Nuklearkatastrophe in Japan

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blackstar81
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Beitrag Di., 15.03.2011, 20:08

Ich denke, Japan kann nicht von heute auf morgen vollständig von Kernenergie und Nukleartechnologie abtreten und quasi ein Cut machen, á la "Das wars". Dafür ist die Energiepolitik zu stark integriert und alle hängen am Atomnetz. Dazu ist Kernenergie billig. Was ich aber nicht ganz verstehe, warum hat niemand in Japan daran gedacht (Konstrukteure etc.) dass das irgendwann mal passieren wird, immerhin gibts in Japan ständig Erdbeben. Ok, der Kernreaktor war glaub ich ca. 40 Jahre alt und sollte demnächst vom Netz gehen. Aber wenn man heutzutage nach modernster Technik einen Reaktor bauen würde, würde der den gängigen Sicherheitsstandards wie zB Erdbeben Stärke 6 oder gar 9 standhalten?... hmm

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stern
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Beitrag Di., 15.03.2011, 20:12

ENA hat geschrieben:Kann mir jemand kurz und einfach erklären, wieso jetzt auch noch die Weltwirtschaft ins Wanken gerät, der DAX und Aktien sinken, weil es in Japan ein Erdbeben gab und ein Kraftwerk droht zu explodieren?
Kurz und einfach ist nicht meine Stärke...*g* ... abgesehen davon, dass derartige Einschätzungen auch nicht einfach zu beurteilen sind, für mich zumindest:

1) DAX/Aktienkurse: Ich versuche es mal. Aktienmarkte reagieren bereits sehr sensibel auf Erwartungen, Unsicherheiten, Ängste... und wenn man (als Investor) erwägt, Papiere zu kaufen (=>Kurststeigerung als Folge bei Nachfrage) oder zu verkaufen (=>Kursabfall als Folge bei Verkäufen) basiert dies oft auf Einschätzungen/Erwartungen, welche Folgen in Japan bzw. global realitär eintreten werden. So spricht für mich (wie auch für vallée) einiges für massenweise Panikverkäufe (Verkäufe bevor weitere Verluste der Unternehmen drohen, welche vermutlich erwartet werden. Dann sinken die Kurse, da Angebot an Aktien nun größer als Nachfrage).

Ich hab' mich bisher noch nicht sehr damit (wirtschaftliche Folgen) behängt, aber mir gerade mal einen Artikel zum DAX&Co. angesehen. Gestiegen sind z.B. die Anbieter alternativer Energien. Erklärbar z.B. dadurch, dass viele darin Wachstumspotential sehen und Hoffnung auf Unternehmensgewinnen/Kurssteigerungen zugreifen (Kauf=>Kursanstieg). Energieversorger andere Richtung: Rechtzeitig abstoßen in Erwartung zukünftiger Verluste.

Zu den Autokonzernen, vgl. auch vallée: ich sehe insbes. auch den Effekt: Wenn zum Bleistift Toyota (oder meinetwegen auch Honda, Nissan) die Produktion einstellen muss, so sind das herbe Verluste für den Konzern. Angst vor u.U. längeren Produktionsausfällen=>Verkäufe=>Kurs sinkt. Evtl. auch der Effekt: D exportiert ja auch einiges... in Japan könnte die Nachfrage nach dt. Autos zurückgehen (oder wenn erwartet wird, dass die Weltwirtschaft insges. getroffen wird => D kann nicht mehr so viel exportieren (weil global nicht mehr so viel finanzielle Mittel/Nachfragen zur Verfügung stehen, um die dt. Autos zu kaufen) => Erwartung von Verlusten in der Autobranche => Verkauf von Aktien. Energie für die Herstellung kann teuerer werden (Kernenergie ist relativ günstig), usw.

Bei Versicherern, insbes. Rückversicherer (Versicherungen von Versicherungen) kann man antizipieren, dass erhebliche Schäden auf sie zu kommen.

Und nun ja... fallen sehr viel Aktienkurse, so schwächelt auch der DAX im gesamten.

