Umgang mit Beleidigungen

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ExtraordinaryGirl
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Beitrag Di., 30.07.2013, 08:42

Könnten Aggressionen nicht auch deshalb bzw. dann eher unerwünscht sein, weil/wenn sie andere Personen treffen?

Es ist nun einmal niemand von uns alleine auf der Welt. Und wenn man friedlich zusammenleben will, kann es m. E. eben niemals nur darum gehen, was man selbst will und was einem selbst helfen würde, sondern auch um das Gegenüber.

Darum, dass es ein Gegenüber gibt. Mehr vom "Ich" weg, zum "Du" ...

Und natürlich hat der Andere kein Recht darauf, einen als Drecksau zu bezeichnen.

Aber einem selbst steht es deshalb nicht zu, ein Unrecht zu gehen. Und soweit ich weiss, sieht das auch der Gesetzgeber in Deutschland so (erwähnte ich deshalb, weil hier durchaus schon strafrechtlich relevante "Gegenreaktionen" zur Sprache gekommen sind).

Und ich glaube auch nicht, dass irgendwer von uns genug über die Personen, die uns angreifen, weiss, um urteilen zu können, dass eine Vergeltungsmassnahme insgesamt angemessen ist.
"Charakter zeigt sich in der Krise."

(Helmut Schmidt)

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leberblümchen
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Beitrag Di., 30.07.2013, 08:52

Stern, gibt es für dich nur 'Affekthandlung' im Sinne von: "Notfalls wird halt zugeschlagen" versus "der Verstand soll bestimmen, was getan wird"? Kannst du dir gar nicht vorstellen, dass man sein Gefühl ausdrückt und dabei die Kontrolle behält? Wie gesagt: Ich glaube fast, dass es die Angst vor dem Gefühl ist, die dazu führt, dass jegliche Gefühlsäußerung unterbunden werden muss, aus Angst, in die Steinzeit abzudriften. Ein erwachsener, reifer Mensch ist durchaus in der Lage, seine Gefühle so auszudrücken, dass kein Blutbad entsteht. Und trotzdem muss der Gefühlsausdruck nicht moralisch einwandfrei sein.

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stern
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Beitrag Di., 30.07.2013, 09:00

Nur zur Klarstellung: Ich finde Aggressionen nicht negativ. Es macht für mich aber einen gewaltigen Unterschied, was man daraus macht. Und ich kann nicht jeder Aggression dergestalt folgen, dass ich sie zur Handlungsmaxime deklariere. Hat montagne ja auch schon einiges geschrieben.

Also unbedingt zuschlagen, wenn damit Stimmigkeit zum Gefühl herrscht? Oder gibt es auch Grenzen?

Das natürlich Überkontrolle nichts ist, ist klar. Darum ging es mir jedoch nicht. Nur ich fragte schon mehrmals: An welcher Stelle gäbe es (für Titus oder die, die von Überkontrolle sprechen) Grenzen, wo man sagen könnte: Das Gefühl setze ich jetzt nicht in eine Handlung um? An welcher Stelle kommt der Kopf dazu?
Liebe Grüße
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stern
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Beitrag Di., 30.07.2013, 09:01

Stern, gibt es für dich nur 'Affekthandlung' im Sinne von: "Notfalls wird halt zugeschlagen" versus "der Verstand soll bestimmen, was getan wird"?
Nein, da hast du anscheinend unsauber gelesen. Ich schrieb, für mich ist das eine ohne das andere nicht erstrebenswert. Und fragte dich, wo bei deiner Handlungsempfehlung der Kopf hinzu kommt (von dem ja nicht die Rede war).
Liebe Grüße
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ziegenkind
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Beitrag Di., 30.07.2013, 09:04

ich bin da ganz egoistisch: ich weiß mittlerweile, dass der drang auf eine gemeinheit mit einer gemeinheit zu reagieren, mir für kurze zeit ein gutes gefühl gibt. langfristig fühl ich mich damit aber inwendig überhaupt nicht gut. erfahrungswissen aus dem aufmerksamen umgang mit mir selber.

was mir gut tut: in dem moment, in dem ich beleidigt oder verletzt werde, den anderen fragen, warum er das tut, warum er mich verletzen will. ich weiß, eigentlich gebietet es die ehre, die coolness immer so zu tun als könne einen der andere nicht treffen, als perle das einfach an einem ab. ist aber doch nicht so, oder? zumindest bei den meisten nicht, die hier schreiben. sonst würde man sich ja innerlich nicht aufregen.

