Mit Therapeut/in spazieren gehen?

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.
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spirit-cologne
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Beitrag So., 02.02.2020, 14:39

Das sind doch 2 vollkommen verschiedene Paar Schuhe Anna-Luisa.

Für beide Situationen (Gespräch mit Kollegen bzw. Therapiesituation) gibt es unterschiedliche Settings, die als angemessen erlebt werden und die im erheblichen Maße davon abhängen, worum es gerade bei dem Gespräch geht.

Im beruflichen Setting ist ein Spaziergang sicherlich eher ungewöhnlich, dafür werden nicht selten Geschäfte bei einem Abendessen oder beim Golfen eingefädelt, ohne dass sich die Beteiligten dabei besonders nahe kommen würden. D.h. die Angemessenheit des Settings hängt von den beiden Personen, ihrem Verhältnis zueinander und dem Inhalt des Gesprächs ab. Für eine lose Geschäftsanbahnung zwischen 2 Geschäftspartnern wäre z.B. ein Golfplatz durchaus angemessen, für die konkreten Vertragsverhandlungen oder ein regelmäßiges Meeting, in dem Aufgaben verteilt werden, sicherlich nicht. Ähnlich sehe ich das in der Psychotherapie. Ein Spaziergang ist sicherlich nicht der Regelfall und auch nicht immer angebracht. Ich glaube auch nicht, dass ein Therapeut, der gerade seinem in psychisch stabilen Zustand befindlichen Patienten ein Störungsmodell seiner Krankheit vermitteln will, auf die Idee käme, dies bei einem Spaziergang zu tun. Wenn es aber um emotional sehr belastende Themen geht und der Therapeut bemerkt, dass der Patient immer wieder dissoziativ abdriftet und ins Leere starrt oder total versteinert, verkrampft und unbeweglich da sitzt, dann kann es - sofern er von seiner Räumlichen Situation her die Möglichkeit dazu hat (z.B. auf dem Klinikgelände) - eine gute Idee sein, zu sagen: "was halten sie davon, wenn wir ein paar Schritte gehen und dabei weiter sprechen?"

Ich glaube, Anna-Luisa, dass du zu sehr von Patienten ausgehst, die über ausreichende Kompetenz verfügen, im Gespräch jederzeit im Kontakt mit dem Therapeuten, mit sich und ihren Gefühlen zu sein. Wenn du z.B. an einen gut kompensierten Patienten denkst, der seinen Alltag soweit ganz gut bewältigt bekommt und es auch in der Therapie schafft, gut mit seinen Gedanken und Gefühlen bei der Therapie zu bleiben, dann gebe ich dir Recht, dass da ein Spaziergang sicherlich überflüssig oder gar hinderlich ist. Manche Patienten sind aber zeitweilig in der Therapie so schlecht für den Therapeuten erreichbar, dass der Therapeut das Setting verändern muss. Gerade bei der Neigung zu Dissoziationen hilft körperliche Bewegung, den Körper zu spüren und dadurch im hier und jetzt zu bleiben und überhaupt für therapeutische Interventionen erreichbar zu sein und da kann eben ein Spaziergang sehr hilfreich sein. Der Spaziergang ersetzt ja nicht die Therapie, sondern die Therapie erfolgt eben einfach nur nicht im Sitzen. Ich selbst kenne das wie gesagt auch nur aus Kliniken, wo ich öfter mal gesehen habe, dass Therapeuten mit ihren Patienten spazieren gegangen sind und gerade da sind eben oft die Patienten, denen es zeitweise schwer fällt, in der Therapie immer geistig und emotional "da" zu bleiben. Therapie muss individuell auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Patienten eingehen und der Therapeut muss die Patienten da abholen, wo sie gerade stehen. Gerade in Kliniken kann das halt auch mal durch einen Spaziergang erfolgen. Manche Patienten laufen - sofern der Therapieraum dazu groß genug ist - auch zeitweise im Zimmer auf und ab, weil sie so besser nachdenken können. Why not? Wenn's hilf...

