Unterschied Selbstzahler - Kassenfinanzierung

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lisbeth
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Beitrag Di., 27.12.2016, 07:49

montagne hat geschrieben:Nur weil ich die Realität sehe und damit umgehen kann, heißt es doch nicht, dass ich mich damit abfinden muss oder nicht zumindest mal außerhalb dessen was andenken kann. Verbesserungen werden sicher nicht kommen, wenn jeder das Spiel brav mitspielt und über missstände nichtmal nachgedacht wird.
Klar kannst du außerhalb dessen denken was ist, oder das debattieren was nicht geht. Ich konzentiere mich lieber auf das was geht. Sind einfach verschiedene Herangehensweisen. Gesamtgesellschaftlich betrachtet braucht es beides. Dass ich mit Entweder-Oder Maximalforderungen ein Problem habe, weiß ich, das ist biografisch begründet, und damit kann ich ganz gut klar kommen.
Meine Frage zurück: Was ändert das wenn man hier in einem Psychoforum darüber diskutiert? Macht es einen Unterschied? Dann können wir mMn auch darüber diskutieren, dass man fliegen können möchte. Oder übers Wasser laufen... Dann fände ich es sinnvoller und wichtiger diese Themen wirklich nach draußen zu tragen, sich in einer SHG die gut vernetzt ist zu engagieren, oder parteipolitisch oder so...
Ansonsten würde mich mal interessieren, welche Wege du siehst, außer dem, was hier schon mehrfach benannt wurde und was wohl auch jeder weiß?
Ich finde, es gibt einige Wege, und das sind schon recht viele und auch unterschiedliche. Mich stört es, wenn es immer so hingestellt wird, dass es keine Wege gibt. Dass Selbstzahlen die einzige Alternative ist, wenn die Krankenkasse keine Stunden mehr bewilligt. Hängt anscheinend auch stark von der Therapieform ab, wie man hier auch lesen kann.
Für mich ist das Glas halb voll. Bleib du bei deinem halbleeren oder sogar leerem Glas.
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Landkärtchen
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Beitrag Di., 27.12.2016, 08:26

Mich erinnert die Diskussion an die nach dem bedingungslosen Grundeinkommen. Auch da wird oft von Gegnern/rinnen argumentiert, dass die Menschen mit der neu gewonnenen Freiheit nicht umgehen könnten und nicht mehr arbeiten würden. Ich glaube das nicht. Meines Erachtens würden sie mehr das tun was sie tun wollen. Das was zu ihnen passt und für sie stimmig ist.

Übertragen auf der Krankenkassenthema bedeutet das, dass bei einem unbegrenzten Kontingent die Freiheit bestehen würde wählen zu können. Es wäre dann z.B. möglich zu dem Zeitpunkt längere Pausen einzulegen wenn es gerade sinnvoll erscheint und nicht dann wenn die Krankenkasse oder der Gutachter das bestimmt. Es wäre auch möglich die Therapie zu einem späteren Zeitpunkt nochmal aufzunehmen und zwar dann, wenn es passt und nicht dann wenn ein vorgegebener Zeitpunkt es wieder zulässt. Allein schon durch diese Freiheit werden vermutlich weniger Therapiestunden benötigt, weil es loslässt vom Gedanken alles jetzt schaffen zu müssen. Zeit fürs eigene Tempo wird zugelassen und damit Druck vermindert was letztendlich zu mehr wirklicher Eigenverantwortung sowohl beim Klienten als auch beim Therapeuten führen kann. Für viele Menschen ist alleine das schon hilfreich und heilsam.

Aber klar solche Gedanken verunsichern und machen erst einmal Angst.

Durch einen Verfahrenswechsel wird versucht einen individuellen Weg zu finden um mit einem strukturellen, gesellschaftlichen Problem umzugehen. Doch es wird viele geben denen dieser Weg aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich ist. Es wäre hilfreich wenn denen das nicht auch noch als persönliche Schwäche ausgelegt werden würde.
Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren?

