Tränen-reich hat geschrieben: ↑Di., 10.03.2020, 17:25
Dann hat meine Therapeutin ja alles falsch gemacht und war tooootal unseriös
Und für die Kritiker hier: Meine Mail-Schreiberei und Antworten meiner Therapeutin haben mir geholfen.
Träne, Seriösität in Abrechnungsfragen und Therapieerfolg stehen ja auch nicht unbedingt mit einander in Relation. Jemand kann durchaus therapeutisch gute Arbeit leisten und trotzdem es bei der Abrechnung nicht so genau nehmen (vielleicht gerade weil er denkt, er sei ein besonders guter Therapeut und könnte selbst am besten entscheiden, was "angemessen" ist?). Dabei rechtfertigt der Therapieerfolg aber nicht einen möglichen Abrechnungsbetrug.
Beispiel (würde mich wundern, wenn es sowas nicht real gäbe...): Eine Krankenschwester macht eine Therapie. Sie hat Wechselschichten. Sie hat zwar die Pflegedienstleitung gebeten, ihr den Nachmittag, an dem sie wöchentlich Therapie hat, freizuhalten. Trotzdem legt ihr die Pflegedienstleitung immer wieder, wenn mal wieder Kollegen krank sind und besonders großer Personalmangel herrscht, kurzfristig zusätzliche Schichten rein, auch an dem besagten Nachmittag. Die Patientin muss daher öfters ihrem Therapeuten absagen. Der kann so oft sich keinen Stundenausfall leisten, deshalb müsste er der Patientin ein Ausfallhonorar in Rechnung stellen. Gleichzeitig tut ihm die Patientin Leid, weil es ja "nicht ihre Schuld" ist und sie ohnehin als Alleinerziehende knapp mit dem Geld ist. Deshalb bietet er ihr an, ihr entgegenzukommen und die Stunde, auch wenn sie sie absagen muss, normal mit der Kasse abzurechnen. Für beide eine win-win-Situation. Er hat keinen Verdienstausfall und sie hat zwar dann eine Stunde weniger zur Verfügung, muss das Ausfallhonorar aber nicht aus eigener Tasche bezahlen.
Wenn beide sich darauf einigen, wird das wahrscheinlich niemand je erfahren. Nach Außen ist alles gut und die beiden haben den Konflikt für beide zufriedenstellend gelöst - allerdings auf Kosten der Krankenkasse, die für eine nicht erbrachte Leistung bezahlt. Verständnis kann man für ein solches "Arrangement" sicherlich haben und es kann sogar sein, dass die therapeutische Allianz dadurch gestärkt und der Therapieerfolg damit gefördert wird, aber es ist und bleibt trotzdem auf der wirtschaftlichen Ebene ein Betrug.
Genau genommen könnte man sogar hinterfragen, ob es auf der therapeutischen Ebene richtig ist, weil es der Patientin suggeriert, dass es gut sei, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, auch wenn der auf Kosten Anderer geht, statt die Situation dazu zu nutzen, zu erkennen, dass die Arbeitsbedingungen der Patientin für sie vielleicht auf Dauer schädlich für sie sind und sie eigentlich die Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber wegen der ihr gegenüber rücksichtslosen Dienstplanung führen müsste.
Nicht alles, was zu einem Erfolg führt, ist unbedingt auch immer richtig, selbst wenn beide Beteiligten damit einverstanden sind. Was natürlich nicht heißt, dass man sich auch bewusst dafür entscheiden kann, Regeln zu brechen, aber man sollte es meiner Meinung nach immer in dem Bewusstsein darüber tun, dass es sich eben um eine Regelverletzung handelt und deshalb besondere Vorsicht geboten ist - denn solche Regeln werden selten ohne Grund aufgestellt. Ein Übertreten kann sicherlich bei vielen Menschen jahrelang gut gehen, wenn's dann aber doch mal blöd läuft kann es aber auch teilweise zu empfindlichen Konsequenzen führen.