Berührung in der Therapie/Umarmung

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Psychotherapie (von der es ja eine Vielzahl von Methoden gibt) gesammelt? Dieses Forum dient zum Austausch über die diversen Psychotherapieformen sowie Ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der Therapie.

mio
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Beitrag So., 23.12.2018, 21:31

Philosophia hat geschrieben: So., 23.12.2018, 21:16 weil das ein Agieren
Streng genommen ist jedes Verhalten agieren. Psychoanalyse hat denke ich nichts gegen das Agieren an sich sondern nur gegen das unbewusste Agieren.

Wenn Du mich zB. anbrüllst, weil ich Dich in Ruhe lassen soll und Du das auch WIRKLICH WILLST dann ist daran nix für Dich schädliches und es handelt sich um ein bewusstes Agieren. Wenn Du mich aber anbrüllst, weil Dir meine Nähe Angst macht (aufgrund einer Übertragung) obwohl Du Dich danach im Grunde sehnst dann ist das ein unbewusstes Agieren.

Auch Schweigen ist zB. agieren, auch Abstinenz agiert etc. pp.

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Fairness
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Beitrag So., 23.12.2018, 21:32

Ich denke auch, dass es ein Spiel mit dem Feuer ist, wenn Therapeuten die Patienten berühren. Und gerade auch in der Psychoanalyse, kann über die Zeit so viel hochkommen, unerträgliche Gefühle... wenn dazu noch Berührungen da sind/waren, kann das alles noch multipliziert werden.

Ich erinnere mich noch, als ich eine schwere Zeit in der Analyse hatte und mein Therapeut hat mit Absicht von oben meine Hand ganz weich berührt. Er war keinerlei gezwungen durch die Umstände, das zu tun. Es war erstmal schön, aber ein paar Tage später fühlte es sich an wie Vergiftung. Weil ich ein Vertrauen mit ihm aufbauen brauchte, nur er hat jede Gesprächslösung abgelehnt... und dann kam die Berührung. Da habe ich ganz schön gepoltert, ihm das sehr vorgeworfen habe und das dauerte, bis ich nicht mehr sauer war... :-(

@Anna-Luisa nicht Richtlinie, aber Gesetz... es geht sogar weiter, nicht nur Psychotherapeuten, sondern therapeutisch tätige Menschen können im Gefängniss landen, wenn sie Sex mit dem Klienten haben. Weil da eine Abhängigkeit besteht, welcher Art auch immer, das dient dann als Schutz des Patienten gegen Missbrauch.
Sometimes your heart needs more time to accept what your mind already knows.

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Anna-Luisa
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Beitrag So., 23.12.2018, 21:35

Firewalker hat geschrieben: So., 23.12.2018, 21:32 @Anna-Luisa nicht Richtlinie, aber Gesetz... es geht sogar weiter, nicht nur Psychotherapeuten, sondern therapeutisch tätige Menschen können in Gefängniss gehen, wenn sie Sex mit dem Klienten haben. Weil da eine Abhängigkeit besteht, welcher Art auch immer.
Ich weiß. Wobei ich noch nie gehört habe, dass z.B. eine Physiotherapeutin dafür belangt wurde, wenn sie eine Beziehung mit einem ihrer Patienten begann. Aber wandermaus fragte nach einer Richtlinie - und darauf wollte ich antworten.
Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von den anderen. So wird dir Ärger erspart bleiben.
(Konfuzius)

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Philosophia
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Beitrag So., 23.12.2018, 21:53

Ja sicher, mio, und Nichtstun ist insofern auch Agieren, aber ja es geht eben darum, dass reflektiert und nicht einfach gemacht wird.
"Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen." - Albert Schweitzer

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mio
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Beitrag So., 23.12.2018, 22:06

Philosophia hat geschrieben: So., 23.12.2018, 21:53 aber ja es geht eben darum, dass reflektiert und nicht einfach gemacht wird.
Ja, das meinte ich ja auch.

