Amoklauf von Jugendlichen

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stern
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Beitrag Di., 26.07.2016, 07:01

Genauso könnte man übrigens sagen: Es fällt auf, dass fast alle Amokläufer Männer sind... nur siehe oben.
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stern
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Beitrag Di., 26.07.2016, 07:13

Die Öffentlichkeit erhält ja in aller Regel keinen Einblick in differenziertere psychologische Unterlagen (sofern solche existierten... bzw. der Täter sich überhaupt über alles äußerte). Und wegen Tod des Täters können später auch keine neuen Gutachten erstellt werden. Aber keine Ahnung, inwieweit die Öffentlichkeit Einblick in differenziertere Krankenunterlagen erhalten dürfte. Darüber hält man sich meiner Wahrnehmung nach eher bedeckt. Zwar kann die Schweigepflicht zur Ermittlungszwecken aufgehoben sein, aber ich denke nicht, dass das bedeutet, dass nun alles zur allgemeinen Verwertung freigegeben ist. Ist ja auch richtig, wenn trotzdem eine gewisse Schutzwürdigkeit beachtet wird. Und die Stichworte, die es gibt (wie Depression) werden dann medial ausgeschlachtet... am Ende noch von einen Journalisten, der selbst nicht viel Ahnung bzw. Bezug zu Depressionen hat.
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isabe
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Beitrag Di., 26.07.2016, 07:45

Wenn die Öffentlichkeit so tickt, dass sie beim Schlagwort "Depression" ab sofort verallgemeinernd befürchtet, dass nun jeder Depressive um sich schießt, dann ist daraus nicht die Schlussfolgerung zu ziehen, das Wort "Depression" in diesem Kontext zu tabuisieren! Eher sollte man sich überlegen, in welcher Gesellschaft wir leben, dass bestimmte Dinge / Tatsachen / Zusammenhänge nicht veröffentlicht werden dürfen, nur weil die Leute zu doof sind, diese Informationen angemessen zu verwerten.

Wenn man die "heilige Diagnose" Depression nicht antasten darf, weil man ansonsten durcheinanderkommt mit den eigenen engen Schubladen, die ja besagen, dass doch die Narzissten und Borderliner (von der antisozialen PS mal ganz abgesehen) die Bösen sind, während wir doch von den Depressiven immer denken sollen: "Die tun nix", dann ist das eher das Problem von Stigmatisierungen allgemein - und dies gilt für ALLE Diagnosen und Zuschreibungen. Also, entweder man beschäftigt sich mit eventuellen Zusammenhängen, oder man lässt es bleiben. Was jedoch nicht geht, ist, ganz offen zu schreiben: "Der Täter war ein Narzisst; Narzissten können es nicht ertragen, abgelehnt zu werden und deshalb kann so was passieren" (im Zusammenhang mit einer dieser Taten gelesen, sinngemäße Wiedergabe) - während beim Wort "Depression" sofort irgendwelche Selbsthilfegruppen (?) aufschreien, dass das ja so nicht ginge und was man da in der Gesellschaft für einen Schaden anrichte usw.

Die Depression ist eben NICHT die "moralisch gute Krankheit", die - womöglich im phantasierten Gegensatz zu Borderline, Narzissmus & Co - die Betroffenen ein für alle Mal freispricht von jeglicher Aggression, von jeglicher böser Tat, von jeglicher Schuld. Mal abgesehen davon, dass sich Diagnosen oft überschneiden (wie eigentlich jeder weiß, nur steht davon dann halt in den Zeitungen nichts, weil das die Leser womöglich erst recht überfordern würde...). Idioten, Mörder, Verbrecher gibt es unter Depressiven genauso wie unter Nicht-Depressiven. Gerade deshalb ist es wichtig, das ggf. zu veröffentlichen: um das Schubladendenken aufzubrechen und wegzukommen von "Opferdiagnosen" und "Täterdiagnosen".