wenn ich zu meinen gefühlen stehen will, dann bin ich gut beraten, dem anderen möglichst unverstellt zu sagen, sie verletzen mich, warum tun sie das? mir geht es dann gut. auch weil ich mich den dusseligen konventionen entzogen habe, den spießerglaubenssätzen, wer sich verletztlich zeigt ist schwach und bestätigt den anderen in seiner stärke.

gerade letzteres stimmt übrigens gar nicht. immer wenn es mir gelang, dies möglichst offen in die augen des beleidigers zu kommunizieren: "sie verletzen mich", dann habe ich bei dem eigentlich regelmäßig verunsicherung und vielleicht auch ein wenig beschämung ausgelöst. das ohne wut gesagt zu bekommen, ist offenbar auch hart für hart gesottene beleidiger schwieriger zumindest als das zu bekommen, was sie wollen: einen schlagabtausch, pöbelei, gerangel, wer ist cooler, wer ist härter, wer ist schlagfertiger.

von daher: dem gefühl folgen: ja. aber aufpassen, dass man dem gefühl hinter dem gefühl folgt und nicht dem was sozial akzeptabel und vorzeigbar ist. das tut mir nie gut. und hinter meiner wut ist in der regel wirklich auch eine verletzung. ohne die gäb es auch die wut nicht. da würde dann wirklich ein kopfschütteln reichen.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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stern
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Beitrag Di., 30.07.2013, 09:05

titus2 hat geschrieben:Ich glaube fast, dass es die Angst vor dem Gefühl ist, die dazu führt, dass jegliche Gefühlsäußerung unterbunden werden muss, aus Angst, in die Steinzeit abzudriften.
Ich sehe kaum mehr Raum für eine weitere Diskussion mit dir, weil das nur zu vielen Missverständnissen führt. NIE meinte ich, dass jegliche Gefühlsäußerungen unterbunden werden müssen ( ): Zum gefühlten x-ten Mal meinte ich, ich sehe einen Unterschied zwischen Handlung und Gefühl. Und bezog mich auf Handlungsimpulse des Eingangsposting.

Wir kommen da nicht zusammen. Ist auch kein Muss. Nur wenn ich so eklatant unzutreffend verstanden werde bzw. so viele Missverständnisse entstehen (was auch an mir liegen kann), so macht die Diskussion nicht so viel Sinne. Zu mühsam.
Liebe Grüße
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Beitrag Di., 30.07.2013, 09:14

ziegenkind hat geschrieben:wenn ich zu meinen gefühlen stehen will, dann bin ich gut beraten, dem anderen möglichst unverstellt zu sagen, sie verletzen mich, warum tun sie das?
ja. Das sehe ich auch so, dass man damit eine Verletzung anders kommunizieren kann als durch zum Bleistift einen Mittelfinger.
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stern
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Beitrag Di., 30.07.2013, 09:32

gerade letzteres stimmt übrigens gar nicht. immer wenn es mir gelang, dies möglichst offen in die augen des beleidigers zu kommunizieren: "sie verletzen mich", dann habe ich bei dem eigentlich regelmäßig verunsicherung und vielleicht auch ein wenig beschämung ausgelöst.
Den Blick in die Augen kenne ich auch. Führt dann in der Tat manchmal zu einem betretenem Wegschauen (denke aber, das ist auch abhängig vom Aggressionspotential des "Aggressor")


Aber nochmals Gefühl folgen oder nicht folgen:
von daher: dem gefühl folgen: ja. aber aufpassen, dass man dem gefühl hinter dem gefühl folgt und nicht dem was sozial akzeptabel und vorzeigbar ist. das tut mir nie gut.
Bei Handlungsimpulsen, die in Richtung jemanden zusammenschlagen (vgl. Eingangsposting) oder Sachbeschädigung oder whatever gehen, sehe ICH es aber so (für mich), dass es nicht unbedingt erstrebenswert ist, dem zu folgen. Hat auch eine eigennützige Komponente: Weil es wäre mir nicht wert, wenn ich dafür (und das zurecht) geradestehen müsste, etc.

Oder jemanden mit einem Gegenstand in der Hand, der hochaggressiv wirkt, würde ich mglw. auch eher ausweichen. Meine Knochen sind mir nämlich auch etwas wert, usw.

