Religion & Atheismus

Fragen und Gedanken rund um Spiritualität und Religionen, alternative Behandlungsmethoden, den üppigen Garten sonstiger "Therapie"-Formen, Esoterik ... und ihre Berührungspunkte mit Psychotherapie bzw. psychologischen Problemen.
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shouqici
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Beitrag So., 22.01.2012, 07:28

Hallo Georg28,

danke für das "back to topic" - ein paar Einwände habe ich allerdings:
- Theismus und Atheismus sind so vergleichbar wie Briefmarken sammeln und nicht Briefmarken sammeln. Atheismus ist keine Religion, keine Briefmarken zu sammeln ist kein Hobby.
Ja und nein - Briefmarkensammler mit missionarischem Eifer sind mir noch nicht begegnet (allerdings missionarische Fußballfans, die jeden Nichtinteressierten für unterbelichtet hielten ), und Nichtbriefmarkensammler, die Sammler für realitätsferne Fanatiker gehalten hätten, auch noch nicht.
- Wullf ist AFAIK ziemlich religiös. Jedenfalls hat er mal in einer Rede als Bundespräsident erklärt, der Islam gehöre genau wie Judentum und Christentum zu Deutschland. Ich warte seitdem jeden Tag darauf ausgewiesen zu werden nachdem Atheisten ja offenbar nicht zu Deutschland gehören.
Wie gläubig Wulff persönlich ist - keine Ahnung, aber das halte ich für eine rein politische Aussage - Muslime sind m.W. die drittgrößte Glaubensgemeinschaft bei uns, und den Islam als nicht zu Deutschland gehörend zu bezeichnen, wäre ein politischer Fauxpas gewesen.
Da Atheismus ja (s.o.) keine Religion ist - warum hätte er den in diesem Zusammenhang nennen sollen? Wenn ich sage dass Briefmarkensammler ebenso zu Deutschland gehören wie Fußballfans und Brieftaubenzüchter, dann grenze ich damit die Nichthobbyisten ja nicht aus...
- Nein, Punkt 1 und 3 widersprechen sich nicht, auch wenn es so aussieht. Religionen und Atheismus sind "Schubladen" in die man Menschen stecken kann, auch wenn man wenn man es genau nimmt natürlich für jeden Menschen eine eigene Schublade bräuchte. Verallgemeinert gesagt kann man Menschen aber so aufteilen. Atheismus (die Freiheit von einem Glauben an einen Gott) ist aber im Gegensatz zu Religionen frei von Dogmen, es gibt keine Glaubensgrundsätze.
Hm - wenn ich in Atheismusforen 'reinschaue, dann kommen mir daran aber gewisse Zweifel - allein die Aussage dass "Religion nur geglaubt wird, weil sich Leute entgegen der Realität an Fiktionen festklammern" scheint mir doch einigermaßen dogmatisch...
Wie in meinem Eingangsposting schon angesprochen, unterscheide ich zwischen 'Glauben' und 'Religion', die IMHO nicht unbedingt deckungsgleich sein müssen. Ich zitiere hier mal einen Text von Wittgenstein, der mir da sehr zentral ist:
Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß nicht jede Form von Religion notwendigerweise mit religiösen Aussagen verbunden ist. Daß wir kein Kriterium haben, um zwischen wahren und falschen religiösen Aussagen unterscheiden zu können, trifft zu. Wenn eine Aussage sich überprüfen läßt, wissen wir schon, daß sie keine religiöse Aussage ist. Es trifft aber nicht zu, daß religiöse Aussagen völlig willkürlich sind, weil sie auf je vorfindliche, bestimmte religiöse Bedürfnisse antworten müssen. Diese hängen eng zusammen mit der Lebensform und Lebensgeschichte des jeweiligen Menschen und sind darum verschieden von Kultur zu Kultur, von Epoche zu Epoche, ja selbst zwischen Angehörigen ein und derselben Kulturepoche.
Man muß zwischen zwei grundlegend verschiedenen Arten von Religion unterscheiden. Man könnte die primäre Form die 'Glaubenslose Religion' nennen. Wer auf die glaubenslose Art religiös ist, ist entweder zu religiösen Aussagen noch gar nicht vorgestoßen, oder er hat sie schon wieder abgeworfen. Die glaubenslose Religion kann als solche nur aufrechterhalten werden, wenn die Vernunft das wie mit Gewalt zum Wort Hindrängende gar nicht zum Wort kommen läßt.
Die Handlungen (alle vorprädikativen Reaktionen) des menschlichen Geistes sind das Material, aus welchem die Sprache gefertigt ist. Wenn aber die vorprädikative zum Wort hindrängende Religion zum Wort gelassen wird, dann konstituieren sich religiöse Aussagen, bildet sich ein religiöser Glaube. Ihres prädikativen Überbaues wegen hat die Glaubensreligion die Eigenschaft, viel zu reden und viel von sich reden zu machen. Die glaubenslose Religion hingegen ist sprachlos und wirkt ganz im Stillen, weswegen sie in der Regel als Religion weder erkannt noch anerkannt wird. Legitimitätsprobleme hat nur die Glaubensreligion, und je weniger sie grammatisch aufgeklärt ist, desto virulenter sind diese Probleme.
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debussy
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Beitrag So., 22.01.2012, 07:58