Japan versucht die Wirtschaft am Laufen zu halten... rechnete mit Produktionrückgängen. Infrastruktur ist durch die Katastrophe zerstört. Wer will japanische Produkte kaufen=importieren, wenn eine Kernschmelze alles mögliche kontaminieren könnte (fiktiv z.B. ein japanisches Auto, Fische, Sushi made in Japan, Elektronikteile im IPad) bzw. halten Exportschwierigkeiten wegen Infrastrukurschäden und Produktionsaufälle und beschädigten Produktionsstätten für Japan an?, usw. Um dem (Konjunkturschwäche und Mittelabzüge aus Japan) entgegenzusteuern schüttete Japan 130 Mrd. in die Märkte. Da kann man nun weiter spekulieren: Kommt's zu inflationären Effekten (hätte z.B. Auswirkungen auf Exporte und Importe)... oder schafft man es dadurch die Konjuktur wieder zu beleben, evtl. neue Investoren zu finden, was inflationären Effekten (Währungsstabilität) gegensteuert, weil die Mittel dann ja real eingesetzt werden, und wieder zu Wachstum führen. Staatsverschuldung ist ja, meine ich, auch so ein Thema in Japan (ich glaube ein Teil dieser Finanzspritze kann aber aus Währungsreserven erfolgen... ansonsten steigt die Verschuldung weiter. Theoretisch wäre es möglich, dass der Staat Aktien aufkauft, um die Kurse zu stabilisieren, finanziert durch Währungsreserven... macht aber Japan glaube ich nicht, keine Ahnung).

Kurz um: Man kann alles möglich an Szenarien spinnen und erwarten, um letztlich Aktien aus Panik im größeren Stil sicherheitshalber zu verkaufen, bevor erwartete Kursverluste im größeren Stil realitär eintreten (damit schafft man u.U. allerdings auch eine selfullfilling prophecy, die vallée auch andeutete, wenn ich das richtig verstanden habe). Fazit: Hängt viel davon ab, welche Folgen man individuell erwartet. Und Schocks (wie ein Bank die pleite geht, vgl. Lehman 2008, und das zu Erwartungen von Zusammenbrüchen des Finanzsystems und einer globalen Rezession führt. Die tatsächlich real eintretende Auswirkung kann viel kleiner sein) können große Auswirkungen auf die Weltwirtschaft entfalten. Hat nix mit Ethik zu tun, bestenfalls mit Psychologie (z.B. Vertrauensverlust in die Substanz von Unternehmen, augemalte Krisenszenarien)... sondern iss Wirtschaft .

Zur Weltwirtschaft evtl. später...
Zuletzt geändert von stern am Di., 15.03.2011, 22:26, insgesamt 4-mal geändert.
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autumnflower
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Beitrag Di., 15.03.2011, 20:17

blackstar81 hat geschrieben:Was ich aber nicht ganz verstehe, warum hat niemand in Japan daran gedacht (Konstrukteure etc.) dass das irgendwann mal passieren wird, immerhin gibts in Japan ständig Erdbeben. Ok, der Kernreaktor war glaub ich ca. 40 Jahre alt und sollte demnächst vom Netz gehen. Aber wenn man heutzutage nach modernster Technik einen Reaktor bauen würde, würde der den gängigen Sicherheitsstandards wie zB Erdbeben Stärke 6 oder gar 9 standhalten?
Doch, Erdbeben wurden eingeplant, allerdings bis zur Stärke 8 oder etwas drüber und dieses Erdbeben lag bei fast 9.
vallee hat geschrieben:Ich finde das Problem der Endlagerung ist das gravierenste an der ganzen Sache
So sehe ich das auch. Man weiss nicht mal, welche Region in Deutschland sich am Besten eignet, ganz davon abgesehen, dass es DEN Ort scheinbar nicht gibt. Ich frage mich auch, wer uns eigentlich garantieren kann, dass so ein Endlager sicher ist und das auch noch für Millionen oder was weiss ich Jahre? Dieses unterirdische Monstrum muss nur mal ein blödes Leck haben und schon können die hochradiaktiven Substanzen in die Biosphäre gelangen.

