Kann ein Thread über 'Erfolgsberichte' funktionieren?

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montagne
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Beitrag Do., 21.05.2015, 16:03

Off-topic
@mitplauderin: Ja das meine ich, so lange wir Leben, ist was zu tun.
Wobei ich schon sagen würde, Probleme können und werden noch auftauchen. Herausforderungen sind es immer und man wird sie bewältigen, die meisten Menschen jedenfalls. Aber ich sage ehrlich, nicht alles in meinem erwachsenen Leben war und ist eine willkommene Herausforderung. Ich sehe viele Menschen, die Herausforderungen zu bewältigen haben, die mehr sind, als nur "ein Anlass zum wachsen".
Ich denke aber, das gehört eben auch zum Leben dazu. Und es hat sicher etwas mit mir zu tun, dass ich hellhörig werde, wenn jemand diese schwierigen Seiten des Lebens leugnet, sowohl an sich als auch an anderen.
Dennoch wie gesagt, gerade weil ich solche Erfahrungen, auch als Ewachsene gemacht habe und sicher noch machen werde, finde ich es interessant und motivierend, zu lesen und zu hören, wie andere mit Schwierigkeiten konstruktiv umgegangen sind, daran gewachsen sind.
Diese OT-Funktion ist ziemlich paradox, die hebt das OT erst so richtig hervor. Seis drum.
amor fati

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Wandelröschen
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Beitrag Do., 21.05.2015, 16:09

montagne hat geschrieben:
Wenn ich den Zustand erreicht habe, in dem ich mich vor Störungsbeginn befunden habe, dann ist für mich völlige Heilung erreicht.
Dann ja...
Für mich wäre das in meinem Fall aber keine völlige Heilung. Völlige Heilung ist für mich ein Ideal, dass ich anstrebe, aber niemals erreichen werde.
Das verstehe ich nicht ganz. Was ist für dich „völlige Heilung“?
Muss dann alles an dir perfekt/ideal sein? Ich habe es hier so verstanden (auch auf mich bezogen), dass sich Heilung auf diese oder jene (einzelne) Störung/Krankheit bezieht, aber nicht auf alles in Summe, was einem Menschen ausmacht, sowohl psychisch als auch physisch.
Es gibt einige psychische Störungen, da spreche ich für mich sehr wohl von Heilung (und da nehme ich gerne die Definition von Jenny Doe), aber ich weiß sehr wohl, wo ich immer noch Macken habe, Baustellen/Störungen (z.B. dass ist ja bekannt, DIS liegt immer noch vor). Und selbst wenn es psychische Narben gibt, darf ich da nicht von Heilung sprechen?
Man kann´s ja mal aufs körperliche beziehen. Ich bringe zur Veranschauung mal ein persönliches Beispiel:

(Achtung, wer Probleme damit hat, Erfolgsberichte anderer zu lesen, weshalb auch immer, sollte diesen Abschnitt jetzt mal nicht lesen!)
Vor gut zwei Jahren hatte ich einen schweren Unfall. Psychisch ging ich auf dem Zahnfleisch (steckte ja gerade mitten in der Traumatherapie) und dann das noch, na ja, kennen wir ja alle, ein Unglück kommt selten allein. Da war unsereins also auch noch körperlich außer Kraft gesetzt. Als ich wieder so halbwegs zusammengeschustert war, fragte ich natürlich die Ärzte, wie es denn mit der Beweglichkeit des einen Gelenks ist, ob das je wieder wird. Die Prognose sämtlicher Ärzte: In der Regel 85-90%, wenn´s gut läuft vielleicht auch 95%. Gut, ich hätte mich damit abfinden können, dass es nie wieder so wird wie vor dem Unfall, machen wohl die meisten. Aber da ist unsereiner halt anders gestrickt. Jetzt, nach gut zwei Jahren intensiver körperlicher Arbeit habe ich mit diesem Gelenk die 95% weit überschritten. In der Beweglichkeit kann es deutlich mehr (andere Gelenke zwangsläufig auch), als vor dem Unfall! Darf ich da für mich persönlich nicht von Heilung sprechen? Gut, wenn man auf die Röntgenaufnahmen schaut, wird man die Spuren des Unfalls sehen, bis zu meinem Lebensende, auch die Narben auf der Haut. Das ist nicht mehr so wie seit der Geburt, einen steten Wandel unterzogen. Schmerzen gibt es in diesem Bereich keinerlei. und bezogen auf den Zustand vor dem Unfall habe ich in diesem Bereich nicht nur den gleichen Zustand erreicht, sondern es ist noch besser. Wenn das nicht Heilung ist, was ist Heilung dann?
Gruß
Wandelröschen

Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.


montagne
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Beitrag Do., 21.05.2015, 16:23

@Wandelröschen:
DU "darfst" für dich von Heilung sprechen, wie du es für richtig hälst. Wenn das für dich Heilung ist, dann ist es so.

Für MICH ist Heilung wie gesagt etwas anderes, bzw. halte ich, wie ich schrieb diese Kategorie für zumindest problematisch in Bezug auf persönliche Entwicklung.
Und auch der Vergleich mit körperlichen Verletzungen oder Erkrankungen finde ich für mich (!) als zu kurz gegriffen.

Ich wollte nur sagen, dass Heilung für mich etwas anderes ist und daher auch die Frage nach Heilung ja/nein anders zu beantworten ist, bzw. ich diese Frage so garnicht stellen würde, sondern sie anders stellen würde.

Nachtrag: Ich denke der Satz, der als nächstes in dem von dir zitierten kam, ist der Schlüssel zum Verständnis. So wie du es zitiert und vllt. gelesen hast, ist es tatsächlich nicht so einfach es zu verstehen.
Zuletzt geändert von montagne am Do., 21.05.2015, 16:35, insgesamt 3-mal geändert.
amor fati


LynnCard
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Beitrag Do., 21.05.2015, 16:32

Ich persönlich halte es für normal, Probleme zu haben und sie auch als solche zu empfinden. Das Leben ist kein Zuckerlecken. Es kommt eben darauf an, inwiefern sich jemand eingeschränkt fühlt, seine Probleme anzugehen, oder sonst in einer Art ein auffälliges Muster zeigt, das als Abweichung erlebt wird. Es gibt so viele normale Übergange in das, was man als Krankheitswert bezeichnet. Wenn jemand gewisse Persönlichkeitsstrukturen beibehält, aber diese in ihren Ecken und Kanten abschleifen konnte, würde man nicht mehr von Störung, sondern Akzentuierung sprechen.
LG Lynn

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Wandelröschen
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Beitrag Do., 21.05.2015, 17:32

Hallo montagne,

ja, ich sehe schon, dass „Heilung“ einer persönlichen Sichtweise unterworfen ist, jeder wohl etwas anderes darunter versteht. Einige habe ihre Sichtweise dargelegt/verständlich gemacht, ich auch, vor allen diejenigen, die für sich Heilung (mindestens in Teilbereichen) verbuchen/erfahren haben.
So wie du schreibst, kommt bei mir an, dass du für dich Heilung noch nicht verbuchen kannst, weil? Ein unerreichbares Ziel? Für alle Zeiten? Etwas Ideelles? Generell nicht erreichbar ist?

