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Di., 29.12.2015, 02:33
Hallo ADW,
mal zu zwei Gebieten: Amnesie und Kind-Person
Zur Amnesie und „Alltagsamnesie“/Dissoziation, die jeder, also auch Unos kennen:
Man macht sich auf den Weg in den Keller, um Kartoffeln zu holen. Im Keller angelangt weiß man nicht mehr, was man eigentlich im Keller wollte, überlegt kurz, es fällt einem nichts ein. Man geht wieder hoch, in der Küche angekommen fällt es einem wieder ein.
Oder man fährt eine lange Strecke auf der Autobahn. Am Ziel angekommen sieht man die halbleere Wasserflasche, weiß aber gar nicht, wann man die halber leer getrunken hat. Oder man registriert irgendwann, oh, ich muss wohl schon am AB-Kreuz xy vorbeigekommen sein, wenn ich schon hier bin, hab`s aber gar nicht registriert. Oder auf Nachfrage am Ziel, ob die Baustelle yz immer noch da ist, weiß man es irgendwie gar nicht, weil man die einzelne gar nicht so bewusst wahrgenommen hat. Das sind diese Alltagsamnesien, die jeder hat.
Einige Erinnerungen sind nicht gleich präsent. Irgendjemand erzählt von einem Ereignis und man erinnert sich nicht mehr daran, denkt, derjenige erzählt einem etwas vom Pferd. Aber so nach und nach, vielleicht auch erst ein paar Stunden später (weil man hat irgendwie immer mal wieder daran versucht zu denken, ging einem nicht mehr aus dem Kopf) fällt einen doch kleckerlesweise wieder die Story ein. Kennt wohl auch jeder.
Diese Amnesien bei DIS sind anders. Da fällt einen wirklich nichts ein da fehlt was. Mal Beispiel von mir: Mein Mann kniet neben mir in einer Ausnüchterungszelle auf der Polizeiwache. Ich geh dann mit ihn raus aus der Zelle an den Tresen, werde dort noch befragt und es werden noch Formalitäten erledigt, bis wir dann gehen. Es ist abends. Ich habe bis heute nicht den blassesten Schimmer, wie ich da hin komme. Ich weiß noch, dass ich kurz nach dem Mittagessen raus bin, etwas hatte mich gestresst, und ich eine Runde über den Acker laufen wollte. Das habe ich noch ganz klar. Ich kam an der Bushaltestelle vorbei, kam gerade einer und ich erinnere mich noch so dunkel, dass ich eingestiegen bin. Dann ist Schluss mit Erinnerung. Die Polizisten erzählten, wo und unter welchen Bedingungen sie mich auflasen, dass ich wohl ziemlich handgreiflich wurde, auf´s schlimmste schimpfte … keinerlei Erinnerung, kommt nichts.
Oder: Morgens drucke ich noch schnell was aus, um dieses wichtige Arbeitsergebnis (ist terminiert) mittags meinen einen Chef abzugeben. In seinem Büro will ich es ihm geben, da guckt er mich an, als wenn ich ein Auto wäre und sagt: das haben Sie mir doch schon gestern gegeben. Sollte ich mich spätestes ab der Aussage dran erinnern, ist aber nicht da, ich war Tags vorher nicht bei ihm.
Oder: abends ruft mich eine (etwas von der Situation irritierte) gute Bekannte an und erkundigt sich, ob es mir wieder besser geht. Ich – etwas verwirrt – frage nach.Sie fragt mich, was am Nachmittag, als sie mich vor dem Bäcker traf, mit mir los gewesen war, wäre da wohl ziemlich durch den Wind gewesen. Ich kam ihr vor, als wenn ihr Sohn (damals 12) neben ihr gestanden wäre und wütete. Null Erinnerung (in unseren System gibt es einen, der in dieses Alter passt).
Gerade für so Situationen wie die letzten beiden, die ja immer wieder vorkommen, braucht man ganz schnell für die Außenwelt plausible/nachvollziehbare Erklärungen.
Solche Situationen werden einem immer wieder von der Außenwelt berichtet/gespielgelt.
Meine eine erwachsene Tochter erzählte mir von einem Sturz, bei dem sie dann kurz bewusstlos war. Dadurch hatte sie eine kleine Erinnerungslücke von ca. 5 Minuten und kennt das, was mit dem Sturz zusammen hängt und die Situation unmittelbar davor nur vom Hörensagen. Sie sagte, sie könne sich trotz intensiver Versuche nicht daran erinnern und das empfand sie total „gruselig“, ihre Wortwahl. Sie kennt also diese „gruselige“ Amnesie von 5 Minuten, für unsereins ist sie „normal“ und umfasst idR viel größere Zeitspannen.
In unserem System gab/gibt es einige autarke Personen. Inzwischen kennen wir uns alle und es haben alle inzwischen Co-Bewusstsein.
Jeder von euch kennt bestimmt so Situationen, in denen ihr z.B. kindliche Anteile (die wohl jeder hat, die keine DIS´ler sind) registriert. Da kommt eure Schwester zu Besuch und bringt die kleine Nichte mir. Ihr spielt mit ihr, albert herum, benimmt euch richtig kindisch. Von außen gesehen sieht es aus, als wenn ihr euch wie ein Kind verhaltet. Seit euch aber immer irgendwie bewusst, dass ihr erwachsen seid. Wenn eure Schwester euch anspricht, redet ihr sofort wieder in Erwachsenensprach mit ihr und verhaltet euch erwachsen.
Manchmal hat man so kindliche Sehnsüchte, es geht einem vielleicht nicht gut, man weiß selber nicht, warum. Man sieht seinen alten Teddy, nimmt ihn in den Arm, drückt ihn, kuschelt mit ihm. Er gibt etwas Trost und man fühlt sich etwas besser/sicherer/aufgehobener. Man fühlt und verhält sich wie das Kind, das man mal war (Regression), aber man weiß im Bewusstsein, dass man Erwachsen ist.
Wenn eine „Kind-Person“ eines DIS´lers im Außen agiert, ist das anders. Dieses Kind ist Kind. Es spielt auf dem Spielplatz mit den anderen Kindern, wundert sich höchstens darüber, dass der Körper anders aussieht als bei den anderen Kinder, aber das war ja schon lange so, also „Normalzustand“ für das Kind, anders auszusehen. Es weiß aber eben nicht, dass es Erwachsen ist. Wenn es von einem realen Erwachsenen angesprochen wird, z.B. einem Elternteil eines anderen Kindes, dann verhält es sich nicht erwachsen oder redet in Erwachsenensprache. Es ist dann in dem Moment immer noch Kind in dem Alter, in dem es ist, reagiert/redet/verhält sich entsprechend.
Und damit dann diese anderen Erwachsenen sich nicht umdrehen, heimlich ihr Handy zücken und diese Typen mit den weißen Turnschuhen und den starken Oberarmen anrufen, die einen dann mal eben in die Klapse befördern, dürfen solche Situationen erst gar nicht geschehen, nicht in der Öffentlichkeit (passieren aber). Zur Minimierung wird kontrolliert was das Zeugs hält, ist verdammt anstrengend. Möglichst ja nicht auffallen, laufend irgendwelche Erklärungen an der Hand haben. Das frisst viel Energie.
Gruß
Wandelröschen
Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht ich.