Im Übrigen glaube ich mittlerweile, dass Merkel & Co tatsächlich auf Zeit spielen, je wie sich die Lage in Japan entwickeln wird, d.h. wird die Situation nicht noch schlimmer, dann könnte ich mir vorstellen, dass die AKW nach der Sicherheitskontrolle weiterhin in Betrieb bleiben, mit dem Argument "alles auf neustem Sicherheitsstand, dies und jenes wurde verbessert" und vielleicht mit einem Mini-Kompromiss "xy wird nicht 2030, sondern 2025 abgeschaltet", alles lediglich zur Berughigung der Bevölkerung, aber unterm Strich: Atompolitik wie eh und je.

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stern
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Beitrag Di., 15.03.2011, 21:09

ENA hat geschrieben:P.S.: Reicht es denn auch aus, wenn ich in Deutschland demonstrieren gehe, damit auf der ganzen Welt die Dinger abgeschaltet werden???
Unwahrscheinlich aus meiner Sicht, global betrachtet zumindest. Zum Beleg: Hier ein Artikel, wie andere Länder auf die Katastrophe reagieren:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0 ... 56,00.html
Andere Länder stehen der Atomenergie vielleicht genauso euphorisch (als Wohlstandbringer) gegenüber wie wir vor 40-50 Jahren als der Bau von Anlagen boomte?

Ein großer Haken an dieser kurz- bis mittefristigen Rechnung ist das Außerachtlassen der Notwendigkeit der Endlagerung. Suggeriert ja fast "iss dann entsorgt". Pff... das Zeugs strahlt ja weiter, und wenn man sich die Halbwertszeit einiger Substanzen ansieht, dann . Jod-129: Halbwertszeit 17000000 Jahre. Plutonium 239Pu 24.110 Jahre. Uran 235 704 Mio. Jahre, vgl. http://vorort.bund.net/suedlicher-oberr ... -info.html. Insofern: Klar, ich bleibe dabei: Ausstieg so schnell wie möglich. Merkel will ja auch auf internationale Ebene Debatten führen... aber natürlich kann sich D oder andere Länder nicht in die nationale Energiepolitik anderer Länder einmischen. Nur wenn so ein Endlager nicht bombensicher ist (ich meine, was weiß ich, wann in D mal wieder ein Vulkan hochgeht, ein Erdbeben droht (Rheinische Tiefebene), was in 10.000 jahren ist, etc), dann können die Auswirkungen nicht minder schlimm sein, wie eine Reaktorkatastrophe. Da kann man also auch nur hoffen, dass der Atommüll sicher weggeschlossen ist... über einen nach menschl. Ermessen unüberblickbaren Zeitraum (geologisch überblickbare Zeiträume sollen kürzer sein). Nun ja, was will man dazu sagen: D brauchte auch um die 30 Jahre bis die Haken an dieser Energiegewinnung ins öff. Bewusstsein vorgedrungen sind. Eine Entwicklung, die andere Länder vielleicht noch vor sich haben? Jedenfalls bleibe ich auch dabei: D ist in der Hinsicht um einiges weiter. Aber genauso wie Menschen gegen Atommüll und AKW demonstrieren, so gibt es auch ganz viele Bürgerinitiativen und Demos gegen z.B. die Aufstellung von Windrädern, die im eigenen Dunstkreis auch viele als landschaftsentstellend oder lärmend empfinden.
Zuletzt geändert von stern am Di., 15.03.2011, 21:52, insgesamt 2-mal geändert.
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Ive
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Beitrag Di., 15.03.2011, 21:14

USA haben heute verkündet, sie wollen den Bau von AKW trotz der japanischen Katastrophe vorantreiben ... Und das bei den Erfahrungen mit dem Terroranschlag des 11. Septembers ...

Es fällt einem nix mehr ein.

