In meinem kurzen Vortrag möchte ich Ihnen ein
praxisnahes Bild geben von meiner–
inzwischen fast fünfjährigen-Erfahrung als Vertrauensperson eines Münchner
psychoanalytischen Instituts bei ethischen Konfliktfällen.
(...)
Im allgemeinen waren die Vorwürfe sehr glaubwürdig: In vielen Fällen wurden die
vorgetragenen Umstände von den auf Wunsch der Ratsuchenden angesprochenen Kollegen
bestätigt, wenn auch oft mit anderer subjektiver Wertung. Auch psychisch stärker
beeinträchtigte Patienten beschwerten sich im Kern zurecht. Diesbezüglich schien es uns
sogar, als ob die gesünderen Anteile dieser Patienten sich in der Fähigkeit, zu beschweren und
Hilfe zu suchen, manifestierten. Neben der Verifizierung der vorgetragenen Umstände bot
auch unsere emotionale Reaktion auf die Patienten, unsere Gegenübertragung, eine
Einschätzung ihrer Glaubwürdigkeit. In manchen Fällen wurden auch mehrere Beschwerden
gegen denselben Kollegen von unterschiedlichen Patienten unabhängig voneinander
vorgetragen.
Oft war eine geraume Zeit (einige Jahre bis über 20 Jahre!) zwischen den Vorfällen und der
Beschwerde vergangen–so wie in der Literatur beschrieben-.
Unsere Beobachtung ist, daß die Patienten sich es überhaupt nicht leicht machen, sich zu beschweren. Sie sind nach
Beendigung der Therapie oft von Scham- und Schuldgefühlen geplagt und in schmerzhafter,
ungelöster emotionaler Abhängigkeit vom Therapeuten verwickelt, insbesondere wenn sie
mit niemandem darüber reden konnten, was nicht selten der Fall ist.
So gut wie alle Ratsuchenden wünschten
vor allem, daß man ihnen zuhört und glaubt
und daß eine Klärung darüber stattfindet, ob das, worüber sie sich beschweren, wirklich ethisch
oder gar rechtlich bedenklich, also „nicht in Ordnung“ ist.
Manchen Patienten reicht eine
solche Klärung, die dazu dient, einen im Kontext der Psychotherapie verlorengegangenen
normativen Horizont wiederzuetablieren und Grenzen stellvertretend wiederaufzubauen, die
zum Schutz der Patienten und der therapeutischen Tätigkeit an sich nicht überschritten
werden sollten.
Andere Patienten wünschen aber auch, daß ein Kontakt zwischen ihnen und dem
Psychotherapeuten in Form eines von der Vertrauensperson moderierten Gesprächs
stattfindet. Nach unserer Erfahrung geschieht es nicht selten, daß Therapeuten, bei denen die
Patienten versucht haben, sich zu beschweren, den Kontakt abbrechen und Anrufe oder Briefe
nicht beantworten. Dies verstärkt bei den Patienten das Gefühl der Verwirrung und der Schuld, aber auch eine ohnmächtige Wut, die sich oft gegen das Selbst wendet und zur Verschlimmerung oder zum Wiederauftreten von Symptomen führt.
http://www.bvvp.de/bvvpbay/page_neu/page_alt/tibone.pdf