Vincent van Gogh


isabe
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Beitrag Di., 27.12.2016, 09:14

Montagne:
Stimmt; das war mir vorher noch gar nicht so klar, aber es scheint wirklich eine starke Tendenz zu geben, das noch zu brauchen, dass jemand von außen sagt: "Ja, du darfst" - was ich schade finde, ist, wenn das noch am Therapieende (bzw. nach dem Ende des Kontingents) der Fall ist. Weil diese Abhängigkeit von außen, denke ich, einer der Hauptgründe überhaupt ist für psychische Störungen, was wiederum auch sozialpsychologische Ursachen hat, so von wegen: "Ich traue mich nicht, alleine für mich (oder andere) einzustehen, sondern ich richte mich lieber danach, was die Anderen denken oder tun". Vielleicht sollte jeder für sich persönlich an den Punkt kommen, an dem er schauen kann, was er oder sie selbst braucht, und dann ist es zwar immer noch sehr bedauerlich, wenn man selbst dafür aufkommen muss, aber das Gefühl "ich bin es mir wert" ist schon ein sehr starkes, und vermutlich habe ich deshalb auch keine große Angst davor, dass ein Gutachter (jetzt oder später) sagen könnte: "Stop!", weil ich weiß, dass das mich selbst, meine Wünsche und Pläne ja nicht bricht oder umbiegt; es gibt diese indirekte Auswirkung, dass ich dann schauen müsste, noch einen weiteren Job zu machen usw. - aber nichts und niemand könnte mir vorschreiben: "Du darfst das nicht mehr tun".

Landkärtchen:
Für mich persönlich kommt ein erzwungener Verfahrenswechsel z.B. nicht in Betracht. Das ist etwas, was ich selbst oder in Absprache mit einer Vertrauensperson entscheide, denn dabei geht es um MEIN Lebenskonzept und Menschenbild; es geht (mir) eben genau NICHT um die Frage: "Wo greife ich jetzt am besten noch irgendwas ab?", sondern darum, das, was ich selbst als hilfreich empfinde, zu tun, solange ich das für richtig halte. Natürlich kann sich daran auch mal etwas ändern, aber das bestimme ich allein. Wäre ja noch schöner, wenn, nur weil ein willkürlicher Stundensatz vorüber ist, ich plötzlich mein Menschenbild ändern müsste.

Ich finde es schon wirklich traurig, wenn angenommen wird, dass offenbar die meisten Menschen eine Therapie als "ab jetzt muss ich mich um nichts kümmern" betrachten. Dass das den Tatsachen entspricht, kann ich mir nicht vorstellen, denn viele Menschen sind froh, wenn sie das nicht brauchen. Und wenn jemand das Gefühl braucht, sehr viel Zeit zu haben, kann das viele Gründe haben. Jedenfalls wird man diesem Gefühl niemals auf den Grund gehen können, wenn man demjenigen sagt: "Haste aba Pech jehapt!" Es gibt Störungen, deren Heilung sehr viele Jahre braucht; und es gibt Menschen, die ein Abhängigkeitsproblem haben. Das könnte man aber beheben, wenn man sich die Zeit nimmt, dieses Problem anzugehen.

Ich habe das früher schon mal mit einer Einladung zum Essen verglichen: Niemand würde sich wohlfühlen, wenn der Gastgeber sagt: "Nun lass es dir schmecken, aber iss bitte nicht zu viel". Die Gierigen würden versuchen, "heimlich" zu essen bzw. sich was in die Taschen zu stopfen; die Unterwürfigen würden nichts esssen, um einen guten Eindruck zu hinterlassen; die meisten würden vermutlich aus Höflichkeit ein paar Happen essen - aber kaum jemand (und das sind genau DIE Leute, die ohnehin keine Störung haben...) würde auf sein eigenes Sättigungsgefühl dabei achten! (Und der Vergleich mit dem Sattsein kommt nicht von mir, sondern von meinem ersten Therapeuten.)
Zuletzt geändert von isabe am Di., 27.12.2016, 09:46, insgesamt 4-mal geändert.


