Wie authentisch/offen/ehrlich dürfen Psychotherapeuten sein?

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stern
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Beitrag Sa., 13.07.2019, 17:11

Hm, der Job bedeutet nicht, alles hinzunehmen, sondern beinhaltet idR auch konfrontativere Anteile... halt auch je nach Stand in der Therapie, Störung des Patienten, akute Verfassung, usw.

Das erfordert mMn eine dauernde Abstimmung. Und dazu ist es schon von Vorteil, wenn wenn das mitgeteilt wird, was ist. Allerdings kann auch ein meinetwegen depressiver Patient in seiner Emotionslosigkeit authentisch sein.

Jedenfalls würde ich es auch als nicht professionell ansehen, einen Patienten nur zu schonen und Rückmeldungen zu verweigern (die einen Lerneffekt ermöglichen würden). Dazu braucht es aber keine Sprüche wie: Oh, nee, nicht sie schon wieder. Oder: Ich wünschte ich hätte jetzt Feierabend (anstelle ihrer Therapie). Sondern Berücksichtigung des Therapiefortschritts, usw. Also selektiv authentisch.
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Broken Wing
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Beitrag Sa., 13.07.2019, 17:49

@ Mio: Sie hätte es mir trotzdem nicht geglaubt, war ja nicht mein erster Patzer. Dann wäre sie trotzdem auf ihrem Standpunkt geblieben und hätte es gelassen oder, falls wichtig, zum Thema gemacht. Für Machtspielchen war mir die Therapie aber zu wichtig. Ich war außerdem krank, bin nämlich wegen eines Tiefs nicht aus den Federn gekommen. So gesehen war die Thematisierung richtig, nur ich wollte nicht über meinen Zustand reden.

Es war auch nicht so, dass ich sie nur angelogen habe, meistens habe ich schon das gesagt, was ich für wahr halte. Aber alles wollte ich ihr dann doch nicht erzählen. Früher oder Später kam es aber zum Vorschein.
'Das werde ich Ihnen nicht sagen' ist für Analytiker ein gefundenes Fressen und noch interessanter als die eigentliche Frage, also ist diese Abgrenzungsmöglichkeit in einer Analyse keine Option. Habe ich schon oft probiert, dann wird eben die Unlust bei diesem Thema thematisiert.

Terminabsagen waren selten. Wenn, dann war ich wirklich krank und es gab keine Probleme. Aber in diesem einen und einzigen Fall eben schon ;-)
Lügen in der Therapie finde ich wirklich interessant, aber von beiden Seiten. Hauptsächlich interessiert mich natürlich eher die Seite des Patienten, denn ob ich erfahre, wie viel Freude ich dem Therapeuten mache oder nicht, ändert an meiner Befindlichkeit nicht viel. Verhält sich wie das heutige Wetter zum Klima.
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mio
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Beitrag Sa., 13.07.2019, 18:13

Broken Wing hat geschrieben: Sa., 13.07.2019, 17:11 Das intelligente Lügen wird selten als solches bezeichnet, man nennt es dann eher 'verschleiern', 'sich nicht in die Karten schauen lassen', 'es anders sehen'.
Na ja, wie man es nennt ist doch letztlich egal oder nicht? A rose is a rose is a rose...

Lügen bleiben auch dann Lügen wenn man sie "alternative Fakten" nennt weil lügen etwas mit der Realität zu tun haben die "geändert" werden soll zu den eigenen Gunsten.

Das jemand der selbst in der Lage ist zu lügen die Lügen anderer auch besser aufdecken kann dürfte so eindimensional betrachtet allerdings nicht stimmen. Häufig ist es sogar umgekehrt finde ich, was durchaus paradox ist.

Ich denke man muss differenzieren ob es sich dabei um einen "guten Lügner" im Sinne von "es fällt mir leicht zu lügen" handelt oder um einen im Sinne von "Ich bin so schlau, dass ich meine Lügen so gut absichere, dass die niemand nachweisen kann.".

Das sind ja zwei unterschiedliche Qualitäten die zwar auch zusammen kommen können, aber nicht zwingend zusammenkommen.

Theoretisch gut lügen zu können bedeutet ja nicht, dass ich auch praktisch gut lügen kann. ZB. weil mich dann mein schlechtes Gewissen plagt.

Plagt mich das nicht, dann bin ich vielleicht so "dumm" anzunehmen, dass mir niemand drauf kommen wird, weil es mir dann an sozialer Intelligenz fehlt und ich mich für so "überlegen" halte, dass ich von vorne herein ausschließe, dass der andere auch mir überlegen sein könnte diesbezüglich und dann sichere ich mich nicht ausreichend ab.