Aber an dem Punkt komme ich nicht weiter: Wo liegen Grenzen, dass man dem Gefühl z.B. zugunsten sozialer Normen (oder einer Kopfentscheindung, etc.) mal nicht (in Form einer Handlung) folgt? Denn klar ist auch: jemand der soziale Normen gar nicht (nie) beachten würde, der würde asozial handeln. Ich muss sagen, ich hab' durchaus Grenzen (was nicht heißt, dass ich mich nur an Normen ausrichte - um dieses Missverständnis gleich zu antizipieren. Man kann ja z.B. verschiedene Orientierungsmaßstäbe abgleichen und abwägen. Und ich rede nicht von Überkontrolle, die auch keinen Sinn macht!). Ist das verpönt, soziale Normen u.a. auch etwas zu berücksichtigen und abzuwägen? Unbedingt dem Gefühl folgen? Oder welche Ausnahmen gibt es?
Liebe Grüße
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ziegenkind
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Beitrag Di., 30.07.2013, 09:42

ja, stern ich finde diese ganze folge-deinem-gefühl rethorik hat eine reihe von gefährlichen schlagseiten.

(i) wir alle haben auch jede menge negativer gefühle: neid, missgunst und und und. ich wil diese gefühle erkennen. aber ich will ihnen nicht folgen. DA will ich nicht hin.

(ii) gefühle sind oft verschachtelt. hinter der wut die verletzung. der neid hinter der verletzung. die abgespaltene bedürftigkeit hinter dem neid. den verschachtelungen zu folgen ist auf lange sicht für mich viel hilfreicher als das gefühl an der oberfläche ausagieren.

(iii) ganz tiefe gefühle stammen bei mir oft aus alten zeiten. sie heften sich heute nur personen und situationen an die fersen. das ist verständlich. aber ich habe kein recht das auszuagieren.

(iv) die kunst, die ich lernen will: gefühle zulassen, aushalten, erkennen. zum erkennen muss ich sie auf armeslange abstand halten. was zu nah ist, sieht man nicht. leicht ist das nicht. zumal ausagieren bei mir auch eine gerne gewählte strategie zum gefühle wegmachen ist. wer die wut ausagiert hat, stößt nicht mehr zu der verletzung dahinter vor.

eine anekdote: einmal hab ich einen pöbler, den ich auch vorschnell als doofie, als proll und was der abwertende label sonst noch so sind etikettiert hab, gefragt: was tut ihnen eigentlich grad so weh? die frage war wirklich ohne arg gestellt. daraus entspann sich ein stundenlanges gespräch. ich bekam eine geschichte, eine wirklich berührende geschichte. und, ich habe einen anderen menschen verstanden. ich fühlte mich verbunden. schön war das.

klar, das geht nicht immer. dazu muss man sehr ausgeschlafen sein. aber als wunschbild möchte ich das im kopfe haben.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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stern
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Beitrag Di., 30.07.2013, 10:09

Und an dem Punkt komme ich auch noch nicht so recht weiter:
titus2 hat geschrieben:Ich glaube, die Gefahr besteht nur dann, wenn die Gefühle nicht mehr kontrolliert werden können.
Wobei man das wohl individuell ansehen muss: Wenn man regelrecht vor Wut kocht, fast explodiert, Wut der Dimension hat, jemanden zusammenschlagen zu wollen, zittert und sich Muskeln anspannen (vgl. Eingangspost) wieviel Spielraum ist dann noch für reflexive Prozesse der Kontrolle? Viel oder wenig?

Ich beziehe mich also nicht auf etwas Ärger, weil jemand mal blöd kam, und man sich etwas aufregt. Bei letzterem würde ich manches evtl. auch anders sehen.

Aber im ersteren Fall würde ich sagen, liegen Gefühl und Handlung tendenziell schon recht nahe zusammen, so dass es bereits nicht mehr so leicht ist, die Fassung zu waren.

Och, z.B. habe ich dann auch schon mal etwas auf den Boden geworfen, sozusagen ausagiert, bereits etwas die Fassung verloren. Das sind aber nicht die Moment, die mir langfristig Erleichterung verschaffen. Und auch nicht, wo ich sagen kann: Wow, da habe ich so gehandelt, wie ich mir das für mich vorstelle.

Ist mir aber unklar, wie entlastend für yam. manche Reaktionen sind.