entschuldige, wenn ich jetzt noch mal nachhake, aber ich habe deine Antwort
montagne hat geschrieben:
Wenn ich den Zustand erreicht habe, in dem ich mich vor Störungsbeginn befunden habe, dann ist für mich völlige Heilung erreicht.
Dann ja...
Für mich wäre das in meinem Fall aber keine völlige Heilung. Völlige Heilung ist für mich ein Ideal, dass ich anstrebe, aber niemals erreichen werde.
Wandelröschen hat geschrieben: Das verstehe ich nicht ganz. Was ist für dich „völlige Heilung“?
Muss dann alles an dir perfekt/ideal sein?
montagne hat geschrieben: Für MICH ist Heilung wie gesagt etwas anderes, bzw. halte ich, wie ich schrieb diese Kategorie für zumindest problematisch in Bezug auf persönliche Entwicklung. (…)Ich wollte nur sagen, dass Heilung für mich etwas anderes ist und daher auch die Frage nach Heilung ja/nein anders zu beantworten ist, bzw. ich diese Frage so garnicht stellen würde, sondern sie anders stellen würde.
entschuldige, wenn ich jetzt noch mal nachhake, aber ich kann deine Antwort nicht einordnen/damit nichts anfangen. Bin genauso schlau wie vorher. Denn du sagst lediglich, dass Heilung für dich etwas anderes ist. Was denn? Kannst du bitte etwas präziser werden, ich würde es gerne verstehen. Ich würde gerne verstehen, warum für euch Heilung gar nicht infrage kommt bzw. unerreichbar erscheint, oder liege ich da falsch. Dazu bräuchte ich aber die Info, was du darunter verstehst.
Ansonsten ist das Reden über Heilung ja auch irgendwie sinnfrei, wenn man nur die Info hat, dass es was anderes für dich ist.
Gruß
Wandelröschen

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montagne
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Beitrag Do., 21.05.2015, 18:49

@Wandelröschen:
Ich spreche nur für mich, nicht im Namen von "euch/wir". Ich möchte mich explizit in keine dichotome "die die Erfolg für sich verbuchen vs. die, die es nicht für möglich halten" -Spaltung einordnen. Ich versuche gerade auszudrücken, dass ich das eben nicht so dichotom und schwarz/weiß sehe.

Vor zwei Seiten schrieb ich bereits:
Ich habe für mich persönlich zwar schon irgendwie den Eindruck, Erfolg in der Therapie zu haben, sowohl auf objektiv messbarer Ebene, als auch im subjektiven Gefühl her. Dennoch finde ich es im Grunde schwierig, bzw. sehe genau da ein Problem, dass an Therapie, an Seelenarbeit, persönliche Entwicklung die Kategorie Erfolg/Misserfolg angelegt wird. Natürlich gibt es irgendwo objektivierbare Fortschritte (Reduzierung der Symptome, erweiterter persönlicher Handlungsspielraum, dadurch verbesserte Lebensqualität, usw.) oder eben das Ausbleiben solcher Fortschritte. Und da hin- und wieder mal eine Zustandanalyse durchzuführen, sich an dem zu erfreuen, was man bis dato erreicht hat oder Dinge kritisch betrachten, ist sicher auch nötig im Prozess.
Ich schrieb auch:
Für mich wäre das in meinem Fall aber keine völlige Heilung. Völlige Heilung ist für mich ein Ideal, dass ich anstrebe, aber niemals erreichen werde. Und das ist okay, dass kann ich akzeptieren.
Bei mir ist es so, dass ich mich jetzt auf einem Niveau (durchaus auch strukturell gemeint, aber auch was so Alltagsbelasungen und Alltagsfertigkeiten angeht) befinde, dass merklich höher ist, als vor der Therapie. Die Symptome, die mich zur Therapie brachten sind schon lange weg (Depression, Ängste, PTSB).
Trotzdem empfinde ich mich nicht als geheilt.
Für mich ist Heilung in psychischen Belangen ein Idealzustand wie der Weltfrieden oder die vollständige, gelungene Inklusion von Menschen mit und ohne Behinderung, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Sind für mich alles absolut erstrebenswerte Zustände. Ich arbeite daran (jetzt nicht so sehr am Weltfrieden, am anderen schon) OBWOHL mir bewusst ist, dass dieses Ideal, das ich anstrebe zu meinen Lebzeiten und überhaupt nicht erreichbar ist.
Das hat was mit meinem Weltbild zu tun. Ich denke ich habe, maßgeblich durch die Therapie, ein Bild von Welt und Menschen, dass gut genug ist, als dass ich das Schlechte, das Negative, das Unglückliche, das Misslingende sehen kann und die Welt und Menschen und mich immer noch hinreichend okay finde. Und ich möchte das auch nicht aus den Augen verlieren, denn immer wieder die Grenze zwischen dem schon erreichten und dem noch nicht erreichten aufzusuchen ermöglicht erst, weiter voranzuschreiten in den Themen, die mir wichtig sind.