isabe
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Beitrag Di., 27.12.2016, 09:25

Lisbeth:
Komisch, ich hab bei deiner Argumentation gar nicht den Eindruck, dass du das halbvolle Glas siehst, sondern eher, dass du die Menschen davon zu überzeugen versuchst, dass auch leere Gläser irgendwie "schön" sind. Weder montagne noch sonst irgendwer behauptet ja, dass die pt Versorgung in D so katastrophal schlecht ist, dass man dafür in den Hungerstreik eintreten müsste. Es wird durchaus anerkannt und gewürdigt, dass es hier besser ist als in vielen (nicht allen!) anderen Ländern (diesbezüglich sind sich also alle einig). Aber woher kommt die Überzeugung, dass man Dinge, die so "einigermaßen" sind, nicht noch verbessern könnte oder dürfte? Wieso muss das so abgewertet und abgewehrt werden? Damit die eigene Handlung und die Geschichte, die man sich selbst und anderen erzählt, nicht getrübt wird durch Fragen wie: "Hätte es vielleicht auch anders sein können? Hätte ich selbst es vielleicht auch schöner haben können"?

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lisbeth
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Beitrag Di., 27.12.2016, 10:47

Landkärtchen hat geschrieben:Mich erinnert die Diskussion an die nach dem bedingungslosen Grundeinkommen. Auch da wird oft von Gegnern/rinnen argumentiert, dass die Menschen mit der neu gewonnenen Freiheit nicht umgehen könnten und nicht mehr arbeiten würden.
Ich habe ein Problem mit dem BGE. Nicht wegen der Freiheit und was der einzelne dann damit anstellt oder nicht, sondern weil das BGE voraussichtlich zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig sein dürfte. Weil mit dem BGE *alles* abgegolten sein würde. Zusätzliche Hilfen und Unterstützungen, die Menschen mit körperlichen und psychischen EInschränkungen derzeit über die Grundsicherung hinaus erhalten oder auch andere Transferleistungen wie Krankengeld, wird es nicht mehr geben. Es wäre das Ende des Sozialstaates, der vor allem denen hilft die es nötig haben (ob das was es aktuell gibt, genug ist, will ich jetzt hier nicht diskutieren...), weil dann das was da ist mit der Gießkanne verteilt wird, egal ob es jemand braucht oder nicht. Das heißt, alle kriegen etwas, aber manche (und das sind vor allem die die es brauchen) kriegen unterm Strich weniger bzw. zu wenig. Die aktuelle Hilfe/Unterstützung beinhaltet eine Bedarfsprüfung, die oft auch entwürdigend ist. Das wäre dann eher der Ansatzpunkt, den ich sähe. Wie diese Prüfung anders, menschenwürdiger gestaltet werden kann. Wie die Kriterien anders und transparenter gestaltet werden können. Wie die Hilfe schneller bei denen ankommt, die sie nötig haben. Die Bedarfsprüfung an sich? So problematisch sie ist, ich fürchte, sie ist notwendig. Weil diese Form der Umverteilung sonst nicht funktionieren wird.

Übertragen auf die Psychotherapie - ich kenne mich zu gut aus im System. Ich kenne die Debatten und Begehrlichkeiten. Und da bin ich einfach zu realistisch. Ich finde, es kann nicht die Lösung sein, dass dann jeder Versicherte einen Anspruch auf 50 oder 60 Stunden hat. Und das war es, da ist dann das Ende der Fahnenstange. Für die nächsten fünf oder zehn Jahre. Oder wenn wir Pech haben sogar lebenslänglich. Es gibt Menschen/Funktionäre im System, die das attraktiv finden, und da werde ich hellhörig wenn aus solchen Ecken Applaus kommt. Mehr Stunden wird es in so einem Modell nicht geben, weder 80 noch 120 oder gar 150. Weil jeder einen Anspruch hat. Und der Kuchen an sich nicht größer wird.
Und auch hier wird - wie beim BGE - eine solche "Pauschalleistung" dann das Ende sein der solidarischen Finanzierung nach Bedarf. Das sehen wir schon bei Sehhilfen wo es gar nix mehr gibt oder bei den Zähnen und anderen Leistungen die nach und nach aus dem Leistungskatalog über "Pauschalen" (heißt bei den Zähnen Festbeträge) herausgenommen werden.