Und auch eine Berührung kann etwas reflektierbar werden lassen für den Patienten. Ein Therapeut sollte natürlich nicht unreflektiert berühren, der sollte generell möglichst wenig unreflektiert tun (wobei ich denke dass ein Therapeut der den Patienten kennt und der eine gute sichere Verbindung zu sich selbst hat da schon auch mal "aus dem Bauch raus" handeln kann ohne dass gleich was "dramatisches" passieren wird) und immer das Wohl des Patienten im Sinn haben, ganz egal wie er sich verhält. Auch ein unreflektiert zu abstinenter Therapeut kann Patienten retraumatisieren.

Körperliche Berührungen können wie jedes andere Verhalten auch im Patienten ein Übertragungunsgeschehen auslösen, sie können dem Patienten aber auch dabei helfen sich selbst und die eigenen Bedürfnisse klarer erkennen zu können, in einen besseren Kontakt mit den eigenen Gefühlen zu kommen.

Im Grunde arbeiten Analytiker ja auch vor allem deshalb so abstinent weil sie genau dieses Übertragungsgeschehen wollen ohne dabei allerdings zu stark in die Rolle des "Täters" zu rutschen. Dh. im Grunde wird der Patient "sich selbst überlassen" um - anhand der auftauchenden Übertragungen die dann der Therapeut "annimmt" - in Kontakt mit sich selbst kommen zu können. Das klappt aber nur, wenn Du jemanden hast der dazu neigt Dinge dann zu übertragen, also im Grunde eben NICHT selbstständig reflektiert, dass das Quatsch ist. Bei jemandem dem das bewusst ist kannst Du als Therapeut so ja gar nicht arbeiten sondern musst viel mehr "im unmittelbaren Kontakt" arbeiten (im Gegensatz zu dem mittelbaren der Übertragung).

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Solage
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Beitrag So., 23.12.2018, 22:44

Weil hier immer wieder die Frage zur Richtlinie auftaucht.
Körpertherapie gehört nicht zur allgemeinen kassenfinanzierten Leistung in der ambulanten Therapie, wie auch Gestalttherapie etc.
Nur Verhaltenstherapie, tiefenpsychologische Therapie und analytische Therapie.
Körperorientierte psychoanalytische Therapie gehört auch nicht zur Kassenleistung in der ambulanten Therapie.
In Kliniken ist das anders geregelt.

Wer selbst zahlt, kann alles in Anspruch nehmen!

Wem es hilft , dass Therapeuten für sich methodenübergreifend arbeiten, dann gibt es ja nichts zu beanstanden.

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spirit-cologne
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Beitrag Mo., 24.12.2018, 01:36

Anna-Luisa hat geschrieben: So., 23.12.2018, 21:35 Aber wandermaus fragte nach einer Richtlinie - und darauf wollte ich antworten.
Steht ausdrücklich in den Berufsordnungen für Psychotherapeuten der jeweiligen Bundesländer, dass sexueller Kontakt während der Therapie und auch nach der Therapie verboten ist, solange der/die Patient/in noch therapiebedürftig ist und/oder ein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Therapie wird dieses fortbestehende Abhängigkeitsverhältnis automatisch vorausgesetzt. Das ist also sehr wohl eindeutig durch eine Richtlinie geregelt (unabhängig von den Reglungen des StGB). Berührungen sind dagegen nicht verboten und auch nicht immer unerwünscht, manchmal sogar notwendig, z.B. ist es bei dissoziierenden Patienten durchaus vorgesehen, durch z.B. eine Berührung am Arm oder der Hand den Kontakt zum Hier und Jetzt wieder herzustellen, ebenso sind Therapeuten verpflichtet, Patienten notfalls auch körperlich von selbstverletztenden Verhalten abzuhalten. Wenn eine Patientin z.B. beginnt den Kopf gegen die Wand zu schlagen, dann darf sich der Therapeut nicht auf eine Abstinenzregel beziehen und sich auf's zuschauen und vielleicht Hilfe holen beschränken, sondern hat im Zuge der Krisenintervention beruhigend - notfalls auf körperlich - einzuwirken. Und nein, ein Angebot von sexuellem Kontakt gehört nicht zu diesen beruhigenden Maßnahmen. Umarmungen finde ich persönlich auch schwierig, weil sie ja auch was einengendes haben.