Ziegenkind noch nicht gelesen.
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montagne
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Beitrag Di., 30.07.2013, 10:16

Das lag mir gestern schon auf der Tastatur, hatte aber den Eindruck, das bringt nichts, es noch zu sagen. Jetzt doch. Abgesehen von den Schlagseiten, die ich auch so sehe, ist es ja so:
In jeder Situation gibt es das Individuum, den anderen und die Gesellschaft. Eine Verkürzung der Betrachtung auf die ein oder andere Seite führt zu Verzerrungen, Verkrüppelungen und Schaden an einem selbst und/oder anderen. Nur an den anderen und die Gesellschaft zu denken, ist sicher nicht richtig, hat hier aber auch niemand je so gesagt.
Nur an sich und seine Gefühle denken kann aber auch nicht richtig sein. Da wäre man ganz schnell beim narzißtischen, wenn nicht antisozialen Egozentrismus.

Es sind ja Mitgefühl konkret und Moral (im besten Fall als universelle, ethische Prinzipien) auf abstrakter Ebene, die diese destruktiven Tendenzen, die jeder hat bändigen. Mitgefühl und Moral als Kinder der Liebe emulgieren den Hass und seine Kinder Verachtung, Neid, usw.
Und das muss so sein, sonst würde das Individuum aus Beziehungen, die es zum überleben braucht, rausfallen. Sonst würde die Gesellschaft in ein Chaos stürzen, wie wir es teils in einigen afrikanischen "Failing States" sehen. Es ist ja keine Fiktion, sondern Realität, das Gesellschaften völlig auseiannderbrechen, wenn Moral und Mitgefühl korrumpiert sind.


Ich glaube auch, die Folge-Deinem-Gefühl-Rethorik wird oftmals schlicht falsch vertanden. Das habe ich schon versucht zu erklären. Folge deinem gefühl heißt mit nichten, es auszuagieren, heißt nichtmal zwingend es auszudrücken. Gefühlen folgen heißt, sie als Leitlinien der Entwicklung und des eigenen Lebensweges zu nutzen. Sie sich konstruktiv zu nutze machen, statt sie als Ärgernis oder gar Feind und Störfaktor zu betrachten.
Und konstruktiv ist eben nicht allein das, was sich für einen selbst situativ gut anfühlt. Denn wer wirklich in sich reinlauscht und halbewegs ne Struktur hat, der wird da unschöne Dinge vorfinden, nachdem er andere runtergemacht hat, sich gerächt hat usw.

(Nicht umsonst ist das Karthasis-Konzept in der Therapie dahingehend modifiziert worden, dass man sagt, es geht sehr wohl auch darum, WIE man seine Gefühle ausdrückt. Karthasis ja, aber nicht, so dass andere mutwillig verletzt werden, auch ggf. Täter nicht. Weil die Moralinstanz sich auch dann meldet und vor allem im Weiteren hemmt, wenn man einen Menschen so behandelt, wie es einen selbst verletzen würde oder wie es gegen eigene ethische Prinzipien, die ja für alle gelten, verstößt.)

Und sobald die Moralinstanz hinzukommt, ist es vorbei mit dem befreienden Aspekt der Karthasis. Vielleicht wie Süßstoff... schmeckt süß und bitter gleichzeitig. Nährt nicht wie Zucker, ist hohl. Man muss es dann immer und immer wieder tun, um es loszuwerden.

Für viele ist, Gefühle angemessen ausdrücken sicher eine Richtung, in die sie sich entwickeln wollen, weil sie davon zu wenig haben. Aber ich denke selbst bei den verstocktesten, zwanghaftesten Menschen ist es nicht der einzige Weg dem Gefühl zu folgen. Folgen heißt auch, eben diese innere Verschachtelung durchzugehen, um da anzukommen, wo der Kern ist. Kern der Probleme, ja, aber auch Kern des Selbst. Dort liegt glaube ich das unverstellte Ich. Und es würde mich wundern, wenn da nicht auch bedürfnis nach Bindung, nach Teilhabe an der Gesellschaft, Sein in der Gruppe zu finden ist. Und für alld as braucht es dann wieder zwangsläufig Kompromisse zwischen rein eozentrischen Bedürfnissen und dem Bedürfnis nach echter Bindung.
amor fati

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stern
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Beitrag Di., 30.07.2013, 10:41

montagne hat geschrieben:Es sind ja Mitgefühl konkret und Moral (im besten Fall als universelle, ethische Prinzipien) auf abstrakter Ebene, die diese destruktiven Tendenzen, die jeder hat bändigen.
Ja. Evtl. auch noch der Kopf. Also z.B.: Wenn man befindet, wenn ich xy jetzt auf den Boden werfe, werde ich das später bereuen, kann das auch eine Bremse destruktiver Tendenzen sein. Einschränkung: Für manche zumindest .