Das heißt dann, jeder kriegt diese x Stunden. Und wenn du Pech hast, dann reicht das eben nicht, aber es gibt auch nix mehr aus dem Topf für dich.

Finde ich es nervig und ärgerlich, mich mit dem System herumschlage zu müssen? Auf alle Fälle. Finde ich das System oft ungerecht und undurchsichtig und die Maßstäbe, die angelegt werden, nicht nachvollziehbar? Das auch. Da liegen wir glaube ich gar nicht weit auseinander.

Der Unterschied ist, dass für mich das, was für euch eine Lösung ist, keine Lösung ist. Weil ich da die Gefahr sehe, dass alles pauschal über einen Kamm geschoren wird. Das diejenigen die mehr Unterstützung brauchen, als das System vorsieht (und machen wir uns nichts vor: Das System an sich ist nicht großzügig und wird es auch nie sein - da sagt keiner: Setz dich und iss so viel wie du möchtest....) dann noch mehr unter die Räder kommen als es heute schon der Fall ist.

Ansatzpunkte die ich sehe sind dann eher: Mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei den Entscheidungen. Kriterien überprüfen und überarbeiten und menschenwürdiger gestalten. Eine Debatte darüber, was die Kriterien sind. Die undurchsichtigen Pfade und Wege durch den Gesundheitsdschungel begradigen.

@isabe: Ich will niemanden überzeugen, dass leere Gläser schön sind. Das ist deine Interpretation.
Aber mein Ansatz ist sicherlich eher pragmatischer Natur.
Hätte es anders sein können? Da halte ich es mit dem Engländer: Don't cry over spilt milk. Ich wende mich dann lieber der Zukunft und den Dingen zu, die ich beeinflussen kann.
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Speechless
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Beitrag Di., 27.12.2016, 11:18

Die einzige Ansicht, die ich in dem Zshg auch wirklich naiv finde ist zu sagen: was die Kasse zahlt reicht in jedem Fall. Es ist immer eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Ich könnte in Zukunft auch auf meinen Ultraschall beim Gynäkologen verzichten, weil sich die Kasse ja dazu erklärt hat, das nicht zu zahlen, also hat sie recht und das ist eine absolut unnötige Vorsorge. Nur wenn mich der Eierstockkrebs dann trifft hab ich eben Pech gehabt, daher zahle ich selbst. Die Kasse weiß genauso, dass das keine unnötige Vorsorge ist, aber es kommt sie eben billiger ein paar Krebsfälle aufzufangen, als allen eine vernünftige Vorsorge zukommen zu lassen.

Die Leidtragenden sind dann die, die selbst nicht zahlen können. Klar ist die Versorgung in unserem Land ok, aber soviel wie ich da jeden Monat einzahle, soviel Therapie könnte ich nie wieder reinholen.


mio
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Beitrag Di., 27.12.2016, 13:41

Natürlich ist es eine Kosten-Nutzen Rechnung. Und gerade diese "Zuzahlungleistungen" betrachte ich sehr kritisch. Denn bei vielen ist es gar nicht so, dass sie wirklich nötig wären, nur das Ärzte das gerne so hindrehen.

Ich war beispielsweise vor einiger Zeit beim Hautkrebsscreening und da ist es so, dass das Standart Screenings nur über "die Augen" durchgeführt wird. Es gibt aber auch ein medizinisches Gerät, das genauer sehen kann als das menschliche Auge. Nun ist es so, dass Ärzte dafür gerne 10 Euro vom Patienten nehmen, weil: Ist ja sicherer. De Facto sieht es aber so aus, dass in dem Moment, wo ein Verdacht besteht, das Gerät sowieso eingesetzt werden soll und dann auch von den Kassen finanziert wird. Es bringt nur eben mehr Geld in die Kasse wenn ich jedesmal 10 Euro on top verdiene. Ähnliches ist mir beim Augenarzt passiert. Das ist echt nochmal ein ganz anderes Thema finde ich, da man sich die Frage stellen kann, wie es überhaupt zu solchen "Auswüchsen" kommt, denn häufig ist es doch so, dass über die "freiwilligen Zuzahlungen" das teure medizinische Gerät finanziert wird. Was anderes ist es doch oft nicht.