Die strikte Form der Abstinenz, wie sie hier von einigen Usern propagiert wird, stammt aus der Psychoanalyse, die übrigens ebensowenig Kassenleistung ist, wie die Körpertherapie (weil die Zielsetzung nicht konkret genug ist). Kassenleistung ist lediglich die analytische Therapie, die sich zwar im klassischen Setting sehr an die Psychoanalyse anlehnt, aber in der modifizierten Form deutlich mehr Spielraum bietet. Die Unterschiede sind in erster Linie dadurch entstanden, dass die modifizierte analytische Therapie auch mit strukturschwachen Patienten arbeitet. Im klassischen Setting würden solche Patienten einfach als nicht analysegeeignet gelten, so dass der strikt abstinente Analytiker meist erst gar nicht in die Problemlage kommt, dass da eine Patientin mit Emotionsregulationsstörungen sitzt, die auf einmal anfängt, z.B. den Kopf vor die Wand zu schlagen. Man muss es sich also als Therapeut auch "leisten" können, strikt abstinent zu bleiben.

Unstrittig ist, dass Berührungen in der Psychotherapie nicht das Mittel erster Wahl sind, aber es kann durchaus auch Situationen geben, in denen sie notwendig und sinnvoll sind. In der realen Arbeit mit Menschen gibt es eben selten so einfache, klare und eindeutige Regeln, was richtig oder falsch ist, wie manche das gerne hätten. Der Wunsch danach ist verständlich, es ist der Versuch etwas von vorneherein zu kontrollieren/auszuschließen (Missbrauch in der Therapie), was leider nicht vollstädnig auszuschließen ist. Es gibt Missbrauch ohne Berührung, so wie es Berührung ohne Missbrauch gibt. Eine Dämonisierung oder Pathologisierung von körperlichen Berührungen hilft daher nicht wirklich weiter.
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Wirbel-Uschi
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Beitrag Mo., 24.12.2018, 08:17

Spirit, aber eine analytische Psychotherapie, die ist doch so stark angelehnt an die Psychoanalyse, dass es inoffiziell quasi gleichgesetzt wird - mit dem
Unterschied, dass man bei der „echten“ Analyse immer liegt und in der analytischen Therapie auch sitzen kann?! Also zumindest sprechen sie (die Therapeuten) alle immer von Analyse obwohl sie analytische Therapie meinen.
Z.B. beim Bamer Arztnavi kann man bei Anforderungen an den Arzt anklicken
- analytische Psychotherapie
- Verhaltenstherapie
- tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
- Psychoanalyse (und das obwohl diese ja keine kassenleistung ist)
Meine Therapeutin findet man z. B. nicht, wenn man analytische anklickt wohl aber wenn man Psychoanalyse anklickt. Aber wir machen natürlich eine analytische Therapie mit genehmigten Antrag bei der Kasse.

Gibt es noch einen Unterschied zwischen analytischer und modifizierter analytischer Therapie?
Wenn ja, steht das dann so auf‘m Antrag drauf? Bei mir stand „nur“ analytische Therapie.
Oder ist die analytische Therapie sowieso immer eine modifizierte analytische Therapie ohne dass modifiziert dabei steht?

Was ich sagen will: ich vermute (weis es nicht, so gut kenne ich mich nicht aus), die Therapeuten/Analytiker, die eben die analytische Therapie machen, die lehnen sich stark an die Analyse an und halten entsprechende Gebote (Verbote) ein. Wie z. B. die Abstinenz. Vielleicht eher ein Begriff der Analyse, ja, aber genau auf Basis dieser arbeiten sie ja und entsprechend wichtig der Rahmen?!
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Philosophia
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Beitrag Mo., 24.12.2018, 08:40

Abstinenz bedeutet doch in erster Linie, sich zu enthalten - und zwar, das Abhängigkeitsverhältnis zu benutzen für eigenes. Darum gehts doch. Ich sage auch nicht, dass Berührungen ein NoGo sind. Wie Spirit sagte, im Notfall sind sie sicher angebracht. Ich hab es selbst erlebt.
Umarmungen (vor allem wiederkehrende) finde ich fragwürdig und kanns nicht gutheißen in einer Gesprächstherapie.
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mio
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Beitrag Mo., 24.12.2018, 09:09

spirit-cologne hat geschrieben: Mo., 24.12.2018, 01:36 weil sie ja auch was einengendes haben.
Das ist aber erst mal nur Deine persönliche Wertung/Interpretation.

