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Mi., 11.03.2020, 09:11
An deiner Situation wird sich nichts ändern, wenn du alles Unbequeme dauerhaft vermeidest. Und manchmal muss man auch erstmal lernen, in kleinen Schritten, sich nicht reflexhaft gegen alles zu stellen, und zu spüren, was dann passiert. Du gibst dir selbst da ja überhaupt keine Chance.
Und ändern kannst du nur dich selbst und wie du die Situation betrachtest. Die anderen wirst du nicht ändern können. Aber das ist etwas, was dir hier schon viele gesagt haben (und die Therapeutin ja auch) und was bei dir aber überhaupt nicht ankommt, oder (im Fall der Therapeutin) dich unendlich kränkt. Aber es ist die Wahrheit und es macht wenig Sinn, dass du vor dieser Wahrheit weiter davonrennst.
Ich glaub, du musst für dich mal schauen, dass du aus dem Dagegen-Modus rauskommst und langsam (!) anfängst, in kleinen Dingen ein für dich stimmiges "Dafür!" zu entwickeln. Das kann sowas sein, dass du nicht sofort Nein! sagst, wenn ein Vorschlag kommt, sondern dich gedanklich drauf einlässt und das einfach mal weiterdenkst. Und vielleicht feststellst, so schlecht ist das am Ende doch nicht.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass dieses Dagegen-Sein auch dafür sorgen kann, dass man sich überhaupt wahrnimmt und spürt. Dass dieser Druck, der dann entsteht bei mir überhaupt erstmal ein Bewusstsein dafür schafft, dass ich überhaupt da bin. Ohne diesen Druck und dieses "Dagegen!" hab ich mich ganz lange kaum spüren können. Und deshalb wollte/konnte ich da auch lange Zeit nicht von ablassen. Und wenn der Druck dann fehlt, dann ist das bestenfalls ungewohnt und fremd, oder es macht Angst und lähmt. Was dann auch schwierig ist.
Du hast Ziele, was du erreichen willst. Gleichzeitig hast du in mancherlei Hinsicht auch unrealistische Ansprüche (an die anderen, aber auch an dich). Und du willst alles auf einmal - das ist der beste Weg, um sich selbst zu blockieren.
Wie wäre es, wenn du deine Ziele mal priorisierst: Was ist im Moment am Wichtigsten? Und vielleicht in kleinere Schritte runterbrichst. Du willst Ausziehen, Berufsfindung und alles andere gleichzeitig machen. Und stellst fest, das schaff ich sowieso nicht. Könntest ja auch sagen: Das Wichtigste ist erstmal, dass ich von zuhause ausziehe. Dafür kannst du dir auch erstmal irgendeinen Job suchen, den du 1-2 Jahre einfach machst. Und dir erstmal irgendeine WG suchen. Und dann kannst du schauen, dass du eine WG mit Leuten findest oder gründest, die dir mehr entsprechen. Oder eine eigene Wohnung suchen. Danach kannst du schauen, wie du beruflich vorankommst, und es wird vielleicht besser klappen, weil du inzwischen aus dem Umfeld, das dich belastet hat, weggekommen bist.
Indem du alles sofort und aus dem Stand erreichen willst, schaffst du für dich eine wahnsinnig bequeme Ausrede (das geht ja doch nicht...). Fang mal an, kleinere Brötchen zu backen und realistischere Ziele zu finden, die vielleicht eine Einzeletappe auf dem Weg zu deinen "großen" Zielen sind. Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden und jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Gehen musst du aber schon selbst.
Und aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Manchmal ist es relativ egal, in welche Richtung man geht. Da gibt es nicht richtig oder falsch. Wichtig ist, dass man sich überhaupt bewegt und nicht einfach stehen- oder sitzenbleibt. Und wenn du merkst, diese Richtung die du eingeschlagen hast, passt nicht so gut, dann kannst du an der nächsten Weggabelung eine andere Richtung einschlagen.
Du kannst aber auch einfach sitzenbleiben und darüber schmollen, dass alle anderen doof sind. Dann wird sich auch in den nächsten 20 Jahren nicht viel verändern.
When hope is not pinned wriggling onto a shiny image or expectation, it sometimes floats forth and opens.
― Anne Lamott