Wie gesagt, vereinfacht gesprochen, wenn mich ein Kollege zwischen Tür und Angel oder eine Freundin um Rat fragt, ob meine Therapie was gebracht hat, ob ich es empfehlen würde, dann würde ich sagen, "Ja, meine Therapie war erfolgreich, (s.o.), ja ich wurde geheilt, bin wieder gesund." Denn das stimmt schon auch, aber es ist einfach verkürzt, nicht vollständig.

Aber wenn ich tiefer einsteige, dann fällt mein Fazit differenzierter aus, dann sehe ich was ich erreicht habe, das ist sehr viel. Ich sehe aber auch, was ich (noch) nicht erreicht habe. Und weiß inszwischen, dass immer wenn ich ein Thema aufgearbeitet habe, ein neues darunter zum vorschein kommt. Ich denke das wird so sein, bis zu meinem letzten Atemzug. Und dann wird es nur aufhören, weil ich eben tot bin und nicht, weil alles geklärt und geheilt ist.
Hinzu kommen die kritischen Lebensereignisse, mit denen viele, die meisten Eben so umgehen müssen und die auch mich nicht verschonen.
amor fati

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Solage
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Beitrag Do., 21.05.2015, 21:20

So ist und empfindet halt jeder anders.
Wenn ich mich selbst akzeptieren kann mit all meinen Macken und nicht nach Perfektion strebe....Wenn dies für MICH passt, dann ist es doch wurscht was andere dazu für eine Meinung haben.
Egal ob das evtl. nur Momentaufnahmen sind, tatsächliche Heilung usw.

Wenn ich mich immer wieder von der Meinung und von mir aus auch wohlgemeinter Kritik anderer beeinflussen lasse, bin ich nicht standfest, strauchele und verliere u. U. den Halt, den ich ich mir schon erarbeitet habe.
Deshalb ist es besser bei sich zu bleiben und auf sich selbst zu hören. Und ja, man darf Kritik einfach abschmettern wenn sie einem nicht gut tut.

Und wenn es mir dann doch wieder schlecht geht und jemand sagt: "Ich habe es doch gewusst, du bist noch gar nicht so weit". Na und, was bedeutet das? Dass dieser Jemand recht hatte...Bloß um wen geht es denn da eigentlich?

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Wandelröschen
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Beitrag Do., 21.05.2015, 22:47

@montane,
danke, jetzt kann ich etwas besser nachvollziehen, was du mit "anders" meinst.
Aber wenn ich das jetzt so auf mich wirken lasse stelle ich für mich fest, so viel anders ist es für mich auch nciht wie erst gedacht. Ich kann mit deiner jetzt geschriebenen Sichtweise schon viel anfangen.
Gruß
Wandelröschen

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Jenny Doe
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Beitrag Fr., 22.05.2015, 04:35

