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Fr., 09.10.2009, 03:01
Seit ich das letzte Mal in diesem Thread schrieb hat sich bei mir sehr viel getan in Richtung loslassen. Ich frage mich gerade, inwieweit dies mit dem Verzeihen parallel geht. Vieles von meiner WUT und HASS sind verschwunden. Oder besser umgekehrt gesagt: Vieles regt mich nicht mehr auf, ist zwar noch immer ärgerlich, aber lässt mich ansonsten recht kalt. Natürlich nicht alles. Und wenn ich nun Rachegedanken habe, dann ganz ungeniert und entspannt.
Doch genau das ist die Frage: Heißt weniger Wut, Hass, sich aufregen automatisch, dass man mehr verziehen hat?
Eben habe ich wieder ein Buch gelesen, aus ganz anderer Richtung, wo es u.a. um Verzeihen und Affirmationen/Meditationen ging. Ich finde es immer noch widerlich. ABER ich picke mir das davon raus, was ich brauche. Und das sieht wie folgt aus:
Ich befreie MICH. Ich bleibe BEI MIR. "ER" spielt dabei keine Rolle bzw. ich wünsche ich immer noch nicht alles Gute oder ähnliches. Ich vergebe mir. Ich sage mit täglich vor, dass ich FREI(ER) bin, dass ich die WUT loslasse, dass ER bedeutungslos und gleichgültig ist. Wenn ich dann aber solche Sätze lese so alle, man soll denjenigen freilassen, demjenigen vergeben, demjenigen alles Gute wünsche... Da bleibt es eindeutig bei meinem klarem Nein.
Und das finde ich eine spannende definitatorische Frage. Denn offenbar gehört es für die einen dazu, DEM Gegenüber zu verzeihen. Als Person als auch die Tat. Nur so könne man loslassen und dass es einem selbst besser gehe. Ich behaupte jetzt aber mal, dass dies überhaupt gar nicht nötig ist. Es reicht voll und ganz dafür zu sorgen, dass einen das Nicht-Verzeihen nicht mehr belastet und gefangen hält. Und das heißt für mich, dass man dem Gegenüber NICHT verziehen muss, damit man sich selbst wieder besser fühlt. Ganz und gar nicht. Man muss nur aufhören, sich durch negative Gefühle selbst zu belasten. Hübsch auf der eigenen Seite, bei sich selbst, bleiben. Dazu müsste man, rein theoretisch, noch gar nicht mal über den Gegenüber nachdenken. Der spielt dabei überhaupt gar keine Rolle.
Eingangs schrieb ich Rachegedanken. Das ist etwas überspitzt. Sagen wir es so: Ich wünsche mir immer noch "ausgleichende Gerechtigkeit", und es würde mir auch Freude mache, selbst etwas dafür bewirken zu können, sozusagen der Vollstrecker zu sein. Aber ich bin nicht mehr davon abhängig. Ich leide nicht mehr, wenn dem nicht so ist.
Und nur weil mich manche Aspekte nun deutlich unberührter lassen als zuvor, heißt das noch lange nicht, dass ich sie gut finde. Mit verzeihen würde ich assozieren, dass man auch für die Folge-Ärgernisse Verständnis aufbringt. Vielleicht mitleidig denkt: "XY kann nichts dafür, ist selbst ja nur ein Opfer seiner Selbst und Störungen, ist halt krank." Nein, so weit muss man nicht gehen.
Meine Gedanken sind eher in die Richtung: "XY ist immer noch ein A***, wird sich nie ändern, ist und bleibt ein elender Feigling, ein Verräter, widert mich an. ABER ich habe jetzt einfach kein Bock mehr, mich darüber aufzuregen und mir den Tag und meine Psyche versauen zu lassen."
Empfinde das gerade alles als sehr, sehr erholsam.