Diagnostik, Diagnose und passende Therapie

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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münchnerkindl
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Beitrag So., 10.09.2023, 20:01

candle. hat geschrieben: So., 10.09.2023, 19:19
Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das ja die wichtigste Zeit zur Persönlichkeitsentwicklung bzw. die Zeit in der später daraus resultierende Störungen entstehen, wenn man nicht gut angenommen wurde.

Ich denke es resultiert darin dass man sich auf der Welt nie sicher fühlt.

Meine Mutter hat die Gewohnheit auf alles was ihr gefühlt gegen den Strich geht aggressiv und bösartig zu reagieren. Mir gegenüber als Kind recht häufig aber auch mit völlig unprovozierten Gemeinheiten und Abwertungen einfach mal so aus Spaß am mir eine reinwürgen. Verständnis, echtes Interesse und Empathie sind jedenfalls so ziemliche Fremdwörter für sie.

Ich kann mir jedenfalls extrem gut vorstellen dass sie es mir übel genommen hat wenn ich völlig babytypische nervige Sachen gemacht habe wie brüllen oder Durchfall haben.

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Montana
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Beitrag So., 10.09.2023, 20:09

Was genau bedeutet denn "über Wasser halten"? Das, was ich über die Familie meiner leiblichen Mutter weiß, ist alles andere als positiv. Da wurden über Generationen die selbst erlebten schrecklichen Dinge weitergegeben. In verschiedenen Formen, die muss ich hier nicht aufzählen. Nichts davon weiß ich von ihr selbst, aber es gab Menschen, die mir auf Nachfrage manches erzählt haben. Selbst irgendwie zu überleben bedeutet ja nicht, dass man ein gutes Leben hat und seinen Kindern ein solches ermöglichen könnte.

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reddie
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Beitrag So., 10.09.2023, 20:33

Naja, die psychologischen Erkenntnisse kamen ja erst Anfang 1900 Jahrhundert in Umlauf. In den Generationen davor wurde viel verdrängt, unter den Teppich gekehrt.
Ich hatte in meinem Leben viel Kontakt zur Zweiten-Weltkriegs-Generation und wenn man da ehrliches Interesse zeigte, öffneten sich diese Menschen und ich erkannte die tiefe Traumatisierung. Es sassen aber alle im selben Bot, was den Zusammenhalt stärkte.

Dass meine Vorfahren im Krieg, den sie definitiv ablehnten, großen Belastungen und Traumata ausgesetzt waren, hat mir das verstehen und teilweise vergeben leichter gemacht.

Witzig (oder nicht), dass ich auch glaub, meine Mutter haben meine Bedürfnisse als Baby eher genervt, genau wie münchnerkindl es beschreibt. Nach außen war aber immer alles ganz toll und ich ein Wunderkind. Zu Hause war sie dann ganz anders. Das kann einen gepflegt verwirren.
Ich dachte lange Zeit, alle Menschen würden sich "draußen" verstellen. :neutral:


Schlaft alle gut!
reddie

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candle.
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Beitrag So., 10.09.2023, 21:18

reddie hat geschrieben: So., 10.09.2023, 20:33 Es sassen aber alle im selben Bot, was den Zusammenhalt stärkte.
Und das ist genau das, was mir fehlt: Das Boot.

"Früher" lasse ich lieber weg, nehme es zurück. Da schlägt es mir zu aggressiv entgegen.

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reddie
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Beitrag So., 10.09.2023, 21:53

Meinst du die Verbundenheit im Allgemeinen, candle?

Ich glaub, ehrlich gesagt, dass die neuen Medien da irgendwie nicht geholfen haben. Ich kann heute zwar mit Menschen rund um den Erdball in Kontakt kommen, zu jeder Uhrzeit. Aber Verbindung und Verbundenheit ist - für mich - etwas, was über die Zeit entsteht und im direkten Kontakt.

