Landkärtchen hat geschrieben:Mich erinnert die Diskussion an die nach dem bedingungslosen Grundeinkommen. Auch da wird oft von Gegnern/rinnen argumentiert, dass die Menschen mit der neu gewonnenen Freiheit nicht umgehen könnten und nicht mehr arbeiten würden.
Ich habe ein Problem mit dem BGE. Nicht wegen der Freiheit und was der einzelne dann damit anstellt oder nicht, sondern weil das BGE voraussichtlich zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig sein dürfte. Weil mit dem BGE *alles* abgegolten sein würde. Zusätzliche Hilfen und Unterstützungen, die Menschen mit körperlichen und psychischen EInschränkungen derzeit über die Grundsicherung hinaus erhalten oder auch andere Transferleistungen wie Krankengeld, wird es nicht mehr geben. Es wäre das Ende des Sozialstaates, der vor allem denen hilft die es nötig haben (ob das was es aktuell gibt, genug ist, will ich jetzt hier nicht diskutieren...), weil dann das was da ist mit der Gießkanne verteilt wird, egal ob es jemand braucht oder nicht. Das heißt, alle kriegen etwas, aber manche (und das sind vor allem die die es brauchen) kriegen unterm Strich weniger bzw. zu wenig. Die aktuelle Hilfe/Unterstützung beinhaltet eine Bedarfsprüfung, die oft auch entwürdigend ist. Das wäre dann eher der Ansatzpunkt, den ich sähe. Wie diese Prüfung anders, menschenwürdiger gestaltet werden kann. Wie die Kriterien anders und transparenter gestaltet werden können. Wie die Hilfe schneller bei denen ankommt, die sie nötig haben. Die Bedarfsprüfung an sich? So problematisch sie ist, ich fürchte, sie ist notwendig. Weil diese Form der Umverteilung sonst nicht funktionieren wird.
Übertragen auf die Psychotherapie - ich kenne mich zu gut aus im System. Ich kenne die Debatten und Begehrlichkeiten. Und da bin ich einfach zu realistisch. Ich finde, es kann nicht die Lösung sein, dass dann jeder Versicherte einen Anspruch auf 50 oder 60 Stunden hat. Und das war es, da ist dann das Ende der Fahnenstange. Für die nächsten fünf oder zehn Jahre. Oder wenn wir Pech haben sogar lebenslänglich. Es gibt Menschen/Funktionäre im System, die das attraktiv finden, und da werde ich hellhörig wenn aus solchen Ecken Applaus kommt. Mehr Stunden wird es in so einem Modell nicht geben, weder 80 noch 120 oder gar 150. Weil jeder einen Anspruch hat. Und der Kuchen an sich nicht größer wird.
Und auch hier wird - wie beim BGE - eine solche "Pauschalleistung" dann das Ende sein der solidarischen Finanzierung nach Bedarf. Das sehen wir schon bei Sehhilfen wo es gar nix mehr gibt oder bei den Zähnen und anderen Leistungen die nach und nach aus dem Leistungskatalog über "Pauschalen" (heißt bei den Zähnen Festbeträge) herausgenommen werden.
Das heißt dann, jeder kriegt diese x Stunden. Und wenn du Pech hast, dann reicht das eben nicht, aber es gibt auch nix mehr aus dem Topf für dich.
Finde ich es nervig und ärgerlich, mich mit dem System herumschlage zu müssen? Auf alle Fälle. Finde ich das System oft ungerecht und undurchsichtig und die Maßstäbe, die angelegt werden, nicht nachvollziehbar? Das auch. Da liegen wir glaube ich gar nicht weit auseinander.
Der Unterschied ist, dass für mich das, was für euch eine Lösung ist, keine Lösung ist. Weil ich da die Gefahr sehe, dass alles pauschal über einen Kamm geschoren wird. Das diejenigen die mehr Unterstützung brauchen, als das System vorsieht (und machen wir uns nichts vor: Das System an sich ist nicht großzügig und wird es auch nie sein - da sagt keiner: Setz dich und iss so viel wie du möchtest....) dann noch mehr unter die Räder kommen als es heute schon der Fall ist.
Ansatzpunkte die ich sehe sind dann eher: Mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei den Entscheidungen. Kriterien überprüfen und überarbeiten und menschenwürdiger gestalten. Eine Debatte darüber, was die Kriterien sind. Die undurchsichtigen Pfade und Wege durch den Gesundheitsdschungel begradigen.
@isabe: Ich will niemanden überzeugen, dass leere Gläser schön sind. Das ist deine Interpretation.
Aber mein Ansatz ist sicherlich eher pragmatischer Natur.
Hätte es anders sein können? Da halte ich es mit dem Engländer: Don't cry over spilt milk. Ich wende mich dann lieber der Zukunft und den Dingen zu, die ich beeinflussen kann.