Ich selbst hatte solche Probleme nie und dementsprechend hat mir auch noch nie ein Therapeut einen Spaziergang angeboten. Da ich es noch nie selbst ausprobiert habe, kann ich auch nicht sagen, ob es für mich persönlich hilfreich wäre oder nicht. Aber selbst wenn ich es selbst als nicht hilfreich erleben würde, müsste das ja nicht bedeuten, dass es für andere Patienten nicht sinnvoll und hilfreich ist.
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stern
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Beitrag So., 02.02.2020, 17:33

Ich hatte es seinerzeit (v.a. stationäre Therapie) abgelehnt. Und auch weiterhin wäre es unvorstellbar.

Bedenken hätte ich am ehesten wegen der Schweigepflicht und aus Datenschutzgründen, was aber nicht der Grund meiner Ablehnung war. Mich hätte dort niemand erkannt... auch in Großstädten mag das nicht so relevant werden. Aber wenn in einer kleinen Stadt wechselnd Patienten mit dem stadtbekannten PT spazieren gehen, wird die Problematik offenkundiger.

Ob es eine Abstinenzverletzung ist, hängt vom Hintergrund ab... beides ist denkbar halt je nach dem. Es kann auch dem ein oder anderen Verfahren zuwider laufen (z.B. PA, die im Liegen geplant ist bzw. auf Verbalisierung angelegt ist und nicht Entlastung o.ä.).
Zuletzt geändert von stern am So., 02.02.2020, 17:50, insgesamt 1-mal geändert.
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stern
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Beitrag So., 02.02.2020, 17:48

Noenergetik hat geschrieben: Sa., 01.02.2020, 14:45
Ich denke viele Therapeuten gehen gerne mal spazieren, um für sich selbst zu sorgen, weil sie eben oftmals den ganzen Tag in der Praxis sitzen.
In der Klinik hatte ich mal den Eindruck... kann so gewesen sein, muss nicht. Selbst hatte ich nicht den Eindruck, das zu "brauchen" und konnte auch kein Bedürfnis danach bei mir ausmachen. Wobei ich ja durchaus auch darauf hätte anspringen können, weil ich ansonsten gerne und viel draußen war - aber eben nicht als oder während einer Sitzung. Damit musste sie dann eben leben. Edit: In einer Klinik kann es auch Platzmangel geschuldet sein (manchmal wurde es eng, was verfügbare Räumlichkeiten angeht).
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Anna-Luisa
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Beitrag So., 02.02.2020, 18:00

spirit-cologne hat geschrieben: So., 02.02.2020, 14:39 Therapie muss individuell auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Patienten eingehen und der Therapeut muss die Patienten da abholen, wo sie gerade stehen.
Das sehe ich anders. Z.B. wird dem Patienten erst suggeriert, dass die Atmosphäre im Praxisräume ungeeignet ist. Und das sich daran nichts ändern wird.

Und was ist, wenn der nächste Patient bei Kaffee und Kuchen am entspanntesten von seinen Problemen sprechen kann?

Oder bei einem Glas Wein?

Oder in der Runde der versammelten Stofftiere bei ihm zu Hause?

Nein, ich finde den Satz man müsse jemanden "abholen wo er steht" grässlich. Individuell auf die Bedürfnisse von Patienten eingehen müssen Therapeuten sicher nicht - da gibt es eine andere Berufsgruppe für. Besser wäre es, hier mal einen Riegel vorzuschieben.
Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von den anderen. So wird dir Ärger erspart bleiben.
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peppermint patty
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Beitrag So., 02.02.2020, 18:25

Was würde eine Therapie bringen,die nicht speziell auf die Bedürfnisse des jeweiligen Patienten eingeht?

