Lesezirkel: 'Der Klavierstimmer' von Pascal Mercier

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Fundevogel
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Beitrag Fr., 15.02.2013, 22:09

weidenkatz hat geschrieben:Der Vater scheint ja generell sehr akzeptierend zu sein, bzw. sich eher zurückzuziehen mit seinen Nöten und vielleicht seine Frustrationen in die Musik zu kanalisieren. Vielleicht auch eine Flucht.
Ja, genau, dagegen ist ja im Grunde auch nichts einzuwenden. Aber was der da alles nicht gesehen hat ...

Ich finde vor manchem darf man nicht weglaufen,
weil damit läßt man die Kinder alleine,
wer beschützt die Kinder?
Hat der Vater seinen Sohn beschützt?

Nein. Vielleicht nur aus Schwäche oder Blindheit, aber das nutzt dem Kind auch nichts mehr.
Und ich glaube eben, ihm waren seine Opern und sein Erfolg wichtiger als alles andere.
Das ist egoistisch. Und der Sohn hat es gebüßt.
Fundevogel

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weidenkatz
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Beitrag Fr., 15.02.2013, 22:20

Fundevogel hat geschrieben:
weidenkatz hat geschrieben:Aber die beiden Elternteile haben ja am Schluss beide eine Art reinen Tisch gemacht, nur davon - kein Wort. Vielleicht war Inzest dann doch ein zu großes Tabu, mehr als ein Mord.
Da hast du glaube ich ein wahres Wort gesprochen.
Das Foto der Mutter mit deren Vater blieb zerrissen. Was sie mit dem Sohn im Boudoir gemacht hat, weiß man nicht so genau. Sie spricht mit ihrem Mann nicht darüber Sie spricht mit ihren Kindern nicht darüber.
In der bereits erwähnten Fortbildung zum Thema Inzest hieß es auch, der Mutter-Sohn-Inzest sei gesellschaftlich am stärksten tabuisiert. Literaturgrundlage des Beitrags war "Realer Inzest. Psychodynamik des sexuellen Missbrauchs in der Familie" von M. Hirsch. Eine Besonderheit des Mutter-Sohn-Inzests ist demnach auch, dass die Mutter jede Ablösung des Sohnes verhindert und die enge Bindung bis ins Erwachsenenalter versucht aufrecht zu erhalten, wodurch ein Aufbau von Ich-Grenzen erschwert wird.

Wenn man jetzt die Situation in der Familie betrachtet, war es Patrices Glück, dass er eine Zwillingsschwester hatte, mit der er so nah war, dass er nicht NUR die Mutter als Quelle von Liebe hatte, und dass es überhaupt von irgendjemandem bemerkt wurde, dass da etwas komisches passiert. Also Glück im Unglück, weil die Beziehung zu der Schwester ja auch sehr exklusiv war und er wohl kein ganz anderes Muster mit ihr lernen konnte als ein symbiotisches.

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weidenkatz
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Beitrag Fr., 15.02.2013, 22:29

Fundevogel hat geschrieben:@weidenkatz
und daß es nicht seine kinder sind, weiß er, nimmt seiner frau aber nicht die schuldgefühle, an denen sie zugrunde geht.
meinst Du, sie leidet unter schuldgefühlen? ich hatte den eindruck, sie leidet an allem möglichen, aber nicht an schuldgefühlen wegen der untergeschobenen kinder.

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Fundevogel
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Beitrag Fr., 15.02.2013, 22:30

weidenkatz hat geschrieben:Eine Besonderheit des Mutter-Sohn-Inzests ist demnach auch, dass die Mutter jede Ablösung des Sohnes verhindert und die enge Bindung bis ins Erwachsenenalter versucht aufrecht zu erhalten, wodurch ein Aufbau von Ich-Grenzen erschwert wird.
Danke, weidenkatz, daß du deine Erkenntnisse aus der Fortbildung mit uns hier teilst.

Mich hat das ja auch schon beeindruckt, als du das letzte Mal hier schriebst, daß die Sprachlosigkeit innerhalb der Familie ein Kennzeichen für Inzestfamilien ist.