Eine Umarmung hat nicht zwangsläufig etwas einengendes sondern kann auch einfach nur "großflächigerer" körperlicher Kontakt sein, bei dem der Patient möglicherweise "mehr" körperliches (und damit eben auch seelisches) spürt als zB. bei einem Händedruck.

So kann er zB. sein Bedürfnis nach "gutem Halt" (der ja auch nichts einengendes hat) reflektieren/entdecken, also eventuell überhaupt erst mal "entdecken" dass körperliche Nähe nicht verletzend/einengend sein muss sondern auch tröstlich und Halt gebend sein kann. Dh. er lernt unter Umständen GERADE auf diese Art und Weise dass seine übergroße Angst vor Nähe unbegründet ist. Dafür muss natürlich klar sein, dass er das nicht machen MUSS sondern dass es nur ein Angebot ist, ein "sich zur Verfügung stellen". Und der Therapeut muss es auch wirklich glaubwürdig leisten können (was auch nicht jedem Therapeuten taugen dürfte, zu meiner würde das zB. eher nicht passen) vom Typ/der Persönlichkeit her.

Wenn jemand zB. in seiner Kindheit niemals tröstend umarmt wurde wenn es ihm schlecht ging dann kennt der das ja auch gar nicht, weiss also auch gar nicht, dass er sich das ab und an einfach mal wünschen würde, dass es gut tun kann von einem anderen Menschen umarmt zu werden, wenn dieser einen NICHT "gebraucht" sondern einem nur das gibt, was man selbst gerade braucht, also wirklich bei einem ist.

Die Schwierigkeit sehe ich da dann eher wenn es sich um Patienten handelt die aus diesem (situativen, nicht an eine Person gebundenem) "tröstenden Halt geben" dann ein "generelles Halt geben" in Bezug auf ihr gesamtes Leben und stärker auf die Person des Therapeuten als auf die Handlung als solche bezogen machen würden. Wo also dann eine Abhängigkeit entstehen würde, weil nicht differenziert werden würde zwischen: Eine Umarmung kann generell tröstlich und hilfreich sein und mein Therapeut ist so tröstlich und hilfreich weil nur er mich "so" umarmen kann. Ersteres wäre eine Erkenntnis, zweiteres ein fataler Irrtum.

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spirit-cologne
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Beitrag Mo., 24.12.2018, 12:16

Wirbel-Uschi hat geschrieben: Mo., 24.12.2018, 08:17 Gibt es noch einen Unterschied zwischen analytischer und modifizierter analytischer Therapie?
Wenn ja, steht das dann so auf‘m Antrag drauf? Bei mir stand „nur“ analytische Therapie.
Oder ist die analytische Therapie sowieso immer eine modifizierte analytische Therapie ohne dass modifiziert dabei steht?
Was das offizielle Verfahren angeht gibt es nur die analytische Therapie, die nicht gleichbedeutend mit Psychoanalyse ist, auch wenn eine Analytiker das nicht so gerne wahr haben wollen. Die analytische Therapie ist konkret auf die Behandlung krankheitswertiger psychischer Störungen ausgerichtet, also fokussierter als die Psychoanalyse, die ja der Entwicklung der gesamten Persönlichkeit dienen soll.