Erfolgreich lügen hat ja viel damit zu tun wie gut man antizipieren kann.
Zuletzt geändert von mio am Sa., 13.07.2019, 18:25, insgesamt 1-mal geändert.


mio
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Beitrag Sa., 13.07.2019, 18:19

Broken Wing hat geschrieben: Sa., 13.07.2019, 17:49 Lügen in der Therapie finde ich wirklich interessant, aber von beiden Seiten. Hauptsächlich interessiert mich natürlich eher die Seite des Patienten
Wieso interessiert Dich das denn? Also die Lügen auf Seiten des Patienten?

Ich finde auch, dass es wenig Sinn macht in Therapien zu lügen, denn letztlich schießt man sich damit ja selbst ins Knie.

Alles erzählen muss ich aber auch nicht wenn ich nicht will, etwas "für sich" zu behalten hat ja nix mit lügen zu tun.

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stern
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Beitrag Sa., 13.07.2019, 18:23

Nun, es gibt auch Lügner, die sich selbst für so überlegen halten (respektive andere als unterbemittelt ansehen), dass man die Lügen abkauft. Lügen sollen nicht umsonst im Rahmen narzisstischer Störungen gehäuft zu beobachten zu sein... ich empfinde solchen Lügengebilde aber nicht in jedem Fall als glaubhaft. Eher auffällig ist dann die Fähigkeit, lügen zu können ohne rot zu werden, obwohl es offensichtlich nicht stimmen kann.

Für wie blöd man andere hält, zeigt sich manchmal auch an der Art von Fake News. Ob diese selbst geglaubt werden, hm?

Ein guter, geschickter Lügner wäre Gert Postel... wie sehr das mit Intelligenz korreliert, keine Ahnung.
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Beitrag Sa., 13.07.2019, 18:42

Broken Wing hat geschrieben: Sa., 13.07.2019, 17:49 'Das werde ich Ihnen nicht sagen' ist für Analytiker ein gefundenes Fressen und noch interessanter als die eigentliche Frage, also ist diese Abgrenzungsmöglichkeit in einer Analyse keine Option. Habe ich schon oft probiert, dann wird eben die Unlust bei diesem Thema thematisiert.
"Das werde ich Ihnen nicht sagen" schreit ja auch förmlich nach einem "Warum?". Und dann landest Du wirklich schnell in so einem "Warum? Darum!" Spiel was sich endlos spielen lässt, wenn es nicht einer mal unterbricht und letztlich wirklich zu nix führt. Mit sowas würde ich meine Zeit auch nicht verschwenden, macht einfach keinen Sinn.

Und das "Warum?" ist ja auch durchaus interessant. Also warum Du da nicht drüber reden mochtest. Weniger für Deine Analytikerin, mehr für Dich.

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Beitrag Sa., 13.07.2019, 19:00

Wegen Lügen würde auch schon manche Therapie beendet. Aber hier geht es eher um PT.

Dass viele Therapeuten vorsätzlich Lügen, glaube ich nicht... eher dass manche aus einem falschen Therapieverständnis heraus unauthentisch sind, den Patienten schonen wollen, selbst Konflikte vermeiden, usw.

Es gibt auch Verfahren bzw. Methoden, die explizit Authentizität als therapeutische Grundhaltung fördern. Allerdings sind mit therapeutischer Authentizität nicht solche Beispiele gemeint, wie im Ursprungsbeitrag. Ich finde, es ist für mich selbstverständlich, dass man als Therapeut nicht alles sagen kann, was man denkt, sondern dass es um Therapie geht. Sonst könnte man sich gleich in der freien Wildbahn konfrontieren, wenn man die Rahmenbedingungen überflüssig findet. Wieso man das mit Sterilität oder einem Therapieroboter innVerbindung bringt, verstehe ich nicht. Steril wird das Setting wegen seiner Begrenzungen jedenfalls nicht. Steril kann es vllt. werden, wenn man selbst keine Emotionen einbringt bzw. dem Therapeuten nicht viel angeboten wird, worauf er reagieren kann, würde ich sagen. Oder wenn der Therapeut ein Techniker ist, usw.
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Beitrag Sa., 13.07.2019, 19:56

stern hat geschrieben: Sa., 13.07.2019, 19:00 Dass viele Therapeuten vorsätzlich Lügen
Ich unterstelle das meiner bis heute teilweise, also diesen Vorsatz. Nur macht mir das nix, weil ich weiss, dass all das zu meinem Wohl war. Sie hat mich herausgefordert. Ich habe "geliefert". Für MICH, letztendlich. Und weil ich ihr vertraut habe. Und na ja, sie ist auch eine "würdige" Gegnerin/Partnerin diesbezüglich. :lol:

Vielleicht ist "lügen" da auch ein zu negativ behaftetes Wort, in diesem Kontext. Wir haben es mal "Märchenschach" genannt, irgendwann vor Jahren. Und unseren Bauern von der Grundlinie genommen in dem Zuge und dafür Pegasus mit ins Spiel gebracht.