"der glaube" ist aber nichts, womit man auf die welt kommt. es gibt kein glaubensgen.
auch gibt es in der entwicklung eines kindes kein phase, in der dann der glaube entsteht.

ohne die entsprechenden erzieherischen maßnahmen, würde kein mensch auch nur auf die idee kommen, "zu glauben". und wenn dann vielleicht einer von 10.000, weil er sich irgendetwas nicht erklären kann.

weil es aber bei kindern das "magische denken" gibt also ein gefundenes fressen. die idee mit dem lieben gott und dem teufel geht runter wie öl.

bei erwachsenen wird dieses magische denken dann eher als hinweis auf eine psyhotische episode gesehen.
warum viele erwachsene dann noch immer an diesem unfug festhalten ist mir ein rätsel, spricht aber eigentlich nur für die primitivität des menschen. wobei ich mich hier nicht herausnehmen möchte. was ich schon alles geglaubt habe in meinem leben, und es sich nachträglich als völlig irrational herausgestellt hat.


Themis
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Beitrag So., 22.01.2012, 08:22

Danke für Wittgenstein, schön zu lesen.

@debussy: Kinder kommen im Laufe ihrer Entwicklung in die Phase des Staunens und Hinterfragens. Sie fragen sich sehr wohl, woher all das um sie herum kommt, wer ein "Recht" darauf hat und wo denn ihr Platz in all dem ist. Woher sie kommen und wohin sie gehen.

Diese philosophischen Fragen kommen relativ früh (in der Grundschule so in etwa, auch früher) und werden leider meistens nicht offen diskutiert. Leider wird den Kindern zu wenig Freiheit gewährt, diese Gedanken selbständig weiter zu führen. Wer weiß, zu welchen Schlüssen sie kommen würden. Kreatives Neu-Denken wird meistens mit vorgefertigten Antworten verhindert. Spätestens in der Schule werden vermeintliche Fakten in die Gehirne gehämmert.
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Nico
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Beitrag So., 22.01.2012, 08:39

Hugh Madame Montessori hat gesprochen !
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Themis
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Beitrag So., 22.01.2012, 09:21

Nico hat geschrieben:Hugh Madame Montessori hat gesprochen !
OT?
Nein nein, nix Montessori! Meine Erfahrung. Schon gar nicht Hugh. Sag halt was dazu!
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Nico
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Beitrag So., 22.01.2012, 09:30

Wohin es fuehrt wenn man Kindern allzu viel Freiheit gewaehrt ihren ganz eigenen Gedanken nachzuhaengen, kann man hier des oefteren lesen. Vor allem im Grundschulalter sollte man meiner Meinung nach als Eltern schon noch den Rahmen in denen die Gedanken kreisen duerfen, halbwegs vorgeben.
Hast du Kinder ?
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shouqici
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Beitrag So., 22.01.2012, 10:00

debussy hat geschrieben:"der glaube" ist aber nichts, womit man auf die welt kommt. es gibt kein glaubensgen.
auch gibt es in der entwicklung eines kindes kein phase, in der dann der glaube entsteht.
Da etwas zu glauben ja ein intellektueller Akt ist, zu dem Neugeborene nicht fähig sind, ist es tatsächlich schwer vorstellbar, dass man mit einem Glauben auf die Welt käme. Dass es ein 'Glaubensgen' (blöder Name) gäbe, behaupten Manche; ich hab's nicht nachgeprüft - Du?
Wenn es keine Phase gibt, in der Glaube entsteht, wie ist der dann ursprünglich entstanden?
Die Eltern und Lehrer müssen ihn ja auch irgendwo her haben - und von Gott kann er auch nicht stammen, da es den ja nicht gibt...
ohne die entsprechenden erzieherischen maßnahmen, würde kein mensch auch nur auf die idee kommen, "zu glauben". und wenn dann vielleicht einer von 10.000, weil er sich irgendetwas nicht erklären kann.
Wenn nur einer von 10.000 sich irgendetwas nicht erklären kann, dann muss die menschliche Rasse ja sehr intelligent sein . I.A. wird angenommen, dass religiöse Glaubensvorstellungen eben daraus entstanden sind, dass man sich irgendwas nicht erklären konnte. Da dies mit der Zeit immer weniger wurde (zumindest was die tägliche Erfahrung anlangt - vgl. 'Lückenbüßergott'), sind religiöse 'Erklärungen' immer mehr in die esoterische Ferne gerückt.
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Beitrag So., 22.01.2012, 10:03

