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Mo., 29.12.2014, 10:44
@Zimtkiffel:
Wer Fragen stellt, sollte sich die Mühe machen, den Menschen die antworten, respektvoll und aufmerksam zuzuhören.
Ich verstehe dass es beängstigend sein kann, Beiträge hier zu lesen von Menschen, die in einer Abhängigkeit zum Therapeuten stecken, was eine Phase sein kann, was eine Sucht werden kann, was sehr schädliche Auswirkungen haben und auch sehr heilsam sein kann.
Ich bin sehr dankbar um all die Beiträge von jenen, die warnen, erinnern an die Arbeitsbeziehung / Dienstleistung, die Ziele, die man nicht aus den Augen verlieren sollte, das wach bleiben und ständige Überprüfen dieser Therapie und ihrer Wirkung auf sich selbst.
Das hilft mir sehr in meiner jetzigen Therapie, wo ich genau diese Abhängigkeitsprobleme von mir bearbeite, zusammen mit dem Therapeuten.
Meine Abhängigkeit entstand nicht in der Therapie, sondern ich erlebte sie die letzten 15 Jahre zu meinem Mann, dem ersten Menschen, zu dem ich eine Bindung aufbauen konnte.
Diese Abhängigkeit zu ihm belastete unsere Beziehung, ich erlebte Suizidabsichten (Drang), Panikattacken, konnte nicht essen nicht schlafen, wenn er jedes Jahr regelmässig auf Geschäftsreise ging. Mit etwas "reiss dich zusammen" und "ist doch nicht so schlimm", mit Hilfe von Büchern und Verhaltenstherapie brachte ich das nicht weg.
Auch mein Mann konnte mir nicht helfen.
Nun erlebe ich zum ersten Mal diese Abhängigkeit zu einem Therapeuten, und kann daran arbeiten.
Es ist sehr harte Arbeit, macht mir grosse Angst, ist mir sehr unangenehm.
Das Ziel von mir, meinem Mann und von meinem Therapeuten ist meine Unabhängigkeit.
Wenn ich es nötig finde, weise ich mich und meinen Therapeuten darauf hin, dass ich seine Patientin bin und er mein Therapeut, dass das eine Arbeitsbeziehung ist, er bezahlt wird dafür, es nur um mich geht und er ein Instrument / Hilfsmittel ist, damit es mir besser geht.
Diese Hinweise macht auch mein Therapeut, aber viel rücksichtsvoller und liebevoller als ich.
Ich bin auch sehr dankbar für all die Beiträge von jenen, die hier von ihren intimsten Wünschen, Leiden und Sehnsüchten zu sprechen, denn die kenne ich (oft) auch.
Adoptiert werden wollen, Eifersucht auf andere Klienten, Freundschaft mit dem Therapeuten wünschen, Angst, ihn zu verlieren, die Idealisierung, und eben diese Abhängigkeit.
All diese Dinge in der Therapie anzusprechen, zu fühlen und offen zu legen ist wichtig für mich, denn genau da ist mein Problem, woran ich arbeiten will.
Ohne meinen Mann würde ich in der Therapie vermutlich stark in eine hilflose Abhängigkeit rutschen, aus der ich vermutlich kaum heraus finden würde oder nur unter grossen Schmerzen. Unvorstellbar, wenn ER (der Therapeut) der erste Mensch in meinem Leben wäre, zu dem ich eine Bindung aufbauen könnte.
Brandgefährlich wäre das für mich.
Auch so ist es das. Wenn mein Therapeut die Abhängigkeit auch nur ein wenig geniessen, fördern oder gar ausnützen würde, wäre ich geliefert.
Wenn ich mir selbst nicht immer wieder bewusst machen könnte, dass meine Ängste, Gefühle und Sehnsüchte mein Problem sind, und die Lösung nicht Erfüllung durch den Therapeuten sein kann (nur als Vorbild, als Erfahrung!), dann wäre ich auch geliefert.
Den Erfolg einer Therapie kann man wohl erst nach Abschluss wirklich beurteilen.
Aber was ich nach 1,5 Jahren sagen kann:
Ich konnte die Antidepressiva absetzen.
Ich habe keine (keine!) Suizidgedanken und Absichten mehr.
Ich bin gelassener in Beziehungen und habe mehr Selbstsicherheit.
Es tut mir auch weh, hier zu lesen, dass es doch auch ohne Therapie ginge, jeder selber Schuld sei, der im Leben nicht klar komme, das purer Wellness ist und Kuscheltherapie doch nicht vom Steuerzahler finanziert werden sollte usw.
Aber ich denke in gewisser Weise auch so, wollte nie Medikamente nehmen, wollte es allein schaffen und mir selber helfen können, schämte mich immer für meine Probleme, weil ich auf Ablehnung und Verachtung stiess, was ja nur Unverständnis ist.
Und ja, manchmal ertappe ich mich auch, wie ich denke, hör doch einfach auf zu trinken! Hör doch einfach auf zu trauern! Geht doch da einfach nicht mehr hin! usw.
Weil ich es nicht aushalte, dass jemand leidet und ich nichts tun kann.
Aber es ist nicht einfach.
Und ich bin auch dankbar all jenen, die hier immer wieder geduldig, manchmal auch ärgerlich weil verletzt und unverstanden, anderen und mir erklären, wie es bei ihnen ist.
Diese Einblicke gewähren, die für Aussenstehende / Nichtbetroffene, so vieles verständlich machen können.
LG Igelkind