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Lilly111
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Beitrag Di., 15.03.2011, 21:19

In den Nachrichten ist öfter von unterschiedlichen Strahlendosen die Rede. Ich habe mitunter Schwierigkeiten mit der Einordnung ist das nun schon viel oder gerade noch, naja....? Der Link gibt eine Orientierung, auch über die Strahlenbelastung bei medizinischen Untersuchungen.

http://www.spiegel.de/wissenschaft/tech ... 92410.html
ENA hat geschrieben:Aha. Also radioaktive Strahlen können einerseits für Krebs sorgen und auf der anderen Seite dagegen helfen?
Ja, in der Tat.
"Als einzige gesicherte Ursache für die Schilddrüsenkrebse gilt eine Strahlenexposition."
[Quelle Wikipedia] http://de.wikipedia.org/wiki/Schilddr%C3%BCse

Genau diese radioaktive Strahlung wird dann auch wieder zur Therapie des Krebses eingesetzt. Und zwar wie folgt (vereinfacht dargestellt):
Zuerst wird die kranke, krebsbefallene Schilddrüse komplett operativ entfernt. Das gelingt aber nie zu 100%. Etwas Restgewebe (gutartig oder auch bösartig, wenn der Krebs bereits gestreut hat) ist immer vorhanden. Dieses Restgewebe wird mittels einer Radiojodtherapie "weggestrahlt". Der Patient schluckt eine Kapsel, die radioaktiv angereichertes Jod enthält (Jod131). Das Jod lagert sich in dem Bereich der ehemaligen Schilddrüse ein und zerstört dort die noch vorhandenen Restzellen.

Diese Behandlung findet in Deutschland (nicht in allen Ländern) in Quarantäne statt. Je nach Strahlenbelastung dauert der Aufenthalt ca. 3-8 Tage. Und jeden Tag kommt die Schwester mit dem Geigerzähler um die Reststrahlung zu prüfen. Nach der Entlassung sollte man sich trotzdem noch 1-2 Wochen von kleinen Kindern und Schwangeren fernhalten (schnell wachsende Zellen und deshalb besonders strahlungsgefährdet).

In Japan wird man in 5 bis 30 Jahren eine Menge Jod131 benötigen.

Lilly
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ENA
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Beitrag Di., 15.03.2011, 21:24

Naja, selbst wenn Deutschland alle Atomkraftanlagen abschalten würde (wo ich immer noch dafür wäre!): Um uns herum bzw. auf diesem Planeten, der uns letztlich verbindet und unsere Lebensgrundlage bietet, sind ja auch noch ne Menge andere... .

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Lilly111
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Beitrag Di., 15.03.2011, 21:44

Ive hat geschrieben:USA haben heute verkündet, sie wollen den Bau von AKW trotz der japanischen Katastrophe vorantreiben ... Und das bei den Erfahrungen mit dem Terroranschlag des 11. Septembers ...

Es fällt einem nix mehr ein.
Ja Ive, da kann man nur den Kopf schütteln und versteht die Welt nicht mehr.

Aber ich messe solchen Äußerungen in diesen Tagen keine allzu große Bedeutung bei.
Vor 2 Tagen hat Russland und China noch laut getönt, dass sie weiter am AKW-Ausbau festhalten. Heute macht Medwedjew ein besorgtes Gesicht und schickt Leute mit Geigerzählern nach Wladiwostok. China holt seine Landsleute aus Japan zurück.
Gestern hatten wir ein 3-Monats-Muratorium, heute sollen schon 7 AKW vom Netz.
Am Tag 2 der Katastrophe tönten Vertreter unserer Energiekonzerne wie sicher das alles ist, heute haben sie angeblich schon immer gesagt, dass Akzeptanz der Kernenergie in der Bevölkerung ganz wichtig ist.

Spiegel-Online titelt mit "50 Mann sollen Japan retten" und berichtet, dass sie jetzt versuchen Wasser aus Hubschraubern auf die havarierten Reaktoren zu schütten. Wie groß sind die Erfolgsaussichten? Schaffen 50 Mann aus der Luft, was zuvor 800 am Boden nicht geschafft haben?

Wir haben heute nicht die letzten schlechten Nachrichten aus Japan gehört.
Dementsprechend sind die derzeitigen Reaktionen weltweit auch noch lange nicht das letzte Wort. Maximal der Versuch nicht ganz das Gesicht zu verlieren, aber, so glaube ich ganz fest, wohl wissend, dass das Ende des Atomzeitalters eingeläutet worden ist.

