Kann ein Thread über 'Erfolgsberichte' funktionieren?

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hawi
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Beitrag Do., 21.05.2015, 13:28

Annemarie hat geschrieben:Darf ich das erzählen? ... Ja, das "warum nicht" ist mir nach wie vor nicht klar.

Darf ich das in so einem Forum erzählen? ... Wo, wenn nicht hier. Ich habe mich riesig gefreut, des öfteren gelesen zu haben, daß Erfolgsgeschichten sehr wohl aufbauend auf Menschen wirken können, die sich gerade in einer schwierigen Zeit bewegen.
Ja Annemarie, ich sehe aber durchaus eine Kehrseite, zumindest eine Möglichkeit.
Nicht geschrieben, um gegen Erfolgsberichte zu schreiben, aber nur glänzend für alle wird so ein Bericht, denke ich, nicht wirken.

Er kann, könnte, bei manch einem das genaue Gegenteil erreichen. Erfolge anderer, die man selbst nicht hat, obwohl man es gern hätte, sich selbst so auch wünscht, aber erfolglos?! Wer mit diesem Hintergrund liest? Nicht so fern liegend, sich dann ausgeschlossen zu fühlen, nicht dazu gehörig, abseits der Erfolgreichen. Wer sich womöglich sogar mal so äußert, wird dann oft zusätzlich noch in die Neidecke gestellt.

LG hawi
„Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, daß die Dummen todsicher
und die Intelligenten voller Zweifel sind.“
Bertrand Russell

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Annemarie
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Beitrag Do., 21.05.2015, 13:45

Gut, Hawi, daß kann natürlich sein und so etwas wäre wirklich nicht mein Ansinnen.

Nur, ist das nicht eine sehr einseitige Sicht der Dinge? Was ist mit den Menschen, die sich (erfahrungsgemäß) sehr oft fragen, ob es da überhaupt einen Weg hinaus geben kann. Für diese kann es durchaus wichtig sein, vom Erfolg (wie groß oder klein er sein mag) anderer zu lesen ... und Hoffnung zu schöpfen.

Es gibt immer beide Seiten, das ist mir schon klar. Aber was wäre die Alternative? Gar nichts mehr zu schreiben?

Lg. Annemarie

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Nico
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Beitrag Do., 21.05.2015, 13:59

Ich kann da nur aus meiner Erfahrung als Alkoholiker etwas beisteuern.
Bei uns sind z.B. schon während der Entziehungskur in der Klinik " Ehemalige" auf Besuch gekommen und haben uns erzählt.
Ebenso die ganzen Erfahrungsberichte bei den AA, sowohl positive ( lange glückliche Abstinenz) als auch negative ( Rückfälle oder vergebliches Bemühen vom Alk wegzukommen).
Wir sind immer sehr an diesen Erzählungen gehangen und sie haben sehr geholfen, den einen haben sie Hoffnung gegeben und den anderen Trost weil sie gesehen haben, dass es auch anderen schwer fällt und sie nicht alleine in ihrem derzeitigen scheitern sind.
Ich bin überzeugt davon, dass Erfahrungsberichte und Erfolgsberichte in Summe sehr viel positives bewirken.
Nicht das schwarze Schaf ist anders, sondern die weißen Schafe sind alle gleich ;)


chaosfee
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Beitrag Do., 21.05.2015, 14:03

Dass Erfolgsberichte hilfreich sein KÖNNEN, darüber sind sich ja alle mehr oder minder einig. Aber es gibt eben auch die Kehrseite, die hawi erwähnt hat, und die sollte auch einen Platz bekommen.
"Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen." Adorno

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Nico
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Beitrag Do., 21.05.2015, 14:08

Nein nicht dass Erfolgsberichte auch hilfreich sein K Ö N N E N sondern dass Erfolgsberichte vorwiegend hilfreich sind, aber wenn sie auf falschen Boden fallen auch schaden K Ö N N E N.
Fände ich persönlich als zutreffender.
Nicht das schwarze Schaf ist anders, sondern die weißen Schafe sind alle gleich ;)

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hawi
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Beitrag Do., 21.05.2015, 14:10

Annemarie hat geschrieben:Es gibt immer beide Seiten, das ist mir schon klar. Aber was wäre die Alternative? Gar nichts mehr zu schreiben?
Annemarie, ich seh keine Alternative. Erfolge, Positives, nicht mehr zu äußern, wäre jedenfalls sicher keine. Ich wollte nur aussagen, hinweisen, dass eben auch hier nicht für alle alles gleich gut ist, gleich positiv ankommt, wirkt.