Wenn ein Therapeut die Fachkunde in analytischer Therapie hat, kann er sowohl im klassischen Setting als auch modifiziert arbeiten. Die meisten arbeiten so wohl als auch. Geht auch gar nicht anders, weil sie sonst viele Patienten gar nicht behandeln könnten. Wenn der Therapeut z.B. mit persönlichkeitsgestörten Patienten arbeiten will, so wird ein rein klassisch analytisches Setting nicht durchzuhalten sein, wenn es z.B. zu schweren Krisen kommt. Wenn der Analytiker ausschließlich klassisch analytisch arbeitet, dann wird er nur Patienten annehmen, die so stabil sind, dass solche Situationen erst gar nicht vorkommen und gerät daher wahrscheinlich auch erst gar nicht in die Bredoullie, einer Patientin aus einer akuten Krise rausholen zu müssen. Kann man machen, finde ich aber jetzt nicht in irgendeiner Weise besser oder professioneller, es hat ein bisschen was von "kneifen" vor schwierigen Patienten, das wäre dann genau das, was Spahn den Therapeuten (den allermeisten zu Unrecht) vorwirft.

Ich arbeite selbst im sozialen Bereich mit Menschen, von denen einige schwerere psychische Erkrankungen haben. Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen, manchmal sind diese Menschen in einem Zustand, in dem man nur mit Reden kaum durchdringt, das wird in deren Therapien nicht anders sein. Ich denke, wenn man sich auf die Arbeit mit solchen Menschen einläßt kommt man u.U. nicht darum herum, sie auch mal zu berühren. Ich spreche dabei nicht von Umarmungen, sondern von einer einfachen Berührung von Arm/Hand/Schulter/Rücken, je nach Situation. Ich musste eine junge Frau auch mal an den Schultern festhalten, um sie an einer Selbstverletzung zu hindern. Gerne tue ich das auch nicht, denn auch in meinem Job gehört das in normalen Situationen nicht zu meiner Aufgabe, die Menschen anzufassen und mir ist es wesentlich lieber, wenn das nicht nötig ist. Aber bei manchen Klienten/Patienten gehört das von Zeit zu Zeit auch mal dazu.

Jetzt werden viele sagen, wenn es denen so schlecht geht, dann müssen die halt in eine Klinik, aber das ist ein bisschen naiv, die Kliniken behalten solche Patienten auch nicht ewig da, deshalb werden auch Therapeuten gebraucht, die bereit sind, sich auf eine ambulante Arbeit mit solchen Patienten einzulassen. Es kann ja jeder Analytiker für sich selbst entscheiden, ob er mit solchen Patienten arbeitet oder nicht, aber wenn er es tut, dann wird das nicht gehen ohne den therapeutischen Rahmen entsprechend anzupassen und das hat rein gar nichts damit zu tun, das er deshalb unprofessionell wäre. Es kann gut sein, dass der gleiche Therapeut, der eine Patientin, mit der er modifiziert arbeitet, an der Hand/am Arm anfasst, wenn sie z.B. in der Stunde beginnt, zu dissoziieren und mit einer anderen Patientin, die emotional stabiler ist, streng abstinent im klassischen Setting arbeitet. Menschen sind individuell, deshalb gibt es in der Therapie kein Schema F, was für jeden Patienten passt. Wenn das so einfach wäre, könnte das ja jeder Angelernte nach Manual machen.
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mio
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Beitrag Mo., 24.12.2018, 13:43

spirit-cologne hat geschrieben: Mo., 24.12.2018, 12:16 Wenn der Therapeut z.B. mit persönlichkeitsgestörten Patienten arbeiten will, so wird ein rein klassisch analytisches Setting nicht durchzuhalten sein, wenn es z.B. zu schweren Krisen kommt
Persönlichkeitsstörungen gelten soweit ich weiss als ziemlich "stabil" (im Sinne ihrer "therapeutischen Bearbeitbarkeit"), dh. die Abwehrstrukturen sind ein ausgeprägter Teil der Persönlichkeit und gerade deshalb wird wohl in solchen Fällen eine analytische Therapie empfohlen, weil davon ausgegangen wird, dass sich diese Abwehrstrukturen nur sehr langsam und über einen langen Zeitraum überhaupt "auflösen" lassen. Stichwort: Ich-synton.