Die eigentlich spannende Frage ist jedoch - wie immer - nicht die nach der Diagnose, sondern nach der Lebensgeschichte derer, die solche Taten begehen.


isabe
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Beitrag Di., 26.07.2016, 07:52

Zur medialen Ausschlachtung:
Wann immer es um ein bestimmtes Thema geht, wird derjenige Leser, der von ebendiesem Thema sehr viel Ahnung hat, u.U. immer mehr wissen als der Journalist, der mal über Depressionen, mal über das Bildungssystem und mal über minderjährige Flüchtlinge schreibt. Normalerweise merkt der Leser das nicht, da auch er selbst üblicherweise kein flächendeckender Experte für alles ist. Aber selbst wenn der Journalist womöglich viel über psychische Krankheiten weiß, wird sein Auftrag nicht sein, diese en detail zu erklären, sondern er wird den Auftrag haben, in wenigen Zeilen möglichst einfache Zusammenhänge herzustellen (je nach Niveau der Zeitung sind diese SEHR einfach), damit der Leser am Ende das Gefühl hat: "Nun bin ich informiert. Und morgen werde ich diese tolle Zeitung wieder lesen".

Es bleibt nicht aus, dass die Dinge da vereinfacht dargestellt werden; das ist der Unterschied zwischen einem (nicht-wissenschaftlichen) Zeitungsartikel und einem Sachbuch.

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stern
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Beitrag Di., 26.07.2016, 08:01

Es geht nicht darum, Diagnosen nicht anzutasten... sondern ich stellte dar, dass es auch schutzwürdige Interessen geben kann, so dass Krankenakten nicht en detail veröffentlicht werden... und dann nur Stichworte von irgendwelchen Journalisten ausgeschlachtet werden. Höchstens hat man ganz am Ende der Ermittlungen einen Abschlussbericht, der von der Öffentlichkeit dann oft nicht mehr so wahrgenommen wird, weil das Ereignis schon länger zurückliegt und nicht mehr so präsent ist. Die psychischen Befunde der Täter sind doch (insbes. in der der Erstberichterstattung) nie wirklich konkret dargestellt, sondern eher Meinungen von Experten, die dann Erfahrungswerte allgemein beleuchten. Ich denke, das hat damit zu tun, dass auch Persönlichkeitsrechte (Schweigepflicht) entgegenstehen kann... so dass zwar im bzw. für den Ermittlungsfall Einschränkungen zu beachten sind, aber auch nicht alles "zum Abschuss freigegeben" werden kann. Sondern das öffentliche Interesse wird hier auch gegen andere schutzwürdigen Interessen abzuwägen sein.

Und inwiefern Depressionen ursächlich sind, dazu äußern sich viele Fachlaute - siehe z.B Link Jenny - durchaus anders als Journalisten, die Spekulationen eröffnen. Dem messe ich in der Tat mehr Bedeutung und Fachwissen zu als irgendwelchen unbedarften Journalisten, die eine Artikel schreiben. Korrelation ist nicht gleich Kausalität... und selbst ob eine Korrelation vorliegt, müsste man schon genau prüfen, sonst sind es vielleicht doch mal die Störche, die die Kinder bringen sollen.
"Paranoide, narzisstische Persönlichkeiten"

Sind die Attentäter von Nizza und Würzburg gestört? Ist Wahnsinn eine Terrorursache? Nur selten, sagt die forensische Psychiaterin Nahlah Saimeh. Aber bestimmte Persönlichkeitsmerkmale fallen auf.

...
Eine Frage steht im Zentrum der Arbeit von Nahlah Saimeh: Was macht einen Menschen zum Mörder? Viele Jahre forschte die in Münster geborene forensische Psychiaterin zu Amokläufern und Selbstmordattentätern. Im Gespräch erläutert sie, was Menschen dazu bringt, radikale Taten zu begehen – und dabei den eigenen Tod und den Tod vieler anderer Menschen in Kauf zu nehmen.
http://www.welt.de/politik/ausland/arti ... eiten.html

Interview mit Nahlah Saimeh, Ärztliche Direktorin am LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie Lippstadt