Beim Augenarzt habe ich weil ich nicht wusste was für eine "Untersuchung" das ist und wie sinnvoll sie ist zugestimmt und 20 Euro bezahlt für 1 Minute in ein Gerät schauen, unter der Aufsicht der Arzthelferin am Empfang der Praxis. Hinterher habe ich mich schlau gemacht: Diese 20 Euro hätte ich mir definitiv sparen können. Sowas ist zB. für mich Betrug, da mir was als "notwenig" aufgeschwatzt wird, was definitiv bei mir nicht notwendig ist. Und das wird ja nicht nur mir "aufgeschwatzt" sondern allen Patienten die zur Kontrolle und Vorsorge kommen. Kling...kling...kling... Der Arzt sieht mich nicht wieder.


mio
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Beitrag Di., 27.12.2016, 14:00

isabe hat geschrieben:aber kaum jemand (und das sind genau DIE Leute, die ohnehin keine Störung haben...) würde auf sein eigenes Sättigungsgefühl dabei achten! (Und der Vergleich mit dem Sattsein kommt nicht von mir, sondern von meinem ersten Therapeuten.)
Was der Grund dafür sein könnte, warum es begrenzt wird. Denn wenn jemand kein Gefühl dafür hat, wann er satt ist (übertragen: Eigentlich keinen Therapeuten mehr braucht, weil er die eigenen Fallen kennt und auch das Handwerkszeug hat mit ihnen umzugehen), dann will er eben immer mehr und mehr wenn es dumm läuft. Es wird also nie reichen, so nicht auch im Auge behalten wird, dass diese Gefahr besteht.

Gerade bei Analysen ist die Stundenzahl ja doch recht üppig bemessen im Vergleich zu anderen Therapieformen und das hat ja auch einen soliden Hintergrund: Der Patient soll über die häufigen Stunden eine nähere Beziehung zum Therapeuten aufbauen und die "therapeutische Abstinenz" soll dafür sorgen, dass der Patient innerhalb dieser Beziehung zu seinen eigenen Bedürfnissen und abgespaltenen oder verdrängten Gefühlen findet, also auch sein "Sättigungsgefühl" kennenlernt und auch, wie er sich "außerhalb der Therapie" "sattessen" kann. Gelingt dies in 300h nicht, dann darf für meine Begriffe die Frage gestellt werden, ob die Therapie/der Therapeut "richtig" (also so, dass es zu einer Sättigung kommen kann und zu der Erkenntnis: Das gibt es auch außerhalb des "Gastgeberhauses" bei mir daheim.) füttert.

Wer regelmässig fremd essen möchte geht ja auch eher ins Restaurant, Freunde werden nicht ständig und regelmässig auf "Zuruf" "Ich habe heute Hunger!" für einen kochen, sondern wären wohl irgendwann genervt von dem "Schnorrer". Am Ende gäbe es dann vielleicht gar keine Einladung mehr, weil mit dem kleinen Finger immer wieder die ganze Hand ausgerissen wurde. Dein Bild zeigt also im Grunde schön auf, warum das in Bezug auf Psychotherapie eigentlich so gar nicht funktionieren kann: Mit Pech würdest Du die Leute nur in Abhängigkeit halten, weil "selbst kochen" anstrengender ist als "bekocht werden". Und die die kochen wären irgendwann so genervt davon ständig für den anderen kochen zu müssen, dass sie sich sogar weigern würden irgendeinen Kochkurs zu bezahlen, wenn der eh nix bringt.