Und auch ist nicht so unwesentlich: Wann kommen diese Prozesse hinzu (bzw. tun sie das überhaupt). Fragte ich ja als "folge dem Gefühl" so betont wurde. Also wenn sich erst nach einem Wutanfall Mitgefühl, Reue oder Gewissensbisse oder die Vernunft meldet, beeinflusst das anders als wenn man noch im Affekt z.B. antizipieren kann: Wenn ich meine teure Vase zum Fenster hinaus schmeiße, bereue ich das später. Also selbst etwas, das kurzfristig entlastet, kann später auch umso "schlechtere" Gefühle bescheren. Oder setzt man sich erst nachträglich mit allem auseinander, weil man mehr oder weniger die Fassung verloren hatte, es also de facto doch mehr eine Affekthandlung war?
(Nicht umsonst ist das Karthasis-Konzept in der Therapie dahingehend modifiziert worden, dass man sagt, es geht sehr wohl auch darum, WIE man seine Gefühle ausdrückt. Karthasis ja, aber nicht, so dass andere mutwillig verletzt werden, auch ggf. Täter nicht.
Mit der Katharsis ist auch ein guter Hinweis. Denn ja, so therapiert man heute nicht mehr, dass man sagt, lass' deine Gefühl einfach ungefiltert raus, das bringt es. Sondern z.B. auch: Und höhö: Da kommt wieder der pöse und ebenfalls verpönte Kopf hinzu: Mentalisierung usw. ist wichtig.

@ Ziegenkind: Danke!
Zuletzt geändert von stern am Di., 30.07.2013, 10:55, insgesamt 1-mal geändert.
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ziegenkind
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Beitrag Di., 30.07.2013, 10:52

montagne, das ist für mich des pudels kern: wir alle wollen dazu gehören. wir alle haben einen wunsch nach verbundenheit. der wird durch eine beleidigung, gerade auch durch eine unerwartete beleidigung jäh verletzt. ich komme da ganz schnell in so ein rücken-an-der-wand gefühl. ein uralter reflex.

jetzt kann ich zwischen zwei optionen wählen:

ich kann mit dem rücken an der wand stehen und aus allen rohren schießen. je mehr ich schieße, desto mehr verdränge ich den wunsch nach zugehörigkeit. wo denkst du hin, ich doch nicht. du kannst mich gar nicht treffen. da musst du früher aufstehen. du willst mich in die schranken weisen? lächerlich! ich werde dir zeigen wo der hammer hängt. mir scheint: je mehr man sich für den wunsch nach zugehörigkeit schämt, desto lauter muss man schreien. gibt es ja was zu übertönen.

ich kann aber auch zu dem kleinen, kurzen schmerz stehen. zu protokoll geben: oh, das war unerwartet. das ist gar nicht schön. meine erfahrung, mein glaube: ein schmerz, der benannt wird, tut oft nicht mehr weh. v.a. dann, wenn er wie in diesen fällen ja eh nur den äußersten rand meines universums trifft. immer wenn ich das machen konnte, wirklich immer, war die sache danach für mich abgehakt. sie ist auf die größe geschrumpft, die ihr zukommt. und: schwere dinge kann man gut auf DEN truppenübungsplätzen üben und trainieren, die weit entfernt von den dicht besiedelten gebieten sind.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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hawi
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Beitrag Di., 30.07.2013, 11:24

yamaha schrieb:
Ja,das stimmt, deshalb suche ich ja nach einer anderen Strategie.....bisher ist es so, dass wenn ich nichts sage, ich mich schlecht fühle, weil ich dann das Gefühl habe nicht für mich "eingetreten" zu sein.
Hab jetzt nur bis Ende Seite 9 hier gelesen.
Bevor ich (demnächst) weiter lese, schreib ich lieber jetzt mal was.

Fremde Menschen sind doch Menschen, die eine ziemliche Distanz zu einem haben!
Die meisten begegnen einem, ohne dass überhaupt verbal kommuniziert wird.
Sogar der Opa? Er redet mit seinem Kumpel. Redet über etwas, das er sieht!
Für seine Art mit seinem Kumpel zu reden gibt es zig Erklärungsansätze. Langeweile, Suche nach Bestätigung, Selbstdarstellung und -Überhöhung, Frust, schlechte Erfahrungen, fehlentwickelter Ordnungssinn, Einsamkeit. Und vieles mehr. Eine oder mehrere Annahmen können passen oder ganz andere, die unbekannt sind und bleiben, weil nichts über Opa bekannt ist. Vielleicht ist er neidisch, weil er zu Hause immer gezwungen wurde (wird) sein Rad blitzblank zu putzen? Nichts genaues weiß man nicht!
Außer dass er in seiner Wortwahl nicht grad zurückhaltend ist. Doch sogar „Drecksau“?
Je nach Umgang und Umgebung, je nach Prägung, ist sogar dies Wort nicht überall gleich schlimm! Gibt schon sehr „merkwürdige“ Kommunikationsangewohnheiten. Besser sehr spezielle. So wie ich hier grad kommuniziere? Käme in vielen mir bekannten Umgebungen gar nicht gut, wenn ich es so formulieren würde!