Bei Jugendlichen ist es oft so, dass man Persönlichkeitsstörungen noch gar nicht stellen kann, weil die Persönlichkeit noch nicht ausgereift ist. Zu Kausalitäten gilt das oben Gesagte.
Zuletzt geändert von stern am Di., 26.07.2016, 08:13, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitrag Di., 26.07.2016, 08:09

Es geht nicht unbedingt darum, ob Depressionen (alleine) ursächlich sind, sondern es geht um gemeinsame Merkmale, auch lebensgeschichtliche Hintergründe. Wenn jemand mit Depressionen einen Massenmord begeht, dann tut man niemandem einen Gefallen, die Diagnose "Depression" zu verheimlichen. Wenn diese so unwichtig wäre, hätte sie niemand gestellt. Diese Folgerung: "Weil er Depressionen hatte, hat er geschossen" wird so ja kaum jemand stellen. Aber trotzdem sind die Depressionen da, und natürlich wirken die sich auch auf die Wahrnehmung der Umwelt aus.

Man kann ja nicht sagen: "Wir untersuchen den Zusammenhang zu Killerspielen, zum ethnischen Hintergrund, zur Sozialisation, zur schulischen Entwicklung - aber die psychische Krankheit klammern wir aus".

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stern
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Beitrag Di., 26.07.2016, 08:20

Bei Andreas L. wurden in der Erstberichterstattung auch Depressionen ausgeschlachtet... im Abschlussbericht war hingegen insbes. auch von einer Psychose die Rede. Sprich: Die Öffentlichkeit hat nicht zu jeder Zeit die Kenntnis.

Im Fall Tim. K. war auch von Fehlern die Rede (wie fehlerhafte Auswertungen von Tests).

Und: Diagnosen beziehen sich, wie dargestellt, auf die Vergangenheit... usw.

Dafür sollte man dann wahrlich nicht nur Zeitungsartikel ausschlachten.

Sprich: Wenn man untersuchen will, ob bestimmte Zusammenhänge zu Depressionen bzw. psychische Störung bestehen, müsste zunächst sichergestellt sein, dass Depression die richtige Diagnose ist bzw. den psychischen Befund zum Zeitpunkt der Tat darstellt.

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Beitrag Di., 26.07.2016, 08:32

stern hat geschrieben: Sprich: Wenn man untersuchen will, ob bestimmte Zusammenhänge zu Depressionen bzw. psychische Störung bestehen, müsste zunächst sichergestellt sein, dass Depression die richtige Diagnose ist bzw. den psychischen Befund zum Zeitpunkt der Tat darstellt.
Das ist eben das Problem: dass Diagnosen - wie häufig das vorkommt, weiß ich nicht - gelegentlich unddifferenziert geäußert werden. Man sieht das ja sehr schön, wenn es um Kassenanträge geht: Mal wird bewusst beschönigt ("ich weiß schon, warum ich das nicht in die Akte schreibe"); mal wird bewusst übertrieben, um den Gutachter zu überzeugen usw. Und all das nur, weil man mit jeder Diagnose ein bestimmtes Bild verbindet.

Und nun haben wir den ungünstigen Fall, dass ein Psychologe feststellt, dass sein Schützling Depressionen hat - und dass dies derselbe Mensch ist, der später einen Massenmord begeht. Daher hatte ich neulich nachgefragt, ob das mal evaluiert wird, wie Diagnosen, Psychotherapieverläufe usw. noch ins Bild passen, wenn so etwas geschieht. Und wenn das nicht mehr passt: wieso der Psychotherapeut nichts mitbekommen hat.

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stern
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Beitrag Di., 26.07.2016, 08:33

Und Untersuchungen scheint es ja durchaus zu geben... kenne aber natürlich die Studienlage nicht en detail:
... und die Diagnosen waren unsicher. Vielleicht wurde ja bei den Strafprozessen die Depressionsdiagnose häufiger gestellt, etwa vor dem Hintergrund möglicher mildernder Umstände. Auch könnte die Depression bei einer manisch-depressiven Erkrankung aufgetreten sein. Rutschen diese Menschen später in eine Manie, dann können sie durchaus mal in eine Schlägerei geraten."