Und über das obige muß ich jetzt erstmal nachdenken: wenn man sich nicht ablöst, dann können die Ich-Grenzen nicht aufgebaut werden.

Ich-Grenzen, das ist so ein Wort ... Ich weiß nicht, ich meine, man kann sich doch auch von den Eltern lösen und trotzdem keine guten Grenzen haben oder gute Grenzen haben und zu Hause sich von Muttern rund um die Uhr verwöhnen lassen, obwohl man die 30 überschritten hat und ein fescher Single ist, der mit einer Frau nach der anderen sich nur ja nicht binden will...
weidenkatz hat geschrieben:Wenn man jetzt die Situation in der Familie betrachtet, war es Patrices Glück, dass er eine Zwillingsschwester hatte, mit der er so nah war, dass er nicht NUR die Mutter als Quelle von Liebe hatte, und dass es überhaupt von irgendjemandem bemerkt wurde, dass da etwas komisches passiert. Also Glück im Unglück, weil die Beziehung zu der Schwester ja auch sehr exklusiv war und er wohl kein ganz anderes Muster mit ihr lernen konnte als ein symbiotisches.
Ja, das ist wohl richtig, sonst hätte ihn die Mutter gleich verschlungen.

Ich glaube, das mit der Symbiose, kann ich irgendwie nicht nachvollziehen. Ich dachte immer, ich weiß, was das ist. Aber jetzt redet Ihr hier alle ständig von Symbiose und ich kann das irgendwie nicht sehen, auch bei den Geschwistern nicht.
Wenn sie so symbiotisch wären, dann hätte sie der Inzest doch nicht gestört.
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Beitrag Fr., 15.02.2013, 22:33

weidenkatz hat geschrieben: ich hatte den eindruck, sie leidet an allem möglichen, aber nicht an schuldgefühlen wegen der untergeschobenen kinder.
Touché, weidenkatz ! Ich hab auch lange überlegt, ob ich dieses Wort überhaupt schreiben soll; dann habe ich mich erinnert, wie eindringlich sie zu Patrice sagt, er solle nur ja dem Vater und der Schwester nichts davon erzählen ... Das hat mich irgendwie schon an Schuldgefühle erinnert.
Aber vielleicht ist das auch nur die Angst, sich unangenehmen Fragen stellen zu müssen.
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weidenkatz
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Beitrag Fr., 15.02.2013, 22:43

Fundevogel hat geschrieben:@weidenkatz
wo hast du herausgelesen, daß er sich um die kinder bemüht?
Ich kann mich jetzt an keine Stelle erinnern, außer der, wo er mit Patricia in New York ist. Und die Gespräche mit ihr. Ich glaube, es war mehr ein Gefühl. Oder eher ein Wunsch, meine eigene Vaterproblematik, die mich andere Vaterfiguren oft idealisieren lässt. Er sagte zwar irgendwo "Ich wollte Euch ein guter Vater sein." Sein verbissenes Streben nach Erfolg war aber wohl doch eher im Vordergrund.

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weidenkatz
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Beitrag Fr., 15.02.2013, 22:56

Fundevogel hat geschrieben: Und über das obige muß ich jetzt erstmal nachdenken: wenn man sich nicht ablöst, dann können die Ich-Grenzen nicht aufgebaut werden.

Ich-Grenzen, das ist so ein Wort ... Ich weiß nicht, ich meine, man kann sich doch auch von den Eltern lösen und trotzdem keine guten Grenzen haben oder gute Grenzen haben und zu Hause sich von Muttern rund um die Uhr verwöhnen lassen, obwohl man die 30 überschritten hat und ein fescher Single ist, der mit einer Frau nach der anderen sich nur ja nicht binden will...
Ich denke es gibt verschiedene Ich-Grenzen. Bei Patrice geht es ja beispielsweise nicht nur darum, inwieweit sein Körper ihm gehört und inwieweit er für Erfüllung der körperlichen und psychischen Bedürfnisse seiner Mutter verantwortlich ist, sondern sogar um eine Verwischung der Grenzen von Gedanken seiner Mutter und seiner selbst.