@montane and all
Und weiß inszwischen, dass immer wenn ich ein Thema aufgearbeitet habe, ein neues darunter zum vorschein kommt. Ich denke das wird so sein, bis zu meinem letzten Atemzug. Und dann wird es nur aufhören, weil ich eben tot bin und nicht, weil alles geklärt und geheilt ist.
Hinzu kommen die kritischen Lebensereignisse, mit denen viele, die meisten Eben so umgehen müssen und die auch mich nicht verschonen.
Ich denke die ganze Zeit, beim Lesen der letzten Postings, an meinen Aufenthalt in der Schwindelklinik vor einem guten Monat.
Als ich mit der Therapie dort begann, hatte ich bei den (täglich 4 Stunden Schwindelkonfrontationen) 3 Panikattacken. Ich rannte da mal eben hyperventilierend und heulend aus dem Raum raus - einmal mit samt Wasserschlauch im Ohr - durch die ganze Klinik. Ich war hin- und hergerissen, ob ich die Klinik verlassen soll oder bleiben soll. Doch ich blieb und nahm weiter an den Konfrontationen teil. Am dritten Tag stellte ich fest, ups, mir wird in Folge der Übungen schwindlig, aber es macht mir nichts mehr. Ich verspürte keine Angst mehr. Damit war das Therapieziel erreicht. Die Angst war vom Schwindel entkoppelt worden. Ich hatte die Angst erfolgreich verlernt.
Ich "beklagte", dass mir aber bei der und der Übung (z.B. Drehstuhl) immer noch schwindlig wird. Im zweiten Schritt musste ich somit lernen, was normal ist und was nicht. Die Therapeutin erklärte mir, dass bei diesen Übungen jedem Menschen schwindlig wird. Dieses "Defizit" hat jeder Mensch. Das ist normal.
Ich begriff: Das Entscheidende ist, dass ich auf das, was normal ist, mit Angst reagiere, dass ich das, was normal ist, falsch interpretiere, nämlich als "gefährlich" (z.B. "ich sterbe"). Das ist bei mir das Kranke am Normalen. Das ist mein Problem. Daher rührt mein Leidensdruck. Geheilt war ich in dem Moment, in dem ich auf das, was normal ist, nicht mehr mit Angst reagiere.
Seit dem Klinikaufenthalt mache ich jeden Tag brav meine Hausaufgaben, sprich, ich mache all die Übungen, die ich gelernt habe, zu Hause. Mir wird schwindlig bei den Übungen, aber ich reagiere nicht mehr mit Angst. Ich weiß, "der Schwindel ist normal".

Warum erzähle ich das? Schwindel (bei bestimmten Aktivitäten), kritische Lebensereignisse, ... sind normal. Die hat jeder Mensch. Zu etwas "Krankem" wird etwas Normales dann, wenn man darauf falsch reagiert, nicht damit umgehen kann. Hat man hingegen gelernt damit umzugehen, dann ist man geheilt, obwohl man noch bin zu seinem Lebensende mit kritischen Lebensereignissen konfrontiert wird und einem bis zu seinem Lebensende schwindlig wird, wenn man bestimmte Bewegungen macht. Das "Defizit" Schwindel bei bestimmten Bewegungen und kritische Lebensereignisse bleiben weiterhin bestehen. Doch wenn man "geheilt" ist, vermag man angemessen darauf zu reagieren und damit umzugehen, so wie halt die "Nicht-Kranken" da draußen in der großen Welt.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.

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hawi
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Beitrag Fr., 22.05.2015, 07:26

Jenny,

deine Schilderung finde ich sehr anschaulich, hier gut passend, auch zu etwas passend, das mich hier im Forum, aber nicht allein hier, immer mal wieder „stolpern“ lässt.
Auch zusammen mit dem, was du, montagne, schreibst. Deine Position, Sicht, ich les dich hier ja nicht erstmalig, meine schon, ein wenig von deinen „ Bergen“ zu wissen, sie vielleicht sogar „mitfühlen“ zu können.
Mir scheint, für dich sind „Berge“ auch Antrieb. Dir würde was fehlen, wärst du auf dem höchsten Gipfel angekommen. Ich selber dagegen kann (auch real) Bergen nicht so viel abgewinnen. Mein Ehrgeiz, Antrieb, fast schon entgegengesetzt, grad emotionale „Berge“, sehe, spüre ich sie, trage ich sie am liebsten ab, mach sie (gedanklich) kleiner, niedriger, bis es allenfalls hügelig ist.

Vor dem Hintergrund lese ich hier vieles. War vor allem zu Beginn hier oft erstaunt, dass meine emotionalen Hügellandschaften, für andere grad schroffe Gebirgslandschaften waren. Nicht nur das, dann zumeist mit einer Sicht aus dem tiefsten Tal hinauf zum erstrebenswert höchsten Punkt.

