weil auch die Kosten angesprochen wurden: Fehler, die gar nicht erst entstehen, sind in aller Regel "günstiger" als wenn Fehler ausgebügelt. Dass Schieflagen bestehen, sieht man dann auch daran, wenn Patienten beschuldigt werden Kosten zu verursachen... denn es gilt noch immer das Prinzip: Der Schädiger ist für Schaden verantwortlich... und hat diesen daher auch auszugleichen. Daher wäre ein passender Umgang mit Fehlern sicherlich im Interesse vieler.

Wenn man Angst hat, dass Gerichte überflutet werden könnten, wenn mehr Fälle aktenkundig werden, wäre das ein Punkt, der nicht wirklich für Psychotherapien bzw. Psychotherapeuten sprechen würde. Ich denke, dass auch happige Fehler keine Rarität sind, aber auch nicht der Regelfall. Schwieriger zu Handhaben als klare Pflichtverletzungen, sind sicherlich Grenzfälle...
Beispiele für Therapiefehler

Ein häufiger Fehler sind „unaufgelöste
Übertragungserfahrungen oder Abhän-
gigkeiten in der therapeutischen Bezie-
hung“,
also Fehler bezüglich Übertra-
gung und Gegenübertragung (hierzu
Gründel 2000, S. 114–120).
http://www.kanzlei-hgp.de/fileadmin/use ... rdruck.pdf
Vielleicht irre ich... aber in solchen Fällen schätze ich den Nachweis eines Behandlungsfehler als tendenziell schwieriger ein als z.B. bei einem sexuellen Missbrauch, bei dem zumindest die Missbräuchlichkeit des Tuns idR recht klar ist. Denn nicht jede Abhängigkeit ist einer fehlerhaften Therapie geschuldet.
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isabe
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Beitrag Fr., 17.02.2017, 13:25

Zion:
Ja, zum Beispiel. Wobei ich das "wahnsinnig" (als Adverb!) nicht mal ironisch meine, sondern so, dass eben Ottonormalmissbrauchter gar nicht in der Position ist zu sagen: "Ich schreibe jetzt darüber ein Buch und dann gehe ich zu Tilmann Moser, und sorgt dann dafür, dass es veröffentlicht wird und es diskutiert wird".

Stern:
Wegen der Schnittstellen: Ich kenne ja zwei Therapeuten näher, und da wird / wurde in der Tat darauf geachtet (anders kann man das nicht nennen), dass es nicht zu einer Schnittstelle kommt: Einen Vertrag im engeren Sinne, der sämtliche "essentialia negotii" beinhaltet, gab es nicht: von wegen: Wie lange treffen wir uns, was tun wir hier eigentlich; worin bestehen die Chancen und möglichen Nebenwirkungen; was passiert, wenn eine Sitzung ausfällt; wer muss wann seinen Urlaub ankündigen; was ist, wenn der Patient länger pausieren will; was passiert, wenn es Krisen gibt, die nicht innerhalb der Th. geklärt werden können; was passiert, wenn ein Beteiligter die Therapie beenden will - und so fort.

Davon, dass explizit festgelegt ist, dass der Patient die Akten einsehen kann, mal ganz abgesehen. Der Eine sagte: "Sie haben zwar ein Recht dazu, das ist ja jetzt neu, aber..." - am Ende hat er mir dann einen Satz vorgelesen aus dieser Akte, den ich - damals noch in vollkommener Abhängigkeit - "dankbar" angenommen habe. Unmittelbar nach dem Ende hätte ich das gar nicht verkraftet, es zu lesen. Jetzt wäre das vielleicht eine Option.

Der zweite Therapeut, mit dem ich nur allgemein darüber gesprochen habe, sagte: "Na, wenn der Patient erst mal damit anfängt, dass er die Akte lesen will, ist die Beziehung sowieso kaputt" - wobei ich dem sogar zustimme, nur: Wenn die Beziehung kaputt IST, dann besteht ja tatsächlich das Recht weiterhin - nur wurde ich von keinem der beiden darüber aufgeklärt.

Wie gesagt: Ich stimme dem grundsätzlich zu, dass - idealiter - eine therapeutische Beziehung dadurch getragen wird, dass die Vertragsbestandteile nicht explizit gemacht werden. Das Problem ist nur: Wenn man gar nicht darüber redet, dann ist es zu spät, wenn der Fall eingetreten ist, denn dann wird der Therapeut auch nicht sagen: "So, ich beende die Therapie. Hier können Sie alles in der Akte nachlesen". Gut und nötig wäre also - und diese Meinung hatte ich früher nicht -, dazu ausdrücklich (!) verpflichtet zu sein, diese Aufklärung durchzuführen, von wegen: "... und wenn mal der ungünstigste Fall eintritt, haben Sie folgende Möglichkeiten". Und dann muss doch - so ist es doch bei anderen Verträgen auch - der Patient unterschreiben, dass er aufgeklärt worden IST.


Thread-EröffnerIn
isabe
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Beitrag Fr., 17.02.2017, 13:38

Stern:
Zu den Nachweisen: Ich denke, dass man da auch noch mal unterscheiden kann und dann daraus ggf. Konsequenzen ziehen kann. Wenn also z.B. der Patient (ich schildere das hier plastisch) sagt: "Mein Therapeut hat gesagt, er hätte am liebsten, dass ich an seiner Brust sauge", dann kann es sein, dass der Therapeut sagt: "Das habe ich nie gesagt". Dann wäre die eine Frage, die beantwortet werden müsste: "Hat er es gesagt oder nicht?"

Die andere Frage ist: "Ist das falsch, wenn der Therapeut so etwas sagt?" - und wenn man nicht sicher ist: "Gäbe es gute Gründe, so etwas zu sagen?" - und dann müsste weiter geschaut werden, wie die genaue Situation war und wie es dazu kommen könnte, was zweifellos sehr aufwendig ist - das gilt aber nur in Fällen, die schwierig zu entscheiden sind. In jedem Fall ist es wichtig, dass man sich so etwas anschaut, denn ein Therapeut, der mit sich "im Reinen" ist, dürfte keine unendlich großen Schwierigkeiten haben, am Runden Tisch zu erklären, wieso er etwas Bestimmtes gesagt hat.

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candle.
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Beitrag Fr., 17.02.2017, 13:47

isabe hat geschrieben: Wenn also z.B. der Patient (ich schildere das hier plastisch) sagt: "Mein Therapeut hat gesagt, er hätte am liebsten, dass ich an seiner Brust sauge", dann kann es sein, dass der Therapeut sagt: "Das habe ich nie gesagt". Dann wäre die eine Frage, die beantwortet werden müsste: "Hat er es gesagt oder nicht?"
Ich wüßte jetzt nicht was an der Aussage falsch ist, wenn man diese Aussage im übertragenen und analytischen Sinne sieht?

candle
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