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Beitrag Di., 27.12.2016, 14:06

mio hat geschrieben:Natürlich ist es eine Kosten-Nutzen Rechnung. Und gerade diese "Zuzahlungleistungen" betrachte ich sehr kritisch. Denn bei vielen ist es gar nicht so, dass sie wirklich nötig wären, nur das Ärzte das gerne so hindrehen.
[wird jetzt leicht OT - obwohl das Stichwort "Selbstzahler" kommt auch vor ]

Gerade im Hinblick auf Früherkennung von Eierstockkrebs ist die Ultraschalluntersuchung nicht unumstritten. Gibt es große und seriöse Studien zu. Unterm Strich werden keine Leben gerettet. Aber mit Ultraschall gibt es zahlreiche falsch-positive Befunde (verbunden mit viel Stress für die Betroffenen), unnötige OPs, manche auch mit ernsthaften Komplikationen. Das erzählt der Gynäkologe natürlich nicht. Weil er kein Gutmensch ist, sondern auch noch ein bisschen mehr verdienen möchte.

Was anderes ist es, wenn es eine familiäre Vorbelastung gibt. Aber dann zahlt auch die Kasse und der Gynäkologe darf das dann gar nicht als Selbstzahlerleistung verkaufen...
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mio
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Beitrag Di., 27.12.2016, 14:25

In beiden Fällen wird mit der "Angst des Patienten" operiert.

Auch "Abhängigkeiten" entstehen, wenn die Angst nicht "abgebaut" sondern eher noch "aufgebaut" wird.

Das Kind, das Angst hat alleine zu laufen wird es ja auch nicht lernen, wenn ich es trage, sondern nur, wenn ich es ermutige, es doch mal zu versuchen.

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Mondin
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Beitrag Di., 27.12.2016, 14:40

....

Ich empfinde es als unfair, lisbeth nun in eine Ecke stellen zu wollen (sie würde sich ihr halbvolles Glas schönreden o. ä.) und witzigerweise ist das doch im umgekehrten Falle genau das, was moniert wird, nämlich dass die Diskutanten, die sich für unbegrenzte Therapien aussprechen, in eine Ecke gestellt würden.

Somit hätten wir hier wieder ein endloses Hamsterrad, das (wie so oft) darin enden wird, dass dem Gegenüber der schwarze Peter zugeschrieben wird. Insofern hat lisbeth komplett recht, wenn sie schreibt:
Was ändert das wenn man hier in einem Psychoforum darüber diskutiert? Macht es einen Unterschied? Dann können wir mMn auch darüber diskutieren, dass man fliegen können möchte. Oder übers Wasser laufen... Dann fände ich es sinnvoller und wichtiger diese Themen wirklich nach draußen zu tragen, sich in einer SHG die gut vernetzt ist zu engagieren, oder parteipolitisch oder so...
....denn jeglicher Internetdiskurs, ganz gleich wie engagiert er auch geführt werden mag, wird nichts an den aktuell herrschenden Umständen ändern und diese fordern nun einmal eigenes Bemühen, Recherchieren, Wege suchen u. ä.

Das kann man furchtbar finden, ungerecht, schrecklich, was auch immer. Oder man begreift es als Chance daran zu wachsen, als Herausforderung, die, hat man sie bewältigt und für sich einen gangbaren Weg entdeckt, das eigene Selbstvertrauen stärken wird. Um Grunde ist das auch eine Form von Therapie, sich dem Alltag zu stellen und zu versuchen, das Gute im Leben zu entdecken, die Möglichkeiten, die sich selbst in vermeintlichen Hindernissen verbergen.

Und man kann vergleichen. Was hat z. B. Broken Wing aus Österreich berichtet? Ist es woanders zwingend besser oder hier nun doch nicht so schlimm? Nur weil einige Mitschreiber hier es so sehen, dass alles soweit noch machbar ist, wenn auch gegen Widerstände, heißt das nicht, dass sie mit allem zufrieden sein müssten. Aber um relativ zufrieden zu sein, muss man sich auch nicht zwingend etwas schönredern, das ist vermutlich eine Projektion derjenigen, die unzufrieden sind und das Empfinden haben, sie müssten sich etwas schönredem um ähnlich zu empfinden wie das relativ zufriedene Gegenüber.