Anders sieht es bei Traumafolgestörungen aus die als "Ich-dyston" empfunden werden und damit auch "leichter" zu bearbeiten sind, aber auch ein höheres Risiko für akute Krisen beinhalten, weil die "Abwehrstrukturen" nicht so "tief" in die eigene Persönlichkeit "integriert" sind und damit auch nicht so "stabil" funktionieren im Zweifel.

"Des Weiteren gehören zum Indikationsspektrum einer analytischen Psychotherapie verschiedene Persönlichkeitsstörungen (vor allem die narzisstische, histrionische, anankastische, ängstlich-vermeidende, abhängige und schizoide Persönlichkeitsstörung)."

(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Analytisc ... hotherapie)

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spirit-cologne
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Beitrag Mo., 24.12.2018, 14:47

mio hat geschrieben: Mo., 24.12.2018, 13:43 "Des Weiteren gehören zum Indikationsspektrum einer analytischen Psychotherapie verschiedene Persönlichkeitsstörungen (vor allem die narzisstische, histrionische, anankastische, ängstlich-vermeidende, abhängige und schizoide Persönlichkeitsstörung)."
Ja, aber eben nicht unbedingt im klassischen Setting. Und bei einem geringen Strukturniveau, was bei Persönlichkeitsstörungen häufig vorhanden ist, ist streng analytisches Vorgehen nicht möglich, weil die Selbststeuerungs- und Reflexionsfähigkeit stark eingeschränkt ist (zumindest zu Beginn der Therapie), aber unverzichtbar für klassisch analytische Arbeit. Deshalb gibt es eine ganze Reihe spezieller analytischer Therapiekonzepte für Persönlichkeitsstörungen.
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mio
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Beitrag Mo., 24.12.2018, 15:10

spirit-cologne hat geschrieben: Mo., 24.12.2018, 14:47 Und bei einem geringen Strukturniveau, was bei Persönlichkeitsstörungen häufig vorhanden ist, ist streng analytisches Vorgehen nicht möglich, weil die Selbststeuerungs- und Reflexionsfähigkeit stark eingeschränkt ist (zumindest zu Beginn der Therapie)
Gehst Du da von Patienten aus die bereits so weit dekompensiert sind dass sie ihre Selbststeuerungsfähigkeit komplett verloren haben?

Ich habe das bisher immer eher so verstanden, dass das analytische Setting in solchen Fällen eher dazu beitragen soll - gesetzt dem Fall eine gewisse Grundstabilität ist noch gegeben - dass diese Fähigkeiten erworben werden können gerade indem der Therapeut diesen Mangel nicht bedient bzw. nicht auf ihn "einsteigt", sich also gerade dann besonders abstinent verhält um dem Patienten das Gefühl/den Raum zu geben er würde sich "allein" und aus "sich heraus" entwicklen (was eben dem "Ich-syntonen" dann entgegenkommt und es so leichter veränderbar macht). Und das "positive Verstärkung" und "Verständnis" zu Anfang zwar stabilisierend eingesetzt werden, aber eben eher um den Patienten überhaupt "Therapiefähig" zu machen und zum Beziehungsaufbau.

Für meine Begriffe wäre ein geringes Strukturniveau langfristig eine Konatraindikation in Bezug auf allzu modifizierte Verfahren, weil dann ja kein "Wachstum" stattfinden könnte/würde sondern eher "im Alten" verharrt werden könnte. Wenn ich als Patient zB. eh dazu neige indirekt oder manipulativ zu handeln (also zu "agieren"), dann ist mir ja nicht geholfen, wenn das dann auch noch "bedient" würde sondern das Gegenteil wäre der Fall.

Während ein modifiziertes Vorgehen eher bei Störungen angezeigt zu sein scheint, bei denen die Reflektionsfähigkeit im Grunde bereits vorhanden ist, aber nicht so ganz klar ist, warum bestimmte Verhaltensweisen/Gefühle dennoch so schwer veränderbar sind, obwohl dem Betroffenen sehr klar ist, dass diese schädlich und falsch sind und er sie auch nicht als "zu sich gehörig" ansieht. Das hat dann ja zB. nichts mit dem Strukturniveau an sich zu tun, sondern eher damit, dass in Bezug auf bestimmte Situationen nicht adäquat oder erwachsen gehandelt wird/werden kann.