Und in Kriegszeiten muss man irgendwo auch wirklich zusammenhalten. Ich bin dem Bauern in Mecklenburg-Vorpommern immer noch dankbar, dass er meine Omi mit meiner Mutter und ihrer Schwester (6 und 4) nach der langen Flucht aus Ostpreußen aufgenommen hat. Dass die Russen dann dennoch da waren, das ist Wahnsinn. Meine Oma hatte sich versteckt (hoffentlich gut, sie wollte nicht darüber reden) und dann standen die Soldaten bei den Kindern im Zimmer. Sie haben ihnen aber nichts angetan. Meine Mutter hat schon mehr verstanden als ihre kleine Schwester. Aber im Grunde war dieser Wahnsinn für niemanden zu verstehen. Unglaublich, durch welche Geschichten die Menschheit schon durch musste. Und nach dem Krieg galt mein Opa als vermisst. Ich durfte erst nach ihrem Tod nach seinem Grab suchen, da sie sich einredete er würde noch leben und mit einer Russin ein neues Leben führen.

Endlich fand ich dann - mit der leisen Zustimmung meiner Mutter- sein Grab, verstorben im Kriegsgefangenenlager in der heutigen Ukraine.

Mutti erzählt euch wieder Geschichten vom Krieg.
Nun ist aber Schluss.

Schlaft alle gut!

reddie

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candle.
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Beitrag So., 10.09.2023, 22:56

reddie hat geschrieben: So., 10.09.2023, 21:53 Meinst du die Verbundenheit im Allgemeinen, candle?
Nein, ich meinte es eher so, dass ich niemanden habe, der die gleichen Erfahrungen gemacht hat. Es ist schon sehr unterschiedlich, ob eine Gruppe unter gleichen Bedingungen leidet oder ein einzelner unter den Eltern. Ich habe da niemanden zum Austausch, der das kennt sozusagen.

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Montana
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Beitrag Mo., 11.09.2023, 07:55

Das ist sehr schade, denn es wird andere mit sehr ähnlichen Erfahrungen geben. Wirklich gleich natürlich nicht, aber das betrifft die Menschen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, natürlich auch. Die Erlebnisse ähneln sich, sind aber nie völlig gleich. Dass es da ein Gemeinschaftsgefühl gibt, wage ich zu bezweifeln. Ich kenne es eher, dass nicht drüber geredet wurde. Außer in ganz besonderen Momenten, wenn Gespräche persönlich werden. Ansonsten wurde, der ganzen Welt gegenüber, das Gesicht gewahrt.

Meine Oma väterlicherseits hat mir viel erzählt, ebenfalls Flüchtling, aber allein als junges Mädchen mit einem sehr viel jüngeren Bruder. Mein Heimatort war einfach nur zufällig der Standort eines großen Flüchtlingslagers. Hier war sie dann und lernte meinen Opa kennen. Übrigens war der Krieg nicht das einzige Drama dieser Familie, sondern da gab es noch mehr. Schwere Krankheiten mit Todesfolge und anderes. Und so sind Schicksale in mancher Hinsicht ähnlich, aber dennoch sehr individuell.

Mich berührt das immer sehr, wenn darüber erzählt wird, und ich finde das unendlich wichtig. Eine ältere Bekannte hat mir über die Flucht über das zugefrorene Haff erzählt. Sie war als junges Mädchen dabei. Vorher kannte ich das nur aus einer Fernsehdokumentation, aber es gibt noch Menschen, die haben das selbst erlebt und überlebt.

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candle.
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Beitrag Mo., 11.09.2023, 10:03

Montana hat geschrieben: Mo., 11.09.2023, 07:55 Dass es da ein Gemeinschaftsgefühl gibt,
Wie gesagt: Ich meinte das auch nicht so.
Mein Opa ging zu einen Kriegsveteranen Treff.
So in etwa meine ich. Es ist eine Gruppe von Menschen einer Situation ausgesetzt. Das hat man eben so nicht als Kind.

Wenn es jetzt noch unverständlich ist, kann ich nicht helfen.

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NeueWege
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Beitrag Mo., 11.09.2023, 10:14

Hallo Candle,

das stimmt natürlich, als Kind hat man so etwas in der Regel nicht. Aber, wenn man das möchte, kann man sich als Erwachsene Austausch mit anderen Menschen suchen, die als Kind ähnliche Erfahrungen machen mussten.