Weiter kommt man mit solchen Zuweisungen jedenfalls nicht.



Grüßerle!
Mondin

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Beitrag Di., 27.12.2016, 14:48

Speechless hat geschrieben: Die Leidtragenden sind dann die, die selbst nicht zahlen können. Klar ist die Versorgung in unserem Land ok, aber soviel wie ich da jeden Monat einzahle, soviel Therapie könnte ich nie wieder reinholen.
Du brauchst bloß irgendwann mal eine größere OP benötigen, da sind dann schnell Deine lebenslang gezahlten Beiträge beisammen, es sei denn, Du zahlst kontinuierlich den Höchstsatz. Sinn einer SOLIDARgemeinschaft ist es, die Anderen mitzutragen und ggf. selbst getragen zu werden, kommt man selbst in Not. Unter dieser Prämisse geht Deine Rechnung nicht auf. Würde jeder so denken, könnte man die KK gleich komplett abschaffen und jeder zahlt selbst.

....


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Beitrag Di., 27.12.2016, 14:52

@Mondin: du darfst mich gerne weiterhin jeden Tag zitieren..ich werde weiterhin keinen deiner Beiträge mehr lesen.

Das stimmt, Mio. Außerdem müsste ich mich wohl besser medizinisch auskennen um beurteilen zu können, was sinnvoll ist oder nicht.

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Mondin
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Beitrag Di., 27.12.2016, 14:58

Speechless hat geschrieben:@Mondin: du darfst mich gerne weiterhin jeden Tag zitieren..ich werde weiterhin keinen deiner Beiträge mehr lesen.
Das bleibt doch Dir überlassen. So wie es mir überlassen ist, Dir zu antworten. Ich persönlich mag nicht immer alles nachtragen, ich finde das belastend. Aktuell bemühe ich mich um einen möglichst sachlichen Ton und habe für mich einen Strich unter das Gewesene gesetzt. Wie Du (oder wer auch immer) das für Dich handhabst, das ist für mich dabei nicht von Belang. Ich bin nur für mein eigenes Verhalten verantwortlich.

Dennoch ändert all das nichts daran, dass Deine Argumentation hinkt (siehe mein letzter Beitrag).



.....


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Beitrag Di., 27.12.2016, 17:50

Mio:
Bei deiner Argumentation übersiehst du die Heilungsmöglichkeiten langer Therapien. Du gehst davon aus, dass diese Patienten irgendwie unfähig, faul und träge sind, kannst das aber logischerweise nicht beurteilen. Du setzt "Therapie machen" (und noch mehr "Analyse machen") offenbar gleich mit "sich verwöhnen lassen" (jedenfalls bei anderen Leuten außer dir). Darauf, dass das Arbeit ist, kommst du nicht?

Man sieht an deiner Reaktion sehr schön, worum es mir geht und gestern schon gegangen ist: um das Abwerten und Abwehren von Menschen, die nicht wie eine Maschine funktionieren wollen oder können, sondern die sich Zeit nehmen möchten.

Es gibt jedoch Literatur über lange Therapien, sodass ich davon ausgehe, dass die Fälle, die eben nach deutlich (!) mehr als 300h geheilt wurden, keine Rarität sind. Kannst du ja auch hier nachlesen, dass einige User deutlich viel mehr Stunden haben / hatten und danach halbwegs gut aufgestellt waren.

Es ist doch absurd, zu sagen: "Wenn nach 300h keine Fast-Heilung, dann nie". Menschen können lernen, ein Gefühl für sich zu entwickeln.

Und noch einmal: Die Essensmetapher stammt nicht von mir, sondern vom Therapeuten. Und auch nicht nur von ihm allein, sondern es ist eine mögliche Vorstellung, den Patienten zu nähren. Muss ja nicht jeder für sich persönlich so sehen. Aber es muss auch nicht abgewertet werden, wenn Andere es so sehen.

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