Nichts, gar nichts oder überhaupt nichts? ;)

Es würde zu noch mehr Therapieabbrüchen führen, zu noch mehr Menschen mit Therapieschäden und dadurch zu weitaus höheren volkswirtschaftlichen Kosten, da die leider nicht gesundeten Patienten nicht (mehr) arbeitsfähig sind oder werden. Des Weiteren kämen Zusatzkosten durch weitere Therapieversuche hinzu. Vom menschlichen Leid mal abgesehen.

Dir als SV-Beitragszahlerin kann das doch gar nicht passen, oder?

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Malia
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Beitrag So., 02.02.2020, 18:29

Auf die Bedürfnisse von Patienten einzugehen muss nicht bedeuten, sie vollkommen zu erfüllen.
Bei einem gewissen Stande der Selbsterkenntnis und bei sonstigen für die Beobachtung günstigen Begleitumständen wird es regelmäßig geschehen müssen, dass man sich abscheulich findet.
Franz Kafka

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Anna-Luisa
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Beitrag So., 02.02.2020, 18:29

peppermint patty hat geschrieben: So., 02.02.2020, 18:25 Es würde zu noch mehr Therapieabbrüchen führen, zu noch mehr Menschen mit Therapieschäden und dadurch zu weitaus höheren volkswirtschaftlichen Kosten, da die leider nicht gesundeten Patienten nicht (mehr) arbeitsfähig sind oder werden. Des Weiteren kämen Zusatzkosten durch weitere Therapieversuche hinzu. Vom menschlichen Leid mal abgesehen.
Deine "Schlussfolgerungen" halte ich für absolut unzutreffend.

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peppermint patty
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Beitrag So., 02.02.2020, 18:37

Anna-Luisa hat geschrieben: So., 02.02.2020, 18:29 Deine "Schlussfolgerungen" halte ich für absolut unzutreffend.
Und ich für zutreffend.


mio
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Beitrag So., 02.02.2020, 18:39

Ich denke auch dass man Bedürfnisse zulassen und Bedürfnisse erfüllen nicht verwechseln sollte.

Es ist nicht die Aufgabe des Therapeuten einem Patienten jeden Wunsch zu erfüllen, das wäre ziemlich unprofessionell. Vielmehr sollte der Therapeut mit dem Patienten schauen wie dieser mit seinen Bedürfnissen konstruktiver umgehen kann, sie sich selbst erfüllen kann.

Ein Spaziergang hat für mich aber auch weniger mit "Wunscherfüllung" zu tun sondern ich sehe das eher als "Werkzeug". So wie man es als Werkzeug sehen kann ob man sitzt oder liegt, wie groß der Abstand sein darf/soll, auch ein Stofftier kann ein Werkzeug sein.

Werkzeuge sind etwas das ein Therapeut anwenden kann, wenn er sich davon einen Weiterkommen in der Therapie verspricht. Mit einem uneingeschränkten "Wunschkonzert" hat das allerdings nichts zu tun.

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peppermint patty
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Beitrag So., 02.02.2020, 18:39

Malia hat geschrieben: So., 02.02.2020, 18:29 Auf die Bedürfnisse von Patienten einzugehen muss nicht bedeuten, sie vollkommen zu erfüllen.
Für mich heißt es vor allem Entwicklung zu ermöglichen.

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Anna-Luisa
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Beitrag So., 02.02.2020, 18:42

peppermint patty hat geschrieben: So., 02.02.2020, 18:37 Und ich für zutreffend.
Ist dir unbenommen. Aber verzichte ruhig darauf, deine Schlussfolgerungen als maßgeblich für das zu betrachten, was mir passen oder nicht passen müsste. :-D
peppermint patty hat geschrieben: So., 02.02.2020, 18:25 Dir als SV-Beitragszahlerin kann das doch gar nicht passen, oder?