LG hawi (Nico und chaosfee noch nicht gelesen)
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Jenny Doe
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Beitrag Do., 21.05.2015, 14:19

@ montagne
Es geht auch garnicht, weil auch mit noch so langer Therapie gewisse strukturelle Defizite bleiben werden, auch bei solchen Menschen, die nur wenig gestört sind.
Dem möchte ich widersprechen, weil ich durchaus die Erfahrung "völliger Heilung" gemacht habe. Es kommt vielleicht auch darauf an, ob man z.B. wegen einer Persönlichkeitsstörung oder Kindheitserlebnisse in Therapie geht oder wegen z.B. einer Angststörung, die kürzlich aufgrund eines Ereignisses entstanden ist. Wenn ich den Zustand erreicht habe, in dem ich mich vor Störungsbeginn befunden habe, dann ist für mich völlige Heilung erreicht. Diesen Zustand habe ich bei den Problemen, die in der Therapie bearbeitet wurden, durchaus erreichen können. Was mich jetzt noch belastet sind die Dinge, die in der Therapie nicht bearbeitet werden konnten, weil die 80 bewilligten Stunden nicht reichten um an allem zu arbeiten bzw. ich mich während der Therapie mitten in den ganzen Diplomprüfungen steckte und mich deshalb nicht 100% einlassen konnte und wollte. Natürlich gibt es auch in meinem Leben Dinge, die nie heilen werden, weil einfach zuviel kaputt gemacht wurde. Hier muss ich lernen damit zu leben und es zu akzeptieren (was nicht einfach ist). Aber nichts desto Trotz habe ich auch die Erfahrung völliger Heilung in anderen Themenbereichen gemacht, so dass ich denke, dass die Frage nach der Heilung auch davon abhängt, welches Problem man hat.

@ Annemarie: Da es hier kein "Danke-Knöpfchen " gibt, ein verbales "Danke" für Dein Posting.
Und auch von mir: Nein, ich muss niemandem beweisen, dass mir Therapie geholfen/geschadet hat. Wenn ich sage, "mir geht es schlechter"/"mir geht es besser", dann sollte das eigentlich reichen und akzeptiert werden.
Zuletzt geändert von Jenny Doe am Do., 21.05.2015, 14:35, insgesamt 1-mal geändert.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.


chaosfee
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Beitrag Do., 21.05.2015, 14:24

Nico hat geschrieben:dass Erfolgsberichte vorwiegend hilfreich sind, aber wenn sie auf falschen Boden fallen auch schaden K Ö N N E N.
Der falsche Boden fokussiert mir zu sehr auf den Leser. Es kommt auch darauf an, wie so ein Bericht geschrieben wird. Und falscher Boden heißt für mich, dass da irgendetwas verkehrt wäre. Damit sind wir wieder beim Leser, der das Defizit verkörpert, wenn der Erfolgsbericht ihm nicht "hilft" (was immer das heißen mag).
"Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen." Adorno

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Nico
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Beitrag Do., 21.05.2015, 14:32

Nun man könnte es auch so sehen, dass ein gutgemeinter Erfolgsbericht auf richtigen Boden gefallen ist wenn er beim Leser gutes bewirkt und im anderen Fall ......

Aber ich sehe schon, dem Schreiber darf unterstellt werden, aber der Leser ist tabu
Nicht das schwarze Schaf ist anders, sondern die weißen Schafe sind alle gleich ;)


montagne
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Beitrag Do., 21.05.2015, 14:54

Wenn ich den Zustand erreicht habe, in dem ich mich vor Störungsbeginn befunden habe, dann ist für mich völlige Heilung erreicht.
Dann ja...
Für mich wäre das in meinem Fall aber keine völlige Heilung. Völlige Heilung ist für mich ein Ideal, dass ich anstrebe, aber niemals erreichen werde. Und das ist okay, dass kann ich akzeptieren.
Bei mir ist es so, dass ich mich jetzt auf einem Niveau (durchaus auch strukturell gemeint, aber auch was so Alltagsbelasungen und Alltagsfertigkeiten angeht) befinde, dass merklich höher ist, als vor der Therapie. Die Symptome, die mich zur Therapie brachten sind schon lange weg (Depression, Ängste, PTSB).
Trotzdem empfinde ich mich nicht als geheilt. So fühle ich mich einfach nicht. Krank fühle ich mich nun aber auch nicht. Ich finde diese Kategorien halt eh schwierig.
Ich würde auch objektiv bei mir sagen, dass schon noch Probleme da sind, die mich belasten. Mit denen ließe es sich ganz sicher leben. Aber sie binden eben auch Energie.
Ich denke es bleibt immer noch was zu tun, bei manchen viel, bei anderen weniger.