Aber ich glaube, ich verstehe, was du meinst. Als Kind ist man mit der Situation erstmal allein, auch wenn vielleicht zwei Häuser weiter ein anderes Kind genau das Gleiche erleiden muss. Wenn gerade ein allgemeiner „Ausnahmezustand“ (Krieg, Naturkatastrophe) herrscht, dann sitzen sofort mehrere im gleichen Boot und es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl (sage ich mal so, habe ein sogenanntes Jahrtausendhochwasser miterlebt).

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chrysokoll
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Beitrag Mo., 11.09.2023, 11:01

NeueWege hat geschrieben: Mo., 11.09.2023, 10:14 Wenn gerade ein allgemeiner „Ausnahmezustand“ (Krieg, Naturkatastrophe) herrscht, dann sitzen sofort mehrere im gleichen Boot und es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl (sage ich mal so, habe ein sogenanntes Jahrtausendhochwasser miterlebt).
ich bin mir nicht sicher ob dieses Gemeinschaftsgefühl so sehr trägt und so viel bringt.
Wenn ich mich da zurück erinnere: Noch in meiner Kindheit hockten die alten Männer zusammen und redeten vom Krieg. Immer und immer wieder. Hat es ihnen geholfen? Ich bezweifle das.
Klar, sie hätten moderne Behandlungen gebraucht. Die hab es nunmal damals nicht.
Aber hilft es die alten Geschichten immer und immer wieder mit Leuten zu teilen die das auch erlebt haben? Hindert es nicht eher auch eine Neuorientierung? Ein nach-vorne-blicken?

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Reverie
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Beitrag Mo., 11.09.2023, 11:14

Ein Boot, ein Auffangnetz, eine Schulter an der ich mich ausweinen konnte, gab es auch für mich nicht. Ich lebte als Kind in einer Welt, in der es nur Demütigung, Gewalt und Angst gab. Da war niemand, mit dem ich hätte sprechen können. Ich habe mich so sehr für diese Familie geschämt, dass ich alles tat, damit niemand etwas merkt. Wenn in der Schule oder bei Freunden etwas an meinem Verhalten auffiel, habe ich mit Ausreden bagatellisiert. Das Gefühl, alleine zu sein, dass niemand sonst auf der Welt mit mir fühlt, mich auch nur verstehen könnte, hat mich bis heute nicht verlassen.

Noch heute fühle ich mich stigmatisiert und ertrage es nicht, wenn mich jemand länger ansieht, dann meine ich, man sieht mir alles an. Dann fühle ich mich durchsichtig und möchte in den Boden versinken, so erdrücken mich Schuld- und Schamgefühle. Die Schuld, die das Opfer stellvertretend für die Täter übernimmt.

Es ist mir erst jetzt in meiner 3. Therapie möglich, diese Traumata näher zu benennen. Das kostet mich unendlich viel Kraft und Überwindung. Manchmal, wenn ich meinen Gefühlen nachspüre, frage ich mich, ist das wirklich Trauer, die ich fühle, Schmerz, Enttäuschung, Wut, Hoffnung - oder ist das meine Vorstellung davon? Ich weiß es nicht wirklich. Nur das Gefühl des Alleinseins, dass mein Erleben von niemandem wirklich nachempfunden werden kann, ist sehr real.

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Zephyr
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Beitrag Mo., 11.09.2023, 11:55

Das Gefühl ganz alleine mit den Erfahrungen, mit meinen Gefühlen und Erlebnissen zu sein, isoliert und „anders“, „fremd“ zu sein, das kenne ich auch und das ist für mich eine dieser ganz starken Grunderfahrungen, die oft alles überschatten. Dass ich einfach sowieso getrennt bin von allen, dass es da keinen Weg für mich gibt in deren Welt rein zu kommen. Oft gekoppelt mit einem Gefühl von Resignation, Scham und Schuld.