Eine prospektive Studie aus dem Jahr 2009 habe dagegen kein erhöhtes Risiko für Gewalttaten durch Depressive ergeben. Einen "depressiven Modus" bei solchen Gewalttaten hält auch Professor Manfred Wolfersdorf, Chefarzt der Psychiatrischen Klinik in Bayreuth, für unwahrscheinlich.
Link von Jenny: http://www.aerztezeitung.de/medizin/kra ... 1816254156
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stern
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Beitrag Di., 26.07.2016, 08:40

Und beim Münchner Attentäter ist auch von sozialer Phobie die Rede... vielleicht war ja vielmehr diese ursächlich? Nicht erst gemeint, aber vllt. wird deutlich, worauf ich hinaus will. Und wie gesagt... ich würde das mit Vorsicht genießen, wer hier von wem abschreibt bzw. die Daten her sind. Oft heißt es: "soll haben" oder "deutet auf xy hin"... was den psychischen Befund angeht, hält man sich bedeckt. Oft sind erst genauere Details Abschlussberichten zu entnehmen, vgl. auch Andreas L.
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stern
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Beitrag Di., 26.07.2016, 09:04

Berichte über Depression als Gewaltursache oft «fahrlässig»
Zu dieser Auffassung kommt die Deutsche Depressionsliga und macht in einer Mitteilung darauf aufmerksam, dass der in den Medien «leichtfertig» konstruierte Zusammenhang zwischen Depression und Gewalt die Stigmatisierung der Betroffenen erheblich steigere. Gewalt und Depression automatisch miteinander in Verbindung zu bringen und dies so zu verbreiten, sei deshalb «fahrlässig».

Zwar rechtfertige die extreme Brutalität der Täter Fragen nach deren psychischer Verfassung. Doch biete die mediale Berichterstattung zu schnell die Erklärung «psychisch krank», obwohl dafür meist die diagnostische Grundlage fehle. ...

Entsprechend fatal wirkten Berichte, die statt geprüfter Diagnosen lediglich Behauptungen und Spekulationen zur psychischen Verfassung der Täter verbreiteten.
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/i ... p?id=64394
Wie gesagt... Amokläufer sind meistens Männer... hier könnte man auch versuchen alles mögliche in Zusammenhang zu setzen. Die Emma macht das übrigens:
Alice Schwarzer: Gewalt & Geschlecht

Noch sind die Ursachen des Airbus-Unglücks nicht geklärt. Aber die Debatte über Amoktrips schlägt hohe Wellen. Fakt ist, dass die Täter überwiegend Männer sind. Diese Tatsache wollen viele nicht wahrhaben. So wie lange geleugnet wurde, dass es Gewalt in der Familie gibt. Also müssen wir auch darüber reden!
http://www.aliceschwarzer.de/artikel/al ... cht-318663
Ähnliche Begründungen wie oben würde ich persönlich hier auch gelten lassen - sage ich sicherheitshalber mal dazu.
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Candykills
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Beitrag Di., 26.07.2016, 09:11

Wer entwickelt keine Soziale Phobie oder Depressionen, wenn er 7 Jahre lang gemobbt wird.
Ich denke schon, dass es in Folge dessen zu einer psychischen Erkrankung kam (schwere narzisstische Kränkungen).
Das bedeutet aber nicht, dass Soziale Phobie und Depressionen, die Ursache sind. Meiner Meinung nach sind Tat und psychische Erkrankungen nur die Folge der massiven narzisstischen Kränkungen denen der Täter über Jahre hinweg ausgesetzt war. Ursache für den Amoklauf sind jedoch die narzisstischen Kränkungen, auf die man eben mit sozialer Phobie, Depressionen und erweiterten Suizid etc pp antworten kann, aber folglich nicht muss. Und das eine verstärkt dann eben das andere noch zusätzlich.
Ich bin wie einer, der blindlings sucht, nicht wissend wonach noch wo er es finden könnte. (Pessoa)

