Anna-Luisa hat geschrieben: ↑Do., 25.07.2019, 23:22
Es wäre die Verschwendung meiner Zeit und meines Geldes. Er soll bitte ganz arbeiten - oder gar nicht. Hätte mir meine Therapeutin nicht abgesagt - sondern mitgeteilt, dass sie müde ist, hätte ich angenehme Ruhe gewünscht und wäre gegangen.
Was stört dich denn jetzt genau, wenn sie überhaupt müde ist oder nur, wenn sie es dir sagen würde?
Es gibt ja prinzipiell verschiedene Varianten:
1. sie ist tatsächlich nicht müde (kann aber ggf. trotzdem irgendwelche anderen Befindlichkeiten haben, die sie beeinträchtigen z.B. Kopfschmerzen, frieren, Hunger o.ä.)
2. sie ist müde, sagt es aber nicht und du merkst es auch nicht. Das ist noch keine Garantie dafür, dass sie nicht in fitterem Zustand vielleicht noch eine bessere Leistung erbracht hätte, dazu fehlt dir die direkte Vergleichsmöglichkeit.
3. sie ist müde, sagt es nicht, aber du merkst es. Das ist in meinen Augen der ungünstigste Fall
4. Sie ist müde und sagt es dir, obwohl du gar nix davon gemerkt hat (weil sie vielleicht trotz Müdigkeit noch "ihr Geld wert" ist?).
5. Sie ist müde, was du gemerkt hast, und sagt es dir. Ist zwar vielleicht nicht optimal, aber man kann dann zumindest darüber reden und gemeinsam überlegen, wie man gemeinsam damit umgehen will. Das gäbe dir dann z.B. die Gelegenheit zu sagen, dass du so nicht mit ihr arbeiten willst.
6. Sie ist vielleicht nicht die ganze Zeit müde und kann im weiteren Verlauf der Stunde einen genialen Einfall haben, der dich elementar weiterbringt...
...
So könnte man noch zahllose andere Szenarien entwerfen, woran in meinen Augen deutlich wird, dass es das schwarz-weiß-Denken, was du propagierst (wenn der Therapeut sagt, dass er müde ist, kann er automatisch seine Arbeit nicht richtig machen, ist sein Geld nicht Wert und soll die Stunde absagen), wahrscheinlich doch nicht ausreicht, um dieser Frage gerecht zu werden. (Mal ganz davon abgesehen, was es für die Entwicklung der Wartezeiten auf einen Therapieplatz bedeuten würde, wenn Therapeuten jedes mal, wenn sie müde sind, alle Therapiestunden absagen würden...)
Müde zu sein, ist ja erst mal ein normaler, vorübergehender Zustand, der auch plötzlich auftreten oder auch wieder verschwinden kann, mal mehr oder weniger beeinträchtigend ist und nicht selten auch etwas mit dem zu tun hat, was gerade therapeutisch stattfindet. Ich arbeite ja auch mit Menschen und bei manchen Menschen, werde ich überzufällig häufig während des Termins müde, obwohl vorher noch alles in Ordnung war und das hat nicht nur was mit mir und meiner work-life-sleep-balance zu tun, sondern auch mit den Klienten. Das wird Therapeuten nicht anders gehen. Zumindest in den psychodynamischen Verfahren sind genau die eigenen Reaktionen auf den Patienten das Instrumentarium mit dem die Therapeuten arbeiten. Insofern verschwendet also ein TP- oder AP-Therapeut nicht deine Zeit und dein Geld, wenn er dir sowas zurückmeldet, sondern er macht seinen Job.
Dass jemand nie müde ist, wenn er oder sie arbeitet, halte ich übrigens für eine ausgesprochene Seltenheit, da kannst du dich wirklich glücklich schätzen wenn das bei dir klappt. Denn neben einer guten, gesunden Konstitution mit Abwesenheit von Schlafstörungen jeglicher Art, dürfen auch noch weder, Stress, laute Nachbarn, Partner, Kinder oder Haustiere, die einen nachts mit Krankheiten, nächtlichen Aktivitäten und Co wachhalten und auch sonst keinerlei beeinträchtigende Lebensereignisse vorhanden sein. Oder man muss so finanziell abgesichert sein, dass man es sich leisten kann, in jedem der o.g. Zwischenfälle, alle Termine vorsorglich abzusagen. Letzteres halte ich im Hinblick auf die Einkommenssituation von Psychotherapeuten für wenig wahrscheinlich (Zumindest so lange, wie noch nicht alle für die Ausbildung und die Finanzierung des Kassensitzes notwendigen Darlehen bezahlt sind...) und im Hinblick auf die Bedeutung von Kontinuität und Verlässlichkeit in der Therapie auch nicht für sinnvoll.