Auch mich stört oft eine gewisse Sicht, ein gewisses Hoffen, das mit dem Wort „Heilung“ verbunden wird. Dazu passt sehr gut, was du, Jenny, bezogen auf „schwindelig werden“ schreibst.
Wie so viele andere Empfindungen, die Mensch haben kann. Bei allen Unterschieden, jeden Menschen wird schwindelig. Empfände jemand nie Schwindel, dann wäre wohl auch das wiederum ein Problem, ein Defizit. Ich wage also zu widersprechen. Ohne es nachzuschlagen, Schwindelgefühl, wie z.B. auch Angst, an sich überhaupt kein „Defizit“, im Gegenteil, bei passender Gelegenheit sehr nützlich als Warnung, als Schutzsignal.
Vieles, wohl das meiste, das psychisch im Übermaß Menschen leiden lässt, krank macht, ist im „Normalmaß“ nicht nur üblich, es ist auch nötig, nützlich, gesund.
Wer grad zu viele Ängste empfindet, mag es so gar nicht sehen können, aber ungesund wären auch fehlendes Angstempfinden, wo Angst schützend nötig ist.

Vielleicht nicht bei allen psychischen Störungen, Erkrankungen, aber bei vielen geht es nicht darum, Empfinden zu „entfernen“, es geht darum, sich selbst anders sehen zu können. Wollte gestern schon, halb scherzhaft, statt „Heilung“ das Wort „Entstörung“ anbieten. Würde aber wohl auch noch missverständlich sein.

Die eigene „Normalität“?!
Eine für alle wird es kaum geben. Selber heil und gesund sein? Ich glaub sogar da gibt es Vielfalt.
Der eine braucht Gesundheit als eher erstrebenswertes Ziel, der andere soweit möglich als Zustand, eigenes Selbstverständnis. In beiden Fällen lässt sich nach besser streben, aber halt jeweils verschieden. Grad auch diese Verschiedenheit finde ich ganz gut und nützlich, jedenfalls grad dann, wenn sich diese Sichten ergänzen.

LG hawi
„Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, daß die Dummen todsicher
und die Intelligenten voller Zweifel sind.“
Bertrand Russell


leberblümchen
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Beitrag Fr., 22.05.2015, 07:50

Jenny, ich glaube, man kann von Heilung immer erst rückblickend sprechen. Das ist ja schon bei jedem Infekt so. Also, unabhängig vom Grad der Besserung kann es sein, dass ein Symptom oder eine Krankheit wiederkommt (oder noch da ist, aber eben 'weggepackt', sodass sie nur noch latent vorhanden ist, ähnlich wie beim herpes). Dann kann der Betroffene z.B. nach einer Therapie oder nach einem Klinikaufenthalt sagen: "Jetzt geht es mir besser", aber ob er geheilt ist, lässt sich vermutlich erst sagen, wenn er weiß, wie er sich in erneuten Krisensituationen fühlt oder verhält.

Das "ich fühle mich besser" ist dabei vermutlich das entscheidende Kriterium, denn bei einer Heilung im klassischen Sinne müssten auch Außenstehende feststellen können: "Du verhältst dich jetzt nicht mehr so wie früher". Dennoch kann es sein, dass der (ehemalige) Patient sich noch immer so 'komisch' verhält wie früher, dass er für sich aber feststellt, dass er damit besser umgehen kann oder dass ihm das 'auffällige' Verhalten (z.B. "ich ärgere mich immer so schnell" / "ich stottere") nun nicht mehr so wichtig ist. Dann ist das wie im Witz: "...ich mache mir immer noch in die Hosen, aber es macht mir nichts mehr aus" - über den vermutlich jeder, der noch nie eine Therapie gemacht hat, herzhaft lachen kann, weil ihm das so absurd erscheint. Trotzdem kann es sich für den Betroffenen genauso "richtig" anfühlen. Dann stellt sich die paradoxe Frage, ob es diesem Patienten mit seinem Symptom nicht sogar besser geht, als es ihm ohne das Symptom gegangen wäre; denn immerhin hat er so gelernt, sein Leben bewusst zu fühlen und zu gestalten - womit er vermutlich mindestens der Hälfte seiner Zeitgenossen voraus ist...