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hawi
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Beitrag Di., 26.07.2016, 10:26

isabe hat geschrieben:Wenn die Öffentlichkeit so tickt, dass sie beim Schlagwort "Depression" ab sofort verallgemeinernd befürchtet, dass nun jeder Depressive um sich schießt, dann ist daraus nicht die Schlussfolgerung zu ziehen, das Wort "Depression" in diesem Kontext zu tabuisieren! Eher sollte man sich überlegen, in welcher Gesellschaft wir leben, dass bestimmte Dinge / Tatsachen / Zusammenhänge nicht veröffentlicht werden dürfen, nur weil die Leute zu doof sind, diese Informationen angemessen zu verwerten.
Hallo Isabe,

gilt ja nicht allein für „Depression“, auch für viele andere Schlagworte.
Blöd, dass das so wohl kaum passiert, geht, aber spannend, nützlich, interessant fände ich, die „Öffentlichkeit“ würde mal sich selbst diskutieren.
Ich nehm mal auch die Berichterstattung der klassischen Medien. Es wird viel berichtet, auch sehr schnell berichtet. Es wird aber auch, wie ich finde, sehr vielschichtig berichtet. Im Gegensatz zu früher viel mehr auch die Sicht von zig Experten aus all den heute existenten Wissensrichtungen. Mittlerweile wird sogar immer mehr über die Berichterstattung selbst berichtet. Journalismus, Kommunikationswissenschaft, Psychologie, Soziologie, Kriminalistik u.v.m.
Natürlich nicht alles sakrosankt. Doch sogar das meist für den „Konsumenten“ mitgeliefert, klargestellt, dass da zum einen nur ein Stück beleuchtet wird, dass das Beleuchten nur eine vorläufige, oft auch sehr frühe Betrachtung ohne Kenntnis aller Umstände ist und dass man sich noch dazu in vielerlei Hinsicht vor Pauschalisierungen zu hüten hat.

Natürlich nur meine Wahrnehmung, aber mir scheint dass zumindest ein Teil der Öffentlichkeit genau auf dem entgegengesetzten Trip ist.
Ist die Informationsflut zu groß, ist das, was ankommt zu wenig eindeutig, wage, nicht so, wie Mensch es sich wünscht, haben möchte? Einem nicht kleinen Teil der Reaktionen entnehme ich jedenfalls, dass der größte Teil, wenn nicht gleich alle Informationen überhaupt nicht mehr beachtet werden.

Wobei das wohl an sich schon immer so war. Neu ist, dass grad durchs Internet eine Vielzahl kleiner individueller Welten im Netz vielen, allen zugänglich ist. Und dass auch noch gleichberechtigt neben den journalistischen Welten, den Expertenwelten, den politischen Welten. Der Wissensvorsprung, damit auch die Wissensmacht, die es früher mal für Politik, Journalisten, Experten gab, arg geschrumpft.

Zu Depression noch, auch zu anderen psychischen Hintergründen von Taten.
Eins scheint mir einfach festzustellen. Je mehr Menschen es mit einer psychischen Diagnose gibt, desto mehr wird es natürlich auch zu Straftaten mit diesem Aspekt kommen
Gilt auch für Migrationshintergründe. Da allerdings weniger. Da wandeln sich nur die Herkunftsländer, -gebiete.
Nur so aus meiner kleinen Welt. Fing an mit den Vertriebenen, Schlesiern, Sudetendeutschen etc., dann Jugoslawen, Italiener, Griechen, Spanier, gefolgt von Türken, noch so einiges bis zu den Syrern grad.

Fast immer, ganz ohne Problem geht’s nie. Und wenn eins halbwegs im Griff scheint, kommt das nächste, das nicht, so noch nicht bekannt war.

Zu Depression, Amokläufer, viel mir auch noch dies noch nicht lang vergangene Ereignis ein
https://de.wikipedia.org/wiki/Germanwings-Flug_9525

sicher kein Terroranschlag, auch nichts, das zu klassischem Amoklauf passt. Aber halt der Hintergrund, durchaus maßgebliche, dass der Täter psychisch krank war.
Nur auch da wieder: Flugzeuge stürzen aus unterschiedlichen Gründen ab. Dass hier wohl psychisch Krankheit Hauptursache war, war neu, war zumindest so eindeutig vorher nie festgestellt worden.