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wandermaus123
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Beitrag Mo., 24.12.2018, 22:51

spirit-cologne hat geschrieben: Mo., 24.12.2018, 01:36
Anna-Luisa hat geschrieben: So., 23.12.2018, 21:35 Aber wandermaus fragte nach einer Richtlinie - und darauf wollte ich antworten.
Steht ausdrücklich in den Berufsordnungen für Psychotherapeuten der jeweiligen Bundesländer, dass sexueller Kontakt während der Therapie und auch nach der Therapie verboten ist, solange der/die Patient/in noch therapiebedürftig ist und/oder ein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Therapie wird dieses fortbestehende Abhängigkeitsverhältnis automatisch vorausgesetzt. Das ist also sehr wohl eindeutig durch eine Richtlinie geregelt (unabhängig von den Reglungen des StGB). Berührungen sind dagegen nicht verboten und auch nicht immer unerwünscht, manchmal sogar notwendig, z.B. ist es bei dissoziierenden Patienten durchaus vorgesehen, durch z.B. eine Berührung am Arm oder der Hand den Kontakt zum Hier und Jetzt wieder herzustellen, ebenso sind Therapeuten verpflichtet, Patienten notfalls auch körperlich von selbstverletztenden Verhalten abzuhalten. Wenn eine Patientin z.B. beginnt den Kopf gegen die Wand zu schlagen, dann darf sich der Therapeut nicht auf eine Abstinenzregel beziehen und sich auf's zuschauen und vielleicht Hilfe holen beschränken, sondern hat im Zuge der Krisenintervention beruhigend - notfalls auf körperlich - einzuwirken. Und nein, ein Angebot von sexuellem Kontakt gehört nicht zu diesen beruhigenden Maßnahmen. Umarmungen finde ich persönlich auch schwierig, weil sie ja auch was einengendes haben.

Die strikte Form der Abstinenz, wie sie hier von einigen Usern propagiert wird, stammt aus der Psychoanalyse, die übrigens ebensowenig Kassenleistung ist, wie die Körpertherapie (weil die Zielsetzung nicht konkret genug ist). Kassenleistung ist lediglich die analytische Therapie, die sich zwar im klassischen Setting sehr an die Psychoanalyse anlehnt, aber in der modifizierten Form deutlich mehr Spielraum bietet. Die Unterschiede sind in erster Linie dadurch entstanden, dass die modifizierte analytische Therapie auch mit strukturschwachen Patienten arbeitet. Im klassischen Setting würden solche Patienten einfach als nicht analysegeeignet gelten, so dass der strikt abstinente Analytiker meist erst gar nicht in die Problemlage kommt, dass da eine Patientin mit Emotionsregulationsstörungen sitzt, die auf einmal anfängt, z.B. den Kopf vor die Wand zu schlagen. Man muss es sich also als Therapeut auch "leisten" können, strikt abstinent zu bleiben.

Unstrittig ist, dass Berührungen in der Psychotherapie nicht das Mittel erster Wahl sind, aber es kann durchaus auch Situationen geben, in denen sie notwendig und sinnvoll sind. In der realen Arbeit mit Menschen gibt es eben selten so einfache, klare und eindeutige Regeln, was richtig oder falsch ist, wie manche das gerne hätten. Der Wunsch danach ist verständlich, es ist der Versuch etwas von vorneherein zu kontrollieren/auszuschließen (Missbrauch in der Therapie), was leider nicht vollstädnig auszuschließen ist. Es gibt Missbrauch ohne Berührung, so wie es Berührung ohne Missbrauch gibt. Eine Dämonisierung oder Pathologisierung von körperlichen Berührungen hilft daher nicht wirklich weiter.
Danke Dir. Das ist wie immer sehr informativ.

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