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lamedia
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Beitrag Di., 15.03.2011, 21:49

Mir kommt es gerade so vor, als hätten wir mit den Atomkraftwerken auf der ganzen Welt unser sicheres Aus gebaut, die Frage ist nur, für wann. Die Langzeitrisiken und möglichen Spätfolgen ließen sich wunderbar verdrängen, solange man davon ausging, dass die Welt so bleibt, wie sie gerade gewesen ist. Atomkraftwerke sind "sicher" (sie laufen störfrei soll das heißen...), solange eben nichts passiert. Als sie in Westdeutschland gebaut wurden, hieß es, sie seien so sicher, dass ein unbeherrschbarer Störfall in einer Million Jahren wahrscheinlich sei. (Pro Kraftwerk?)

Was die Radioaktivität und Strahlung angeht kann, bräuchte es eigentlich mehr Aufklärung, die ich in den Medien nicht finde. (Meine Schulphysik reicht dafür nicht mehr.) Es wird von erhöhten Strahlenwerten gesprochen, aber unterschiedliche Medien bezogen sie auf unterschiedliche Zeitgrößen. Es macht einen Unterschied, ob die biologisch vertretbare Strahlendosis eines Jahres um den Faktor x in einer Stunde, an einem Tag oder in einem ganzen Jahr überschritten ist. Weiß das jemand hier?
Und wieso war bei Tschernobyl Becquerel die Einheit, von der alle sprachen und jetzt Sievert?

Was mich auch betroffen macht, ist, dass so vergleichsweise wenig über Hilfe geredet wird, die Medien scheinen seit dem Wochenende immer noch in einer Schockstarre auszuharren, Spendenaktionen laufen jetzt erst allmählich an. Die verheerenden weiteren Ausmaße der Katastrophe treten vor dem hypnotisierenden Thema "Super-Gau" entweder zurück - oder sie kommen noch gar nicht zur Sprache. (Z.B. radioaktiv verseuchtes Meerwasser, eventuell auch Grundwasser, Umgang mit hunderttausenden Obdachlosen in einem dichtbesiedelten Land, Versorgungs- und Infrastrukturengpässe.) Vielleicht ist das Maß an Katastrophe, was man zu einer Zeit verdauen kann, auch begrenzt?


montagne
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Beitrag Di., 15.03.2011, 22:09

Die Hochphase der letzten Eiszeit, der Weichselkaltzeit (in Deutschland) ging von 60.000 bis ca. 10.000 Jahre v.u.Z. und hat Norddeutschland maßgeblich geologisch verformt. Also selbst im erdgeschichtlichen Rahmen erscheint es mir sehr gewagt, dass in 1 Mio Jahre die Salzstöcke, in denen man das radioaktive Material lagert noch intakt sind.
In der Dimension der menschheit kann man wohl sagen, das Zeug hört NIE auf zu strahlen. Und wir produzieren massen davon weiter. Kann nicht gut sein.
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lamedia
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Beitrag Di., 15.03.2011, 22:13

Also müssen die Erbauer entweder in einer Gegenwarts-Ewigkeitsschleife festgesteckt oder aber ein baldiges Ende der Menschheit in Betracht gezogen haben, vielleicht sogar angesichts des Kalten Krieges....

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Lilly111
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Beitrag Di., 15.03.2011, 22:21

Oder sie Denken und Handeln nach dem Motto:
Nach mir die Sintflut.

Lilly
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montagne
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Beitrag Di., 15.03.2011, 22:44

Vielleicht wurde das auch wirklich falsch eingeschätzt. In den 50er Jahren, als man Anfing Atomreaktoen zu bauen, dachte man vllt. nicht daran, das es mal irgendwann so viele sein würden. 1943 hat der IBM-Chef gesagt, es würde langfristig auf dem ganzen Weltmarkt nur einen Bedarf für 5 Computer geben. Ebenfalls in den 40er soll jemand von 20th Century Fox gesagt haben, das Fernsehen würde den Menschen schnell langweilen, schnell wieder aus der Mode kommen.