Fundevogel hat geschrieben:
weidenkatz hat geschrieben:Wenn man jetzt die Situation in der Familie betrachtet, war es Patrices Glück, dass er eine Zwillingsschwester hatte, mit der er so nah war, dass er nicht NUR die Mutter als Quelle von Liebe hatte, und dass es überhaupt von irgendjemandem bemerkt wurde, dass da etwas komisches passiert. Also Glück im Unglück, weil die Beziehung zu der Schwester ja auch sehr exklusiv war und er wohl kein ganz anderes Muster mit ihr lernen konnte als ein symbiotisches.
Ja, das ist wohl richtig, sonst hätte ihn die Mutter gleich verschlungen.

Ich glaube, das mit der Symbiose, kann ich irgendwie nicht nachvollziehen. Ich dachte immer, ich weiß, was das ist. Aber jetzt redet Ihr hier alle ständig von Symbiose und ich kann das irgendwie nicht sehen, auch bei den Geschwistern nicht.
Wenn sie so symbiotisch wären, dann hätte sie der Inzest doch nicht gestört.
Patrice hat es ja anscheinend auch weniger gestört, aber Patricia war ja auch immer schon eher die weniger symbiotische der beiden Geschwister. Weswegen sie dann auch ausbrechen musste und konnte. Und dann gibt es natürlich auch einen gesellschaftlichen Druck, weil man ja weiß, dass das unerwünscht ist und oder auch als abstoßend oder krankhaft gesehen wird.

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weidenkatz
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Beitrag Fr., 15.02.2013, 23:05

So, vielen Dank für die interessanten Beobachtungen, Gedanken, Gefühle, die Ihr hier mitgeteilt habt und Dir Fundevogel speziell für Dein Engagement, den Lesezirkel hier auf die Beine zu stellen und am Laufen zu halten!
Ich bin gespannt, was in den nächsten Tagen noch an Beiträgen dazukommt!
Gute Nacht
weidenkatz

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Fundevogel
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Beitrag Sa., 16.02.2013, 00:05

Danke dir auch, liebe weidenkatz, für deine anregenden Einblicke und Ideen.
Ich geh jetzt dann auch mal langsam ins Bett
und hoffe auch, daß hier noch eine Zeitlang weiter über das Buch diskutiert wird

Danke euch allen, das ist schön, wenn man ein Buch nicht nur alleine liest,
sondern sich mit anderen darüber austauschen kann
Fundevogel

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Blossom
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Beitrag Sa., 16.02.2013, 11:55

Habe einen Beitrag on mir gelöscht, war mir doch zu lang und persönlich, ich hoffe es hatte noch niemand gelesen. Entschuldigung.
Übe mich besser mal im Grenzen halten.

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Fundevogel
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Beitrag Sa., 16.02.2013, 12:04

Hallo Blossom,

also ich habs nicht gelesen, du mußt dich nicht entschuldigen, Blossom.
Das Buch geht dir offensichtlich nahe.

Wobei hat es dir denn geholfen um vielleicht mal die positive Seite anzuschauen.
Abgesehen davon - alleine daß du geschafft hast, es fertig zu lesen finde ich ja schon ziemlich toll!
Fundevogel

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Blossom
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Beitrag Sa., 16.02.2013, 12:26

Huhu Fundevogel,

ja, das Buch ging mir nah, da hast du Recht. Es hat viel Persönliches ausgelöst. Aber das ist dann auch so persönlich, dass es für mich in einer Forenöffentlichkeit nicht mehr gut aufgehoben ist. Zum Glück habe ich das dann noch gemerkt.

Ich stehe einfach jetzt woanders, als zu Beginn des Buches. Und gucke mal, wie es von hieraus weitergeht und ich bin auch am Überlegen, ob ich mir mal einen Lesezirkel hier vor Ort suche.
Bin auch gespannt auf das nächste Buch.

Wünsche dir einen schönen Tag. *mal rüberwink* Blossom.

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Fundevogel
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Beitrag Sa., 16.02.2013, 12:42

Das ist doch schon was, ein Buch als Standort-/Fortschrittsanzeiger.

*wink zurück*, hab auch einen schönen Tag, liebe Blossom
Fundevogel

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