Nico: Keinesfalls sollte man Kinder mit diesen Fragen und eventuellen Ängsten allein lassen. Offene Diskussionen halte ich für sehr wichtig, auch, ihnen diffuse Ängste zu nehmen, damit sie sich sicher fühlen können. Den Rahmen würde ich insofern nicht vorgeben, indem ich zuerst höre, was kommt, und dann bespreche.
Kinder wollen ernst genommen werden, können gut diskutieren; es tut ihnen gut, ihre Gedanken auszusprechen und angehört zu werden.
Gedanken werden gerne abgetan mit voreiligen Erklärungen, wie die Welt funktioniert.
Diese philosophischen Fragen kommen relativ früh (in der Grundschule so in etwa, auch früher) und werden leider meistens nicht offen diskutiert. Leider wird den Kindern zu wenig Freiheit gewährt, diese Gedanken selbständig weiter zu führen.
Mit selbständig meinte ich das gemeinsame Gespräch im Familienkreis, beim Frühstück, vor dem Schlafengehen etc. Den Gedanken nachhängen ohne Ansprache halte ich auch nicht für gut.

Bin ich verständlich?

PS: Ja, ich habe Kinder. Du?
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shouqici
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Beitrag So., 22.01.2012, 10:05

Nico hat geschrieben:Wohin es fuehrt wenn man Kindern allzu viel Freiheit gewaehrt ihren ganz eigenen Gedanken nachzuhaengen, kann man hier des oefteren lesen.
Das ist auch ein hochinteressantes Thema - wäre aber hier wieder OT. An einem eigenen Thread würde ich mich aber sehr gern beteiligen...

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Zuletzt geändert von shouqici am So., 22.01.2012, 10:07, insgesamt 1-mal geändert.
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debussy
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Beitrag So., 22.01.2012, 10:07

@ themis

ja, danke. genau davon spreche ich.
und in genau diesen bildungsversuchen werden dann kinderpsychen deformiert.

ich denke einmal an den religionsunterricht, der meiner meinung nach bei strafe verboten werden sollte weil er im eigentlichen sinn eine versuchte körperverletzung darstellt. gott sei dank ( ) sind doch einige menschen resistent!


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Beitrag So., 22.01.2012, 10:08

Ich eröffne einen eigenen Thread dazu. Obwohl ich es nicht OT finde, über die Herkunft des "Willens" zur Religiosität zu diskutieren.
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shouqici
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Beitrag So., 22.01.2012, 10:18

Hallo Themis,

die Herkunft des Willens zur Religiosität ist natürlich nicht OT - ich meinte die allgemeine Aussage,
man solle Kinder nicht ihren ganz eigenen Gedanken nachhaengen lassen...

Das läuft dann eher in die Richtung autoritär/antiautoritär

() shouqici
Zuletzt geändert von shouqici am So., 22.01.2012, 10:20, insgesamt 1-mal geändert.
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Ubu
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Beitrag So., 22.01.2012, 10:18

ich finde die meisten religionen ziemlich beschränkt ... ein lieber pappi im himmel und ein böser, böser teufel in der hölle, achja und tiere kommen natürlich weder in den himmel noch in die hölle.
grundsätzlich habe ich nichts gegen glauben, ich sehe mich auch nicht als atheist, aber dieser naive glaube an die kirche und den papst (ein thema für sich) ist für mich absolut befremdlich.

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Tigerkind
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Beitrag So., 22.01.2012, 11:05

debussy hat geschrieben:ch denke einmal an den religionsunterricht, der meiner meinung nach bei strafe verboten werden sollte weil er im eigentlichen sinn eine versuchte körperverletzung darstellt.
Da stimme ich Dir direkt mal zu, debussy, aber das versuch mal, das wird ein Kampf gegen Windmühlen.

Liebe Grüße

Tigerkind
Je weiter sich eine Gesellschaft von der Wahrheit entfernt, desto mehr wird sie jene hassen, die sie aussprechen.

-George Orwell-

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Ubu
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Beitrag So., 22.01.2012, 11:17

Tigerkind hat geschrieben:
debussy hat geschrieben:ch denke einmal an den religionsunterricht, der meiner meinung nach bei strafe verboten werden sollte weil er im eigentlichen sinn eine versuchte körperverletzung darstellt.
Da stimme ich Dir direkt mal zu, debussy, aber das versuch mal, das wird ein Kampf gegen Windmühlen.

Liebe Grüße

Tigerkind
ich weiß nicht wie es in grundschulen aussieht, aber mittlerweile ist religionsunterricht nicht mehr an eine konfession gebunden, ist also eher wie ethikunterricht.

da muss ich mich gerade daran erinnern wie ich in meiner grundschulzeit mitbekommen habe, dass kinder aus dem katholischen religionsunterricht wahnsinnige angst hatten in die hölle zu kommen und sogar geweint haben weil der lehrer irgendwelche schlimmen geschichten erzählt hat.

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