Insgesamt hat man vllt. mit einer viel geringenden Elektrifizierung und damit Engeriebedarf gerechnet. Ein paar wenige mailer, ja das hätte man vllt. irgendwo in Sivirien endalgern können. Das es mal hunderte weltweit sein würden, mit entsprechender Endlagerungsproblematik hat man vllt. schlicht nicht voher gesehen.
amor fati

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Ive
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Beitrag Di., 15.03.2011, 22:48

Lilly und Lamedia, ja, sehe ich auch so; es besteht eine immense Schockstarre und auch Verwirrung selbst bei den Regierungen. Es ist ja immer noch längst kein Ende der Schrecken in Japan in Sicht, die Weltregierungen wissen nicht, was am Ende dabei herauskommen wird und im Grunde auch nicht, wie sie damit umgehen sollen. Wenn ganz Tokio verseucht werden sollte - so etwas hat es bisher nicht einmal annähernd gegeben, trotz Tschernobyl.

Auch das nur sehr zögernde Anlaufen von Hilfsaufrufen deutet in die Richtung. Es ist rundherum beängstigend. Die Japaner rühren mich in ihrer Tapferkeit und in ihrem Bemühen, einen winzigen Anstrich von Normalität nicht aufzugeben, wenn man die Interviews im TV verfolgt. Wir haben erst einmal an Unicef unter dem Stichwort "Japanhilfe" gespendet, das war die einzige zu dem Zeitpunkt bereits auffindbare Spendenstelle im Web.

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stern
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Beitrag Di., 15.03.2011, 23:00

21:57 Uhr Die Ereignisse am Dienstag haben die Situation in Japan nach Meinung internationaler Atomexperten deutlich verschärft. Nach der neuen Explosion und dem Feuer im Kraftwerk Fukushima-1 spricht nun auch das amerikanische Institute for Science and International Security (ISIS) von einem Unfall der Stufe 6, der "unglücklicherweise Stufe 7 erreichen könnte" – die Stufe der Katastrophe von Tschernobyl. Das Institut erforscht Kerntechnik und nukleare Proliferation. Zuvor hatte schon die französische Atombehörde ASN von einem Unfall der Stufe 6 gesprochen statt von Stufe 4, wie die japanische Regierung bekanntgegeben hatte.
http://www.sueddeutsche.de/panorama/jap ... -1.1072079
Lilly111 hat geschrieben:Spiegel-Online titelt mit "50 Mann sollen Japan retten" und berichtet, dass sie jetzt versuchen Wasser aus Hubschraubern auf die havarierten Reaktoren zu schütten. Wie groß sind die Erfolgsaussichten?
Nehme an, dass ist eine rhetorische Frage. Reaktor 4 steht seit 45 Min. angeblich auch ohne Dach da, während das Wasser im überhitzten Reaktor kochen soll. Von erneuten Bränden war die Rede (wobei ich in der Nachrichtenflut mit teils auch widersprüchlichen Infos schon längst keinen Überblick mehr habe). Mag den Teufel nicht an die Wand malen, aber auf mich wirken Rettungsversuche mittlerweile eher wie verzweifelter Aktionismus, doch noch zu versuchen irgendetwas abzuwenden, was eigentlich schon seit einiger Zeit ausser Kontrolle ist... und mittlerweile kaum bis nicht mehr kontrollierbar ist. Ich meine, was können Hubschrauber aus der Luft bewirken, wenn ein bissi zugeführtes Wasser von oben bei Temp. von 2000 Grad (die Brennstäbe haben sollen) vermutlich ratzfatz verdunstet. Ein Tropfen auf einem heißen Brennstab vermutlich.
lamendia hat geschrieben:Vielleicht ist das Maß an Katastrophe, was man zu einer Zeit verdauen kann, auch begrenzt?
Wenn ich von mir ausgehe: ja. Wie muss es erst den Leuten in Japan, insbes. Evakuierte, 35 Mio. Menschen in Tokio gehen, Menschen die Familie und Freunde in den Fluten verloren haben, viele obdachlose Kinder . Vermutlich steht ganz Japan noch unter Schock... und Teile der Welt außerhalb ebenfalls noch. Das Ausmaß zeigte sich auch erst mit der Zeit, und man kann es vermutlich immer noch nicht erfassen. Ich nahm es zumindest so wahr.
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