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peppermint patty
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Beitrag So., 02.02.2020, 18:45

Anna-Luisa hat geschrieben: So., 02.02.2020, 18:42 Ist dir unbenommen. Aber verzichte ruhig darauf, deine Schlussfolgerungen als maßgeblich für das zu betrachten, was mir passen oder nicht passen müsste. :-D
Ich bin dir unglaublich dankbar. :lol:

Kennst du die Bedeutung dieses Zeichens: ?

Aber lass uns keinen Nebenschauplatz aufmachen. Ich finde das Thema wichtiger. ;)

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Anna-Luisa
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Beitrag So., 02.02.2020, 18:48

Du unterlässt es also? Dann gilt mein Dank dir! ;)
Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von den anderen. So wird dir Ärger erspart bleiben.
(Konfuzius)

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peppermint patty
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Beitrag So., 02.02.2020, 18:53

Für mich sind Bedürfnisse in diesem Thread nicht als Synonym für die Wünsche des Patienten gemeint. Für mich sind es die Entwicklungsvariablen die notwendig sind, damit der Patient "wachsen" und damit seine Probleme zu bewältigen lernt.


Coriolan
Forums-Insider
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Beiträge: 436

Beitrag So., 02.02.2020, 19:13

Meinung (vorübergehend?) geändert, bin wieder dabei...

Ich finde es auch viel besser, wenn der Patient minutenlang (oder auch stundenlang) davondissoziiert und schweigend herumsitzt, als dass ich mit ihm Dinge ausprobiere, die dazu beitragen könnten, Fortschritte zu erzielen. Hauptsache, die "Regeln" (von wem auch immer die erstellt wurden) werden nicht (oder kaum) hinterfragt und auf jeden Fall eingehalten.

Schließlich gibt es nur ein Schema F, das natürlich bei allen Patienten (sind ja auch alle Patienten gleich) angewendet werden muss. Kann der Patient damit nix anfangen, hat er halt Pech gehabt, was natürlich aber dann auch wieder Schuld des Therapeuten ist, der es (gefühlt) sowieso nur falsch machen kann. :hammer: :kopfwand:

*Ironie off*

Dann hoffe ich mal für Dich, Anna-Luisa, dass du nie in die Situation kommst, auf Abweichungen dessen, was du als "normal" in einer Therapie ansiehst, angewiesen zu sein.

Ich frage mich ja schon, wo du all diese "Regeln" her hast? Hat ein bisschen den Anschein, als wäre alles, was du als nicht richtig empfindest, auch nicht regelkonform, was nicht so ist. Umarmungen sind laut dir verboten, Spaziergänge datenschutzrechtlich zumindest bedenklich und auf den Rest gehe ich lieber gar nicht weiter ein.

Mich wundert's schon ein wenig, dass du anscheinend eine Therapeutin gefunden hast, die dir zusagt, denn bei deinen Posts habe ich oft den Eindruck, als könne man es dir als Therapeut prinzipiell nicht recht machen.

Zwischen Therapie bei einem Glas Wein und einem Spaziergang liegen für mich Welten und ich finde es echt bemerkenswert, dass du alles, wirklich alles, was deiner Meinung nach "falsch" ist in den gleichen Topf wirfst, egal, ob's wirklich nicht erlaubt ist oder einfach nur deinen Vorstellungen widerspricht, dass es für manche Patienten auch durchaus hilfreich sein könnte.

Ich denke, die Überlegung, eine Runde zu laufen, fällt meist eh nicht in der 1. Stunde bei einem Therapeuten, sondern wird erst im Verlauf erwogen, wenn sich bestimmte Probleme gezeigt haben, die man dadurch ggf. besser bearbeiten kann. Deswegen kann meiner Meinung nach auch nicht von Suggestion die Rede sein.

Und ja, es gibt auch Hausbesuche von Therapeuten - völlig legal sogar. (Therapeutische) Gründe dafür gibt es viele.
Zuletzt geändert von Coriolan am So., 02.02.2020, 20:08, insgesamt 7-mal geändert.
Behinderung/Erkrankung ist eine Erklärung für Vieles, aber keine Entschuldigung für Alles.

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