"If you gonna play the game boy you have to got to learn to play it right." :anonym:



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Beitrag Sa., 13.07.2019, 20:19

@ Mio: Ich finde es normal zu lügen. Nein, ich leide nicht darunter, zwanghaft lügen zu müssen. Aber ich finde Leute verkehrt, die den wahrhaftigen und aufrichtigen Therapeuten suchen. Genauso finde ich Therapeuten naiv, die meinen, sie müssten den Patienten dazu bringen, ganz offen und ehrlich zu sein. In einer Welt, in der es weniger darauf ankommt, was man kann, sondern wie man sich 'bewirbt', wen man kennt, wie man heißt, woher man kommt usw.
Gruppen, die nicht lügen können, zB Kleinkinder und zum Teil Tiere, die kann man für seine Zwecke einspannen. Nicht ohne Grund erklären Religions- und Sektengründer die Lüge für Sünde. Ist ja einfacher, wenn der Untertan alles offenherzig Preisgibt, so kann man ihn leichter missbrauchen.

Manchen Patienten, va Depressiven, sollte man ohnehin beibringen, mehr Unverschämtheit an den Tag zu legen.
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Beitrag Sa., 13.07.2019, 20:23

Postel ist für mich ein Genie. Er hätte sicher Medizin studieren und in der Psychiatrie arbeiten können.
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Beitrag Sa., 13.07.2019, 20:25

Broken Wing hat geschrieben: Sa., 13.07.2019, 20:19 Ich finde es normal zu lügen. Nein, ich leide nicht darunter, zwanghaft lügen zu müssen. Aber ich finde Leute verkehrt, die den wahrhaftigen und aufrichtigen Therapeuten suchen.
Und da hast Du doch den "Schulterschluss". Wie wahrhaftig ist ein immer ehrlicher Therapeut? Wie wahrhaftig einer der immer nur lügt?

Die Wahrheit liegt bekanntlich "dazwischen". That's the Point wie ich finde.


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Beitrag Sa., 13.07.2019, 20:27

Broken Wing hat geschrieben: Sa., 13.07.2019, 20:23 Postel ist für mich ein Genie. Er hätte sicher Medizin studieren und in der Psychiatrie arbeiten können.
Das eine schließt das andere aus. Denn wenn Du erkennst, wie KRANK ein System ist, dann kannst Du ihm nicht wirklich angehören. Du kannst es dann nur zu "unterlaufen" versuchen, aber auch das krankt letztlich so es nicht einen reinen "Vorführcharakter" hat.

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Beitrag Sa., 13.07.2019, 20:34

Denke ich auch. Aber hier im Thread scheinen manche den Standpunkt zu vertreten, eine ständig warmherzige, verständnisvolle Therapie würde süchtig machen. Verstehe ich nicht. Es sind eher analytische Verfahren, die süchtig machen. Und gerade in denen geht es, glaube ich, nicht sehr warm zu. Die Sorte von Therapeuten mit einer Riesenpackung Taschentücher am Tisch finde ich zB unsympathisch.
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Beitrag Sa., 13.07.2019, 20:49

Ich glaube das lässt sich nicht verallgemeinern. Was für meine Begriffe allerdings durchaus grenzwertig ist ist eine Therapie die sozusagen "nur den Patienten" berücksichtigt. Die ist dann nix als "narzisstisches Futter".

Das wirkt sicher stabilisierend, aber es ändert halt nix am Problem an sich.

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Thread-EröffnerIn
Anna-Luisa
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Beitrag Sa., 13.07.2019, 21:59

lisbeth hat geschrieben: Sa., 13.07.2019, 15:17 Hm. An diejenigen, die so darauf pochen, dass es da ganz ganz klare Regeln gibt? Warum braucht ihr überhaupt einen Menschen, der euch da gegenüber sitzt? Ganz provokant formuliert könnte dann doch auch ein KI-Bot die Therapie übernehmen, da weiß man, dass der Algorithmus eingehalten wird... (wird auch sicher kommen früher oder später, aber das ist ein anderes Thema ::? )
Ich denke nicht, dass es je so weit kommen wird. Und zwar aus dem selben Grund, warum selbstfahrende Autos nicht im Straßenverkehr zugelassen werden. Wer haftet, wenn ein Bot "Fehler macht?" Vielleicht aufgrund eines Betriebsschadens?

lisbeth hat geschrieben: Sa., 13.07.2019, 15:17 Oder ich kann mit Farben und Formen experimentieren, neue Dinge ausprobieren und dabei auch viel Neues über mich selbst erfahren. Kann natürlich sein, dass ein Therapeut, der stur nach Manual arbeitet, sich damit eher schwer tut.
Vielleicht tun sich damit eher diejenigen schwer, die nicht bereit sind ihre Inhalte auf den Kindermodus zu bringen. Was soll ich denn schon Neues über mich lernen, wenn ich mit Farben herumkleckse? Vermutlich ist die Maltherapie nicht grundlos ein nicht anerkanntes Verfahren.
Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von den anderen. So wird dir Ärger erspart bleiben.
(Konfuzius)

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