Nicht das ich mir selber diese Mühe mache, aber eigentlich müsste doch jeweils in solchen Fällen erst mal mehr Wissen da sein, um wenigstens etwas Gewissheit darüber zu kriegen, ob da nun jemand persönlich beleidigt oder nicht, dies ziel überhaupt hat, wenn er mit seinem Kumpel redet.

Ärgerlich finde ich selber an dem Beispiel eher das schlechte Benehmen. Nicht dass so was nicht nerven kann, darf. Darf es, meine ich. Aber wenn so was dann tatsächlich persönlich verletzt? Ungut!
Bringt es da was, über die Reaktion nach außen nachzudenken? Ich finde, eher nicht!
Bin da kein Experte, aber die eigene innere Gefasstheit, Sicherheit, Souveränität, die scheint mir erst mal wichtig. Wäre sie ausreichend vorhanden? Wie dann jeweils nach außen reagiert wird, wäre zum eine gar nicht mehr so wichtig und würde sich zum anderen auch ganz automatisch ändern, wenn Außeneinflüsse weniger gefährlich für das eigene innere Gleichgewicht sind.

Und einiges, was hier so zu empfehlenswerten Reaktionen geschrieben wurde, halte ich selber für kontraproduktiv. Sie nehmen „Opa“ - wie ich finde - zu wichtig. Machen ihn erst wichtig. Etwas, das „Opa“ womöglich ziemlich gefällt. Wer weiß, womöglich kriegt er so die Selbstbestätigung, die ihm sonst fehlt. Sogar die „Drecksau“ würde ihm doch mit der ein oder anderen hier empfohlenen Reaktion bestätigt werden! Mal unterstellt, ich selber wäre durch „Opa“ verletzt worden! Ihm selber würde ich bestimmt nicht den Gefallen tun, ihn so wichtig zu nehmen. Würde wenn überhaupt versuchen unpassend zurück zu kommunizieren.
Neidisch aufs Rad? - Schön dass ihnen das das nicht egal ist! - Danke für die Blumen!“
Sogar das eine Beachtung, die mir oft eher zuviel erscheint.
Und wenn ich wirklich mal über so was tiefgehender gestolpert bin? Meist nur, weil ich selber halt grad nicht gut drauf war. „Opa“ auch als Anlass genommen habe, mich zu ärgern. Nicht nur, aber halt auch über mich.
„Opa“ abwerten? Ich würde es mir übel nehmen. Ich kenn den doch nicht! Überhaupt heftig auf ihn zu reagieren? Warum? Ich will/brauche seine Bestätigung doch gar nicht.
Und wenn doch, dann würde ich mich fragen, warum ich mir nicht selber genüge, warum es nicht reicht, dass ich mit mir und dem Aussehen meines Fahrrades zurecht komme.

LG hawi
„Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, daß die Dummen todsicher
und die Intelligenten voller Zweifel sind.“
Bertrand Russell


ziegenkind
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Beitrag Di., 30.07.2013, 11:39

warum ist uns das eigentlich so wichtig, dem anderen nicht den gefallen zu tun und ihm zu zeigen, dass wir ihn und seine beleidigung ernst nehmen? wenn es nicht so ist. wunderbar. da will ich auch hin. aber wenn es so ist und es trifft mich, warum und wofür ist es so wichtig, das nicht sichtbar werden zu lassen? habe ich etwas davon, dem anderen einen gefallen zu verweigern? und wenn ja, was ist das eigentlich, das ich davon habe? keine rhetorische, eine ernste frage, die ich mir selber stelle. ich kenne die spontane reaktion: nee, den gefallen tust du ihm nicht. aber wenn ich darüber nachdenke, verliert die für mich an plausibilität.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Auf der Haut darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will. Mit dem ersten Schlag bricht dieses Weltvertrauen zusammen.

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