Insofern bin ich skeptisch, wenn jemand mit einer Persönlichkeitsstörung von Heilung spricht. Ein "es geht mir besser" mag nach weniger klingen, aber irgendwie wirkt es auf mich ehrlicher und damit 'andockbarer'.

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Nico
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Beitrag Fr., 22.05.2015, 08:00

Boah Heilung ist aber ein gewaltig komplexes Thema.
Ich weiß schon, dass es hier um psychische Krankheiten und Persönlichkeitsstörungen geht, aber das ist halt nicht mein Gebiet, darum steuere ich was anderes bei.
Wie schaut es z.B. bei Alkoholismus mit Heilung aus ?
Ist meiner Meinung nach unheilbar weil jederzeit und nach egal wievielen Jahren ein Rückfall möglich ist und dennoch ist man ja praktisch geheilt solange man Alkohol meidet.
Ein anderes Beispiel bei dem ich bitte mich nicht festzunageln weil ich dann nochmals nachlesen müsste um genaueres angeben zu können. Hab gerade ein Buch gelesen ( quasi Biographie) und da ging es um einen Tumor der mittels Strahlentherapie heilbar ist, jedoch ergibt sich aufgrund der Bestrahlung ein extrem hohes Risiko dass innerhalb weniger Jahre ein ganz andersgearteter Krebs auftaucht. Jetzt stellt sich mir die Frage ob das dann Heilung ist ?
Nicht das schwarze Schaf ist anders, sondern die weißen Schafe sind alle gleich ;)


Jenny Doe
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Beitrag Fr., 22.05.2015, 08:53

@ leberblümchen
Jenny, ich glaube, man kann von Heilung immer erst rückblickend sprechen.
Mit dem Wort "Heilung" kann ich nicht wirklich was anfangen. Meist setzte ich das Wort in "...", wenn über Heilung diskutiert wird. Denn ich erlebe mich nicht als krank. Ich habe nur einfach nicht gelernt (bzw. wieder verlernt, wie z.B. Angst beim Schwindel aufgrund einer vorausgehenden organischen Erkrankung) richtig auf Situationen, Emotionen usw. zu reagieren. Für mich sind meine Probleme "Lerndefizite". Von daher passt für mich eigentlich "(Neu bzw. Um-)Lernen" besser als Heilung. Für mich ist "Heilung" erreicht, wenn ich etwas gelernt habe, neu gelernt habe, umgelernt habe, Altes verlernt habe. Von dem Moment an, in dem ich etwas anders mache als vor der Therapie, empfinde ich (Teil-)Erfolg und "Schritt in Richtung "Heilung"".
"Jetzt geht es mir besser", aber ob er geheilt ist, lässt sich vermutlich erst sagen, wenn er weiß, wie er sich in erneuten Krisensituationen fühlt oder verhält.
Sehe ich auch so. Ob etwas geholfen hat kann man erst beurteilen, wenn man es ausprobiert hat.
Deshalb denke ich, dass ich bei mir sagen kann "ich bin "geheilt"", weil ich bei jeder Schwindelkonfrontation keine Angst mehr verspüre. Ich habe gelernt den Schwindel anders zu interpretieren, ich habe dramatisierende Gedanken wieder verlernt, ..
Ich betrat die Klinik mit dem Satz "Ich fühle mich hilflos dem Schwindel und der Angst ausgeliefert, ich habe kein Selbstwirksamkeitsgefühl". Wenn der Schwindel wiederkommen sollte, dann weiß ich jetzt - Dank der Therapie -, wie ich mir selber helfen kann. Wenn ich mir selbst helfen kann, selbst meine Probleme lösen kann, dann ist mein Therapieziel erreicht.