Und mir geben Erzählungen, die beides ruhig reflektieren, dass was sich verbessert hat und das was offen blieb (warum auch immer), am meisten. Ds erscheint mir am glaubwürdigsten.
Wenn jemand Dinge die offen blieben oder die weniger gut liefen ausgeblendet oder leugnet, habe ich den Gedanken, dass da im Grunde mächstig was im Argen liegt (sonst müsste man es ja nicht verdrängen oder leugnen). Und DANN zweifle ich am Erfolg. Denn die Fähigkeit zu einer ausgewogene Betrachtung ist ja schon ein Merkmal eines guten Strukturniveaus und einer guten Integration.

Und dann muss man ja auch sehen, dass man auch nach der Therapie noch seine blinden Flecken hat. Man sieht ja garnicht alle Macken vollumfänglich an sich.
amor fati


LynnCard
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Beitrag Do., 21.05.2015, 14:58

Zum Aspekt Erfolgsberichte/negative Erfahrungsberichte: Also eher nicht so positive Verläufe gibt es doch hier im Forum auch reichlich, um sich mit aktuellen Leidensgenossen identifizieren zu können. Wenn da mal ein Erfolgsbericht herausragt, ist das doch wirklich ermutigend, da es von einem Licht im Tunnel erzählt.
LG Lynn


Jenny Doe
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Beitrag Do., 21.05.2015, 15:18

@ montagne
Und mir geben Erzählungen, die beides ruhig reflektieren, dass was sich verbessert hat und das was offen blieb (warum auch immer), am meisten. Ds erscheint mir am glaubwürdigsten.
Es ist ja auch möglich, dass Du beim anderen ein Problem siehst (das tatsächlich vorhanden sein mag ), der Betreffende aber gar nicht (mehr) darunter leidet und sich "heil fühlt". Heilung bzw. heil fühlen hat für mich immer etwas mit Leidensdruck zu tun. Vielleicht ist für denjenigen, der nicht (mehr) leidet, aber das Problem trotzdem noch hat, dennoch nichts mehr offen, eben weil er nicht (mehr) leidet. Aus Deiner Sicht mag dann beim anderen noch etwas offen sein, aus der Sicht des anderen hingegen nicht. Ich denke, wesentlich ist, welches Therapieziel der Einzelne hat. Nur am individuellen Therapieziel lässt sich individueller Erfolg und Heilung definieren.
Lerne aus der Vergangenheit, aber mache sie nicht zu deinem Leben. Wut festhalten ist wie Gift trinken und darauf warten, dass der Andere stirbt. Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens.


LynnCard
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Beitrag Do., 21.05.2015, 15:36

Ich finde, das geht den anderen auch gar nichts an, ob da noch was offen ist. Es sind subjektive Mitteilungen von Empfindungen des Glücks über Fortschritte, Erfolge, persönliche Bilanzierungen. Das braucht kein anderer zu werten und sozusagen noch abzusegnen. Das nimmt man sich ja normalerweise gegen niemanden sonst heraus, z. B. bei einer Freundin verlangt man für gewöhnlich auch keine Rechenschaftsstellungnahme für persönliche Befindlichkeiten und Entwicklungsstände.
LG Lynn

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mitplauderin
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Beitrag Do., 21.05.2015, 15:50

montagne hat geschrieben: Ich denke es bleibt immer noch was zu tun, bei manchen viel, bei anderen weniger.
Mal flappsig formuliert: So lange wir leben, bleibt was zu tun. Immer. Es ist ja auch alles ständig im Fluß. Das zeichnet Lebendigkeit aus. Der Unterschied u.a. zu früher - für mich sind es heute Herausforderungen (keine Probleme mehr).

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mitplauderin
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Beitrag Do., 21.05.2015, 15:56

Jenny Doe hat geschrieben: Heilung bzw. heil fühlen hat für mich immer etwas mit Leidensdruck zu tun. Vielleicht ist für denjenigen, der nicht (mehr) leidet, aber das Problem trotzdem noch hat, dennoch nichts mehr offen, eben weil er nicht (mehr) leidet.
Das Problem wandelte sich in eine Herausforderung

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