LG hawi
„Das Ärgerlichste in dieser Welt ist, daß die Dummen todsicher
und die Intelligenten voller Zweifel sind.“
Bertrand Russell


mio
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Beitrag Di., 26.07.2016, 10:54

Interessant finde ich ja, dass sich zwar ständig - zu Recht - gegen den Rückschluss gewehrt wird, dass alle psychisch kranken Menschen eine Bedrohung darstellen, aber der Schluss, dass nur ein psychisch kranker Mensch überhaupt in der Lage ist solche Taten zu begehen vollkommen untergeht dabei. Auch Selbstmordattentäter sind "psychisch krank" im Sinne einer gedanklichen Einengung und eines Empathiemangels.

Ich sehe die Ursachen auch in einem verletzten Narzissmus, der allerdings bereits so früh und vielschichtig verletzt sein worden dürfte, dass die gedankliche Einengung eben die Folge ist. "Gewalt" erzeugt "Gewalt". Gewalt ist immer eine Antwort auf Angst, ob nun bewusst oder unbewusst. Wobei Gewalt vielfältig sein kann und sich auch in zB. überzogenen Erwartungen der Eltern äußern kann, die das Kind in seinem natürlichen (Selbst)Verständnis beeinträchtigen.

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Beitrag Di., 26.07.2016, 11:58

hawi hat geschrieben:Zu Depression, Amokläufer, viel mir auch noch dies noch nicht lang vergangene Ereignis ein
https://de.wikipedia.org/wiki/Germanwings-Flug_9525
Wie gesagt: Bei Andreas L. wurde in der Erstberichterstattung durchaus Depression hoch- und runterdiskutiert. Evtl. waren die Krankenakten noch nicht ausgewertet, so dass nicht alles frühzeitig veröffentlicht wurde. Aber später hieß es eher folgendes (ein durchaus beachtlicher Unterschied, was die Diagnostik angeht):
Die französische Untersuchungsbehörde BEA veröffentlichte ihren Abschlussbericht am 13. März 2016.[2] Sie bestätigte ihre These aus dem Zwischenbericht, wonach sich der psychisch kranke Kopilot im Cockpit eingeschlossen und das Flugzeug bewusst und absichtlich zum Absturz gebracht habe. Andreas Lubitz habe nach Erkenntnissen der Ermittler zum Zeitpunkt des Absturzes Anti-Depressiva eingenommen und unter einem psychotischen Schub gelitten. Ein Arzt habe zwei Wochen vor dem Absturz eine mögliche Psychose bei Lubitz diagnostiziert und eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik empfohlen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen waren aber nicht an Germanwings weitergeleitet worden.[78]
Quelle: Dein Link
Und nochmals zum Stichwort Kausalität: Wenn etwas wirklich kausal sein soll, so muss auch erklärbar sein, warum x Leute mit gleichen Merkmalen (sag ich mal) nicht auch zum Mörder werden. Oder anders formuliert: Man muss aufpassen, dass man nicht Schein-Kausalitäten annimmt, nur weil etwas gleichzeitig auftritt.

Und wenn man Zusammenhänge zu psychischen Störungen untersuchen will (das finde ich auch berechtigt), so muss man wenigstens möglichst zutreffende Diagnosen zugrunde legen. Auch bei Tim K. hat der Gerichtsprozess des Vaters ja bestätigt, dass Test falsch ausgewertet wurde. Auch sowas fließt ja nicht unbedingt in die Erstberichterstattung ein.

Bei Andreas L. war, glaube ich, die Einnahme von Antidepressiva bekannt... möglicherweise wurden daraus von Journalisten unzutreffenden Schlüsse gezogen, die keinen Einblick in die Krankenakte hatten (Schweigepflicht... gegenüber Ermittlungsbehörden kann diese in solchen Fällen gelockert sein, aber kann ja erst etwas präsentieren, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind und nicht irgendwelchen Mutmaßungen).
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