@ hawi
Mir scheint, für dich sind „Berge“ auch Antrieb.
Ich liebe Berge und wohne auch in den Bergen. Sie stellen Herausforderungen dar. Wenn man diese bewältigt hat, dann wird man mit einem tollen Ausblick belohnt.
Empfände jemand nie Schwindel, dann wäre wohl auch das wiederum ein Problem, ein Defizit.
Das haben die Therapeuten in der klinik auch gesagt. Zum Glück wird Ihne schwindlig. Würde ihnen nicht schwindlig werden, dann wären sie ernsthaft krank".
Im Prinzip kann man das auf alles anwenden, auf jedes Gefühl. Z.B. Aggression oder Wut zu sprüren kann genauso "krank" sein, wie Aggression und Wut nicht fühlen können.

@ Nico
Boah Heilung ist aber ein gewaltig komplexes Thema.
Konplex, aber auch spannend zu lesen, wie jeder so für sich Heillung und Therapieerfolg erlebt und definiert, woran er diese festmacht usw.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.


LynnCard
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Beiträge: 529

Beitrag Fr., 22.05.2015, 09:17

montagne hat geschrieben:Für mich ist Heilung in psychischen Belangen ein Idealzustand wie der Weltfrieden
Also etwas völlig Unmögliches, das kein Mensch auf dieser Welt erreichen kann, auch nicht die sogenannten "normalen" Menschen, die sind ja weitaus noch verrückter und kranker, könnte man da nur sinnieren. Überhaupt ist diese Leistungsgesellschaft doch eher auf Krieg ausgerichtet.

Ich würde deshalb das Wort "Heilung" sinnvollerweise ganz anders definieren, nämlich als Zustand einer durchschnittlichen Leistungsfähigkeit und Unversehrtheit, körperlich und psychisch, aber ein gesunder Mensch kann sich durchaus trotzdem in den Krieg begeben und in dem Sinne Anteil einer verrückten Gesellschaft sein. Und danach wird er wohl kaum noch psychisch unversehrt sein, sondern traumatisiert.
Jenny Doe hat geschrieben:Doch wenn man "geheilt" ist, vermag man angemessen darauf zu reagieren und damit umzugehen, so wie halt die "Nicht-Kranken" da draußen in der großen Welt.
Diese Definition finde ich auch sinnvoll, wobei die Nicht-Kranken auch nicht immer angemessen reagieren können und trotzdem deshalb nicht krank sind. Der Mensch ist nicht als perfektes Wesen angelegt, weder biologisch noch psychisch. Sonst wäre er nicht sterblich und würde auch nicht altern. Es geht also mehr um eine durchschnittlich angemessene Reaktion, statistisch gesehen. Wenn also 99% etwas gut bewältigen können und 1% damit Probleme haben, ist das ein Indiz dafür, dass die 1% offenbar ein Defizit haben in diesem Bereich.
LG Lynn


kaja
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Beitrag Fr., 22.05.2015, 17:48

Ich bin mir nicht ganz sicher ob es hier rein passt, aber ich habe diese Woche erlebt wie unterschiedlich Menschen "Erfolg" für sich definieren.

Ich war zu einem Kontrolltermin beim Psychiater. Termine bei diesem Mann haben nicht selten in Auseinandersetzungen geendet, z.B. weil er ein ausgeprägtes Redebedürfnis hat und ich finde mein Privatleben geht ihn gar nichts an, die für beide Beteiligten nicht wirklich schön waren.

Bei dem Termin diese Woche stellte er zufrieden fest was für ein Erfolg es doch sei das ich weiterhin zu ihm komme, wie positiv unsere Beziehung doch geworden sei und wie gut es doch sei das ich zu ihm gehe obwohl er nicht die Leistung bringt die ich erwarte.
Kurzum, der Psychiater war sehr zufrieden mit sich und seinem Erfolgserlebnis.

Das ich nur weiter zu ihm gehe weil ich als Kassenpatient frühestens 2016 einen Termin bei einem anderen Psychiater bekommen würde oder weil es egal ist ob ich mit ihm diskutieren muss oder mit einem anderen Psychiater, kam ihm alles nicht in den Sinn.

Erfolg ist wie ich nochmal deutlich gesehen habe eine sehr subjektive Einschätzung.
After all this time ? Always.

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