Seit einiger Zeit kann ich mit einer meiner Schwestern manchmal zumindest über unsere Mutter reden, was mir sehr hilft, auch wenn diese Schwester eine grundlegend andere Rolle im System (auch da ging vieles über Spaltungen) und damit teilweise ganz andere Erfahrungen gemacht hat. Trotzdem gibt es Schnittmengen.

Außerdem habe ich ein Jahr lang an einer Selbsthilfegruppe zum Thema sexualisierte Gewalt teilgenommen . Das hat mir mit diesem Gefühl fast noch mehr geholfen. Ich werde das bald wieder starten und hoffe, dass mir das weiter hilft.

Auch die Menschen in der SHG haben natürlich nicht exakt die selben Hintergründe/ Erfahrungen wie ich - soetwas gibt es ja auch nicht. Aber trotzdem haben wir unglaublich oft ein Gemeinschaftsgefühl gehabt und das Gefühl einander in manchen Belangen einfach intuitiv zu verstehen. Konflikte gab es natürlich auch, aber zum Glück n7r selten und wir konnten sie immer klären - das war auch eine wichtige Erfahrung für mich.

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Montana
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Beitrag Mo., 11.09.2023, 14:20

candle. hat geschrieben: Mo., 11.09.2023, 10:03 Mein Opa ging zu einen Kriegsveteranen Treff.
So in etwa meine ich. Es ist eine Gruppe von Menschen einer Situation ausgesetzt. Das hat man eben so nicht als Kind.
Das verstehe ich. Als Kind hatte ich sowas natürlich auch nicht und auch lange Zeit danach nicht. Dein Opa ging vermutlich nicht unmittelbar nach dem Krieg zu diesen Treffen, sondern auch erst später? Mich würde es wundern, wenn es das schon früher gab.

Meine Oma hat übrigens auch Ausgrenzung erfahren dafür, ein Flüchtling zu sein. So ganz waren eben auch nicht alle in einem Boot. Auch nicht in den Nachkriegsjahren. Auch, wenn alle wenig hatten, wurde teilweise noch nach denen getreten die noch weniger hatten.

Ich empfinde zwar inzwischen in der SHG sowas wie ein Gemeinschaftsgefühl, aber tatsächlich bin ich nur "pro forma" Mitglied der Gruppe. Weil mir Erinnerungen an MB fehlen. Ich kann also etwas beitragen, wenn es um Traumafolgestörungen geht, aber ich gehöre nicht zu denen, die tatsächlich ein solches Trauma erinnern. Es fehlt also der Grund, überhaupt eine Traumafolgestörung (egal welche) zu haben. Das ist für die anderen gar kein Problem, aber für mich ist das nicht ganz einfach. Ich würde z.B. nie an offiziellen Veranstaltungen teilnehmen, wo der Verein irgendwas macht, weil ich das nicht repräsentieren könnte. Das wäre ja eine Lüge. So bin ich auch in der SHG nicht so richtig unter Menschen, die sich so fühlen wie ich. Die wissen alle, was sie erlebt haben, und ich bin da die Ausnahme.

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candle.
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Beitrag Mo., 11.09.2023, 14:32

Ich mag Selbsthilfegruppen und finde das wirklich eine gute Unterstützung, allerdings ging es da nie um das Früher, sondern um das jetzt. Da werden keine Traumata angesprochen.

candle
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Montana
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Beitrag Mo., 11.09.2023, 15:44

Bei uns auch nicht, aber es ist trotzdem ein Unterschied. Zumal es eine Gruppe speziell für Betroffene von sMB in der Kindheit ist. Ich weiß nicht so genau, wie ich da gelandet bin. Die ersten Treffen sind genauso weg wie die ersten Stunden beim aktuellen Therapeuten. Kam beides durch Zufälle raus, selbst gemerkt habe ich das nicht.

Ich habe mit SHG sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Als grundsätzlich gut würde ich das nicht ansehen, aber als auf jeden Fall einen Versuch und ein Kennenlernen wert. Es hängt halt sehr an den Mitgliedern, wie es dort ist.

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