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Sa., 19.12.2015, 14:28
Liebe Myhre,
unter Hintansetzung einiger Bedenken antworte ich Dir nochmals sehr persönlich. Was ich "selbst" über Esotherik denke, habe ich gesagt: ich finde die Analysen C.G. Jungs dazu brilliant und schließe mich ihnen an, "identifiziere mich damit", habe sie als Instrument in meinen geistigen Werkzeugkasten, mein "Organon" aufgenommen und bediene mich ihrer zu gegebener Zeit. Ich hänge nicht dem Glauben an, in erheblichem Umfange "selbst zu denken", habe die Suche nach Kolumbuseiern für mich selbst aufgegeben, glaube vielmehr heute, daß fast alles, was wir "selbst denken" von irgendjemand anderem schon früher, besser und klüger gedacht und zu Papier gebracht worden ist. Ich geniere mich nicht, darauf zurückzugreifen. Mein Mißtrauen weniger gegenüber meinem "Denken" als meinem "Fühlen" aufgrund der bitteren Erkenntnis, eine schwere psychische Störung zu haben, hat diese meine Haltung noch erheblich verstärkt.
Auf die Gefahr hin, wiederum Pickel zu erzeugen, greife ich daher nochmals auf Jung (und zu einem kleineren Teil auch auf Carl Schmitt) zurück:
Das, was wir heute Esotherik nennen, war bis zur "Aufklärung" fester Kulturbestandteil. Die Geister, Elfen, Feen, Hexen, Engel undsoweiter waren ganz reale Tatsachen, so wie wir heute an Quarks, Neutrinos, Schwarze Löcher, Gene und Klimakiller glauben. Die Wissenschaft von heute ist die Esotherik von morgen.
Diese Tatsachen der äusseren Welt haben wir heute in uns hineingenommen. Früher war die äussere Welt groß und übermächtig und der Mensch ein kleiner Wurm. Heute ist der Mensch groß und mächtig, nicht wenige halten sich für allmächtig - und die Welt ist sehr klein geworden, nicht mehr bedrohlich, sondern selbst bedroht, und der Mensch fühlt sich zu ihrem Schutz berufen.
Die Wirkungsmechanismen indessen sind im Grundsatz die Gleichen geblieben: die Psychoanalyse tut nichts anderes, als die Magie, die esotherischen Rituale früherer Zeiten: sie bemüht sich, diese Geister und Dämonen zu beschwören, zu bannen, sie dienstbar zu machen. Nur das gemäß der veränderten Topographie zwischen Mensch und Welt aus dem Magier der Analytiker geworden ist. Der Magier forschte und handelte in die Welt hinaus, der Analytiker in den Menschen hinein.
Deswegen halte ich es auch keineswegs für Spinnerei, wenn von Erfolgen esotherischer Praktiken berichtet wird, von wundersamen Heilungen, Erfüllungen von Wünschen und Sehnsüchten auf diese Weise. Denn diese Maßnahmen, die vordergründig in die Welt hinaus zielen, können doch gleichzeitig in uns selbst hineinwirken - im Guten und im Bösen. Es sind Zugangspforten zu dem, was wir heute das Unbewußte nennen - übrigens noch garnicht so lange. Soweit ich gelesen habe, hat es sich erst um 1900 herum durchgesetzt, eine seelische Instanz anzuerkennen, die zwar zur Seele gehört, aber dem Bewußtsein normalerweise nicht zugänglich ist.
Insofern habe ich auch keinen Grund, mich als "aufgeklärter Mensch" über diejenigen zu stellen, die heute noch oder wieder esotherischen Weltsichten anhängen.
Sollten die nunmehr wiederrum hervorgerufenen Pickel mit Wallnussöl nicht zu beherrschen sein, bitte ich, erneut auf mich zukommen, ich habe da noch andere Mittelchen in peto !
Gruß
Möbius